Die Spekulationen über Israels
Motiv für sein Gemetzel in Gaza, das am 27. Dezember 2008 begann
und bis zum 18. Januar 2009 andauerte, konzentrierten sich
anfangs auf die bevorstehenden israelischen Wahlen. Dass die
Entscheidungsträger auf diese Weise um Wählerstimmen buhlen,
leuchtet durchaus ein, denn wer sich in dieser Sparta-ähnlichen,
„rachsüchtigen und blutrünstigen“1
Gesellschaft beim Töten von Arabern hervortut, dem ist die Gunst
der Massen gewiss. (Aus während des Krieges durchgeführten
Umfragen ging hervor, dass die Zustimmung der israelischen Juden
bei 80 bis 90 Prozent lag.)2
Wie jedoch der israelische Journalist Gideon Levy bei
Democracy
Now! betonte, „führte
Israel … vor zweieinhalb Jahren einen ganz ähnlichen Krieg [im
Libanon], ohne dass Wahlen anberaumt
waren“.3
Wenn zentrale staatliche Interessen auf dem Spiel standen, haben
Israels herrschende Eliten noch selten aus rein wahltaktischen
Gründen große Operationen gestartet. Es stimmt zwar, dass
Ministerpräsident Menachem Begin ein Wahlkampfmanöver
veranstaltete, als er 1981 die Bombardierung des irakischen
Osirak-Reaktors anordnete, aber das
strategische Risiko, das Israel dabei einging, war gering.
Entgegen der landläufigen Meinung besaß Saddam Hussein damals
nämlich kein Atomwaffenprogramm.4
Bei seinem jüngsten Angriff auf Gaza ging es Israel in der
Hauptsache um etwas anderes als Stimmenfang: erstens um die
Wiederherstellung des israelischen „Abschreckungspotenzials“ und
zweitens um die Abwehr einer neuen „Friedensoffensive“ der
Palästinenser.
Der Nahostkorrespondent der
New York Times,
Ethan Bronner, berichtete unter Berufung auf israelische
Quellen, die aktuelle Gaza-Offensive sei „vor dem Hintergrund“
einer „Wiederherstellung des israelischen
Abschreckungspotenzials“ zu sehen, weil „die Feinde Israels
weniger Angst vor ihm haben als bisher beziehungsweise weniger
als sie haben sollten“.5
Die Bewahrung seines Abschreckungspotenzials war für Israels
strategische Doktrin immer schon zentral, so auch im Juni 1967,
als es zu jenem Erstschlag gegen Ägypten ausholte, der die
israelische Besetzung Gazas (und des Westjordanlandes) zur Folge
hatte. Zur Rechtfertigung des Angriffs auf Gaza schrieb der
israelische Historiker Benny Morris nun: „Viele Israelis fühlen
sich zunehmend bedrängt und bedroht …, ganz ähnlich wie Anfang
Juni 1967.“6
Dass die einfache israelische Bevölkerung im Juni 1967 unter
Beklemmungen litt, ist unstrittig, doch – wie Morris sicher weiß
– hatte die israelische Führung keine solchen Ängste
auszustehen. Es stimmt, dass der ägyptische Präsident
Gamal Abdel Nasser, nachdem Israel
den Syrern gedroht und Pläne für einen Angriff auf ihr Land
geschmiedet hatte, die Sperrung der Straße von
Tiran für den israelischen
Schiffsverkehr verfügte, doch machte Israel von diesem Seeweg
ohnehin kaum Gebrauch (abgesehen von Erdöllieferungen, die
Israel damals wegen ausreichender Vorräte nicht akut benötigte).
Außerdem setzte Nasser die Blockade in der Praxis auch gar nicht
durch: Schon wenige Tage nach ihrer Verkündung konnten Schiffe
die Straße von Tiran wieder
ungehindert passieren. Mehrere US-Geheimdienste hatten überdies
festgestellt, dass die Ägypter keinerlei Angriffsabsichten
gegenüber Israel hegten und dass Israel ihnen in dem
unwahrscheinlichen Fall, dass sie dennoch (sei es allein oder
gemeinsam mit anderen arabischen Staaten) angriffen, „ordentlich
eins überbraten“ würde, wie US-Präsident Lyndon Johnson sich
ausdrückte. Der Mossad-Chef sagte am
1. Juni 1967 gegenüber ranghohen US-Vertretern, dass „sich die
USA und die Israelis in Bezug auf die militärgeheimdienstlichen
Erkenntnisse und deren Interpretation vollkommen einig sind“.7
Was Israel beunruhigte, war vielmehr, dass sich in der
arabischen Welt die Ansicht verbreitete, dass man nicht länger
nach Israels Pfeife tanzen müsse, eine Einstellung, die von
Nassers radikalem Nationalismus befeuert wurde und ihren
Höhepunkt in seinen aufmüpfigen Gesten vom Mai 1967 fand.
