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Das Ende einer Ära
Abraham Burg, Haaretz, 5.8.05

 

Der Terminus „ Abzugs/Trennungsplan“ ist zur Routine geworden, damit  unser Verständnis zu dem, was geschieht, verdunkelt wird. Es muss also die Wahrheit gesagt werden: die Regierung von Israel hat keinen wahren Plan und was noch schlimmer ist, die Regierung hat nichts, womit sie die große Narbe, die in der israelischen Psyche sichtbar wird, zudecken kann. Dies ist kein aufrichtiger Plan, weil er aus einer augenblicklichen Laune des Ministerpräsidenten entstand. Der „Nicht-Plan“ agierte wie ein Magnet für den israelischen politischen Opportunismus und zwar bei seinen Hervorragendsten: bei den großen alten Männern der Laborpartei, die von der Macht einer persönlichen biologischen Uhr getrieben werden und nicht danach leben, politisch langsamer zu treten; Individuen, die machthungrig sind;  und ein paar andere Naive, die gar nicht verstehen, worum es eigentlich geht.

 

Der Prozess, durch den der Plan  aufkam, ist in tausend Stücke zerborsten. Nur wenig ist von israelischer politischer Kultur übrig geblieben und verurteilt uns so zu vielen Jahren einer beschädigten, verkrüppelten Demokratie, die in die Nähe der Anarchie dieser Periode führte. Der Ministerpräsident gab jeder politischen Konvention einen Fußtritt und führte einfach jeden hinters Licht. So wie es keinen Kapitalmarkt ohne Börse gibt und keine Familie ohne Partner, so gibt es auch keine Demokratie oder Politik ohne Parteien. Die vom Ministerpräsidenten und seinen Verbündeten gezeigte Verachtung gegenüber den von der eigenen Partei verabschiedeten Resolutionen – ihre Missachtung und äußerste Gleichgültigkeit – zerstörte das grundlegende Konzept politischen Lebens.

 

Doch der Plan ist schlecht, nicht nur wegen des mangelhaften Prozesses seiner Autorisierung; er ist hauptsächlich wegen seines Inhaltes schlecht. Er hat keinen Partner und keine Vision. Er schaut nicht einen Millimeter über die eigene Nase hinaus. Er trägt als Vorzeichen nur Unheil in sich. Es ist ein ausgedehnter Schwindel: man opfert unbedeutende und unwichtige Siedlungen im Gazastreifen ... um im Gegenzug  die Fehler und Perversionen der israelischen Seele im Herzen Hebrons, in Yitzhar, in Beit El und bei Patriarchengräbern, die zu Altären für gefesselte lebende Söhne werden, fortzusetzen.

Trotzdem ist dies gleichzeitig der beste und schlechteste Abzugs/ Trennungsplan, den wir haben. Danach wird nicht nur das Gesicht der politischen Demokratie zerknittert, beschädigt und verletzt aussehen; zur selben Zeit wird auch das nationale Unternehmen von Illusionen, als Siedlungen bekannt, mit seinem unvermeidlichen Kollaps beginnen. Allein aus diesem Grund ist es wert, einen solch hohen Preis zu bezahlen.

Die Existenz des Staates Israel ist noch nicht abgesichert. Keiner weiß, ob wir als Staat überleben werden oder wieder in alle Winde zerstreut werden. Über eine Sache habe ich keinen Zweifel: die Erlösung wird nicht durch Messianismus kommen, gutes Leben wird nicht durch Expansion erreicht und nationale Vernunft wird noch schwerer zu fassen sein, je mehr entfernte Siedlungen im Geheimen – aber in unserm Namen – das tun, was unsere Hasser (Antisemiten) uns gegenüber generationenlang getan haben.

