Die kleine Meerjungfer auf der Schnellstraße
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Die normalen Israelis mögen endlich aufwachen!
Deb Reich, 21.4.06
Die
palästinensischen Kinder wurden nicht für den Krieg geboren,
genau so wenig wie die israelischen Kinder. Doch während
Politiker um die Macht rangeln, schicken unsere israelischen
Mütter ihre Kinder weiter loyal in die Armee, um dort die (
pal.) Nachbarn zu terrorisieren, als ob das eine normale Sache
sei, und glauben, so ihre Pflicht gegenüber dem Vaterland zu
tun. Und palästinensische Mütter müssen weiter in Angst leben,
wenn ihre Kinder nach draußen schleichen und Steine gegen Panzer
werfen, die israelische (noch beinahe )Kinder lenken - zuweilen
kommen sie in einer Kiste zurück. Miki, die früher als
Babysitterin meine Kinder betreute, Enkelin einer guten
Freundin, ein reizendes Mädchen, wurde mit 18 zum Militär
einberufen wie alle andern Kinder und wurde nun Instrukteurin
für Scharfschützen. Ihre Auszubildenden - selbst noch Kinder -
gehen hinaus und schießen auf pal. Kinder in den Straßen von
Nablus und Hebron. Welchen Sinn hat das? Und der einzige Sohn
anderer Freunde, Haggai, der Träumer, Naturliebhaber, der nun
niemals mehr an einem Sommertag unter einem Baum sitzen und
den am Himmel segelnden Wolken nachsehen wird, was ist mit ihm?
Die Zarenarmee ( wie sie die IDF hier nennen) nahm ihn und fraß
ihn lebendig auf.
Tatsächlich
sehen die Palästinenser nur diese abgebrühten Israelis und nicht
die sich sorgenden Israelis, die ich kenne; und die Welt sieht
nur die eindimensionalen Karikaturen der Palästinenser in den
Medien und nicht die echten Palästinenser, die ich kenne. Die
mir bekannten Palästinenser sind normale, gewöhnliche Menschen
mit guten Tagen und schlechten Tagen wie alle andere auch; nicht
vollkommen, aber menschlich; genau so Menschen wie wir. Die
Palästinenser in den Nachrichten sind entweder schlimme Kerle
oder sie trauern – entweder wahnsinnige Täter oder unglückliche
Opfer von Gewalt.
Warum
erzählen die Zeitungen nie von ganz normalen Palästinensern, die
nichts anderes wollen, als ein Leben führen wie du und ich. Ein
Bäcker in Jenin backt Brot wie ein Bäcker in Kansas City,
Kalkutta, Ber Sheba oder Haifa und ein Kind in Jenin mit Namen
Mahmoud oder Soheila isst es zum Frühstück mit dem selben
Appetit wie deine Kinder morgens ihr Marmeladenbrot essen. Eine
Pastorin aus den USA, die mich kürzlich besuchte, nahm neulich
ein jüdisches Ehepaar mit, um ein ihr bekanntes
palästinensisch-arabisch-israelisches Ehepaar zu besuchen. Die
jüdische Frau gestand danach: „Aber ihre Kinder sind ja wie
unsere!“ Na klar! Was denn sonst.
Ich denk an
meinen Freund, unsern Bruder in der Frage nach Frieden mit
gewaltfreien Mitteln,
Sam Bahour,
etwas über 40, ein palästinensischer Amerikaner , der in Al
Bireh lebt (neben Ramallah) und der an das „Geschäft mit dem
Frieden“ glaubt. Ihr wisst, er muss ein sehr phantasiereicher,
schöpferischer, optimistischer Bursche sein, weil er ein
Einkaufszentrum fast nur aus Glas in einer Stadt gebaut hat, wo
Teenager-Panzerkommandeure entscheiden können - aus
Sicherheitsbedürfnissen für Israelis - auf jemanden oder auf
etwas vor dieser eindrucksvollen Einkaufszentrum-Glaswand zu
schießen. Noch steht das Einkaufszentrum.