Deswegen wurden diejenigen im israelischen Kabinett, die
hinsichtlich eines Erstschlags ihres Landes Bedenken hatten, von
Divisionskommandeur Ariel Sharon mit den Worten ermahnt, Israel
verliere gerade sein „Abschreckungspotenzial … unsere wichtigste
Waffe – die Furcht vor uns“.8
Israel entfesselte diesen Krieg im Juni 1967, „um die
Glaubwürdigkeit des israelischen Abschreckungspotenzials
wiederherzustellen“ (so der israelische Strategieanalyst
Zeev Maoz).9
Der von der Hisbollah im Mai 2000
erzwungene Rückzug der israelischen Besatzungsarmee aus dem
Libanon ließ Israel erneut um sein Abschreckungspotenzial
bangen. Die Tatsache, dass Israel solchermaßen eine vernichtende
Niederlage beigebracht worden war – eine Schmach zumal, die in
der gesamten arabischen Welt gefeiert wurde –, machte einen
Folgekrieg geradezu unausweichlich. Israel begann beinahe
umgehend mit den Planungen für die nächste Runde und fand im
Sommer 2006 einen Vorwand, als die Hisbollah zwei israelische
Soldaten gefangen nahm (einige weitere wurden in dem Gefecht
getötet) und im Austausch die Freilassung libanesischer
Gefangener aus israelischer Haft verlangte. Obwohl Israel seine
Luftwaffe wüten ließ und dann auch noch seine Bodentruppen in
Marsch setzte, wurde ihm erneut eine Schmach zugefügt. Ein
angesehener US-amerikanischer Militäranalyst gelangte ungeachtet
seiner Parteinahme für Israel zu folgenden Schlussfolgerungen:
„Die israelische Luftwaffe, jener Zweig des israelischen
Militärs, der einst innerhalb weniger Tage ganze Luftwaffen
vernichtete, erwies sich nicht nur als unfähig, den
Raketenbeschuss durch die Hisbollah zu unterbinden; er war nicht
einmal in der Lage, eine rasche Erholung der Hisbollah durch
ausreichende Schwächung zu verhindern.“ „Als die Bodentruppen
dann schließlich in den Libanon einmarschierten, … konnten sie
die Hisbollah-Hochburgen nicht einnehmen, nicht einmal die
grenznahen“. „Was die Ziele betrifft, die Israel sich gesetzt
hatte: Die entführten israelischen Soldaten wurden weder befreit
noch freigelassen; der Raketenbeschuss durch die Hisbollah wurde
zu keinem Zeitpunkt unterbunden, ja selbst die Raketen mit
großer Reichweite wurden weiterhin abgefeuert …; und die
israelischen Bodentruppen erlitten schwere Verluste und wurden
von einem gut ausgerüsteten und fähigen Feind in lang anhaltende
Kämpfe verwickelt.“ Und: „Mehr Truppen und eine groß angelegte
Bodeninvasion hätten zwar in der Tat zu einem anderen Ergebnis
geführt, aber die Annahme, dass eine solche Anstrengung
irgendwie zu einem eindeutigeren Sieg über die Hisbollah geführt
hätte, … entbehrt sowohl jeder historischen Grundlage als auch
der Logik.“ Ein Blick auf die Zahlen verdeutlicht einmal mehr,
wie groß der Rückschlag war: Den 30.000 Soldaten, die Israel in
diesen Krieg schickte, standen 2.000 reguläre Hisbollah-Kämpfer
und 4.000 irreguläre Kämpfer (teils mit, teils ohne
Hisbollah-Zugehörigkeit) gegenüber; Israel setzte 162.000 Bomben
und Geschosse ein, die Hisbollah 5.000 Geschosse (4.000 Raketen
und andere Geschosse feuerte sie auf Israel ab, 1.000
Panzerabwehrraketen setzte sie auf libanesischem Boden gegen die
israelische Armee ein).10
Hinzu kam: „Bei den Kämpfern, die Dörfer wie
Ayta ash
Shab, Bint
Jbeil und
Maroun al-Ras verteidigten,
handelte es sich überwiegend gar nicht um reguläre Kämpfer der
Hisbollah, ja teilweise noch nicht einmal um
Hisbollah-Mitglieder.“ Und: „Viele der besten und fähigsten
Hisbollah-Kämpfer kamen überhaupt nicht zum Einsatz. Sie lagen
nämlich in der Erwartung, dass die israelische Armee tiefer und
schneller vorrücken würde, am Litani
auf der Lauer.“11
Es gab noch ein weiteres Anzeichen dafür, dass Israel das
Kriegsglück nicht mehr hold war. Anders als in all seinen
vorangegangenen bewaffneten Konflikten kämpfte Israel in den
Schlussphasen des Kriegs von 2006 nicht gegen eine
UN-Waffenstillstandsresolution an, sondern hoffte vielmehr,
durch eine UN-Resolution gerettet zu werden.
Nach dem Libanonkrieg von 2006
konnte Israel es gar nicht abwarten, den Kampf mit der Hisbollah
wiederaufzunehmen, doch eine militärische Option war vorerst
nicht gegeben. Mitte 2008 versuchte Israel verzweifelt, die USA
für einen Militärschlag gegen den Iran zu rekrutieren, der auch
die Hisbollah entscheidend schwächen und somit diejenigen
Akteure in die Knie zwingen sollte, die sich der regionalen
Hegemonie Israels am hartnäckigsten widersetzten. Israel und
seine offiziösen Abgesandten, unter ihnen Benny Morris, drohten,
bei ausbleibendem US-Interesse an einer solchen Aktion würden
„dann unkonventionelle Waffen zum Einsatz kommen müssen“, was
zur Folge hätte, dass „viele unschuldige Iraner sterben werden“.12
Doch zum Verdruss der Israelis wurde nichts daraus. Während der
Iran munter weiter seiner Wege ging, standen sie, die Israelis,
dumm da und mussten zusehen, wie ihr Terrorisierungspotenzial
zunehmend an Glaubwürdigkeit verlor. Da wurde es höchste Zeit,
ein wehrloses Angriffsziel zu finden, das sich vernichten ließ.
Die Wahl fiel auf Gaza, der Israelis liebste
Schießbude. Die islamische Hamas-Bewegung hatte sich dort,
wiewohl nur armselig bewaffnet, dem israelischen Diktat trotzig
widersetzt und Israel auf diese Weise im Juni 2008 sogar dazu
gebracht, einer Waffenruhe zuzustimmen.
