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1967 begann Israel ein umfassendes Kolonialprojekt
Gadi Algazi, aus  MiTzad Sheni (Jerusalem) Juni 2007 

 

Im Juni 1967 brach Israel durch seine  einstweiligen Grenzen und unter  der Schirmherrschaft einer militärischen Eroberung, begann es ein umfassendes Kolonialprojekt in den eben eroberten Gebieten. Der historische Augenblick ist erstaunlich: in den späten Sechzigern schien es, als würden die Krisen, die mit dem Ende der Kolonialzeit verbunden waren, auch zu einem Ende kommen. Während der  50er und 60er –Jahre hatten anti-koloniale Bewegungen in Asien und Afrika die alten Kolonialmächte von den Spuren  ihrer Herrschaft befreit, die sie am Ende des 19. Jahrhunderts errichtet hatten – in manchen Fällen sogar seit Beginn der Moderne. Die Ernüchterung  mit der Entkolonisierung lag noch vor den  befreiten Nationen: Die Einsetzung direkter politischer Regierung durch indirekte Herrschaft, das Versäumnis der neuen Eliten, die Versprechen zu erfüllen, die mit der politischen Befreiung  hätten verbunden sein sollen und die Enttäuschung durch die „Modernisierung“ und  der angeblich  uneingeschränkten „Entwicklung“. ( in dieser Hinsicht hätte man viel von der längeren, bitteren Erfahrung Latein-Amerikas lernen können). 1967  zwei Jahre, nachdem Frankreich endgültig Algier  verlassen hatte, und die USA gerade dabei war,  sich im Chaos von Vietnam zu verheddern, eröffnete Israel gerade ein neues Kapitel in der Geschichte des Konfliktes: es bürdete über anderthalb Millionen Palästinensern seine militärische Herrschaft auf und nahm ihm alle politischen Rechte, annektierte außer Ost-Jerusalem ( 1967) auch den Golan  ( 1981), aber  die besetzten Gebiete nicht. Doch nun begann die militärische Besatzung.

Israel wurde eine Regionalmacht. Es wischte damit die „Schande von 1956“ weg – Israels erzwungenen Rückzug aus dem Sinai, nur wenige Wochen nach David Ben Gurions triumphierender Erklärung zur Gründung von Israel als dem „Drittem Königreich“. Nun konnten seine Anhänger zeigen, dass die Zukunft ihnen gehört.  Der militärische Sieg verblendete viele – nicht nur die israelischen Führer, die vor Macht trunken waren. Der Sieg verdeckte auch wesentliche Aspekte der neuen Phase vor den Kritikern der Besatzung. Die militärische Eroberung und die folgende Unterdrückungsherrschaft mit ihren Schrecken und brutalen Praktiken zog zwar die Aufmerksamkeit auf sich, kaschierte aber das neue koloniale Projekt.

 

Im Rückblick kann man  leicht  erkennen, dass die israelische Besatzung im Wesentlichen ein koloniales Projekt ist, das unter der Schirmherrschaft einer militärischen Besatzung stattfindet. Die Besatzung liefert ideale Bedingungen für den Prozess der Enteignung und Besiedlung: es wurde gegen die einheimischen Bewohner, die keine Bürgerrechte hatten, durchgeführt unter dem Schutzschild der militärischen Besatzung, die Notstandsregeln anwandte und uneingeschränkte Macht. Eine  Unmenge an Militärverordnungen,  Reste  der jordanischen und ottomanischen Gesetze, israelisches Gesetz und militärische Urteile ließen den Kolonisierungsprozess  wirksam  und schnell fortschreiten, nahmen natürliche Ressourcen, Land und Wasser in Besitz und schufen so neue Fakten. Die Siedlungen sind keine Sonderzulage zur Besatzung, kein Zufall, der sich unter dem Druck der messianischen und nationalistischen Rechten ereignete – sie sind ihr Herz und ihre Seele und ihre Daseinsberechtigung.