Ich glaube,
Sam hält es mit Hilfe von Voodoo unversehrt. Inzwischen, wenn
sich die Dinge politisch aufheizen, rollen gepanzerte Fahrzeuge,
manchmal Panzer durch seinen Stadtteil um 2 , 3 oder 4 Uhr
nachts um der Öffentlichkeit, den Nachbarn und seinen beiden
Töchtern einen Schrecken einzujagen. Die israelischen Soldaten,
kaum älter als Sams Kinder, jagen zuweilen Leute in Pijamas
aus den Betten, die dann wütend bis zum Morgengrauen auf der
Straße stehen müssen, während ihre Wohnungen nach bösen Jungs
durchsucht werden. Es ist eine relativ gute Wohngegend. Die
Leute in ihren Pijamas sind keine Schrecken erweckende Typen –
Lehrer, Sozialarbeiter, Buchhalter. Versuche dir vorzustellen,
dass eines Nachts eine Reihe Panzer über all die geparkten PKWs
in deiner Straße fahren und sie zerdrücken. Sams Frau würde mit
keinem Israeli essen gehen, wie es Sam manchmal tut – egal wie
sehr der Israeli von sich behauptet, selbst für den Frieden zu
sein – Kann man ihr deshalb Vorwürfe machen?
2004 verließ
ich mit meiner Familie Israel und ging nach Kalifornien. Zwei
Jahre lang. Dann hatte ich Heimweh, meine Tochter auch. Wir
kamen zurück. Mein Sohn und mein Mann blieben – nun sind wir
eine zerrissene Familie wie viele andere in Israel und Palästina
– wir sind jedoch frei und können wählen – viele können es
nicht. Sam z.B. lebt mit seiner Familie in Al-Bireh von einer
Visum-Verlängerung zur anderen, weil ihm von Israel kein
dauerhaftes Wohnrecht in Palästina (Westbank) zugestanden wird .
Ist das nicht eine Unverschämtheit, den jungen Mann um eine
Erlaubnis betteln zu lassen, um mit seiner Frau und den Kindern
zusammen leben zu können. Welche Gefahr geht für die Sicherheit
der Israelis von einem Visionär aus, der Einkaufszentren mit
Glasfassaden baut – und das in einer ... von Panzern
heimgesuchten und durch Zerstörung geschundenen, belagerten
Stadt ? Die einheimischen Mütter bringen ihre kleinen Kinder zur
Unterhaltung ins Einkaufszentrum: wo es
Disney-Film-Vorführungen, Trampolins auf einem Spielplatz,
zuweilen auch Clowns und Musiker gibt. Die Kinder sind dort
willkommen, auch wenn die Mütter kein Geld haben, um etwas zu
kaufen. Das ist die Taktik, die von dem Team angewendet wird,
das Sam fünf Jahre lang geleitet hat. Gebt dem Mann doch eine
Bleibegenehmigung – ihr blöden Bürokraten – er allein ist wie
eine wirkliche Wohlfahrtsgesellschaft. ( Und wie ist es mit den
Tausend anderen wie er? Welches Verbrechen haben sie begangen?
Haben sie vielleicht zu regelmäßig geatmet?)
Die neue
abscheuliche Trans-Israel-Schnellstraße bringt mich in diesen
Tagen von meiner Wohnung in der Küstenebene in weniger als einer
Stunde an meinen Arbeitsplatz in der Nähe Jerusalems. (Die
Israelis nennen sie die Kvesh shesh = Schnellstraße 6. Beim
Bauen hörten die Straßenplaner, was Planer im allgemeinen tun,
auf die Reichen, die vereinigten Bonzen, die augenblicklichen
Politiker – sie hören nicht auf die Gemeinden, durch die die
Straße laufen soll. Als die neue private Pendler-Schnellstraße
nach dem neuesten Stand der Technik gebaut wurde, sahen
arabische Orte in Israel wie Taibe und Tira, dass bebaute
Gebiete von ihren landwirtschaftlich genutzten Feldern,
Obsthainen und dem noch unbebauten Reserveland für zukünftigen
Wohnungsbau von der abscheulichen Schnellstraße 6 abgeschnitten
wurden. Umweltaktivisten und Sozialarbeiter kämpften mehrere
Jahre einen vergeblichen Kampf, dass Fairness und Vernunft beim
Bau mitwirken – dass auch die vorherrschenden jüdischen Städte
entlang der zu bauenden Straße etwas von ihrem Land opfern,
dass jeder einen fairen Anteil an der Bürde der Modernisierung
auf sich nimmt ....
