Siedlerkolonialismus
Israels industrielle Reservearmee
Westjordanland: Jeden Tag müssen Hunderttausende palästinensische Lohnarbeiter Ausbeutung und Marginalisierung in Kauf nehmen
Lena Schmailzl - 16.12.2023
Wer die palästinensischen Arbeiter auf ihrem Weg zu den Baustellen des Landes begleiten will, muss früh aufstehen. Zwischen drei und vier Uhr morgens machen sich die ersten auf den Weg. Noch bevor die Sonne aufgeht, beginnt die Rushhour auf vielen Straßen im besetzten Palästina. Die Autos haben nur eine Richtung: zum nächsten Checkpoint. Auch in den Dörfern um Nilin, etwa 20 Kilometer westlich von Ramallah, fährt Wagen um Wagen vorbei, jeder vollbesetzt mit Männern in Arbeitskleidung. Am Straßenrand stehen weitere Arbeiter, die auf eine Mitfahrgelegenheit hoffen. Aus palästinensischer Richtung kommend, ist das erste sichtbare Zeichen des Checkpoints hier ein riesiger provisorischer Parkplatz. Um 5.30 Uhr morgens steht er schon weitgehend voll.
Etwa 200.000 palästinensische Arbeiter pendeln täglich hinter die Mauer oder in israelische Kolonialsiedlungen, um dort ihre Arbeitskraft zu verkaufen. Nicht wenige von ihnen arbeiten dabei auf Land, für das ihre Familien die Besitzurkunden haben. Modiin Illit, die Siedlung hinter dem Checkpoint Nilin, wurde nachweislich zu 44 Prozent auf Land gebaut, das Privatbesitz palästinensischer Familien ist und vor allem landwirtschaftlich genutzt wurde. Ihres Landes und ihrer Produktionsmittel beraubt, erhöht sich der Druck auf Palästinenser, ihre Arbeitskraft zu verkaufen – zur Not auch an dieselbe Besatzungsmacht, die für den Landraub verantwortlich ist mehr >>> |
"Ich halte Israel für einen Apartheidstaat.“ – Interview mit Moshe Zuckermann
Marie Jaeger führte ein schriftliches Interview mit Moshe Zuckermann. - 11. Dezember 2023
Moshe Zuckermann wuchs als Sohn polnisch-jüdischer Holocaust-Überlebender in Tel Aviv auf. Seine Eltern emigrierten 1960 nach Frankfurt am Main. Nach seiner Rückkehr nach Israel im Jahr 1970 studierte er an der Universität Tel Aviv, wo er am Institute for the History and Philosophy of Science and Ideas lehrte und das Institut für deutsche Geschichte leitete.
Erst einmal vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast, unsere Fragen zu beantworten. Es zeigt sich sowohl in der Ukraine als auch in Israel wieder einmal, dass das erste Opfer des Krieges die Wahrheit ist. Du bist bekannt als ein marxistischer Soziologe und Kritiker des Zionismus. Wie würdest du dein Verhältnis zum Zionismus beschreiben?
Moshe Zuckermann: Mein Verhältnis zum Zionismus würde ich als das eines „Nichtzionisten“ apostrophieren. Ich unterscheide diese Benennung von der des „Antizionisten“. Als Antizionisten sehe ich jemanden an, der die Auffassung vertritt, der Zionismus hätte überhaupt nicht in die Welt kommen dürfen. Ich aber war mal Zionist, weil ich meinte, daß die Juden nach dem Holocaust eines Staates bedürften, der ihnen Sicherheit garantiert. Erst als ich sah, wohin dieses zionistische Projekt letztendlich führte, habe ich mich vom Zionismus verabschiedet, zumal ich sah und sehe, daß er sein eigenes Versprechen nicht einlösen kann.
Wie wirkt sich diese Ideologie auf die Verfasstheit der israelischen Gesellschaft aus?
Moshe Zuckermann: Die Verfaßtheit der gegenwärtigen israelischen Gesellschaft ist weitgehend durch den Umstand geprägt, daß die seit 1967 bestehende und entwickelte Okkuption der palästinensischen Territorien zum integralen Bestandteil des Selbstverständnisses des zionistischen Staates geronnen ist. Das bedeutet zunächst und vor allem, daß eine politische, mithin friedliche Lösung des Konflikts mit den Palästinensern weitgehend blockiert ist. Und das genau will und wollte schon seit Jahrzehnten die israelische Politik.