 

Israels koloniales Projekt in den besetzten Gebieten hat drei Zweige : eine Reihe von Siedlungen, ein Netzwerk von Straßen und ein System von Straßensperren und Barrieren. Die Siedlungen kontrollieren wesentliche  Ressourcen , zerschneiden das besetzte Gebiet und schaffen eine koloniale Grenze, die sich ständig verändert, und damit den Enteignungsprozess fortführt. Die Straßen trennen die Kolonialherren von ihren Untertanen, erlauben der Armee und den Siedlern die räumliche  Kontrolle und die schnelle Fortbewegung und dienen als Netzwerk zusätzlicher Barrieren, die die palästinensischen Dörfer und Städte von einander trennen. Das System der Straßensperren, Barrieren, Passierscheinen und Terminals, Betonmauern und eingezäunte Enklaven halten die einheimische Bevölkerung unter ständiger Kontrolle eingesperrt, um frei ihre Elend zu managen.

 

1967 jedoch hielt man das Siedlungsprojekt in den besetzten Gebieten noch für ein Phantasiegebilde, das von ein paar Propheten  der extremen Rechten und einer handvoll Zeloten beschwört wurde. Im Gegensatz dazu erschien die militärische Unterdrückung greifbar und dramatisch. Selbst unter den Linken nahmen nur wenige die Bewegung  für Groß-Israel ernst, trotz der Tatsache, dass sein Entwurf die Zukunft vorwegnahm:  eine ränkevolle Koalition alter Laborparteileute, Befürworter der alten zionistischen Maxime: „Hier ein Hektar, und dort ein Hektar“ und die  nationalistische, messianische Rechte und streng Gläubigen an Gottes Verheißung des ganzen Landes an Abraham. Trotz der begrenzten Verbreitung  der Bewegung, nahm sie die politische Koalition vorne weg, die  weitgehend Israels Politik in den folgenden Jahren bestimmte. In der Kritik an der Besatzung durch die Linke blieb das Projekt der Siedlungen und der Enteignung marginal. Es war schwierig, sich  vorzustellen, dass die große Siedlungsbewegung sich aus einer handvoll Siedler, die sich an Pessach  1968 im Parkhotel in Hebron niederließen, bilden könnte. Die Annexion Jerusalems schien ein symbolischer und legaler Akt, der als Verletzung des  internationalen Kriegsrechts empfunden wurde – aber nicht als der Anfang einer größeren Umwandlung der Landschaft im Herzen der Westbank  (Die Zerstörung der palästinensischen Häuser, um den Platz an der Klagemauer zu schaffen, war sicher ein drohendes Signal). Und viele, zu viele vergaßen zu schnell die ethnische Säuberung der Golanhöhen, die sofort nach dem Ende des Krieges durchgeführt wurde. Die Siedlungen im Jordantal unter der Führung der Laborbewegung „ der Ritter für Siedlungen“ Israel Galili und Yigal Allon gebaut wurden, wurden mit Sicherheitsgründen gerechtfertigt.

 

Zehn Jahr später wurde die Sache schon klarer. 1977 stellte Matityahu Drubles, Chef der Siedlungsabteilung der zionistischen Föderation und der jüdischen Agentur, und Ariel Sharon, Minister für Landwirtschaft  und Chef des ministeriellen Komitees für Siedlungen, ihre Pläne für die Kolonisierung der Westbank vor. Anfangs 1983 veröffentlichte das Ministerium für Landwirtschaft und die zionistische Föderation einen Gesamtplan für die Siedlungen in der Westbank, der bis 2010 gültig sein soll – der 100 000Plan. Der  Stempel dieses Plans ist leicht und klar im System der Straßensperren, Enklaven und Straßen(„nur für Juden“ ) in der Westbank des frühen 21. Jahrhunderts zu erkennen.

 