Aber nein.
Die Kvesh shesh-Planer wussten, dass sie die ( im Grunde
machtlose) Umweltlobby reinlegen konnten und ungestraft
natürlich die 1,1,Millionen palästinensischen Araber Israels
auch. Die arabischen Gesetzgeber in der israelischen Knesset
können ihre Wähler nicht schützen, wenn der Kuchen ungleich
geteilt wird, weil keine israelische Nationalregierung seit der
Unabhängigkeit von 1948 jegliche arabische Partei in die
Regierungskoalition ausgeschlossen hat. Lasst nur die Wahlurnen
ihre Wahlzettel fressen! Einer von fünf Bürgern im Staat Israel
ist ein palästinensischer Araber ( wir sprechen nicht von den
Palästinensern in der Westbank oder im Gazastreifen)
Sichere die
Gleichbehandlung bei der Verteilung der Staatsressourcen, damit
sie ihren fairen Anteil erhalten? Nichts davon! Auch nicht, wenn
eine Reihe von offiziellen israelischen staatlichen
Untersuchungskommissionen jahrein, jahraus erklären, dass dies
getan werden sollte, getan werden muss, getan werden wird. Es
wurde nie getan. Die abscheuliche Kvesh shesh ist nur der letzte
konkrete Beweis - und es gibt noch viel mehr davon - dieser
seit langer Zeit bestehenden, aber kurzsichtigen Politik, die
kontinuierlich aus Nachbarn, die versuchen mit einander zu
leben, Feinde macht. ...
Wenn ich
mit meinen Freunden in Israel darüber rede oder mit meiner
Familie in den USA, reagiert fast jeder in der selben Weise:
Warum ich immer auf der Seite der Palästinenser stehe? Warum
ich immer auf den schlechten Dingen Israels herumreite? Würde
ich denn die Palästinenser mehr lieben als meine eigene Familie
(Wie mich mein eigenes Kind einmal anklagend fragte)?
Nein. Nicht
besser. Aber auch nicht weniger. Ich glaube ich bin in meinen
alten Tagen ein Jesusanhänger geworden. Ich liebe meinen
Nächsten, meinen Nachbarn, wie mich selbst. Wir brauchen
einander. Um eine gesunde, faire, blühende Zukunft hier zu
schaffen, benötigen wir einander wie das Licht den Schatten
benötigt und umgekehrt. Yin und Yang. Meine Feinde machen mich
erst vollständig, wie ein früher christlicher Mystiker einmal
sagte. Ich verstehe nicht, warum Politiker und Generäle soviel
Zeit, Kraft und Steuergelder verbrauchen, um uns zu beweisen,
dass wir nicht mit einander leben können. Die Hilfe die wir
benötigen, wartet gerade auf der andern Seite der Mauer . Bittet
die Cousins, dass sie uns helfen, herauszukriegen, wie man
zusammenlebt! Fragt Hamas! Sagt zu ihnen: Nehmen wir mal an, wir
wollen nicht länger eure Feinde sein. Kommt setzt euch zu uns in
gleicher Augenhöhe und lasst uns gemeinsam einen besseren Weg
finden. Sagt nicht, das geht nicht. Hat jemals einer von euch
dies versucht? Gibt es da nicht eine neue Organisation von
Ex-Kämpfern beider Seiten, die genau das tun? Überlegene
militärische Macht ist nie mehr als eine kurzfristige Lösung –
selbst die Kerle mit den Waffen haben das inzwischen eingesehen.