 

Du bist nicht mein Bruder

 

Viele Jahre lang machten drei Geschichten – teils wahr, teils fiktiv – in Israel die Runde. Unter der Gesamtrubrik „Zionismus“  waren es  der Gott der Sicherheit,  die Heiligkeit der Siedlung und die Überlegenheit der jüdischen Religion. Drei ungemein mächtige und ressourcenreiche Konzepte, die letzten Endes sogar das rechtfertigen, was bis vor kurzem als inakzeptabel und  verabscheuenswert betrachtet wurde.  Auch wenn es gelegentlich vorkommt: die einzigen Perioden, in denen wir uns in den letzten Jahren über Sicherheit freuen konnten, waren  kurze und zerbrechliche Intervalle, in denen wir vorübergehend die tödlichen Waffen des Kampfes aufgeben konnten und redeten – so bleibt das Reden für uns doch  recht  schwierig. Dialog ist  als wirkliche Alternative aus unserm Bewusstsein   gestrichen worden.

Im Namen der Sicherheit haben wir das Recht zu schießen und zu töten. Im Namen der Sicherheit haben wir das Recht, zu enteignen und zu rauben. Im Namen der Sicherheit haben wir das Recht, zu schikanieren und Gewalt anzuwenden. Im Namen der Sicherheit haben wir das Recht, das Bild Gottes, mit dem wir geboren wurden, zu verlieren. Nehmt alle Schreie der Siedler über Diskriminierung und alles Jammern über Unterdrückung zusammen und multipliziert dies vielfach, dann werdet ihr fühlen, was die Palästinenser seit vielen Jahren durchgemacht haben – ohne dass wir es gesehen und gefühlt haben.

Diese verzerrte Sicherheit ist wie mit einer Nabelschnur an das Siedlungsprojekt gebunden. Gewöhnlich sagte man, dass die Sicherheitsgrenze entlang der äußersten Grenze der entferntesten Siedlung liegt. Auch wenn diese Selbsttäuschung immer wieder in jedem Krieg zerbarst – von Tel Hai 1920 bis Kfar Darom 1948 und den Siedlungen auf dem Golan 1973 – Sicherheit und Siedlung waren trotzdem untrennbar mit einander verbunden.

 

Ein Sicherheitszaun an der Grenze, ein Zaun rund um die Siedlungen für ihre Sicherheit, ein Zaun, um ihre Städte und Dörfer zu belagern und in Gefängnisse zu verwandeln, ein Zaun am Jordan entlang. Das ganze Land ist ein breiter Zaun und mittendrin ist ein gefangenes, verängstigtes Volk. Ist es dies, was man unter Sicherheit versteht?

 

Und die jüdische Religion  - sie erduldet soviel Missbrauch. Soviel  Hochmut und Rassismus  liegen zwischen den Worten: „Ein Jude vertreibt keinen Juden.“ Der Glaube an die Überlegenheit der Gene, die Herrschaft über die Nation von Herren im Namen Gottes. Aber ein Jude, der  einen jüdischen Ministerpräsidenten mordet – wirklich? Weil ein Jude auch nur ein Mensch mit starken und schwachen Seiten ist.. Nichts ist  angeboren, nichts ist automatisch, und selbst Gottes Auswahl des jüdischen Volkes wird nicht ohne  moralische Verpflichtung und ohne ständige Arbeit an sich selbst und menschlicherem Verhalten  garantiert. All dies wurde wegen einer unheiligen Trinität der letzten Jahre beiseite geschoben: rassistisches Judentum, das auf  starken Abmachungen beruht und von einem verzerrten Sicherheitskonzept geschützt wird.

 

Wenn sie mich bedrohen und von einem „Bruderkrieg“ sprechen, halte ich inne. Sind diese meine Brüder? Nein! Für mich ist Fraternität und eine nationale Familie nicht das Ergebnis einer automatischen Steuerung. Ich habe keine genetischen Geschwister außer meinen beiden Schwestern, den Töchtern meiner Eltern. Ich habe Brüder und Schwestern im Geiste und in Werten.  Wer eine schlechte Person ist, ein jammernder  Unterdrücker oder ein starkbewaffneter Besatzer, der ist nicht mein Bruder, auch wenn er den Schabbat einhält und die religiösen Vorschriften. Und  wenn ein Tuch alle  Haare seines Hauptes bedeckt und er Barmherzigkeit übt und gute Taten vollbringt, aber alles, was unter der Kopfbedeckung liegt nur darauf bedacht ist, den jüdischen Boden zu heiligen, und dies wichtiger ist als das menschliche Leben – dann ist er nicht mein Bruder oder meine Schwester. Der ist mein Feind. Automatisches Judentum ohne Selbstkritik und ohne moralische Verpflichtung schließt eine unannehmbare rassistische Doktrin in sich.

