Nehmt Israel nicht in den Elite-Wirtschaftsclub OECD auf!
Ran
Hacohen, 20.6.08 / The Electronic Intifada
Israels herrschende Elite hat ein hohes Ziel: sich der „Organisation für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ (OECD) als Mitglied
anzuschließen. Um der Israelis und seiner Nachbarn willen, sollte dieser
Wunsch durch eine internationale Kampagne der Unterstützer für Frieden
verhindert werden – und tatsächlich auch durch die Unterstützer des
freien Marktes.
Die
OECD, die in Paris ihren Sitz hat, sagt auf ihrer Internetseite: die
OECD „vereinigt die Regierungen der Länder, die sich für Demokratie und
einen freien Markt in aller Welt engagieren“.
Die
OECD wurde 1961 gegründet und hat 30 Mitgliedsländer, einschließlich der
meisten europäischen Länder, der USA, Kanada und Japan, aber nicht
Russland, Brasilien oder Indien – wenigstens noch nicht. Mit einem
riesigen Budget von 342 Millionen Euro ist sie eine der elitärsten
Organisationen der Nationen. In der Tat ist die Mitgliedschaft in
erster Linie eine Sache des Prestige, da sie anders als die Weltbank
oder der Internationale Währungsfond keine Subventionen verteilt oder
Darlehen gewährt. Aber Prestige bedeutet Investorenfond und
Investorenfond bedeutet Geld. Dickes Geld.
Israels wirtschaftliche Elite ist fest entschlossen, internationale
Anerkennung und Prestige zu erreichen, was mit der OECD-Mitgliedschaft
erlangt werden kann. Um für ihre Mitgliedschaft für die OECD zu werben,
demonstriert das israelische Finanzministerium auf seiner speziellen
website mit Details über Dutzende von Arbeitsgruppen, Komitees,
Kommissionen und Zentren, die sich alle darum bemühen, die erstrebte
Mitgliedschaft zu erlangen. Unter anderem behauptet die website
der Regierung, dass Israel dieselben Grundwerte der offenen
Markwirtschaft und des demokratischen Pluralismus teile, wie von einem
OECD-Mitgliedsland erwartet wird.
Israels Verpflichtung gegenüber Demokratie ist natürlich ziemlich
begrenzt. Die Defizite sind wohl bekannt – das fängt bei der fehlenden
Trennung zwischen Staat und Religion an (z.B. dem Verbot von
inter-konfessionellen Ehen) bis zur extensiven Anwendung der
„administrativen Haft“, d.h. monate- oder jahrelange Gefängnisstrafe
für Personen ohne Anklage und Gerichtsurteil. Andrerseits sind mehrere
andere Länder mit hohem zweifelhaften Menschenrechtsstrafregister wie
die USA und die Türkei schon Mitglieder des OECD. Demnach scheint die
Organisation selbst ihre Verpflichtung zur Demokratie nicht so ernst zu
nehmen. In diesem Kontext Demokratie und Menschenrechte zu betonen – so
wichtig sie sind – scheint hier nicht angebracht zu sein.
Eine
bessere Frage sollte für die OECD sein, ob Israel eine „freie
Marktwirtschaft“ hat. Die Antwort ist ein klares Nein. Wenn die OECD
Israel als Mitgliedsland aufnimmt, dann würde es sich herausstellen,
dass die freie Marktwirtschaft nichts weiter als ein Witz ist.
Die
irrtümliche Annahme liegt an einer optischen Täuschung, die versucht,
das „kleinere Israel“ von den besetzten Gebieten zu trennen. Falls wir
uns das „kleinere Israel als eine wirtschaftliche Einheit vorstellen
können, dann könnte vielleicht behauptet werden, es wäre eine freie
Wirtschaft. Doch es gibt kein „kleineres Israel“, genau so wie es keine
Wirtschaftseinheit gibt, die „kleineres Israel“ genannt wird. ….
