Apartheidstaat: Boykott Israel
Neve Gordon
Die israelischen Zeitungen sind dieses Jahr voll zorniger Artikel
über eine Aktion eines internationalen Israel-Boykotts. Vom
israelischen Filmfestival wurden Filme zurückgezogen. Leonard Cohen
kam unter Beschuss wegen seiner Entscheidung, in Tel Aviv
aufzutreten, und Oxfam hat seine Verbindungen zu einer berühmten
britischen Schauspielerin abgebrochen, die auch die in den
Siedlungen hergestellte Kosmetikartikel unterstützt. Klar, die
Kampagne, die geholfen hat, das Apartheidregime in Südafrika zu
beenden, gewinnt rund um die Welt immer mehr Nachfolger. Es ist
nicht überraschend, viele Israelis – auch Peaceniks – unterschreiben
dies nicht. Ein globaler Boykott bringt unvermeidlich
Schuldzuweisungen mit sich – besonders die des Antisemitismus. Es
kommen auch Fragen auf wegen doppelter Moral (warum nicht China
boykottieren wegen seiner ungeheuerlichen
Menschenrechtsverletzungen?) und die scheinbar widersprüchliche
Position, einen Boykott gegen die eigene Nation gut zu heißen.
Es
ist tatsächlich keine einfache Sache für mich als israelischer
Bürger, ausländische Regierungen, regionale Behörden, internationale
soziale Bewegungen, kirchliche Organisationen, Vereine und Bürger
aufzurufen, die Zusammenarbeit mit Israel zu suspendieren. Aber
heute, als ich meine beiden Jungen im Hof spielen sah, bin ich davon
überzeugt worden, dass es der einzige Weg ist, der Israel vor sich
selbst retten kann.
Ich sage dies, weil Israel einen historischen Scheideweg erreicht
hat, und Krisenzeiten rufen nach dramatischen Maßnahmen. Ich sage
das als Jude, der sich entschieden hat, seine Kinder in Israel groß
zu ziehen, der seit fast 30 Jahren ein Mitglied des israelischen
Friedenslager gewesen ist und der tief beunruhigt ist über die
Zukunft des Landes.
Die genaueste Beschreibung des Israel von heute ist die eines
Apartheidstaates. Seit mehr als 42 Jahren kontrolliert Israel das
Land zwischen dem Jordantal und dem Mittelmeer. Innerhalb dieser
Region leben über 6 Millionen Juden und nahezu 5 Millionen
Palästinenser. Von diesen leben 3,5 Millionen Palästinenser und fast
eine halbe Million Juden in dem Gebiet, das Israel seit 1967 besetzt
hält. Und obwohl diese beiden Gruppen im selben Gebiet leben,
unterliegen sie zwei verschiedenen Rechtssystemen . Die
Palästinenser sind staatenlos und es fehlt ihnen an vielen
grundsätzlichen Menschenrechten. Im starken Gegensatz dazu sind alle
Juden – egal, wo sie leben – Bürger des Staates Israel.
Die Frage, die mich heute nacht als Vater und als Bürger nicht
schlafen ließ, ist die, was kann ich tun, dass weder meine beiden
Kinder noch die meiner palästinensischen Nachbarn in einem
Apartheidstaat aufwachsen?
Da
gibt es nur zwei moralische Wege, um dieses Ziel zu erreichen.
Der erste wäre die ein-Staat-Lösung: den Palästinensern die volle
Staatsbürgerschaft anbieten und so eine bi-nationale Demokratie im
ganzen von Israel kontrollierten Gebiet errichten. Was die
Demographie betrifft, so würde dies zum Ende Israels als einem
jüdischen Staat führen. Für die meisten israelischen Juden wäre dies
unmöglich.
Der zweite bedeutet das Ende unserer Apartheid: die
Zwei-Staaten-Lösung. Das würde Israels Rückzug zu den Grenzen von
vor 1967 bedeuten ( mit möglichem 1:1 Landtausch), die Teilung von
Jerusalem und eine Anerkennung des Rückkehrrechts der
palästinensischen Flüchtlinge mit der Auflage, dass es nur einer
begrenzten Zahl der 4,5 Millionen palästinensischen Flüchtlinge
erlaubt sei, nach Israel zurück zu kehren, während der Rest in den
neuen palästinensischen Staat zurückkehren kann.