Und was mach
ich mit dem unheimlichen Wachturm, an dem ich jeden Tag auf dem
Weg zur Arbeit vorbeifahre? Im Augenblick arbeite ich in einem
Non-profit-Unternehmen, das Frieden auf verschiedenen Ebenen
versucht: es trainiert jüdische und palästinensische Leute und
Professionelle, einander zu begegnen und ihre Vorstellungen mit
der Realität zu ergänzen, die die Gegenwart des anderen in
diesem Land einschließt; dieses Unternehmen unterhält eine
Grundschule, in der palästinensische und jüdische Kinder
zusammen in Kameradschaft statt in gegenseitiger Furcht und Hass
aufwachsen; es unterhält ein geistiges Zentrum, in dem inneres
Wissen im Dienste gegenseitigen Respektes und Verstehens
zwischen nationalen und religiösen Konfliktparteien erschlossen
wird. Um zu meinem Büro in Jerusalem zu gelangen, fahre ich
genau ein Stück an der unbeschreiblich obszönen
Trennungsbarriere vorbei, von der behauptet wird, sie sichere
meine Zukunft als friedliebender israelischer Bürger. Alle
zwanzig Meter befinden sich an dieser Mauer - die teilweise
unter Landschaftsmalerei versteckt ist, um wie Lärmschutz an
alten Schnellstraßen auszusehen – elektronische Geräte mit
Sensoren, Kameras oder Gott weiß was ausgerichtet zu den
Menschen auf der andern Seite. Und am Ende dieser besonderen
Strecke der unbeschreiblich obszönen Mauer ist ein Orwellscher
Wachturm, vierschrötig, schwer, abstoßend mit mittelalterlichen
Schlitzen für die Scharfschützen, die zweifellos mit Radar und
Nacht- Sichtgeräten und Mikroprozessoren ausgerüstete Waffen
haben, die unwiderruflich zerstören .
Manchmal
stelle ich mir vor, genau da den Wagen anzuhalten, auszusteigen
und an der trügerischen, zivilisiert aussehenden, künstlichen
Landschaft entlang auf den Turm zuzugehen , um die jungen
Israelis dort zu bitten, darüber nachzudenken, wie sie an diesen
Platz und zu dieser Aufgabe gekommen seien , an einen Ort der
Kriegsverbrechen ...An wirklich schlechten Tagen stell ich mir
vor, wie es gut sein könnte, hier entlang zu gehen, bis sie mich
abschießen, sodass ich bald dorthin entlassen werde, wo Rachel
Corrie jetzt ist. Keine Konfusion mehr über das Gegeneinander
der Narrative. Nie mehr das Gefühl, die „gute Deutsche“
getroffen zu haben – und sie in mir entdeckt zu haben. Die gute
Deutsche von vor 60 Jahren lebte in der Nähe von Dachau , sie
konnte das verbrannte Fleisch aus den Öfen riechen, ging aber
täglich zur Arbeit wie üblich, sie bekommt Rente, ein Essen auf
den Tisch, sie unterstützt auch ihre Kinder . Bin ich jetzt wie
sie? Wenn es so ist, was soll ich tun? Wenn nicht – wo ist der
Unterschied! Fast alle meine Freunde ducken sich, wenn ich die
Nazis erwähne, aber ist eine andauernde Demütigung und
allmähliches Sterben einer ganzen Bevölkerung weniger
schrecklich als schnelles Getötet-werden. Wer entscheidet in
der Abteilung der Banalität des Bösen über die Bewertung der
Banalität für dieses oder jenes Unterdrückungsregime?
Dies sind
die Gedanken, die mich nicht zur Ruhe kommen lassen, und wenn
Feiertage kommen - wie vor kurzem Pessach - bin ich nicht in
der Lage unbeschwert in der üblichen Weise zu feiern. Hin und
wieder ging ich und nahm teil, aber es schien mir irgendwie
obszön. Ich hatte seit Jahren kein normales Feiertagsgefühl.
Schließlich fand ich heraus , warum.
Seiner
Arbeit wie üblich, und so weit es möglich ist, nachzugehen, ist
ein Akt der Selbstverteidigung – wenn man unterdrückt wird. Aber
wenn man zu den Unterdrückern gehört, ist es ein Akt von
Gleichgültigkeit. So wie Katholiken während der Passionszeit
kein Fleisch essen, habe ich anscheinend die jüdischen
Feiertage aufgegeben. Wenn der letzte Kontrollpunkt geräumt, die
Mauer abgerissen ist, wenn alle politischen Gefangenen frei sein
werden und die Nachbarn wieder ihre eigenen Feiertage normal
feiern können, dann hole ich meine Feiertage wieder zurück.
Inzwischen ... schreibe ich ...