Welchen Einfluss haben orthodoxe Strömungen des Judentums auf das Handeln der gegenwärtigen Regierung?
Moshe Zuckermann: Die orthodoxen sowie die nationalreligiösen Strömungen sind heute die Koalitionspartner Netanjahus, die er auch als seine „natürlichen Verbündete“ bezeichnet. So besehen, beeinflussen sie das Handeln der gegenwärtigen Regierung maßgeblich. Die orthodoxen Parteien – indem sie Unsummen an Gelder zur Finanzierung ihrer sektorialen Interessen ergattert haben. Die Nationalreligiösen – indem sie ihre Okkupationspolitik noch weiter und radikaler fördern können, als bisher. Die orthodoxen wie nationalreligiösen Parteien sind allesamt rechts bis rechtsradikal ausgerichtet.
Gerne wird in westlichen Medien Israel als die einzige Demokratie im Nahen und Mittleren Osten bezeichnet. Friedrich Engels hat einmal davon gesprochen, dass kein Volk frei sein kann, das ein anderes Volk unterdrückt. Wie wirkt sich die Besatzungs- und Siedlungspolitik Israels in der Westbank und die Blockade des Gazastreifens auf die israelische Innenpolitik aus?
Moshe Zuckermann: Die Okkupation im Westjordanland und die Gaza-Blockade bestimmen die israelische Innenpolitik entscheidend. Ihre schiere Existenz faschisiert das Land zunehmend und unter der gegenwärtigen Regierung, der rechtesten, die Israel je hatte, erst recht. Daher ist der Spruch von Israel als einiziger Demokratie im Nahen Osten letztlich eine leere Floskel. Man kann keine Demokratie sein, wenn man ein anderes Kollektiv knechtet. Israel ist keine Demokratie, sondern ein Apartheidstaat. mehr >>> |
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Israelische Armee tötet aus Versehen drei Geiseln der Hamas
15.12.2023
Die israelische Armee hat nach eigenen Angaben bei einem Einsatz im Gazastreifen drei Geiseln der Hamas getötet. Die Menschen seien fälschlicherweise als Bedrohung identifiziert worden.
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EU-Außenbeauftragter Borrell: »Ich bedauere, dass es keine Einigung gegeben hat«
Gipfel in Brüssel Wachsende Kritik in der EU am Vorgehen Israels in Gaza
Beim EU-Gipfel gab es keine Einigung auf eine Position zum Gazakrieg. Allerdings werden die Forderungen nach deutlicherer Kritik am israelischen Militäreinsatz lauter.
Spiegel online - 15.12.2023
Auf dem Brüsseler Gipfel konnten sich die Staats- und Regierungschefs der EU nicht auf eine Erklärung zum Krieg zwischen Israel und der Hamas einigen.
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hat sich darüber nun enttäuscht geäußert. »Ich bedauere, dass es keine Einigung gegeben hat«, sagte Borrell nach dem Gipfel vor Journalisten.
Seiner Ansicht nach sei es angesichts der Gewalt von Siedlern gegen Palästinenser im Westjordanland nun an der Zeit, Haltung zu zeigen. mehr >>>
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Benjamin Netanjahu (r), Premierminister von Israel, begrüßt Jake Sullivan, Nationaler Sicherheitsberater der USA, zu einem Treffen.
USA rechnen mit israelischem Strategiewechsel im Gazastreifen
Washington/Tel Aviv · Wie geht es mit Israels Militäroffensive in den kommenden Wochen und darüber hinaus weiter? Bei seinem Nahost-Besuch berät der Nationale US-Sicherheitsberater mit Regierungsmitgliedern über die Strategie in den nächsten Wochen. Israels Militär dürfte seine Taktik in Gaza bald neu ausrichten.