Im Libanonkrieg von 2006 machte
Israel den südlichen Beiruter Vorort Dahiya,
in dem die Hisbollah großen Rückhalt genoss, dem Erdboden
gleich. Nach dem Krieg fingen israelische Militärs dann an, von
einer „Dahiya-Strategie“ zu reden:
„Wir werden die 160 schiitischen Dörfer [im Libanon], die sich
zu schiitischen Militärstützpunkten entwickelt haben, in Schutt
und Asche legen“, erklärte der Chef des Nordkommandos der
israelischen Armee, „und wir werden keine Gnade walten lassen,
wenn es darum geht, die nationale Infrastruktur eines Staates zu
treffen, der praktisch von der Hisbollah kontrolliert wird.“
Sollte es zu Feindseligkeiten kommen, müsse Israel, so ein
Oberst der Reserve beim israelischen Institut für Studien zur
Nationalen Sicherheit, „unverzüglich, entschlossen und mit
unverhältnismäßiger Gewalt vorgehen …. Eine solche Reaktion
zielt darauf ab, in einem solchen Ausmaß Schaden anzurichten und
eine solch hohe Strafe zu verhängen, dass der Prozess des
Wiederaufbaus langwierig und kostspielig sein wird.“ Die neue
Strategie solle, so hieß es, gegen all jene Gegner Israels in
der Region angewandt werden, die aus der Reihe tanzten – „die
Palästinenser in Gaza sind alle Khalid
Mishal, die Libanesen sind alle
Nasrallah, und die Iraner sind alle
Ahmadinejad“, – aber Gaza eignete sich für diese
Blitzkrieg-samt-Blutbad-Strategie am
Vortrefflichsten. „Schade nur, dass sie nicht gleich nach dem
‚Rückzug’ aus Gaza und den ersten Raketenangriffen zur Anwendung
kam“, klagte ein angesehener israelischer Kolumnist. „Hätten wir
damals gleich zur Dahiya-Strategie
gegriffen, wäre uns vermutlich viel Ärger erspart geblieben.“
Ende September 2008 schlug der israelische Innenminister nach
einem palästinensischen Raketenangriff vor, die israelische
Armee solle doch „in Gaza irgendeine von ihr ausgewählte
Wohngegend dem Erdboden gleichmachen“.13
Und weil die Zeit für ein Ausprobieren der
Dahiya-Strategie im Libanon und im Iran noch nicht ganz
reif schien, wurde sie, was nicht weiter verwunderlich ist,
zunächst einmal in Gaza getestet.
Nach Kriegsbeginn ließen
maßgebliche Stellen Äußerungen fallen, die einen Eindruck davon
vermittelten, wie der Einsatzplan für das Gaza-Blutbad wohl
beschaffen war: „Was wir brauchen, ist ein systematisches
Vorgehen mit dem Ziel, alle Organisationen, die Raketen und
Mörsergranaten abfeuern, zu bestrafen, ebenso aber auch die
Zivilisten, die ihnen das Schießen und Untertauchen ermöglichen“
(Generalmajor der Reserve); „Nach dieser Operation wird kein
einziges Hamas-Gebäude in Gaza mehr stehen“ (der
stellvertretende Stabschef der israelischen Armee); „Alles, was
Verbindungen zur Hamas hat, ist ein legitimes Angriffsziel“
(Büro des Sprechers der israelischen Armee).14
Während Israel im Jahr 2006 in den ersten beiden Tagen des
Kriegs nur 55 Libanesen tötete, frohlockten die israelischen
Medien nun darüber, dass Israel in den ersten beiden Tagen
seines Angriffs auf Gaza über 300 Palästinenser tötete und die
Menschen dort auf diese Weise, wie die Zeitung
Maariv
schrieb, in „Schock und Ehrfurcht“ versetzte.15
Ein gut informierter israelischer Strategieanalyst traf, nachdem
das Gemetzel bereits einige Tage andauerte, folgende
Feststellung: „Die israelische Armee plante Angriffe auf Orte,
an denen sich Hunderte von Menschen aufhielten, und verzichtete
darauf, diese Menschen zum Verlassen der betreffenden Gebäude
und Plätze aufzufordern. Sie hatte sich vorgenommen, viele von
ihnen zu töten, und das hat sie auch geschafft.“16
Morris platzte beinahe vor Stolz angesichts von „Israels äußerst
wirkungsvollem Luftangriff auf die Hamas“.17
Der israelische Kolumnist B. Michael zeigte sich weniger
beeindruckt davon, dass Israel seine Kampfhubschrauber und
-flugzeuge zu einem „riesigen Gefängnis“ entsandte, um „dessen
Insassen zu beschießen“18
– darunter „70 Verkehrspolizisten bei ihrer Abschlussfeier,
junge Männer, die verzweifelt nach einer Möglichkeit gesucht
hatten, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, und jetzt glaubten,
diese Möglichkeit bei der Polizei gefunden zu haben, stattdessen
jedoch vom Himmel aus in den Tod geschickt wurden“.19
Während Israel Schulen, Moscheen,
Krankenhäuser, Krankenwagen und UN-Schutzräume angriff, während
es die wehrlose Zivilbevölkerung Gazas abschlachtete und
verbrannte (ein Drittel der gemeldeten 1.200 Todesopfer waren
Kinder), gefielen sich israelische Kommentatoren in hämischen
Bemerkungen: „Nach dem Libanon ist Gaza so etwas wie die
Wiederholung einer Klassenarbeit – eine zweite Chance, es
richtig zu machen.“ Israel werde Gaza nicht bloß um jene 20
Jahre „zurückzuwerfen“, die man dem Libanon beim letzten Mal
versprochen hatte, sondern gleich „in die 1940er Jahre. Strom
gibt es nur für ein paar Stunden am Tag.“ „Israel hat seine
Fähigkeit zur Abschreckung wiedererlangt“, weil „der Krieg in
Gaza die Fehler des Zweiten Libanonkriegs [von 2006] wettmacht.“
„Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah dürfte in diesen Tagen wie
ein Häuflein Unglück dasitzen. … Es wird in der arabischen Welt
niemanden mehr geben, der behaupten könnte, Israel sei schwach.“20
Thomas Friedman,
Außenpolitikexperte bei der
New York Times,
stimmte in das Halleluja ein.21
Seiner Ansicht nach ist Israel siegreich aus dem Libanonkrieg
von 2006 hervorgegangen. Schließlich habe Israel „dem ganzen
Libanon beträchtlichen Sachschaden und zahlreiche
kollaterale Opfer“ beschert und die
Hisbollah somit in den Genuss einer „Erziehung“ kommen lassen:
Aus Angst vor dem libanesischen Volkszorn werde es sich die
Hisbollah „in Zukunft drei Mal überlegen“, ob sie es wirklich
wagen soll, sich Israel zu widersetzen. Friedman gab seiner
Hoffnung Ausdruck, dass Israel ebenso auch versuchen werde, „der
Hamas eine ‚Erziehung’ angedeihen zu lassen, indem es den
militanten Hamas-Mitgliedern einen hohen Blutzoll abverlangt und
der Bevölkerung von Gaza starke Schmerzen zufügt“. Um die
Angriffe auf die Zivilbevölkerung und die zivile Infrastruktur
des Libanons zu rechtfertigen, behauptete Friedman, Israel habe
keine andere Wahl gehabt, weil „die Hisbollah ein sehr ‚flaches’
militärisches Netzwerk aufgebaut hat, … das tief in die dortigen
Städte und Dörfer eingebettet ist“. Und da „sich die Hisbollah
bei der Zivilbevölkerung eingenistet hatte, bestand die einzige
langfristige Abschreckung darin, den Zivilisten genügend
Schmerzen zuzufügen, … damit sie die Hisbollah künftig an die
Kandare nehmen“.
