Die Kirche von
Schweden untersucht BDS als „einzige Chance, um Palästinenser
und israelische Juden zu befreien“
Bericht von
Robert Herbst (USA), 30.8. 2016
In der vorletzten Woche wurde die
Evangelisch-Lutherische Kirche in Amerika die neunte
nordamerikanische christliche Denomination, die einige Maßnahmen
zu Boykott, Deinvestment und Sanktionen (BDS) annahm und dafür
stimmte, ihre Investments zu überprüfen, ob diese von den
Menschenrechtsverletzungen an Palästinensern profitieren.
Zur selben Zeit sponserten
jenseits des großen Teichs zwei Diözesen der Lutherischen
Kirche von Schweden ein Sommer-Camp zu Kairos-Palästina, um
über mehr Druck gegen Israel nachzudenken und die Teilnahme
an der wachsenden BDS-Bewegung der Kirche zu unterstützen.
Die Kirche von Schweden ist seit
2000 nicht mehr Staatskirche, aber 63% der Bevölkerung sind
noch ihre Mitglieder, so ist es eine einflussreiche Kraft in der
schwedischen Politik.
Etwa 40 ihrer Friedensaktivisten,
zusammen mit einem römisch-katholischen Teilnehmer und ein paar
aus der Vereinigten Kirche in Schweden (eine vor kurzem
vollzogene Vereinigung von Baptistenkirche von Schweden, der
Vereinigten Methodistenkirche und der Reformierten Freikirche
von Schweden) versammelten sich in einem bescheidenen
Strandhotel auf der Halbinsel Schonen, an Schwedens kühler und
windiger Südwestküste. So gut wie alle kannten Palästina von
Reisen oder lebten dort eine Zeitlang und wussten, was dort vor
Ort geschah.
Ich war eingeladen, um über die
Arbeit der Jüdischen Stimme für den Frieden (Jewish Voice
for Peace), über BDS und allgemein über die Befreiung
Palästinas zu berichten. Ich fand ein aufmerksames Publikum vor.
Es war eindeutig, dass ihre Geduld mit Israel und seiner
Unterdrückung der Palästinenser zu Ende war.
Das Camp wurde von Anna Karin
Hammar geleitet, einer energischen Frau. Sie ist Pfarrerin und
die Schwester des 40. Erzbischofs der schwedischen Kirche seit
der Reformation. Eine Feministin, unerschrocken von der
Tatsache, dass alle 40 bisher Männer waren, wollte Pfarrerin
Dr. Hammar 2006 Nachfolgerin ihres Bruders werden und bekam
tatsächlich 10% der Stimmen. (Als 42. Erzbischof wurde 2014
eine Frau gewählt, die schließlich die klerikale gläserne Decke
durchbrach.)
Anna Karin – wie sie im Camp
genannt wurde - ist jetzt die Koordinatorin zu den Christen
in Palästina, die im Dezember2009 das Dokument herausgaben:
„Die Stunde der Wahrheit. Ein Wort des Glaubens, der Hoffnung
und der Liebe aus der Mitte des Leidens der Palästinenser und
Palästinenserinnen“, jetzt bekannt als
Kairos-Palästina-Dokument. Sie war erstmals 1988 während der
ersten Intifada nach Palästina gereist.
2012 verfasste die schwedische
Kirchensynode eine Resolution, mit der sie empfahl, ihre
Ortsgemeinden sollten den Aufruf des Kairos-Palästina-Dokuments
beachten, der fordert, Investments zu kündigen, Sanktionen zu
verhängen und Firmen sowie Produkte zu boykottieren, die aus
den israelischen Siedlungen in den Besetzten Palästinensischen
Gebieten, aus der Westbank und aus Ost-Jerusalem kommen. Dazu
gehört auch die Forderung, dass die andauernde Blockade des
Gazastreifens aufgehoben wird.