15.12.2023
Der Nationale Sicherheitsberater der USA, Jake Sullivan, hat in Israel mit führenden Regierungsmitgliedern über die taktische Ausrichtung der israelischen Offensive gegen die Hamas im Gazastreifen in den kommenden Wochen beraten. Dabei seien sich die Gesprächspartner einig geworden, dass es einen Übergang von aktuellen Operationen mit hoher Intensität hin zu gezielteren und präziseren Einsätzen gegen Ziele von großer strategischer Bedeutung geben werde, teilte ein ranghoher Vertreter der US-Regierung am Donnerstag mit. Die Gewährsperson wandte sich zudem gegen Berichte, wonach das Weiße Haus darauf gedrungen haben soll, dass groß angelegte Operationen im Gazastreifen noch vor Jahresende beendet werden sollten. mehr >>> |
Israel rückt im Süden weiter vor
Gaza: Bewohner lassen sich nicht vertreiben. Erneut Angriff auf Journalisten
Ina Sembdner - 16.12.2023
Während israelische Raketen den gesamten Gazastreifen bombardieren, sind die Bewohner des Gazastreifens an der Grenze zur ägyptischen Sinaihalbinsel in der Stadt Rafah ohne Ausweg und sagen, sie könnten praktisch nirgendwo mehr hin fliehen. »Es gibt keinen sicheren Ort mehr.
Jetzt könnte sich die israelische Bodenoffensive bis hierher ausweiten«, erklärte etwa Umm Osama, eine 55jährige Frau aus Gaza-Stadt gegenüber Reuters. Sie hat wie hunderttausend andere in Rafah Schutz gesucht und weigert sich, weiter vertrieben zu werden. »Wir lehnen eine Umsiedlung in den Sinai ab und wollen in unsere Häuser zurückkehren, auch wenn sie in Trümmern liegen.«
Derweil wird Rafah ebenfalls dem Boden gleichgemacht, Angriffe auf das Viertel Al-Schabura zerstörten am Donnerstag abend eine ganze Straße. Die Zahl der Getöteten im Gazastreifen stieg am Freitag auf mindestens 18.700, mehr als 7.700 Menschen werden nach offiziellen Angaben unter den Trümmern vermisst.
Im Zentrum der dicht besiedelten palästinensischen Enklave berichtete Ahmed davon, wie sich das Gebiet »über Nacht in einen Feuerball« verwandelt habe.
»Wir hörten Explosionen und Schüsse aus allen Richtungen«, so der 45jährige Elektriker, der jedoch überzeugt ist, dass die israelischen Streitkräfte, »wenn sie dem Widerstand gegenüberstehen«, verlieren.
Der ehemalige Chef der Hamas, Khaled Maschaal, erklärte am Freitag gegenüber der türkischen Tageszeitung Yeni Safak, die Gruppe verfüge über 35.000 Kämpfer, die einen »monatelangen Krieg« geplant hätten. Zudem habe Israel diesen Widerstand nicht erwartet und die Al-Kassam-Brigaden kämpften weiter, »als wäre es der erste Tag«. mehr >>> |
Heikle Kriegsrhetorik
Gaza: »Kritik« Bidens an Israels Feldzug im Nachgang abgeschwächt.
US-Präsident aufgefordert, nicht von Zweistaatenlösung zu reden
Knut Mellenthin - 16.12.2023
Von Mäßigung keine Rede: US-Präsident Biden steht voll und ganz hinter dem Massaker in Gaza (Washington, 12.12.2023)
In den USA hat die erste Phase der Kampagne zur Präsidentenwahl am 5. November 2024 begonnen. Dementsprechend widersprüchlich sind die Botschaften, die Washington zu einem der außenpolitischen Hauptthemen dieser Wochen, dem Gazakrieg, in unterschiedliche Richtungen verteilt. Joseph Bidens nationaler Sicherheitsberater, Jacob Sullivan, der Israel am Donnerstag besuchte, war deutlich darum bemüht, eine leichte Beunruhigung beizulegen, die durch eine Wahlkampfrede des Präsidenten am Dienstag entstanden war.
Er sei »nicht hier, um jemandem zu sagen, er solle dies oder das tun«, versicherte Sullivan in einer abschließenden Pressekonferenz. Es bestehe Übereinstimmung zwischen beiden Regierungen, dass der Krieg im Gazastreifen noch mehrere Monate dauern werde, dass es aber einen Übergang von der gegenwärtigen »hochintensiven Phase« der israelischen Angriffe zu »Präzisionsoperationen« geben sollte. Seine Gesprächspartner hätten »sehr deutlich ihr Ziel erklärt, zwischen Zivilisten und Kombattanten zu unterscheiden« und Beeinträchtigungen »Unschuldiger« zu vermeiden.