Geographisch erscheint die bi-nationale Staaten-Lösung leichter zu
verwirklichen, weil Juden und Palästinenser schon total vermischt
sind; vor Ort ist die Einstaatenlösung – in Apartheid-Manifestation
– schon Realität.
Ideologisch ist die Zwei-Staatenlösung realistischer, weil weniger
als 1% der Juden und nur eine Minderheit der Palästinenser den
Bi-nationalismus unterstützen.
Für den Augenblick macht es trotz konkreter Schwierigkeiten eher
Sinn, die geographischen Realitäten zu verändern als die
ideologischen. Falls in der Zukunft die beiden Völker entscheiden,
sich einen Staat zu teilen, dann können sie das tun, aber im
Augenblick wollen sie dies nicht.
Wenn also die Zwei-Staaten-Lösung der Weg ist, um den Apartheidstaat
zu stoppen, wie kann man dann dieses Ziel erreichen?
Ich bin davon überzeugt, dass nur Druck von außen die einzige
Antwort ist. Während der letzten drei Jahrzehnte hat die Zahl der
jüdischen Siedler in den besetzten Gebieten dramatisch zugenommen.
Der Mythos eines vereinigten Jerusalem hat zur Schaffung einer
Apartheid-Stadt geführt, wo Palästinenser keine Bürger sind und es
ihnen an den grundlegenden Dienstleistungen fehlt. Das israelische
Friedenslager ist immer kleiner geworden, sodass es jetzt fast
nicht-existent ist, und die israelische Politik bewegt sich immer
weiter zur extremen Rechten.
Deshalb ist es für mich klar, dass es nur einen Weg gibt, diesem
Apartheids-Trend in Israel entgegen zu treten: es muss durch
massiven Druck von außen geschehen. Die Worte und Verurteilungen von
der Obama-Regierung und der EU haben zu keinem Ergebnis geführt,
nicht einmal zum Einfrieren des Siedlungsbaus, geschweige denn zur
Entscheidung, sich aus den besetzten Gebieten zurück zu ziehen.
Folglich habe ich mich entschlossen, die
Boykott-Divestment-und-Sanktionen-Bewegung (BDS) zu unterstützen,
die von palästinensischen Aktivisten im Juli 2005 ins Leben gerufen
wurde und seitdem weit verbreitete Unterstützung rund um den Globus
erhalten hat. Das Ziel ist, dafür zu sorgen, dass Israel seinen
Verpflichtungen nach dem Völkerrecht nachkommt und dass
Palästinensern das Recht der Selbstbestimmung gewährt wird.
In
Bilbao, Spanien, formulierte 2008 eine Koalition von Organisationen
aus aller Welt die 10-Punkte-Boykott-Divestment-
und-Sanktionen-Kampagne, die dafür gedacht ist, Israel in einer „
allmählichen, kontinuierlichen Weise unter Druck zu setzen, der
empfindlich im Kontext und in der Kapazität ist“. Zum Beispiel
beginnt der Versuch mit Sanktionen gegenüber Israel und Divestment
aus israelischen Firmen, die in den besetzten Gebieten arbeiten.
Dann folgen Aktionen gegen jene Firmen die die Besatzung sichtlich
unterstützen. Entsprechend dieser Linien sind Künstler, die nach
Israel kommen, um die Aufmerksamkeit auf die Besatzung ziehen.
willkommen, während jene, die nur eine Veranstaltung geben, nicht
willkommen sind.
Nichts anderes hat gewirkt. Aber massiven internationalen Druck auf
Israel auszuüben ist der einzige Weg, der nächsten Generation von
Israelis und Palästinensern zu garantieren – meine beiden Jungs
eingeschlossen – dass sie nicht in einem Apartheidsystem aufwachsen
müssen.
Neve Gordon ist Dekan der Fakultät für Politik und Regierung an der
Ben Gurion-Universität im Negev und Autor von „Israels Besatzung“
(Universität von CaliforniaPress, 2008) Er kann kontaktiert werden
über seine Website :
www.israelsoccupation.info
(
Neve Gordon ist in Israel, bes. von seiner Universität scharf wegen
dieses Artikels angegriffen worden)
Counterpunch,
23.8.09
(dt. Ellen Rohlfs)
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