Es gab unter den Partnern des Siedlungsprojektes keinen Mangel an Konflikten über örtliche und taktische Angelegenheiten, Unstimmigkeiten über die Ausdehnung und Prioritäten,  doch im Großen und Ganzen wurde das Siedlungsprojekt von Anfang an  in enger Zusammenarbeit zwischen der politischen Zionistischen Bewegung (Gush Emunin und Zionistische Föderation) und Regierungsinstitutionen (Landwirtschafts- und Wohnungsbauministerium und Israels Landverwaltung)  geschaffen. Was der Staat sich nicht selbst  erlauben kann,  nehmen die Siedler auf ihre Kappe. Die Siedler brechen das Gesetz, der Staat dreht es irgendwie hin. Wie in anderen Grenzgebieten auch wurde der Widerstand der einheimischen Bevölkerung  von den Kolonialherren  oft dafür benützt, die Grenzen ihres Gebietes weiter hinaus zu schieben . Um die Sicherheit der bestehenden Siedlungen zu garantieren, wurden um sie herum Pufferzonen und Zonen, die nicht betreten werden dürfen, eingerichtet, auch neue Siedlungen, um die schon bestehenden zu stärken. Es ist auch bedeutsam, dass der massive Siedlungsbau am Ende der 70er-Jahre und die in der Mitte der 90er-Jahre unter der Schirmherrschaft von partiellen Friedensabkommen durchgeführt wurden, was in  vielen Kritikern der Besatzung Illusionen hervorrief, dass hochtrabende Worte und offizielle Reden, Symbole und Feierlichkeiten die Realität darstellen. Aber die Realität des Konflikte ist eine koloniale – die in erster Linie von den Tatsachen vor Ort von Bulldozern und Zäunen bestimmt wird.  Kolonialismus erschöpft sich nicht in diplomatischen Manövern oder spektakulären Gewaltakten. Es ist ein sozialer und wirtschaftlicher Prozess, der die Natur  und die Struktur des Lebens verändert, die Ressourcen neu verteilt und Menschen enteignet zurück lässt. Die Folgen (dieses Prozesses)   sind unumkehrbar: die soziale Realität kann nicht einfach  in ihren vorausgegangenen Zustand wieder hergestellt werden; man kann  - und sollte – gegen diese Übel angehen, aber dies ist ein langer und schmerzlicher Kampf gegen eine neue soziale und wirtschaftliche Realität.

Das größte Versagen der Linken in Israel und aller Gegner der Besatzung ist , dass sie nichts gegen das Siedlungsprojekt taten . Massiver politischer Protest begleitete nur das sehr frühe Stadium des schnellen Siedlungsprozesses, vor allem am Ende der 70er-Jahre und ein paar auffallender Siedlungsprojekte, die besondere Aufmerksamkeit empfingen (Hebron, Abu Ghneim/Har Homa  bei Bethlehem). Aber um die 1980 erschienen die „bösen“ Siedler, Mitglieder des jüdischen terroristischen Untergrunds auf der Bühne und ließen ihr Gegenstück, die „guten Siedler“, vergleichsweise harmlos erscheinen, ja sogar anständig und verantwortlich. Die Schwäche des politischen Protestes gegen israelischen Kolonialismus erinnert an die europäischen Antinuklear-Bewegungen der 70er-und 80er-Jahre: je kleiner die Zahl der schon in Betrieb gegangenen Atommeiler war, um so stärker war der Protest. In den Länder, in denen die Atomenergie-Option schon fest etabliert ist, ist der Protest bedeutend geringer.

Dies ist typisch für diese Art Politik, die sich darauf konzentriert, neue Tatsachen zu schaffen, die eine schnelle Veränderung der Struktur des sozialen Lebens verursacht. Traditionelle Formen des politischen Protestes hinken hinterher und haben oft mit der latenten Frustration fertig zu werden, wenn sie den vollendeten Tatsachen gegenüberstehen. Als Sharon  von 100 000 Siedlern in den besetzten Gebieten sprach, wurde er ausgelacht. Die Errichtung der Herrschaft von  Kontrollpunkten und Straßensperren während der 90er Jahre erhielt keine angemessene Aufmerksamkeit. Amira Hass’ Artikel, die die sich entwickelnde Realität in dem Gebiet beschrieb, wurden eher als kleine Menschenrechtsverletzungen angesehen, denn als zeitige Warnung vor einer umfassenden politischen Strategie, die die Realität neu gestaltete. Die durch die besetzten Gebiete gebauten Straßen während der Jahre des „Friedensprozesses“ wurden wie bittere Pillen betrachtet, die man um des „Prozesses“ willen schlucken musste.

Am wichtigsten ist die Wahrnehmung der Besatzung als ein „politisches Problem“ und nicht als ein soziales oder als eine Angelegenheit der Grenzen und politischen Vereinbarung – indessen wird die Dimension der  sozialen und wirtschaftlichen Umwandlungen ignoriert, die im Kern jedes kolonialen Prozesses liegen. Dies hinderte die Linke daran, sich mit ihnen zu befassen. Die Linke sah nicht, wie der wirtschaftliche Mangel und das soziale Elend innerhalb der israelischen Gesellschaft  zugunsten des kolonialen Prozesses ausgenutzt wurde und hat deshalb nicht nach Wegen Ausschau gehalten, wie man die Räder dieses Prozesses anhalten kann. „Geld für die armen Vorstädte und nicht für Siedlungen“ war ein Slogan, der einen bescheidenen und oberflächlichen Anfang solchen Bewusstseins in den 80ern ausdrückte.