Lassen wir Friedmans hohle Phrasen
– was soll „flach“ bedeuten? – mal beiseite und sehen wir
außerdem darüber hinweg, dass er den Tod von Zivilisten zwar als
unvermeidlich bezeichnet, aber
gleichzeitig Angriffe auf
Zivilisten als Strategie der „Abschreckung“ empfiehlt.
Bleibt uns noch zu fragen, ob es denn stimmt, dass die Hisbollah
in die libanesische Zivilbevölkerung „eingebettet“ war, sich bei
ihr „eingenistet“ hatte und „eng mit ihr verwoben“ war. Human
Rights Watch kam nach eingehender Untersuchung zu folgenden
Ergebnissen: „Wir fanden handfeste Beweise dafür, dass die
Hisbollah zur Aufbewahrung ihrer Raketen größtenteils Bunker und
Waffenlager benutzte, die sich in unbewohnten Feldern und Tälern
befanden; dass die Hisbollah-Kämpfer in der überwiegenden
Mehrheit der Fälle Orte, an denen sich Zivilisten aufhielten,
bei Ausbruch der Kämpfe umgehend verließen; und dass die
Hisbollah die allermeisten ihrer Raketen von vorab
vorbereiteten, außerhalb der Dörfer gelegenen Stellungen
abfeuerte.“ Und noch einmal: „Bei der Vielzahl der von uns
untersuchten zivilen Todesfälle war es die große Ausnahme, wenn
sich herausstellte, dass sich Hisbollah-Kämpfer unter die
Zivilbevölkerung gemischt oder auf irgendeine andere Weise durch
ihr Verhalten dazu beigetragen hatten, dass ein bestimmtes Haus
oder Fahrzeug von der israelischen Armee unter Beschuss genommen
wurde.“ Und: „Das Muster des israelischen Beschusses im Libanon
lässt ebenfalls darauf schließen, dass die Hisbollah viele ihrer
Raketen aus Tabakfeldern, Bananen-, Oliven- und
Zitrushainen sowie aus weiter
abgelegenen, unbewohnten Tälern abfeuerte.“22
Aus einer Studie, die überwiegend
auf Interviews mit israelischen Teilnehmern am Libanonkrieg
basiert und an einer US-Kriegsakademie erstellt wurde, ist
Ähnliches zu erfahren: „Auf den entscheidenden Schlachtfeldern
beim Feldzug südlich des Litani
waren größtenteils keine Zivilisten anzutreffen. Die Teilnehmer
auf Seiten der israelischen Armee berichten übereinstimmend, es
sei kaum beziehungsweise gar nicht vorgekommen, dass sich
Hisbollah-Kämpfer in bedeutender Weise unter Nichtkombattanten
mischten. Systematische Berichte darüber, dass die Hisbollah in
der Kampfzone Zivilisten als Schutzschilde einsetzte, gibt es
ebenfalls nicht.“ Eine weitere Feststellung der Autoren ist in
diesem Zusammenhang erwähnenswert: „Die allermeisten
Hisbollah-Kämpfer trugen Uniform. Die Ähnlichkeit ihrer
Ausrüstung und Kleidung mit der Ausstattung vieler staatlicher
Heere war bemerkenswert: sandfarbene und grüne Tarnanzüge,
Helme, Multifunktions- und Panzerwesten, Erkennungsmarken und
Rangabzeichen.“23
Friedman behauptete außerdem, die
Hisbollah habe, „anstatt die direkte Auseinandersetzung mit der
israelischen Armee zu suchen“, Raketen auf die israelische
Zivilbevölkerung abgefeuert, um Israel zu Vergeltungsschlägen zu
verleiten, die dann zwangsläufig libanesische Zivilisten töten
und „den Zorn der arabisch-muslimischen Straße erregen“ würden.
Doch zahlreiche Studien haben gezeigt24
– und israelische Amtsträger haben zugegeben25
–, dass die Hisbollah während ihres Guerillakriegs gegen die
israelische Besatzungsarmee immer erst
nach Angriffen
Israels auf die libanesische Zivilbevölkerung auch ihrerseits
Zivilisten beschoss. Auch beim Krieg von 2006 ging die Hisbollah
so vor: Erst nachdem israelische Angriffe zum Tod zahlreicher
libanesischer Zivilisten geführt hatten, feuerte die Hisbollah
ihrerseits Raketen auf israelische Bevölkerungszentren ab, wozu
Hisbollah-Chef Sayyed Hassan
Nasrallah erklärte, die Hisbollah werde so lange nicht vom
Beschuss israelischer Zivilisten absehen, wie „der Feind bei
seiner Aggression ohne jede Grenzen oder rote Linien“ vorgehe.26
Wenn Israel im Krieg von 2006 die
Zivilbevölkerung und Infrastruktur des Libanons angriff, dann
nicht, weil ihm keine andere Wahl blieb, und auch nicht, weil
die Hisbollah diese Angriffe provoziert hatte, sondern weil die
Terrorisierung der Zivilbevölkerung eine vergleichsweise
kostengünstige „Erziehung“ darstellte und Israel dieser Methode
klar den Vorzug vor einem womöglich verlustreichen Kampf gegen
einen richtigen Feind gab, auch wenn es der Hisbollah mit ihrem
überraschend starken Widerstand gelang, einen israelischen Sieg
auf dem Schlachtfeld zu verhindern. In Gaza hingegen konnte
Israel die „Erziehung“ der Bevölkerung mit einem militärischen
Sieg verbinden, denn „die Kämpfe in Gaza“ waren, wie Gideon Levy
schrieb,
ein „Luxuskrieg“. Im Vergleich zu
früheren Kriegen ist dieser kinderleicht: Piloten werfen
ungestört ihre Bomben ab, gerade so, als absolvierten sie bloß
Trainingsflüge. Panzerbesatzungen und Artilleristen nehmen von
ihren gepanzerten Fahrzeugen aus Häuser und Zivilisten unter
Granatenbeschuss. Kampfpioniere zerstören ganze Straßenzüge,
während sie selbst in ihren ominösen, geschützten Fahrzeugen
sitzen und auf keinerlei ernsthaften Widerstand stoßen. Eine
große, breit aufgestellte Armee kämpft hier gegen eine hilflose
Bevölkerung und eine schwache, amateurhafte Truppe, die aus den
Konfliktzonen geflohen ist und kaum Gegenwehr leistet.27
Die von Friedman auf den Seiten der
New York Times
vorgebrachte Rechtfertigung für Angriffe auf Zivilisten und
zivile Infrastruktur kommt einer Apologetik von
Staatsterrorismus gleich.28
Man rufe sich in Erinnerung, dass der Nazi-Propagandist Julius
Streicher – obwohl Hitler ihn bereits 1940 all seiner
politischen Macht beraubt hatte und obwohl seine Zeitung
Der Stürmer während
des Kriegs nur eine Auflage von rund 15.000 Exemplaren erreichte
– bei den Nürnberger Prozessen für seine mörderische
Aufwiegelung zum Tode verurteilt wurde.