Ungeduldig auf Antwort wartend,
auch jetzt noch nach vier Jahren, nahm Anna Karin kein Blatt
vor den Mund. Der immer schwieriger werdende Kampf in der
Westbank und in Gaza „ruft nach weniger Worten, aber nach mehr
Aktionen“ sagte sie bei ihrer Rede zu Beginn des Camps. „Wir
haben 41 Jahre gewartet, bis die Situation in Israel und in
den Besetzten Gebieten immer schlimmer wurde. „Wir sind
Feiglinge und haben die schwedische Kirche und die Regierung
nicht genügend aufgefordert, die Strategie zu ändern und den
Palästinensern mehr bei ihrem gewaltfreien Widerstand
beizustehen und Israel zu drängen, seine unterdrückerische
Politik aufzugeben. BDS könnte die einzige Chance sein, die
Palästinenser und die israelischen Juden von der Besatzung zu
befreien. Wir sollten nichts mit dem israelischen Bankensystem
zu tun haben“, und es sollte „keine militärische Kooperation
zwischen Schweden und Israel“ geben, bis Israel die Besatzung
palästinensischen Landes aufgibt.
„Apartheid ist in Palästina
schlimmer als in Südafrika, weil sie täglich Leben tötet“, wo
die christliche Gemeinde „immer kleiner wird und zunehmend an
den Rand gedrängt wird, so dass Auswanderung für viele die
einzig realistische Lösung ist.“ In Südafrika, bemerkte sie,
führten Indien und Schweden die BDS-Bewegung an. Jetzt ist es
Südafrika, das an der Spitze der ökumenischen christlichen
BDS-Bewegung in Palästina steht, und zwar mit einem Büro und
bezahlten Mitarbeitern.
Es ist an der Zeit, schloss Dr.
Hammar, für schwedische Christen und ihre Gemeinden, sich der
BDS- Bewegung anzuschließen.
Staffan Graner von Juden für
israelisch-palästinensischen Frieden (Jews for
Israeli-Palestinian Peace - JIPF) - die schwedische
Entsprechung zu JVP - sagte während dem Camp, dass der Aufruf
für BDS gerade bei der kleinen jüdischen Gemeinde Schwedens
zunehmend Gehör findet. Sie hat 20.000 Mitglieder (0,2 % des
Landes) bei 9,6 Millionen Einwohnern. (1,4 Millionen Juden in
Europa sind in etwa derselbe Prozentsatz der europäischen
Bevölkerung).
JIPF wurde vor fast 35 Jahren
gegründet, als Reaktion auf die israelische Militäroperation
1982 im Libanon. JIPF setzt sich für eine Lösung des
israelisch-palästinensischen Konfliktes ein durch Verhandlung
zwischen den Parteien, die einen israelischen Rückzug auf die
Grenzlinie von 1967 zum Ziel haben, um einen unabhängigen
palästinensischen Staat zu gründen und um die israelische
Friedensbewegung zu unterstützen.
Aber im Dezember 2014, als
Reaktion auf die Militäroperation, bei der Gaza verwüstet
wurde, schloss sich JIPF dem Europäisch- jüdischen Netzwerk
für einen gerechten Frieden (EJJP) und der BDS-Kampagne
gegen die Besatzung an. EJJP ist das Bündnis europäischer
jüdischer Organisationen, die sich für einen gerechten Frieden
in Israel/Palästina einsetzen. Es gibt Mitgliedsorganisationen
in Belgien, Großbritannien, Schweiz, Frankreich, Italien,
Österreich und Deutschland, die den Aufruf vom Dezember 2014
unterstützen.
Bei seinem jährlichen Treffen
im vergangenen März stellten sie fest, dass die israelische
Friedensbewegung kleiner wurde und zunehmend marginalisiert
wird. JIPF verabschiedete eine eigene BDS-Resolution gegen die
israelische Besatzung in der Westbank, in Ost-Jerusalem und auf
den Golanhöhen und gegen Israels Abriegelung des
Gazastreifens. Ziel ist es, Israel zu ermutigen, ernsthafte
Friedensgespräche mit den Palästinensern zu beginnen.
JIPF schloss sich der
BDS-Initiative an, besonders um zu „Sanktionen zu befürworten
gegen Firmen, Versicherungsgesellschaften und andere
Wirtschaftsunternehmen, deren Aktivitäten die israelische
Besatzung und die Siedlungen unterstützen“, Obst, Lebensmittel,
Wein und andere Produkte aus illegalen Siedlungen auf besetztem
Land zu boykottieren. JIPF ruft alle Firmen, Banken,
Versicherungen und Pensionsfonds auf, die dort direkt oder
indirekt tätig sind, die dort investieren oder Waren verkaufen
oder Dienste von oder für die illegalen Siedlungen auf besetztem
Land anbieten, aus diesen Geschäftsfeldern sofort auszusteigen.