In den 90er-Jahren war es im Rahmen der Einwanderungswellen  als neue Immigranten und viele, die die Qualität ihres Lebens zu verbessern suchten, in das Siedlungsprojekt integriert wurden. Beschleunigte Privatisierung – die zunehmende Tendenz des Staates seine sozialen Verpflichtungen abzuschütteln – ging Hand in Hand mit einem kolonialen Projekt, das von genau demselben Staat subventioniert wurde, der sich vom öffentlichen Investment in soziale Dienste innerhalb der 1967 Grenze zurückzieht. Die Einsetzung von fast permanenter Absperrung der Westbank und des Gazastreifens nach 1993 hinderte hundert Tausende Palästinenser daran, Israel zu betreten. Dies war wieder ein Schritt, der Wirtschaft mit  Sicherheit verknüpfte. Während der israelische Kapitalismus die palästinensischen Arbeiter überflüssig machte und  sie  zu schrecklicher Armut und Elend verurteilte, versuchte er, sich  schnell  zu modernisieren und seinen Platz auf dem globalen Markt wieder zu gewinnen. 

Einerseits wurde die Absperrung eine permanente Tatsache, und die besetzen Gebiete wurden der Herrschaft der Checkpoints und Straßensperren unterworfen, die ihre totale Fragmentierung vom Herbst 2000 vorwegnahmen. Auf der andern Seite gewährte der Import billiger  ausländischer Arbeitskräfte  - neue Immigranten und Wanderarbeiter ohne Rechte – dem israelischen Kapitalismus einen neuen Aufschwung. Am andern Ende des raschen Prozesses der Privatisierung und sozialen Polarisation in Israel entstand in  die 80er und 90er-Jahren eine neue obere Mittelschicht, die sich nach besserer Lebensqualität und sozialer Unterscheidung sehnte. Siedlungen mit besserer Lebensqualität – und hier spielte Ariel Sharon wieder eine wichtige Rolle – wurden eine  bemerkenswerte Option, die letztlich das Siedlungsprojekt der oberen Mittelklasseschicht näher brachte: abgeschlossene Gemeinden in den besetzten Gebieten, direkt hinter der Grünen Linie, günstige Verbindung mit dem Zentrum, ohne Araber und arme Leute, mitten in der kolonialen Landschaft. Der israelische Kolonialismus ist kein fossiles historisches Relikt, sondern ein zentraler Aspekt des lokalen Kapitalismus. Sie änderten sich gemeinsam, beide erfreuten sich der Unterstützung des Staates und waren beide in der Lage, wenn nötig, den Staat abzuschütteln oder um unter seinen Flügeln Schutz zu finden, wenn es nötig ist. Israelischer Kapitalismus ist kolonialer Kapitalismus.

 

 

Während die Siegesfeiern 1967 noch weitergingen und Tausende von Israelis in die besetzten Gebiete nach Hebron und Nablus  eilten, war eine kleine  namenlose Gruppe – der Öffentlichkeit verborgen – mit einem Projekt beschäftigt, das im Frühjahr 1965 vielleicht sogar noch früher begonnen hatte. Die Einsetzung dieser Gruppe war geheim; die Regierungsentscheidung  darüber wurde nie veröffentlicht. Ihr Auftrag war, das Land zu „säubern“, d.h. systematisch die Reste der palästinensischen Dörfer zu vernichten, die seit 1948 verlassen in der Landschaft lagen. ( Diese Affäre wurde von Aharon Shai  in einem Artikel aufgedeckt, der in der Zeitschrift „Cathedra“ vol. l105, 2002 veröffentlicht wurde) Das Außenministerium  behauptete, dass Dorfruinen in der Nähe von Straßen bei Touristen nur unnötige Fragen wecken würden. Die „Vereinigung  für Landschaftspflege“  erklärte dass nur schöne Bauten bleiben sollten, so wie in Al-Zeeb. Israels Landverwaltung behauptete, das Einebnen der Dörfer würde Israels arabischen Bürgern  die Qual ersparen, in ihre Heimatdörfer zurückkehren zu wollen und nicht zu können.