Neben der Wiederherstellung des
israelischen Abschreckungspotenzials bestand das Hauptziel des
Gemetzels in Gaza darin, jene Bedrohung loszuwerden, die sich
für Israel aus der Mäßigung der Palästinenser ergibt. Seit
nunmehr drei Jahrzehnten strebt die internationale Gemeinschaft
konsequent eine Zweistaatenlösung für den
israelisch-palästinensischen Konflikt an, und zwar auf Grundlage
eines vollständigen Rückzugs Israels auf seine Grenze vom Juni
1967 sowie einer „gerechten Lösung“ der Flüchtlingsfrage,
basierend auf dem Recht auf Rückkehr und Entschädigung. Über die
Resolution „Peaceful
Settlement of
the Question of
Palestine“, in der ebendiese
Konfliktlösung verlangt wird, stimmt die UN-Generalversammlung
jedes Jahr aufs Neue ab. Bei der letzten Abstimmung im Jahr 2008
stimmten 164 Staaten der Welt für diese Resolution; sieben
Staaten votierten dagegen (Israel, USA, Australien,
Marschallinseln, Mikronesien, Nauru, Palau), drei enthielten
sich der Stimme. Auch auf regionaler Ebene wurde ein Vorschlag
auf dieser Grundlage gemacht: Die Arabische Liga legte im März
2002 eine von all ihren Mitgliedern befürwortete
Friedensinitiative vor, die sie später erneut bekräftigte. Die
Hamas hat in letzter Zeit mehrfach zu verstehen gegeben, dass
sie die skizzierte Konfliktlösung ebenfalls akzeptiert. Der Chef
des Hamas-Politbüros, Khalid
Mishal, äußerte in einem Interview
vom März 2008 zum Beispiel Folgendes:
Es bietet sich die Möglichkeit, mit
diesem Konflikt anders umzugehen, als es Israel und die hinter
ihm stehenden USA heute tun. Es bietet sich die Möglichkeit, auf
palästinensischer Seite zu einem nationalen Konsens über ein auf
den Grenzen von 1967 basierendes Grundsatzprogramm zu gelangen.
Damit liegt eine außergewöhnliche Situation vor: Die meisten
palästinensischen Kräfte einschließlich der Hamas sind mit einem
Staat in den Grenzen von 1967 einverstanden. … In dieser Frage
besteht auch ein arabischer Konsens, das ist eine historische
Situation. Aber niemand nutzt diese Gelegenheit, niemand macht
Anstalten, auf dieses Angebot einzugehen. Die Palästinenser und
die Araber sind bereit, sich auf dieses Minimum zu beschränken,
aber selbst das wird von Israel und den USA abgelehnt.29
Israel ist sich darüber im Klaren,
dass die Hamas-Charta kein unüberwindbares Hindernis für eine
Zweistaatenlösung auf der Grenze vom Juni 1967 darstellt. „Die
Hamas-Führung hat erkannt, dass ihr ideologisches Ziel nicht
erreichbar ist und in absehbarer Zeit auch nicht erreichbar sein
wird“, bemerkte jüngst ein ehemaliger
Mossad-Chef. „Sie sind bereit und willens, sich auf die
Gründung eines palästinensischen Staates in den temporären
Grenzen von 1967 einzulassen …. Sie wissen, dass sie in dem
Moment, wo ein palästinensischer Staat mit ihrer Unterstützung
gegründet wird, zu einer Änderung der Spielregeln verpflichtet
sein werden: Sie werden einen Weg einschlagen müssen, der sie
weit fort von ihren ursprünglichen ideologischen Zielen führen
könnte.“30
Außerdem war die Hamas, wie einer
offiziellen israelischen Veröffentlichung zu entnehmen ist, „um
Einhaltung der Waffenruhe bemüht“, die sie im Juni 2008 mit
Israel vereinbart hatte, und dies obwohl Israel seinerseits mit
seiner unvermindert fortgesetzten Wirtschaftsblockade Gazas
gegen einen zentralen Punkt der Vereinbarung verstieß. „Es kam
gelegentlich zu Verstößen gegen die Waffenruhe, wenn einzelne
Terrororganisationen, die sich nicht daran gebunden fühlten,
Raketen und Mörsergranaten abfeuerten“, heißt es in der Quelle
weiter. „Gleichzeitig versuchte aber die [Hamas-]Bewegung, die
Einhaltung der in der Waffenruhe niedergelegten Bestimmungen
gegenüber den anderen Terrororganisationen durchzusetzen und sie
von Verstößen abzuhalten.“31
Die Hamas war überdies „an einer Verlängerung der relativen Ruhe
mit Israel interessiert“, so der Chef des israelischen
Inlandgeheimdienstes Shin Bet,
Yuval Diskin.32
Die islamische Bewegung bewies also, dass sie Wort hielt, und
empfahl sich somit als glaubwürdige Verhandlungspartnerin. Und
während sie offenkundig in der Lage war, Israel Zugeständnisse
abzuringen, gelang der unglückseligen, sich dem Willen Israels
unterordnenden palästinensischen Autonomiebehörde nichts
dergleichen. Folglich gewann die Hamas bei den Palästinensern
nur weiter an Ansehen. Aus israelischer Sicht waren diese
Entwicklungen eine wahre Katastrophe. Israel konnte sich nun
nicht mehr hinstellen und erklären, dass man die Hamas mit