Sullivan bezog sich damit offenbar auf die Rede Bidens, in der dieser die israelische Regierung mit einem einzigen Satz davor gewarnt hatte, die angeblich weltweite Unterstützung für ihre Kriegführung durch das gegenwärtig stattfindende »indiscriminate bombing« zu gefährden. Das Adjektiv kann man mit »willkürlich«, »wahllos« oder »unterschiedslos« übersetzen. Die Biden-Regierung hatte sofort versucht, diese Bemerkung dadurch zu entschärfen, dass der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby, am Mittwoch erklärte, Israels Streitkräfte (IDF) hätten Vorkehrungen gegen »zivile Verluste« getroffen, die sogar über das hinausgingen, was die USA selbst praktizierten. Kirby meinte damit das mehr >>>
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»Massive Zerstörung von Produktionskapazitäten«
Gaza aus Sicht der Weltbank
Bericht zur wirtschaftlichen Situation: »Beispiellose« Zerstörung der Infrastruktur, Mangel an Grundprodukten, Erwerbslosigkeit bei 85 Prozent
Gerrit Hoekman - 16.12.2023
Der Krieg trifft den schon vorher nicht auf Rosen gebetteten Gazastreifen wirtschaftlich extrem hart. »Der aktuelle Konflikt im Nahen Osten hat eine große Zahl an Toten und Verletzten gefordert, wichtige Infrastruktur im Gazastreifen zerstört und einen ›heavy shadow‹ (schweren Schatten, jW) auf die Wirtschaftstätigkeit in der Westbank geworfen«, stellt die Weltbank in einer »Economic Note« fest, die am Donnerstag veröffentlicht wurde. »Dieser Krieg wird ›lasting effects‹ (nachhaltige Auswirkungen, jW) auf die betroffene Bevölkerung in Israel, Gaza und dem Westjordanland haben, weit über das Maß hinaus, das in Zahlen dargestellt werden kann.«
»Der Verlust an Menschenleben, die Geschwindigkeit und das Ausmaß der Schäden an ›fixed assets‹ (Sachanlagen, jW) sowie die Verringerung der Einkommensströme in den palästinensischen Gebieten sind beispiellos«, so die Weltbank. »Massive Binnenvertreibung, Zerstörung von Häusern, Vermögenswerten und Produktionskapazitäten sowie eine schwere Rezession haben noch mehr Menschen im Gazastreifen unter die Armutsgrenze gebracht und die Armut der ohnehin gefährdeten Menschen verschärft.«
Der Bericht hebt auch den zunehmenden Inflationsdruck als Armutsrisiko hervor. Die Preise in Gaza stiegen im Oktober um zwölf Prozent, was auf die aufgestaute Nachfrage nach Produkten zurückzuführen ist, die vor Ort immer schwieriger zu finden waren. Der Preis für Wasser in Flaschen stieg um 75 Prozent, der für Benzin um fast 120 Prozent. »Der massive Mangel an Grundprodukten hat die Fähigkeit von Hunderttausenden Haushalten, diese zu kaufen, stark eingeschränkt, unabhängig davon, ob sie sich diese leisten könnten«, weist der Bericht auf einen erheblichen Mangel an mehr >>> |
Das Bild zeigt die Weihnachtskrippe in der lutherischen Kirche in Bethlehem:
Vera Baboun, ehemalige Bürgermeisterin von Bethlehem
"In diesem Jahr haben die Patriarchen und Oberhäupter der Kirchen Jerusalems angesichts der anhaltenden brutalen israelischen Aggression gegen unser Volk in Gaza eine Erklärung abgegeben, in der sie darauf hinweisen, dass dieses Jahr anders ist. Sie bestätigten vor allem, dass "dies keine normalen Zeiten sind. Seit Beginn des Krieges herrscht eine Atmosphäre der Traurigkeit und des Schmerzes. Tausende von unschuldigen Zivilisten, darunter Frauen und Kinder, sind gestorben oder haben schwere Verletzungen erlitten. Viele weitere trauern um den Verlust ihrer Häuser, ihrer Angehörigen oder um das ungewisse Schicksal derer, die ihnen nahe stehen. In der gesamten Region haben noch mehr Menschen ihre Arbeit verloren und leiden unter schweren wirtschaftlichen Problemen. Doch trotz unserer wiederholten Aufrufe zu einem humanitären Waffenstillstand und einer Deeskalation der Gewalt geht der Krieg weiter".