 

Die Einheit, die von einem früheren Fallschirmjäger, Hanan Davidson, angeführt wurde, ebnete mehr als hundert Dörfer ein. Archäologen wurden  benötigt, die umfassende Untersuchungen  durchführten, bevor die Bulldozer  erschienen. Die 1964 gegründete Israelische Archäologische Forschungsgesellschaft wurde für diese Arbeit von der israelischen Landverwaltung finanziert. Untersuchen und Zerstören, Dokumentieren und Vernichten gingen Hand in Hand. Die Archäologen beschwerten sich zuweilen,  die Bulldozer würden nicht auf sie warten, und es sei schwierig die „wilden Raubzüge“ zu kontrollieren. MK Tawfik Toubi (CPI) protestierte in der Knesset. Das Wochenmagazin Ha’olam Hazeh veröffentlichte Briefe an den Herausgeber zu diesem Problem. Aber als Ganzes ist das Projekt fast völlig vergessen.

 

Die Operation der Einebnung der palästinensischen Dörfer war nicht auf das Gebiet innerhalb der Grünen Linie ( Grenze bis 4.6.67) beschränkt. Mit dem militärischen Sieg wurde den Landvermessern und –zerstörern ein breites Operationsfeld gegeben. Vier Tage nach dem Ende der Schlachten entschied die Israelische Archäologische Forschungsgesellschaft eine umfassende archäologische Untersuchung der besetzten Gebiete. Die Zerstörungsoperation – vom Büro der Landverwaltung finanziert – wurde beschleunigt. Die Forscher eilten nach Yalou, Beit Nouba und Amwas, den drei palästinensischen Dörfern im Raum Latrun, deren Bewohner vertrieben worden waren und die zerstört wurden. Die Zerstörung von mehr als 100 Dörfern auf dem Golan wurde auch von Davidsons Leuten zusammen mit der IDF durchgeführt.

 

Diese Operation ist nicht nur ein sprechendes Beispiel für die Verbindung von Macht und Wissen, sie macht auch auf die Ironie aufmerksam, die mit diesem  Prozess der  gründlichen Auslöschung und sorgfältigen Dokumentation verbunden ist. Sie demonstriert auch die institutionelle und persönliche Kontinuität zwischen der internen Kolonisierung innerhalb Israels und dem kolonialen Projekt jenseits der Grünen Linie. Es scheint, dass Stabilisierung innerhalb der Grenzen von 1949 nur vorübergehend war. Die Militärverwaltung, die über die arabischen Bürger Israels gesetzt wurde, wurde 1966 aufgehoben, bevor die koloniale Expansion 1967 wieder aufgenommen wurde. Die geheime Operation der Auslöschung der restlichen Spuren der palästinensischen Dörfer  sollte im Kontext  der Aufhebung der Militärverwaltung gesehen werden und der Befürchtung, dass palästinensische Bürger Anspruch auf ihr Land erheben könnten – und gleichzeitig dem Versuch, den Siedlungsbau und die Enteignung innerhalb Israels mit neuen zivileren Mitteln fortzuführen.

 

Es ist ein Leichtes auf Kontinuität hinzuweisen. Die Notstandsgesetze, einer Reihe unterdrückerischer Maßnahmen „ für den Notfall“, die von der britischen Regierung dem israelischen Staat hinterlassen wurde. Sie dienten als idealer Vorwand für internen Kolonialismus, für den andauernden Kampf des Staates Israel gegen seine arabischen Bürger. So konnte man nicht nur die politischen Aktivitäten unterdrücken, sondern auch   Landeigentum konfiszieren und ganze Gebiete zu militärischen Zonen erklären. Die Notstandsgesetze wurden mit dem Ende der militärischen Verwaltung 1966 nicht aufgehoben;  Nach 1967  wurden sie in den besetzten Gebieten angewandt. Die Soldaten wurden zunächst durch strenge Polizeikontrolle ersetzt, was die Sache für die palästinensischen Bürger Israels noch schlimmer machte. Die Kontrollen wurden während des Krieges noch verschärft und erst 1972 entfernt. Und als ob dies nicht genug wäre: die offizielle Aufhebung der Militärverwaltung innerhalb Israels wurde gleichzeitig von Ministerpräsident Levy Eshkols Vorstellung der Operation „Endlich!“ für die Judaisierung Galiläas begleitet. Dem folgten weitere solche Kampagnen.