 

Unterscheiden wir: es wird hier keinen „Bruderkrieg“ geben. Wenn hier je ein gewalttätigerer Kampf ausbricht, dann wird er „Bürgerkrieg“ genannt werden. Weil es nicht ein Krieg zwischen verschiedenen Richtungen jüdischer Menschen sein wird, sondern ein kompromissloser Kampf zwischen Gut und Böse. Alle guten Leute – die ihrigen und die unseren – auf der einen Seite aufgereiht gegen alle Bösen – und es wird von ihnen auf beiden Seiten keinen Mangel geben.

 

Das Land Israel gegen den Staat Israel.

Wenn man den klassischen zionistischen Narrativen folgt, erhebt sich die natürliche Frage, wie werden die zukünftigen israelischen Nationalgeschichten aussehen und wird es überhaupt welche geben. Wenn man in die Gegenwart schaut, kann man die Richtung der Zukunft erkennen. Die Sichtbarkeit der orangefarbenen Bänder, die die Opposition zum Abzug signalisiert, ist eng verbunden mit denen die Kipas tragen und die rituellen Fransen, Kopftücher, Gebetsbücher und ein religiöses Vokabular. Der harte Kern der Abzugsgegner kommt hauptsächlich aus den verschiedenen religiösen Gruppen religiöser Zionisten, nationaler Ultra-Orthodoxer und dem geistigen Gemenge New-Age-Juden, die wild auf den Westbankhügeln herumrennen. Die anderen israelischen Sektoren nehmen anscheinend nicht aktiv teil am Kampf. Die Araber sind völlig außerhalb und viele – vielleicht die Mehrheit der säkularen Bevölkerung des Landes ist verblüfft von dem menschlichen und psychologischen Abzug der religiösen Siedler, die bis vor kurzem die Fahnenträger der modernen, zionistischen israelisch-jüdischen Identität waren.

Irgend etwas ist mit diesem religiösen Volk schief gegangen.  Das Land Israel als höchster Wert wird diesmal nicht gegen andere Werte gesetzt: menschliches Leben, moderne westliche Werte und die Hoffnung auf ein Leben in Frieden, Ruhe, Sicherheit – sondern stößt frontal mit dem Staat Israel zusammen. Es geht nicht mehr um die Besatzung, die sich weit weg und unsichtbar abspielt, es geht nicht ums Töten unschuldiger Palästinenser als ein Hobby  „unkonventioneller“ Typen; es geht um einen offenen Krieg gegen alle Symbole der israelischen Regierung . Die sich mit Orangefarbigem gegen die Armee und seine Soldaten stellen, Siedler gegen die Polizei, die an Gott Glaubenden gegen die Demokratie, ihre Behörden und ihre gewählten Vertreter.

 

Weil der israelische Grundinstinkt eben ein demokratischer ist, und  weil es Dinge gibt, die wir nicht mögen, ist es für uns klar, dass trotz allem das demokratische System mit all seinen Fehlern das einzige ist, das es uns ermöglicht, weiterhin gemeinsam zusammen zu leben und weiterhin darin überein zu stimmen, wie wir nicht übereinstimmen. Die trotzige Herausforderung durch die Halacha gegenüber dem Gesetz, durch die Synagoge gegenüber der Knesset, durch die Rabbiner gegenüber der Souveränität – das ist die wirkliche Trennung.

 

Bis zur verzerrten Initiative Ariel Sharons gab es eine total verschwommene Sphäre von werten. Die Rechte in allen Schattierungen begünstigte den hoffnungslosen Versuch das Judentum, den territorialen Nationalismus und Demokratie in einem Pack zu integrieren. Und die Linke mit ihren verschiedenen Gruppierungen standen dabei und beobachteten: das war nicht ihr Judentum, dies war nicht ihr Nationalismus und vergoss Tränen um die Demokratie, die angesichts der Besatzung und der wahnsinnigen Lügen im sterben liegt. Es war eine sterile, gelähmte Linke, ihr Herold von Identität und Bannern des Patriotismus entzog sich ihnen und von den Bewegungen, die den Staat gründeten. Sie liefen ohne Parade oder Zeremonie respekt- und ehrlos über zu den neuen Bannerträgern, die eine neue Identität, religiös und national, ankündigten.