Es
ist praktisch wie auch theoretisch unmöglich, Israel ohne die besetzten
Gebiete zu betrachten, ganz einfach, weil es solch ein Israel nicht
gibt. Und das ist nicht nur eine politische, psychologische oder
historische Tatsache; es ist eine klare, handfeste wirtschaftliche
Tatsache. Die Wirtschaft der besetzten palästinensischen Gebiete ist ein
fester Bestandteil der israelischen Wirtschaft. Ein Versuch, Israels
Wirtschaft getrennt von den besetzten Gebieten zu betrachten, ist
sinnlos und unseriös, um nicht lächerlich zu sagen.
Dies
war eine selbstverständliche Behauptung vor 20 Jahren, während Israels
direkter Besetzung der Gebiete. Zu jener Zeit wurde der palästinensische
Markt von der israelischen Wirtschaft verschlungen. Palästinenser
arbeiteten in Israel, zahlten Steuern in Israel und die ganze Wirtschaft
der Westbank und des Gazastreifens wurde von Israel ( schlecht) durch
die Armee und verschiedene andere israelische Parteien/Organisationen
verwaltet.
Die
Errichtung einer „Palästinensischen Behörde“ (PA) durch die
Oslo-Abkommen in den 90er Jahren hat Illusionen geschaffen, als ob die
Palästinenser praktisch „ihren eigenen Staat“ oder wenigstens „ihre
eigene Wirtschaft“ hätten. Tatsächlich zahlen die Palästinenser jetzt
Steuern an die PA, die ihr eigenes Budget etc hat. Doch diese angebliche
Unabhängigkeit – besonders was die Wirtschaft betrifft – ist nichts als
eine Illusion, wie jeder Beobachter, geschweige denn jeder ernsthafte
Experte zugeben muss. Tatsächlich können die Palästinenser nicht einen
einzigen Sack Reis von einem Ort zu einem andern bewegen – ohne Israels
Erlaubnis, dem Verfechter „freier Wirtschaft“.
Die
Palästinenser haben keine Zentralbank und auch nicht ihre eigene
Währung oder Währungssouveränität: sie sind vom israelischen Schekel
abhängig. Sie haben auch keine erklärten und international anerkannten
Grenzen oder eine unmittelbare geographische Nachbarschaft, eine
Vorbedingung für die Definition einer wirtschaftlichen Einheit. Die
palästinensisch kontrollierten Enklaven sind eingekreist, geteilt und
getrennt von israelischen Straßensperren und von israelisch
kontrollierten Arealen wie Straßen, die für palästinensischen Verkehr
gesperrt sind, von israelische Siedlungen, militärischen Einrichtungen
etc. Allein Israel entscheidet, ob ein palästinensischer Arbeiter,
Geschäftsmann oder Unternehmer sich von einem Ort zu einem anderen
begeben kann – innerhalb seiner angeblich unabhängigen
Wirtschaftseinheit. Dasselbe gilt für Waren aller Art. Einen Sack Reis
vom „palästinensischen“ Hebron zum „palästinensischen“ Bethlehem –
beides Westbank-Städte - zu bringen, ist abhängig von israelischen
Genehmigungen für den Besitzer des Sackes, den Fahrer, den LKW und für
das Produkt. Wenn sich das mit einer „Verpflichtung für freie
Wirtschaft“ vereinigen lässt, dann kann sich Zimbabwe und Nordkorea
genau so der OECD anschließen.
Israel
beherrscht die palästinensische Wirtschaft nicht nur von innen, sondern
auch von außen. Die „palästinensische Wirtschaft“ – tatsächlich nur ein
kleiner Sektor ( 5%) der israelischen Wirtschaft – ist physisch und
wirtschaftlich von Israel umgeben. Nach dem Pariser Protokoll von 1994
bestimmt Israel , was in die besetzten palästinensischen Gebieten
eingeführt werden darf. Allein Israel entscheidet, was transportiert
werden darf (sei es Weizen, Öl, anspruchsvolle medizinische Geräte) und
wie viel und von wo. Nachdem es die Kontrolle aller Zufahrten zu den
Gebieten hat (zu Wasser, zu Land und aus der Luft) kann Israel jeden
Import stoppen; die Palästinenser haben überhaupt keine effektive
wirtschaftliche Kontrolle. Dasselbe gilt auch für jeden
palästinensischen Export. Außerdem setzt Israel die Einfuhrsteuern für
alle von den Palästinensern eingeführten Waren fest. So ist sogar die
palästinensische Finanzpolitik ganz in Israels Händen. Israel ist auch
derjenige, der effektiv die Zölle auf palästinensische Waren legt, die
offiziell „zu Gunsten der Palästinenser“ sind. Das bedeutet, dass die
Steuergelder zur PA gehen – d.h. falls und wenn es Israel gefällt,
seine Verpflichtung, diese Gelder zu transferieren, einhält.