 

Man kann in derselben Weise fortfahren und  z.B. die Verbindung zwischen den Mechanismen  der Übernahme der Kontrolle arabischen Landes betrachten, wie diese Kontrolle im Laufe der „Judaisierung Galiläas“ in den 60er-Jahren vervollkommnet wurde  - und die massive Anwendung derselben rechtlichen Mechanismen nach 1978, um zur Schaffung von Siedlungen „Staatsland“ in der Westbank zu  beschlagnahmen. Man kann also die Verbindung zwischen dem Establishment durch Ariel Sharon, dem Minister für Landwirtschaft, der „grünen Patrouille“, die 1978  den Negev  vor den Beduinen  „schützte“ und den  von ihm im selben Jahr entwickelten Plänen, Siedlungen in der Westbank zu bauen, sehen. Aber die Verbindungen zwischen der inneren und äußeren Kolonisierung ist genau so offensichtlich, wenn wir an den politischen Protest denken:  denken wir an den Zusammenhang zwischen der ersten massiven Enteignung der Beduinen von Pithat Rafiah 1972 und die Vertreibung von etwa 1500 Familien, damit dort Siedlungen gebaut werden können – und der bedeutsamen öffentlichen Kampagne im selben Jahr, damit die Bewohner von Ikrit und Biram zu ihren Dörfern zurückkehren können, aus denen sie 1948 vertrieben wurden. Die Stabsoffiziere von 1948 waren die Generäle von 1960 und 1970 – unter ihnen Sharon, der Architekt des Siedlungsprojektes. Kurz gesagt: jeder Versuch, auf die koloniale Dimension der Besatzung hinzuweisen, fordert von uns, über die Beziehungen zwischen Kolonialismus innerhalb Israels und dem kolonialen Projekt in den besetzten Gebieten nachzudenken – und zwar unter dem Vorwand der militärischen Besatzung. Sie sind eng mit einander verbunden.

Das bedeutet nicht, dass die beiden identisch sind. Der interne Kolonialismus operiert unter politischen und sozialen Bedingungen, die sich sehr von jenen  unter militärischer Besatzung unterscheiden. Zunächst muss er sich innerhalb eines zivilen Rahmens mit dem sturen Widerstand der palästinensischen Bürger Israels und ihren Verbündeten  aus einander setzen.

Das ist nicht nur ein Kampf um gleiche Rechte. In ihm geht  es darum, den Charakter der israelischen Gesellschaft zu verändern, um eine umfassende Demokratisierung und Entkolonisierung.  In diesem Kampf gab es viele Niederlagen, aber auch einige bedeutsame Siege. In hohem Maß  ist die Demokratisierung der israelischen Gesellschaft das langfristige Ziel dieses Kampfes. Viele Bürger Israels sind sich nicht der großen Schuld bewusst, die sie der nationalen  palästinensischen Minderheit zu verdanken haben, deren  Kampf um ihre Rechte den Kontrollmechanismus der israelischen Gesellschaft herausforderte und so die demokratischen Rechte aller Bürger  erweiterte. Der Kampf gegen das Kolonialprojekt in den besetzten Gebieten findet unter sehr viel härteren Bedingungen statt.

 

Wenn man an die Beziehungen zwischen der Besatzung und der israelischen Gesellschaft innerhalb der 67er-Grenzen denkt, so ist mehr als ein statischer Vergleich des Prozesses nötig, der sich auf beiden Seiten der Grünen Linie abspielt . An 1967 muss man in einem dynamischen Rahmen als einer wesentlichen Unterbrechung des Prozesses denken, der sich auf frühere koloniale Phasen baut und  tiefschürfende strukturelle Veränderungen mit sich bringt. 1967 ist tatsächlich ein historischer Wendepunkt in der sozio-politischen Geschichte Israels, wie Shlomo Svirsky in einem bedeutenden und umfassenden Artikel (Iyum bi-Tkumat Israel, Band 16, 2006) aufgezeigt hat.  Mit dem Wandel Israels 1967 zu einer Großmacht sponsert der Staat riesige Unternehmen und militär-industrielle Zusammenschlüsse in  bis vor kurzem unvorstellbarem Ausmaß. Diese neue Bourgeoisie  - so behauptet Svirski – gewinnt an Stärke und Selbstvertauen und  betrachtet sich  selbst letzten Endes als Alternative zur  langjährigen politischen Führung der Labor-Partei. Sie spielte bei den 1977er –Wahlen eine bedeutende Rolle, als sie sich dem Likud anschloss und dieser Macht übertrug. (man denke nur an die ranghohen Offiziere, die Ökonomen, die Akademiker und  die Medienleute, die sich zusammenschlossen und die kurzlebige Dash-Partei gründeten). …