Die Resolution von JIPF
appelliert auch an Schweden, die Europäische Union und all
seine Mitgliedsstaaten, den Kauf oder Verkauf von Waffen von
oder nach Israel sofort zu beenden, jede Art von militärischer
oder polizeilicher Zusammenarbeit zu beenden sowie jede zivile
Forschungszusammenarbeit, die dem israelischen Besatzungsregime
zugutekommt, und Firmen zu boykottieren, die militärische
Ausrüstung an Israel liefern oder an militärischer oder
polizeilicher Zusammenarbeit mit Israel beteiligt sind.
Schließlich fordert JIPF, das EU- Assoziierungsabkommen
(Freihandelsabkommen) zu ändern und es unter Vorbehalt zu
stellen, dass Israel wirklich die Besatzung, die Siedlungen
und die Blockade von Gaza beendet.
Graners Mutter, 82 Jahre alt, kam
1939 als Flüchtling von Wien nach Schweden. Israel war für sie
ein Leuchtfeuer der Hoffnung und Sicherheit, für das sie viel
Solidarität bewies, sagte er. Aber jetzt, da sie beobachtete,
wie die Israelis immer brutaler in ihrer Behandlung der
Palästinenser wurden, ist sie die Archivarin und
Geschäftsführerin von JIPF. Sie sagte, niemand soll
unterdrückt werden, besonders nicht mit Händen des jüdischen
Staates.
JIFP hat nur 180 zahlende
Mitglieder, Ortgruppen nur in Stockholm und Göteborg. Insofern
ist diese Organisation ein paar Jahre hinter der jüdischen
US-Organisation JVP her mit ihren 10.000 zahlenden
Mitgliedern und mehr als 60 Ortgruppen in den gesamten USA,
mit einer wachsenden Grass-Root -Bewegung von 200.000 auf
seiner Email-Liste, mit 25 bezahlten Mitarbeiterinnen, mit
einem Rabbiner-Rat, mit einem Künstler-Rat, einem akademischen
Beirat und mit einer Jugendorganisation. Aber Unterstützung
wächst unaufhaltsam unter Christen und Juden in Schweden und
Europa, weil sich die israelische Regierung immer weiter nach
rechts bewegt.
Allein in dieser Woche zog sich
die portugiesische Regierung von einem umstrittenen, von der EU
finanzierten Projekt zurück, mit dem das israelische
Ministerium für öffentliche Sicherheit, die Israelische Polizei
und die israelische Bar-Ilan-Universität die polizeilichen
Verhörmethoden zusammenlegen wollten. Gruppen der
portugiesischen Zivilgesellschaft, die für ein Ende der
Zusammenarbeit mit Israel kämpfen, wie auch portugiesische
Parteien hatten regelmäßige Folter durch die israelische
Polizei und die Rolle des Ministeriums für öffentliche
Sicherheit bei der Inhaftierung von tausenden
palästinensischen Gefangenen in israelischen Gefängnissen
angeprangert.
Während des Camps sprach ich vom
ersten Tag an offen, wie schwierig es ist, unmissverständlich
zu sagen, dass die israelische Unterdrückung der Palästinenser
falsch ist und beendet werden muss, selbst dann, wenn man die
Fakten vor Ort kennt. Für einen Juden bedeutet es, dem
mächtigen Einfluss der Stammesloyalität und den schmerzlichen
Anklagen von angeblichem jüdischem Selbsthass standzuhalten,
denen man öfter begegnet. Ihrerseits haben europäische und
amerikanische Christen die Neigung zu schweigen, aufgrund ihrer
langen Geschichte von Christen und Antisemitismus, der im
Holocaust seinen Höhepunkt hatte, und wegen der Angst, als
Antisemit bezeichnet zu werden, und wegen der Angst, die guten
interreligiösen Beziehungen mit Juden zu beeinträchtigen, für
die solch eine Kritik Israels sehr emotional und beunruhigend
wirkt.
Dies sind schwere Hindernisse,
für altruistische jüdische, christliche und menschliche Werte
der Gerechtigkeit, Fairness und Gleichheit in Israel- Palästina
einzutreten. Im Camp wurden sie sogleich anerkannt und
akzeptiert, und die Aufgabe, die Stimme zu erheben, um sich
für die Befreiung der Palästinenser einzusetzen, vereinte uns
alle während der Diskussion in der Schlussrunde bei der Frage,
was wir gelernt haben, wenn wir zurückkehren in die einzelnen
Gemeinden.