Nichtachtung strafen müsse. Es war nur noch eine Frage der Zeit,
bis die internationale Gemeinschaft, vor allem Europa, auf eine
Verhandlungslösung mit der Hamas drängen würde. Sollte die neue
US-Regierung mit dem Iran und der Hamas verhandeln und sich dem
internationalen Konsens zur Lösung des
israelisch-palästinensischen Konflikts annähern, wie es manche
einflussreichen US-amerikanischen Politikberater derzeit
empfehlen,33
würde die Unnachgiebigkeit Israels nur noch deutlicher
hervortreten. Nasrallah vermutete einen etwas anderen
Hintergrund für das israelische Vorgehen. Nach seiner Kenntnis
hat die neue US-Regierung vor, eine internationale
Friedenskonferenz einzuberufen, an der „Amerikaner, Israelis,
Europäer und sogenannte gemäßigte Araber“ teilnehmen sollen, um
eine ihnen genehme Konfliktlösung zu diktieren. Dem stünden
einzig und allein „der palästinensische Widerstand und die
Hamas-Regierung in Gaza“ im Wege, mithin bestehe „das wahre Ziel
des Krieges“ darin, „dieses Hindernis zu beseitigen“.34
Aus israelischer Sicht galt es in jedem Fall die Hamas zu einem
Bruch der Waffenruhe zu verleiten und sie anschließend zu
radikalisieren oder zu vernichten, um sich so die legitime
Verhandlungspartnerin vom Hals zu schaffen. Es war nicht das
erste Mal, dass Israel sich – in Gestalt einer
Friedensinitiative der Arabischen Liga, einer Befürwortung der
Zweistaatenlösung seitens der Palästinenser und einer
palästinensischen Waffenruhe – mit einer teuflischen Bedrohung
konfrontiert sah, und auch nicht das erste Mal, dass Israel auf
Provokation und Krieg setzte, um das dräuende Unheil abzuwenden.
Mitte der 1970er Jahre begann der
Mainstream der PLO, sich für eine
Zweistaatenlösung auf der Grenze vom Juni 1967 auszusprechen.
Zudem hielt sich die PLO, die ihr Hauptquartier im Libanon
hatte, strikt an eine im Juli 1981 mit Israel vereinbarte
Waffenruhe.35
Im August 1981 präsentierte Saudi-Arabien einen auf der
Zweistaatenlösung basierenden Friedensplan, der die Zustimmung
der Arabischen Liga erhielt.36
Israels Reaktion bestand im September 1981 darin, seine
Bemühungen um eine Zerschlagung der PLO zu verstärken.37
Der israelische Strategieanalyst Avner
Yaniv berichtete in seiner Analyse
der Vorbereitungen auf den Libanonkrieg von 1982, dass Yasser
Arafat über einen historischen Kompromiss mit dem „zionistischen
Staat“ nachdachte, wohingegen „alle israelischen Kabinette seit
1967“ wie auch „führende im Mainstream
zu verortende Tauben“ die Idee eines palästinensischen Staates
ablehnten. Aus Furcht vor diplomatischem Druck machte Israel
sich daran, die Zweistaatenlösung zu sabotieren. Hierzu dienten
ihm gegen „palästinensische und libanesische Zivilisten“
gerichtete militärische Strafaktionen, die „ganz bewusst
unverhältnismäßig“ waren. Mit diesem Vorgehen beabsichtigte
Israel die „gemäßigten Kräfte innerhalb der PLO“ zu schwächen,
den „radikalen Rivalen“ Arafats den Rücken zu stärken und die
PLO zur „Inflexibilität“ zu verdammen. Letzten Endes blieben
Israel nur zwei Möglichkeiten: „ein politischer Schritt hin zu
einem historischen Kompromiss mit der PLO oder ein militärischer
Präemptivschlag gegen sie“. Zur Abwehr von Arafats
„Friedensoffensive“ – so Yanivs
treffende Bezeichnung – setzte Israel im Juni 1982 seine
Kriegsmaschinerie in Gang. Dem israelischen Einmarsch in den
Libanon „war eine mehr als einjährige effektive Waffenruhe mit
der PLO vorausgegangen“. Doch nachdem Israel zu mörderischen
Provokationen gegriffen hatte – bei der letzten kamen 200
Zivilisten (darunter 60 Insassen eines palästinensischen
Kinderkrankenhauses) ums Leben –, schlug die PLO schließlich
zurück, wobei ein Israeli getötet wurde.38
Zwar nutzte Israel die Wiederaufnahme der PLO-Angriffe als
Vorwand für seine Libanoninvasion, aber „die
raison
d’être der ganzen
Operation“ war, so Yaniv, „die
Zerstörung der PLO als politische Kraft, die in der Lage wäre,
einen palästinensischen Staat im Westjordanland auszurufen“.39
Es sei hier nur am Rande erwähnt, dass der ehemalige
US-Botschafter in Israel Martin Indyk
die eben geschilderte Abfolge von Ereignissen in seinem gerade
erschienenen Buch über die Geschichte des „Friedensprozesses“
wie folgt zusammenfasst: „Im Jahr 1982 reizten Arafats
terroristische Umtriebe die israelische Regierung von Menachem
Begin und Ariel Sharon schließlich so sehr, dass diese sich zu
einer groß angelegten Libanoninvasion gezwungen sah.“40
Schnell vorgespult ins Jahr 2008.