 

Dieses militärisch industrielle Konglomerat wurde der große Brutapparat für Israels neue Technologien: im Gegensatz dazu wurden die Entwicklungsstädte historische Überbleibsel, die sich auf die „traditionellen Industrien“ gründeten, obwohl die meisten erst um 1960 gegründet wurden. Der Schritt vom kleinen Israel zu Groß-Israel kündet eine Veränderung an: von einer  inklusiven Entwicklungspolitik, die sich auf ethnische Teilung der Arbeit gründet zur exklusiven Entwicklungspolitik einer lokalen Supermacht, die sich auf enorme Investments in  Sicherheit und  Siedlungen gründet und der methodischen Kultivierung der lokalen Bourgeoisie. Israels Bourgeoisie wurde vom Staat gesponsert  und großzügig durch öffentliche Investments finanziert. Sie genießt die Früchte der massiven Enteignung der Palästinenser und  der Arbeitskraft schwacher Immigranten. In der Mitte der 80er-Jahre wurde sie mächtig genug, um  Privatisierung und die Begrenzung der staatlichen Aufsicht ihrer Aktivitäten zu fordern . Die sich ausweitende Klassenteilung in Israel steht auch wesentlich im Zusammenhang zu seinem neu errungenen regionalen Herrschaftsstatus und dem neu aufgekommenen kolonialen Impuls: stark subventionierte neue Siedlungen drängen die  in den 50er-Jahren gegründeten Entwicklungsstädte an den Rand. Sie waren gegründet worden, um die territorialen Gewinne von 1948 abzusichern. Bewohnt waren sie zum großen Teil von Juden aus dem südlichen Mittelmeerraum (Sephardim) Sie litten unter Not und Diskriminierung. Im Gegensatz dazu macht die neue Grenze  und die starke Armeepräsenz die Siedler sicher, die sich noch dazu auf massive Regierungsinvestments verlassen können. Diese befinden sich also nicht an der Peripherie. Sie waren schnell und gut mit dem Wirtschaftszentrum und dem politischen Leben verbunden  und passten  perfekt in das Projekt der Pflege von Israels Bourgeoisie hinein.

 

Israel deshalb als koloniale Gesellschaft zu betrachten, heißt nicht, sie als eine homogene Gesellschaft anzusehen. …es ist keine „koloniale Entität“. Im Gegenteil: es ist ein erster Schritt zum Verständnis der Besonderheiten und Widersprüche von Israels Kapitalismus . Der koloniale Prozess baut sich auf der Ausbeutung sozialen Elends auf . Er gibt Klassenunterschieden einen besonderen Anstrich, er brandmarkt die Unterdrückten als „Orientalen“ oder als Araber, auch wenn sie das selbst leugnen. Er stellt die Elite in „westlichen“ Farben dar, er untermauert seine kulturelle Arroganz – auch wenn seine tatsächlichen Wurzeln in Osteuropa liegen. Man kann die ethnische Teilung und Diskriminierung in der jüdischen Gesellschaft oder den Status der arabischen Kultur in Israel nicht verstehen, wenn man nicht in Betracht  zieht, dass in allen kolonialen Gesellschaften die Kultur der beherrschten Bevölkerung verleugnet und  verspottet wird.

 

In kolonialen Gesellschaften werden den Kolonisten  oft bedeutende Privilegien eingeräumt – doch auf eigene Kosten, da sie dem kolonialen Projekt dienen müssen; es sind nicht anerkannte soziale Rechte, sondern  zerbrechliche und  vorläufige Privilegien, die an Bedingungen geknüpft sind. Diese Privilegien  werden nach und nach weniger und verschwinden, je mehr die Kolonial-Grenze fortschreitet, die sie dann überflüssig machen.