 

Vier Jahrzehnte der Warnung

 

Plötzlich und abrupt schnitt Sharons Schwert den widerspenstigen Knoten durch. Und es kommt heraus, dass der fremdenfeindliche Nationalismus und die Religion, die ausschließlich auf der Halacha und seinen Lehrern beruht, nicht mit der wahren, modernen, demokratischen, zur Kompromiss bereiten Kernidentität der israelischen Mehrheit passt. Als Antwort auf den Abzugsplan erklären die weggehenden Träger der Identität, dass sie sich trennen, ihre monopolistische Verantwortung im Stich lassen und praktisch ausscheiden um der israelischen Identität und ihrer Teile.

Dies ist eine einmalige Gelegenheit, die einer Gesellschaft  selten angeboten wird, die versucht, die Richtung ihrer Trends zu verändern. Ein herausforderndes Vakuum ist im Zentrum unserer Existenz geschaffen worden, und es gibt Raum für neue winde und originelle Meinungen. Das Israelitum kann seine Rolle jüdischer Verantwortlichkeit zurückfordern. Es gibt eine vitale, dringende Notwendigkeit für eine neue israelische Identität, die nicht mit den Worten beginnt: „Ein  Jude tut nicht ...“ sondern mit „Eine Jude tut ...“

Ein Jude bewahrt eine enge und natürliche Verbindung mit den geistigen Wurzeln der jüdischen Kultur. Ein Jude interpretiert neu  überholte Gebote und Normen. Ein Jude integriert Tradition und Fortschritt; ein Jude schafft eine Synthese zwischen Judentum und Universalismus, zwischen Israelitum und Judentum.

 

Für diesen positiven Juden ist Israel ein offener und  großzügiger Ort für den Anderen und für die, die sich unterscheiden, für den Fremden, der unter uns lebt. Sein Judentum sagt „ja“ zum Frieden und „nein“ zur Fremdenfeindlichkeit; seine Kultur ist eine nationale Kultur des Selbstbewusstseins, das dem „Frieden nachjagt“ und nicht dem Verfolgungswahn, der sich auf gewalttätige militärische Sicherheit gründet. Er schließt auch eine erneuerte Bemühung mit ein, das israelische Experiment einerseits in den Nahen Osten zu integrieren als auch in den demokratischen Westen ....

Ich glaube nicht an den Trennungsplan oder an die, die ihn durchführen. Ich sehe  für den Tag danach politisch nur Dunkelheit und Verderben. Weil ich nur an einen langfristigen, gewaltfreien Dialog glaube und  nur bei einer vollkommen, koordinierten und übereinstimmenden Trennung  von unheilbare Krankheiten auf unserer und ihrer Seite....

 

Wir sind ein Volk der Überlebenden, das nicht extrem ist und eine anpassungsfähige  und keine selbstzerstörerische  Kultur hat. Wenn jedoch jemals Zelotentum sich mit Messianismus vermischt und Selbstgerechtigkeit die Zügel der Macht übernimmt, geraten  wir in eine schreckliche Sackgasse. Vorbilder dieser Art gab es zur Zeit des 2.Tempels in der Betar- und Bar Kochba-Revolte, in der Zeit von Sabbatai Sevi und in der Zeit von Gush Emunim, den Block der Getreuen. Vier Jahrzehnte der Warnung zeigen nun ihr Ergebnis. Es ist vielen klar, dass diese schlimme und bizarre Trennung nicht eine von unsern palästinensischen Nachbarn ist oder vom Terrorismus. Dies ist eine mickrige Trennung vom nationalistischen Wahnsinn, der die Kontrolle über uns an sich gerissen hat.

 

(dt. Ellen Rohlfs)

 

 

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