Anfang Dezember 2008 erklärte die israelische Außenministerin
Tzipi Livni,
ihr Land habe nichts gegen eine vorübergehende Feuerpause mit
der Hamas, wolle aber keinen ausgedehnten Waffenstillstand, weil
dieser „dem strategischen Ziel Israels schadet, die Hamas stärkt
und den Eindruck erweckt, dass Israel die Bewegung anerkennt“.41
Im Klartext: Eine lang anhaltende, die Glaubwürdigkeit der Hamas
stärkende Waffenruhe stünde Israels strategischem Ziel einer
fortgesetzten Beherrschung des Westjordanlands im Wege. Der
Angriff auf die Hamas war bereits im März 2007 beschlossene
Sache. Israel handelte die Waffenruhe vom Juni 2008 nur aus,
weil „die israelische Armee Zeit zur Vorbereitung brauchte“.42
Als Israel dann startklar war, fehlte ihm nur noch ein Vorwand.
Am 4. November, als die US-Medien ihr ganzes Augenmerk auf die
Präsidentenwahl richteten, brach Israel die Waffenruhe, indem es
sieben militante Palästinenser tötete. Zur Begründung hieß es,
die Hamas sei gerade dabei gewesen, zwecks Entführung
israelischer Soldaten einen Tunnel zu graben, aber das war kaum
mehr als eine faule Ausrede. Israel wusste ganz genau, dass es
mit seinem Angriff einen Vergeltungsschlag der Hamas
heraufbeschwor. „Der ‚tickende Tunnel’ der vergangenen Woche,
der offenbar der Entführung israelischer Soldaten dienen sollte,
stellte“, so
Haaretz
Mitte November, „keine klare und akute Gefahr dar“:
Seine Existenz war von Anfang an
bekannt, und seine Benutzung hätte man von der israelischen
Seite aus verhindern können. Zumindest hätte man die am
Tunnelausgang stationierten Soldaten in Sicherheit bringen
können. Es ist ausgeschlossen, dass diejenigen, die die
Sprengung des Tunnels veranlassten, unüberlegt handelten. Das
militärische Establishment war sich der unmittelbaren Folgen
dieser Maßnahme bewusst. Ebenso klar war ihm, dass die Politik
des „kontrollierten Eindringens“ in ein schmales Gebiet des
Streifens zum selben Ergebnis führen musste, nämlich zu einem
Ende der Waffenruhe. Es handelt sich hierbei um einen Ausdruck
des politischen Willens, nicht um eine vom Befehlshaber im Feld
getroffene taktische Entscheidung.43
Die Hamas nahm daraufhin –
wohlgemerkt „zur Vergeltung“, wie das israelische
Informationszentrum für Nachrichtenwesen und Terrorismus
notierte44
– ihre Raketenangriffe wieder auf, und Israel konnte sich
daranmachen, eine weitere mörderische Invasion durchzuziehen, um
eine weitere palästinensische Friedensoffensive aus der Welt zu
schaffen.
Norman G.
Finkelstein
New York City
19. Januar 2009
Aus dem
Englischen von Maren Hackmann
1
Gideon Levy, „The Time of the Righteous“,
Haaretz, 9. Januar
2009.
2
Ethan Bronner, „In Israel, A Consensus That Gaza War Is a Just
One”, New York Times,
13. Januar 2009.
3
29. Dezember 2008 (www.democracynow.org/2008/12/29/israeli_attacks_kill_over_310_in).
4
Richard Wilson, „Incomplete or Inaccurate Information Can Lead
to Tragically Incorrect Decisions to Preempt: The example of
OSIRAK”, Vortrag in Erice, Sizilien, 18.
Mai 2007; aktualisiert am 9.
Februar 2008 (www.normanfinkelstein.com/article.php?pg=11&ar=1589).
5
Ethan Bronner, „Israel Reminds Foes That It Has Teeth”,
New York Times, 29.
Dezember 2008.
6
Benny Morris, „Why Israel Feels Threatened”,
New York Times, 30.
Dezember 2008.
7
„Memorandum for the Record” (1. Juni 1967),
Foreign Relations of the United
States, vol.
XIX,
Arab-Israeli
Crisis and War, 1967,
Washington, D.C., 2004.
8
Tom Segev,
1967: Israel,
the war, and
the year
that transformed
the Middle
East, New York 2007, S. 293, Hervorhebung NGF
[deutsche Ausgabe: Tom Segev,
1967: Israels zweite Geburt,
München 2007; Anm. d. Ü.].
9
Zeev Maoz, Defending the
Holy Land: A critical analysis of Israel’s security and foreign
policy, Ann Arbor 2006, S. 89.
10
William Arkin,
Divining
Victory:
Airpower in the 2006
Israel-Hezbollah war,
Luftwaffenstützpunkt Maxwell, Alabama, 2007, S.
xxi, xxv-xxvi,
25, 54, 64, 135, 147-48.
11
Andrew Exum, Hizballah at
War: A military assessment, Washington Institute for
Near East Policy, Dezember 2006, S. 9, 11-12.
12
Benny Morris, „A Second Holocaust? The Threat to Israel”, 2. Mai
2008,
www.mideastfreedomforum.org/de/node/66.
13
Yaron London, „The Dahiya Strategy”, 6. Oktober 2008,
www.ynetnews.com/articles/0,7340,L-3605863,00.html; Gabriel
Siboni, „Disproportionate Force: Israel’s concept of response in
light of the Second Lebanon War”,
Institute for National Security
Studies (INSS), 2. Oktober 2008; Attila Somfalvi, „Sheetrit:
We should level Gaza neighborhoods”, 2. Oktober 2008,
www.ynetnews.com/articles/0,7340,L-3504922,00.html.
14
„Israeli General Says Hamas
Must Not Be the
Only Target in Gaza”, Radio der
israelischen Armee, Tel Aviv, auf Hebräisch, 06:00 GMT, 26.
Dezember 2008,
BBC Monitoring Middle East; Tova Dadon, „Deputy Chief of Staff:
Worst still ahead”, 29.
Dezember 2008,
www.ynetnews.com/articles/0,7340,L-36466558,00.html;
www.btselem.org/English/Gaza_Strip/20081231_Gaza_Letter_to_Mazuz.asp.
15
Seumas Milne, „Israel’s Onslaught on Gaza is a Crime That Cannot
Succeed”, Guardian,
30. Dezember 2008.
16
Reuven Pedatzur, „The Mistakes of Cast Lead”,
Haaretz, 8. Januar
2009.
17
Morris, „Why Israel Feels Threatened.”