Um die strategische Schwäche  des sozialen Kampfes in Israel  gegen die vereinigten  Kräfte von Kapital und Staat zu verstehen, sollte man auch die Zerbrechlichkeit der Siedlergemeinden betrachten, die unter dem Schutz der „Siedler-Institutionen“ leben. Und man kann die enorme Macht des israelischen Staates und der „Siedler-Institutionen“ nur dann verstehen, wenn man sie als Erben des britischen Hochkommissars und der zionistischen Bewegung sieht,  die „menschlichen Staub“ ( Ben Gurion) in Außenposten (Theodor Herzl) gegen den Osten verwandelt. Ein ganzes System von Privilegien und Abhängigkeiten von mächtigen Patronen wird in kolonialen Gesellschaften geschaffen: Juden gegen Araber, Armeeveteranen gegen jene, die keinen Militärdienst machen,..palästinensische Bürger Israels gegen  die von der Besatzung strangulierten Palästinenser. Dieses System  der Privilegien führt die Unterdrückten der israelischen Gesellschaft in die Arme ihrer Patrone und bedroht ihre Zukunft. Ein anti-kolonialer Kampf in Israel ist ein Kampf gegen die Besatzung – aber auch für soziale Gerechtigkeit. Die Trennung der beiden ist künstlich. Wir haben täglich den Preis dafür zu bezahlen.

Das weitreichende politische Projekt der Siedlungsbewegung  nach 1967 war nicht darauf beschränkt, die Palästinenser zu enteignen und ihr Land zu nehmen; es war auch ein Versuch, die israelische Gesellschaft zu verändern – sie zu ihren Wurzeln zurück zu bringen, um alle, wenn nicht direkt, dann über Stellvertreter in einem ewigen Krieg mit dem arabischen Osten zu einer militanten Siedlergesellschaft zu machen. Die wilde Grenze  sollte auf die siedelnde Gesellschaft ausstrahlen; die Israelis sollten angeblich alle wie frühere Siedler werden, die oft in Palästina angekommen waren, nicht aus Überzeugung oder zionistischer Ideologie, sondern ( wie viele Immigranten) als Folge von Katastrophen im 20. Jahrhundert. Sie sollten sich eigentlich mit den militanten Siedlern identifizieren, die – so hoffte man – sich  von einer isolierten Gruppe fanatischer Nationalisten   in die Vorhut der israelischen Gesellschaft als Ganzes verwandeln würde. Israel braucht eine Bewegung, die nicht nur kompromisslos gegen die Besatzung kämpft, sondern  in jeder Hinsicht auch gegen den Kolonialismus  - gegen den externen, militärischen und den internen, der mit zivilen, wirtschaftlichen und kulturellen Mitteln geführt wird.

 

Bedeutet dies, dass die Grüne Linie irrelevant geworden ist, dass man den Kampf gegen die Besatzung aufgegeben hat? Auf keinen Fall. Die Grüne Linie ist zugegebenermaßen  willkürlich, genauer gesagt, sie ist die Folge eines historischen Prozesses. Sie ist nicht heilig. Aber wenn wir den kolonialen Prozess stoppen sollen, dann wird jeder Punkt, auf dem wir bestehen willkürlich sein. Die Frage ist dann politisch und pragmatisch: wo können Gegner der Besatzung und der Siedlungen eine gemeinsame Front bauen, um so viel wie möglich an lokaler und  internationaler Unterstützung zusammen zu bringen, um die bestehende Machtbalance zu stürzen und den fortschreitenden Enteignungsprozess zu stoppen? Die Grüne Linie ist noch der viel versprechendste Fokus für solche Bemühungen. Dies garantiert nicht historische Gerechtigkeit.

….

Die grüne Linie ist eine Verteidigungslinie mit dem Versuch das koloniale Projekt zu stoppen, dem palästinensischen Volk in einem unabhängigen Staat die Selbstbestimmung  zu erlauben, als kollektives Projekt des Aufbaus und Ermächtigung angesichts der strategischen Überlegenheit Israels. Dies gibt Israel die Chance, ohne Privilegien zu leben, auf Expansion zu verzichten und bereit zu sein, wirklichen Frieden zu machen, eine Chance, um als Gleiche in einem freien und demokratischen Nahen Osten zu leben.

 (dt. und gekürzt: Ellen Rohlfs)

1967 - By Gadi Algazi - Hebrew original was written for MiTzad Sheni (Jerusalem), June 2007

 

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