In Bethlehem, der Stadt der Geburt Christi, wird zum ersten Mal kein Weihnachtsbaum aufgestellt oder öffentlich angezündet. Dieses Jahr ist es anders: Krieg und Gräueltaten klopfen an unsere Türen. Wie können wir die Freude feiern, während Gaza blutet? Wie können wir den Weihnachtsbaum von Bethlehem erleuchten und der von Gaza ist es nicht. Wie können wir die Geburt unseres kleinen Herrn Jesus Christus feiern, während die Babys und Kinder in Gaza getötet oder vertrieben werden? Unsere diesjährige Weihnachtszeit steht ganz im Zeichen der Gebete, in denen wir um Barmherzigkeit, Frieden und Hoffnung auf eine gerechte und friedliche Zukunft für unser ganzes palästinensisches Volk und Land bitten." Quelle
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Krippe in der Evangelisch-Lutherischen Weihnachtskirche in Bethlehem
Weihnachtsbrief von Pater Karl Helmreich
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Völkerrecht als Vorwand
Im Schatten des Gaza-Krieges radikalisiert sich die israelische Regierung weiter. Kennt die Bundesregierung diese Tendenz und die damit verbundenen Risiken? Nichts deutet darauf hin. Eine deutsche Nahostpolitik, die diesen Namen verdient, gibt es nicht.
Essay von Stefan Buchen - 08.12.2023
(...) Was nützen die Hinweise auf das "völkerrechtlich verbriefte Selbstverteidigungsrecht" Israels, wie sie etwa von Bundeskanzler Olaf Scholz oder Bundesaußenministerin Annalena Baerbock zu hören sind? Was bringen die Ermahnungen, bei der Kriegsführung bitte das Völkerrecht zu beachten?
Scholz sagte beim EU-Gipfel in Brüssel am 26. Oktober, er habe "keinen Zweifel", dass Israel bei seinem Feldzug im Einklang mit dem Völkerrecht handeln werde. "Israel ist ein demokratischer Staat mit sehr humanitären Prinzipien, die ihn leiten", erklärte Scholz. Es ist der sichere Weg, sich klein zu machen und jeglichen Gestaltungsanspruch abzugeben. Der politische Preis, den die Bundesregierung dafür bezahlt, ist die Entkopplung von der Realität.
Machterhalt um jeden Preis
Die nahöstliche Realität wird wesentlich von der ebenso ultranationalistischen wie “irrationalistischen” israelischen Regierung bestimmt, die, nachdem sie für alle Welt sichtbar gescheitert ist, auf Demagogie setzt, um an der Macht zu bleiben. Der Kontext des Krieges ist bekanntlich fruchtbar für jegliche Demagogie.
Netanjahu kündigt eine dauerhafte Militärherrschaft über den Gazastreifen an. Er sagt ganz offen, er sei der einzige Politiker in Israel, der die Errichtung eines palästinensischen Staates verhindern könne. Wenn Netanjahu aber den Palästinenserstaat erfolgreich verhindert, sind die Appelle der Bundesregierung für eine Zweistaatenlösung, die Scholz und Baerbock regelmäßig erklingen lassen, leeres Gerede.
Avi Dichter, Landwirtschaftsminister im Kabinett Netanjahu, hat für die Palästinenser im Gazastreifen eine "Nakba 2023" angekündigt, also eine Wiederauflage der Massenvertreibung von 1948. Der TV-Sender "Channel 14", der die israelische Regierungspolitik propagiert, ruft regelmäßig zur Vertreibung der Palästinenser aus dem Gazastreifen nach Ägypten auf.
Die Panel-Gäste von "Channel 14", Lautsprecher der herrschenden nationalreligiösen Tendenz, fordern beinahe täglich die Wiedererrichtung israelischer Siedlungen im Gazastreifen. Diese waren 2005 unter Premierminister Ariel Sharon geräumt worden. Sharon hatte sich allein auf die Siedlungstätigkeit im Westjordanland konzentrieren wollen. mehr >>> |
Den Vertriebenen in Gaza gehen die Lebensmittel aus. Naaman Omar
Israels Waffe der Massenaushungerung
Sewar Elejla - 15. Dezember 2023 - Übersetzt mit DeepL
Null Hunger ist eines der Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung.
Es soll bis 2030 erreicht werden. Und obwohl die Agenda bereits auf halbem Wege ist, scheint die Erreichung dieses Ziels noch in weiter Ferne.
Hunger und Unterernährung sind im Jemen, im Südsudan, in Syrien und anderen Ländern ein großes Problem.