18
B. Michael, „Déjà
Vu in Gaza”, 29. Dezember 2008,
www.ynetnews.com/articles/0,7340,L-3646558,00.html.
19
Gideon Levy, „Twilight Zone/Trumpeting for War”,
Haaretz, 2.
Januar 2009.
20
Amos Harel / Avi Issacharoff, „Israel and Hamas Are Both Paying
a Steep Price in Gaza”,
Haaretz, 10. Januar 2009; Ari Shavit, „Analysis:
Israel’s victories in Gaza make up for its failures in Lebanon”,
Haaretz, 12.
Januar 2009; Guy Bechor, „A Dangerous Victory”, 12. Januar 2009,
www.ynetnews.com/articles/0,7340,L-3654505,00.html.
21
Thomas L. Friedman, „Israel’s Goals in Gaza?”,
New York Times, 14.
Januar 2009.
22
Human Rights Watch, Why
They Died: Civilian casualties in Lebanon during the 2006 war,
New York 2007, S. 5, 14, 40-41, 45-46, 48, 51, 53.
23
Stephen Biddle / Jeffrey A. Friedman,
The 2006 Lebanon Campaign and
the Future of Warfare: Implications for army and defense policy,
Carlisle, Pennsylvania, 2008, S. 43-44, 45.
24
Human Rights Watch,
Civilian Pawns: Laws of war violations and the use of weapons on
the Israel-Lebanon border, New York 1996; Maoz,
Defending the Holy Land,
S. 213-14, 224-25, 252; Augustus Richard Norton,
Hezbollah: A short history,
Princeton 2007, S. 77, 86.
25
Judith Palmer Harik,
Hezbollah: The changing face of terrorism, London
2004, S. 167-68.
26
Human Rights Watch,
Civilians Under Assault: Hezbollah’s rocket attacks on Israel in
the 2006 war, New York 2007, S. 100.
Human Rights Watch behauptet, die
Raketenangriffe der Hisbollah auf israelische Zivilisten seien
keine Vergeltungsschläge gewesen, bringt hierfür jedoch
keinerlei Belege bei.
27
Gideon Levy, „The IDF Has No Mercy for the Children in Gaza
Nursery Schools”, Haaretz,
15. Januar 2009.
28
Glenn Greenwald, „Tom Friedman Offers a Perfect Definition of
‚Terrorism’”, 14. Januar
2009,
www.salon.com/opinion/greenwald/2009/01/14/friedman/.
29
Mouin Rabbani, „A Hamas Perspective on the Movement’s Evolving
Role: An interview with Khalid Mishal, Part II”,
Journal of Palestine Studies,
Sommer 2008.
30
„What Hamas Wants”, Mideast
Mirror, 22.
Dezember 2008.
31
Intelligence and Terrorism Information Center at the Israel
Intelligence Heritage and Commemoration Center,
The Six Months of the Lull
Arrangement, Dezember 2008, S. 2, 6, 7.
32
„Hamas Wants Better Terms for Truce”,
Jerusalem Post, 21.
Dezember 2008.
Diskin erklärte gegenüber dem
israelischen Kabinett, die Hamas sei bereit zu einer
Verlängerung der Waffenruhe, wenn Israel die Belagerung Gazas
aufheben, die militärischen Angriffe einstellen und die
Waffenruhe auf das Westjordanland ausdehnen würde.
33
Richard N. Haass / Martin Indyk, „Beyond Iraq: A new U.S.
strategy for the Middle East”, und Walter Russell Mead, „Change
They Can Believe In: To make Israel safe, give Palestinians
their due”, in Foreign
Affairs, Januar/Februar 2009.
34
Hezbollah Secretary General Sayyed
Hassan Nasrallah’s Speech Delivered
at the Central Ashura Council, 31.
Dezember
2008.
35
Noam
Chomsky,
The
Fateful Triangle: the United States, Israel and the Palestinians,
Boston 1983, Kap.
3, 5.
[Das dritte Kapitel findet sich als
Kap. 2 in
Noam
Chomsky,
Keine Chance für Frieden: Warum
mit Israel und den USA kein Palästinenserstaat zu machen ist,
Leipzig 2005. Weitere Kapitel aus
Fateful
Triangle finden sich in
Noam
Chomsky,
Offene Wunde Nahost: Israel,
die Palästinenser und die US-Politik, Hamburg 2002.
Das zitierte fünfte Kapitel liegt bislang jedoch nicht auf
Deutsch vor; Anm. d. Ü.]
36
Yehuda Lukacs
(Hg.), The
Israeli-Palestinian Conflict: a documentary record, 1967-1990,
Cambridge 1992, S. 477-79.
37
Yehoshaphat
Harkabi, Israel’s
Fateful Hour, New York 1988, S. 101.
38
Robert Fisk, Pity the
Nation: The abduction of Lebanon, New York 1990, S.
197, 232.
39
Avner Yaniv,
Dilemmas of Security:
Politics, strategy and the Israeli experience in Lebanon,
Oxford 1987, S. 20-23, 50-54, 67-70, 87-89, 100-1, 105-6, 113,
143.
40
Martin Indyk,
Innocent Abroad: An intimate account of American peace diplomacy
in the Middle East, New York 2009, S. 75.
41
Saed Bannoura,
„Livni Calls for a Large Scale
Military Offensive in Gaza”, IMEMC &
Agenturen, 10.
Dezember 2008,
www.imemc.org/article/57960.
42
Uri Blau, „IDF Sources: Conditions
not yet optimal for Gaza exit”,
Haaretz, 8.
Januar 2009; Barak
Ravid, „Disinformation, Secrecy, and
Lies: How the Gaza offensive came about”,
Haaretz,
28. Dezember
2008.
43
Zvi Bar’el,
„Crushing the Tahadiyeh”,
Haaretz, 16.
November 2008. Vgl.
Uri Avnery, „The Calculations behind
Israel’s Slaughter of Palestinians in Gaza”, 2.
Januar
2009,
www.redress.cc/palestine/uavnery20080102.
44
The Six Months of the Lull
Arrangement, S. 3.
Quelle:
Ellen Koesten -
"Juedische Stimme fuer gerechten
Frieden in Nahost (Oesterreich)"
homepage: www.nahostfriede.at