Marianne Ejdersten, Direktorin
für Kommunikation im Weltrat der Kirchen (WWC) hielt im Camp
ein Referat, bei dem sie meinte, der Weltrat der Kirchen
könne die Geduld mit Israel verlieren, nachdem im letzten
Mai am Flughafen Ben-Gurion WWC- Vertreter mit Delegationen
aus 13 Ländern inhaftiert wurden, die an einem Treffen des WWC
in Beit Jala zum Klimawandel teilnehmen wollten. Sie wurden
stundenlang verhört und eingeschüchtert und drei Tage unter
Gefängnisbedingungen festgehalten. Das WWC beschrieb den
Vorfall als „schockierend“ und „unerhört“.
Im selben Monat kam ein
südafrikanischer Kirchenaktivist nach Palästina, um bei dem
Christlichen Peacemakers Team (CPT) mitzuarbeiten. Er wurde
verhaftet, musste sich nackt ausziehen und wurde aus Israel
abgeschoben, weil er wahrheitsgemäß antwortete, dass er BDS
unterstützt und glaubt, dass Israel ein Apartheidstaat ist.
Das WWC vertritt 348 Kirchen, die
eine halbe Milliarde Christen und Christinnen in 110 Ländern
und Gebieten repräsentieren. Es beschreibt die Geschichte
seiner Bemühungen um Frieden im Heiligen Land auf seiner
Website mit der Überschrift „WWC und der Palästinakonflikt“ so,
dass die Wörter BDS, Boykott, Deinvestment oder Sanktionen
nicht erwähnt werden. Es erwähnt nur das Treffen des
Exekutivkomitees des Weltrats der Kirchen, mit dem es seine
Mitgliedskirchen bezüglich Nahost ermahnt, „Investments so
einzusetzen, dass sie verantwortungsvoll friedliche Lösungen
im Israel/Palästina-Konflikt unterstützen“, und ermutigt sie,
„ernsthaft wirtschaftliche Maßnahmen zu ergreifen, die
gerecht, transparent und gewaltfrei sind“, sowie
„wirtschaftliche Verbindungen zu illegalen Aktivitäten zu
vermeiden, die mit der israelischen Besatzung zusammenhängen.“
Das WWC plant für nächsten Monat
eine weltweite Friedenswoche für Palästina/Israel, mit der es
seine Mitgliedskirchen ermutigt, sich mit Aktionen für einen
gerechten Frieden für Israelis und Palästinenser einzusetzen.
Frau Edjersten erzählte dem Camp, dass das WWC einen neuen
Präsidenten hat und einen Lehrstuhl für internationale
Angelegenheiten eingerichtet hat, der mit prophetischer Stimme
sprechen soll, außerdem sei ein Führungstreffen im November in
China geplant. Von den 25 Kirchenführern könnte der Vorschlag
kommen, dass man nicht nur zu „ernster Überlegung ermutigt“,
sondern dass man dazu aufruft, sich mehr im Sinne des
Kairos-Palästina-Dokuments zu engagieren, auch für BDS.
Da immer mehr Christen und Juden
in aller Welt dabei sind, die Hoffnung zu verlieren, dass Israel
sich ändern wird ohne Druck von außen, wie es in Südafrika
nötig war, werden sie zunehmend ihre Stimme erheben, um zur
Unterstützung der Befreiung Palästinas aufzurufen, und sie
werden zunehmend ihren Weg zu BDS finden. Am Ende dieses
schwedischen Camps wurde einmütig ein Brief an die Gemeinden
der Kirche von Schweden angenommen, mit dem zur Unterstützung
des Boykotts der israelischen Besatzung aufgerufen wird. Der
Brief fand auch die Zustimmung eines anwesenden Bischofs im
Ruhestand. Der Brief sagt, dass die Kirchen jetzt vor einer
eindeutigen Wahl stehen: ob sie für einen gerechten Frieden
aufstehen, indem sie sich an dem Boykott der israelischen
Besatzung beteiligen oder den palästinensischen Aufruf zur
Solidarität mit ihrem gewaltfreien Widerstand verraten. Für
diese Männer und Frauen, für diese Friedensaktivisten in
Glaube, Hoffnung und Liebe ist die Wahl entschieden.
Quelle
(Dt. Ellen Rohlfs) |