Im Gazastreifen leiden die Palästinenser unter einer von Israel inszenierten Hungersnot. Diese Hungersnot ist ein Mittel der heimtückischen Tötung, das zusätzlich zu den Bombardierungen rund um die Uhr eingesetzt wird.
Die Massenverhungerung gehört zu den ältesten Kriegswaffen. Israel setzt sie als kollektive Bestrafung ein.
Der Hunger soll die Bewohner des Gazastreifens brechen, damit sie entweder in die Knie gehen oder verhungern.
Zwei Tage nach der von der Hamas geführten Operation vom 7. Oktober erklärte der israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant: "Wir verhängen eine vollständige Belagerung über Gaza. Kein Strom, keine Lebensmittel, kein Wasser, kein Gas - alles ist geschlossen." Israel, fügte er hinzu, kämpfe gegen "menschliche Tiere".
Diese Kampagne war nicht ganz neu. Vor dem 7. Oktober war nach Angaben des Welternährungsprogramms rund ein Drittel der Palästinenser von Ernährungsunsicherheit betroffen.
In Gaza lag die Ernährungsunsicherheit bei über 70 Prozent. Und 80 Prozent der Menschen in Gaza waren auf Hilfe angewiesen.
"Rote Linien"
Lange bevor Gallant die vollständige Belagerung ankündigte, war der Gazastreifen bereits auf dem Land-, See- und Luftweg blockiert. Das ist seit 2007 der Fall.
In den ersten drei Jahren der Blockade schätzte Israel die Mindestmenge an Kalorien, die benötigt wurde, um die Menschen im Gazastreifen vor dem Verhungern zu bewahren. Nur diese Menge an Lebensmitteln durfte in den Gazastreifen eingeführt werden, und zwar im Rahmen eines Dokuments mit der Bezeichnung "Rote Linien".
Die Politik war so akribisch, dass bei der Berechnung die geringe Menge an Nahrungsmitteln, die im Gazastreifen produziert wird, sowie Faktoren wie Geschlecht und Alter berücksichtigt wurden.
Die "humanitäre Tagesration" betrug 2.279 Kalorien pro Person. Dies bedeutete, dass lebenswichtige Nahrungsmittel zum Luxus wurden. Laut dem Dokument "Rote Linien" benötigten Palästinenser 19 Prozent weniger Fleisch, 37 Prozent weniger Obst und Gemüse und 43 Prozent weniger Milchprodukte als Israelis.
Diese Politik endete offiziell im Jahr 2010.
Dreizehn Jahre später bestraft Israel die Bewohner des Gazastreifens erneut kollektiv, indem es ihren Zugang zu Lebensmitteln einschränkt - dieses Mal auf noch extremere Weise. Die Menschen in Gaza wissen nicht, wann ihre nächste Mahlzeit kommt und woher sie kommt.
Seit dem 7. Oktober dieses Jahres haben Hunger, Unterernährung und Krankheiten in alarmierendem Maße zugenommen.
Tatsache ist, dass der Gazastreifen von externen Lieferungen abhängig ist, sei es durch Handel oder Hilfe. Vor dem 7. Oktober kamen durchschnittlich 500 Lastwagen pro Tag nach Gaza. Jetzt kommen keine Lebensmittel mehr nach Gaza. Das Wenige, das während der siebentägigen "humanitären Pause" in den Gazastreifen gelangte, reichte nicht aus, um eine nennenswerte Hilfe zu leisten.
Außerdem erreichten sie nicht den nördlichen Teil des Gazastreifens. Trotz der Massenvertreibung lebt ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung des Gazastreifens weiterhin im Norden.
Kriegsverbrechen
Während des gegenwärtigen Krieges hat Israel Orte, an denen Lebensmittel und Wasser produziert oder gelagert werden, direkt angegriffen.
Israel hat zahlreiche Bäckereien zerstört und schwer beschädigt. Die einzige verbliebene Getreidemühle wurde bombardiert.
Viele Wasserquellen wurden vor einigen Wochen aufgrund von Stromausfällen abgeschaltet. Dazu gehört auch die einzige Entsalzungsanlage in Gaza.
Darüber hinaus hat Israel Einrichtungen bombardiert, die von Hilfsorganisationen genutzt werden, darunter das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNRWA).