In der
letzten Woche z.B. verzögerte Israel den monatlichen Transfer von
palästinensischen Steuergeldern (etwa $ 75 Millionen) – dieses Mal als
„Strafe“ für den Brief des PA-Ministerpräsidenten Salam Fayyad an die
OECD, in dem dieser darum bittet, Israel nicht als OECD-Mitglied
aufzunehmen. Dies war die Ursache, dass zehn Tausende palästinensischer
Angestellter ihren Lohn nicht rechtzeitig erhielten. Dies allein sollte
genügen, um Israel für die OECD-Mitgliedschaft zu disqualifizieren. Auf
jeden Fall ist es eine ausgezeichnete Demonstration für Israels
tiefsitzende Verachtung für freie Wirtschaft (die sich auf
unterzeichnete Abkommen stützt) und demokratische Werte (bes. was die
Redefreiheit betrifft).
All
dies hat weitreichende Auswirkungen für Israels angebliche „freie“ und
„offene“ Wirtschaft. In vollkommenem Widerspruch zum Wesentlichen einer
freien Wirtschaft hält Israel die Palästinenser als unfreiwilligen (
captive) Markt. Da die Palästinenser nicht frei importieren können,
zwingt Israel sie, israelische Waren zu kaufen . Die Palästinenser
dienen als (Müll-)ablademarkt für Israels Waren (oft 2. Klasse)
angefangen von den Früchten und dem Gemüse bis zu
Installationseinrichtungen und Zement. Dies sichert den israelischen
Produzenten unfreiwillige Konsumenten – genau wie zu Zeiten des
Kolonialismus im 19. Jahrhundert. Israels Wirtschaft würde völlig anders
aussehen, wenn ein israelischer Molkerei-Gigant oder ein israelisches
Geschäft außer den 7 Millionen israelischen Kunden nicht auch noch 3,5
Millionen Palästinenser im unfreiwilligen Markt hätte.
Die
OECD würde deshalb seine eigenen Prinzipien zum Gespött machen, wenn es
Israel erlauben würde, sich ihm anzuschließen. Doch das wirkliche
Problem ist nicht die OECD, sondern die Menschen in Israel/Palästina.
Wenn es Israel erlaubt wird, sich der OECD anzuschließen, wäre dies eine
unglaubliche Belohnung für die Elite, die für die politische,
militärische und wirtschaftliche Besetzung der palästinensischen Gebiete
verantwortlich ist: ihre kolonialistischen Praktiken á la 19.Jahrhundert
würden der „freien Marktwirtschaft“ den Stempel des 21. Jahrhunderts
aufdrücken.
Wenn
aber andrerseits die OECD Israel ablehnt, dann wäre es ein klares Signal
dafür, dass Besatzung und Kolonialismus nicht mit dem freien Markt und
mit internationalem Prestige Hand in Hand gehen können und dass Israel,
wenn es sich dem elitären Club der Nationen anschließen will, zuerst die
Besatzung beenden sollte. Deshalb sollte jeder, der sich dem Frieden im
Nahen Osten verpflichtet fühlt – von Gesetzesexperten und
Wirtschaftswissenschaftlern bis hin zu den privaten Bürgern und den
NGOs – auf die OECD Druck ausüben, Israel so lange draußen zu halten,
bis es die Besetzung beendet hat.
Dr.
Ran HaCohen, 1964 in den Niederlanden geboren, wuchs in Israel auf. Er
hat ein BA in Computer-Wissenschaften, ein MA in vergleichender
Literatur und seinen Ph.D in Jüdischen Studien. Er lehrt an einer
Universität in Israel. Er arbeitet auch als literarischer Übersetzer
(vom Deutschen, Englischen und Niederländischen).
Aus
: IMENC News : www.imenc.org/article/55568
(dt.
und geringfügig gekürzt: Ellen Rohlfs)
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