Eine Sache
ist für mich jetzt sehr klar geworden: wenn man einmal die
Menschlichkeit des anderen in sein Bewusstsein dringen ließ,
kann man nicht zurückgehen. Ich fühle mich oft wie die kleine
Meerjungfer im Märchen, die auf dem trockenen Land bleiben und
dort auf zwei Füßen gehen wollte. Ihr
Wunsch wurde erfüllt, aber zu einem ( schmerzhaften) Preis: wenn
sie zwischen den andern Menschen ging, hatte sie ständig
Schmerzen, sie hatte das Gefühl, als ginge sie barfuss über
Glasscherben. Darüber denke ich manchmal nach, wenn ich auf der
abscheulichen Kvesh shesh auf dem Wege zu meiner Friedensarbeit
fahre, vorbei am Orwellschen Wachturm, voll unsichtbarer Waffen
und in die Orte der Cousins auf der andern Seite der
unbeschreiblich obszönen Trennungsmauer blicke, die von jungen
Leuten in Uniform beobachtet wird, von den gutherzigen Söhnen
und Töchtern meiner ganz gewöhnlichen israelischen Freunde und
Nachbarn, die glauben, dass der Dienst in der Armee eine
nationale Pflicht sei .... während dies für mich die Armee des
Zaren ist – nicht mehr und nicht weniger. ( Es gab einmal eine
Zeit, in der Juden sich sehr darum bemühten, ihre Kinder aus
der Armee des Zaren herauszuhalten). Mein Wissen um all jene
Leute, die davon überzeugt sind, dass es nötig sei, ihre Kinder
zum Töten zu schicken oder gar für die Nation zu sterben, es
aber für Verrat halten, wenn man sich um Wege bemüht, mit
seinen Cousins harmonisch zusammen zu leben, dieses Wissen ist
schlimmer als Glasscherben unter den Füßen – es sind
Glasscherben in meinem Herzen.
Man kann das
Leiden der Israelis nicht mit dem Leiden der Palästinenser
gleich setzen. Die Asymmetrie ist vor aller Augen. Aber der
Schmerz ist immer individuell. Wenn ich an meine Freunde, die
Familie T., denke, deren einziger Sohn Haggai war, der
verträumte, naturliebende, freundliche Junge, der so gern unter
Bäumen saß und die Wolken beobachtete. Er wurde vor ein paar
Jahren zum Militär einberufen. Ihm wurde ein für ihn unglaublich
unpassender Job als Militärpolizist zugemutet. Er tat alles, um
von dort wegzukommen – doch ohne Erfolg. Er war gefangen. Drei
Jahre gefangen in der Zarenarmee. Für einen 18Jährigen sind drei
Jahre eine Ewigkeit. Schließlich erschoss er sich selbst – an
seinem Stützpunkt. An Yom Kippur.
Jetzt, wenn
ich vor all dem Zorn verzage, den meine Fragen bei Freunden und
in der Familie auslösen, wenn ich mich wie eine Ausgestoßene
unter meinen eigenen Leuten fühle, wenn ich wirklich müde werde
und mich frage, wozu dies alles, denke ich an Haggai. Wir müssen
einen besseren Weg finden, weil wir dies unsern Kindern schuldig
sind – allen, unsern und ihren.
Einmal
fragte ich einen israelischen Kollegen, wie ich das, was ich
schreibe, einem größeren Publikum zugänglich machen könnte. Er
sagte: „Löse dich (erst mal) von deinem Ton der weisen Mutter!“
Ich weiß, er hatte nicht recht, damals nicht und heute erst
recht nicht. Ich bin mir sicherer als je. Allein die vernünftige
Stimme der weisen Mutter ist übrig geblieben.
So wie es
Nurit Peled-Elhanan vor noch nicht langer Zeit dem Europäischen
Parlament gegenüber zum Ausdruck brachte – trotz der
Glasscherben im Herzen. Die Generäle und die Politiker haben uns
an einen Punkt gebracht, für den es sich für lange, lange Zeit
nicht ( zu leben) lohnt.
Es ist
höchste Zeit, einen andern Weg zu beschreiten und auf die zu
hören, die ein „Geschäft mit dem Frieden“ wagen und auf die
weisen Mütter. Ja, es ist höchste Zeit.
Deb Reich
ist Autorin und Übersetzerin und lebt in Israel/Palästina.
debmail@alum.barnard.edu. Copyright
2006 Deb Reich. Verbreitung ist wünschenswert
(dt. Ellen
Rohlfs)
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