Viele Mitarbeiter von Hilfsorganisationen wurden getötet oder verletzt. Israel hat die UNRWA-Zentren 150 Mal angegriffen und 130 seiner Mitarbeiter getötet.
Um das Video zu sehen, auf das Bild klicken
Die Hälfte der Bevölkerung des Gazastreifens sind Kinder, die jetzt entweder Hunger leiden oder von Unterernährung bedroht sind.
Etwa 50 000 schwangere Frauen haben keinen Zugang zu Nahrung und Wasser. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf die Überlebens- und Entwicklungschancen ihrer Kinder.
Indem Israel den Gazastreifen absichtlich in einen Massenhungerzustand versetzt, begeht es ein Kriegsverbrechen. Das ist völlig klar.
Die Menschen in Gaza sind nicht in der Lage, ihren Grundbedarf an Nahrungsmitteln zu decken. Alle Lebensmittel, die sie gelagert hatten, sind zerstört oder aufgebraucht.
Jeder kämpft seit mehr als zwei Monaten ums Überleben. Diejenigen, die die Bombardierungen überlebt haben, könnten durch den unsichtbaren Killer Hunger ihr Leben verlieren.
Die Menschen sind erschöpft, dehydriert, hungrig und frieren.
Familien ziehen kilometerweit durch die Straßen und suchen nach Nahrung für ihre Kinder. Es ist entweder nichts oder zu wenig zu finden.
Die Menschen müssen essen, was es gibt. Auswahlmöglichkeiten gehören der Vergangenheit an.
Die Preise werden in die Höhe getrieben
Die Menschen lassen Mahlzeiten ausfallen. Wenn sie überhaupt eine am Tag bekommen, dann bestenfalls etwas Reis, Brot und Feta oder Linsen. Gemüse und Obst sind ein Luxus.
Gekocht wird auf offenen Feuerstellen, für die Holz oder Pappe benötigt wird. Das Sammeln von Holz ist lebensgefährlich. Man muss sein Leben riskieren, um es in den zerstörten Häusern oder durch das Fällen von Bäumen zu finden.
Durch die Verknappung sind die Preise in die Höhe getrieben worden. Angesichts der angespannten Haushaltslage kann sich die große Mehrheit der Menschen die Preise nicht leisten, die verlangt werden. Ein großer Sack Mehl kostete früher etwa 20 Dollar. Heute kostet ein solcher Sack zwischen 150 und 200 Dollar.
Manchmal haben die Menschen für die Lebensmittel mit ihrem Leben bezahlt. Viele sind in der Schlange vor einer Bäckerei, einem Supermarkt oder für Hilfsgüter getötet worden. Es ist bekannt, dass Menschen bei dem Versuch, Lebensmittel zu sammeln, die sie bei der Evakuierung ihrer Häuser mitnehmen konnten, getötet wurden.
Die Mindestmenge an Wasser, die ein Mensch in einer Notsituation benötigt, beträgt 15 Liter pro Tag. Die Menschen in Gaza finden kaum Wasser zum Trinken. Alle müssen ihren Verbrauch rationieren und salziges oder verschmutztes Wasser trinken. Die Wasservorräte in Flaschen gehen zur Neige und die Preise sind drastisch gestiegen.
Die wenigen Lebensmittel, die in Gaza noch vorhanden sind, werden in wenigen Tagen aufgebraucht sein. Die Menschen werden nichts mehr zu essen oder zu trinken finden.
2018 verabschiedete der UN-Sicherheitsrat einstimmig die Resolution 2417. Darin wird die Aushungerung von Zivilisten als Methode der Kriegsführung verurteilt und die Verweigerung des humanitären Zugangs völkerrechtlich verboten.
Obwohl Israel vor mehr als zwei Monaten öffentlich erklärt hat, dass es den Hunger als Kriegswaffe einsetzt, wurde es dafür nicht sanktioniert.
Es scheint, dass die Resolution 2417 keine praktische Wirkung hat, wenn es um die Verbrechen Israels geht. Sie ist nur ein weiteres Dokument, eines von vielen, das jedes Jahr verabschiedet und dann ignoriert wird.
Israels Einsatz des Hungertods als Waffe hat katastrophale Folgen für die Menschen in Gaza. Die Situation verschlimmert sich von Tag zu Tag. Der Krieg muss sofort beendet werden, und es müssen große Mengen an Hilfsgütern nach Gaza gebracht werden.
Nichts ist so tödlich wie Hunger. Quelle
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