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Nicht in meinem Namen, Israel
LACLAVE - 16.11.2007
Tausende Juden in
Europa und in den USA protestieren gegen Absichten,
kritische Stimmen gegenüber Israel zum Schweigen zu
bringen
„Juden, die den
Genocid begünstigen“. Dies stellt nach Meinung der
hervorragenden britischen Journalistin, Melanie
Phillips, die Organisation
Independent Jewish Voices (IJV)dar.
„Sie versuchen einen Keil zwischen Israel und den
Juden zu schieben“ und „pflastern den Weg zu einem
zweiten Holocaust“ Wer vertritt, das Israel Juden
und Palästinenser auf der Basis von Gleichheit auf
einem (gemeinsamen) Territorium aufnehmen sollte,
„fordert die Destruktion Israels“, betont Phillips.
Dieser Art Attacke
gegen jedwede Abweichung von der offiziellen
Ideologie Israels entgegenzuwirken ist genau die
Absicht der Independent Jewish Voices, einer
Verbindung von 528 britische Juden, die sich im
Februar gebildet hatte. Ihre Grundsatzerklärung
weist darauf hin, dass die Vielfalt der in der
jüdischen Öffentlichkeit vertretenen Meinungen sich
nicht in den Institutionen wiederspiegelt, die
vorgeben, die jüdische Gemeinschaft in ihrer
Gesamtheit zu repräsentieren.
Darüber hinaus
fordern sie die Menschenrechte ein als universal
anzuwendende, sowohl in Israel als auch in den
besetzten palästinensischen Gebieten. „Der
lebenswichtige Kampf gegen den Antisemitismus wird
untergraben, wenn jegliche Opposition gegen die
Israelische Regierungspolitik als ‚antisemitisch’
stigmatisiert wird.
Gezwungene Identifizierung
Während des
Libanonkrieges sagte Ehud Olmert, dass er diesen
Krieg als einen Krieg aller Juden ansähe. „Aber ich
lehne es ab, dass Israel in meinem Namen spricht“,
so die Psychologin Jaqueline Rose, Vorstandsmitglied
des IJV, in einem Gespräch mit La Clave. Sie
räumt ein, dass „wir Juden alle mit Israel verbunden
sind, weil dieser Staat uns vertreten möchte, aber
ich bin nicht der Meinung, dass diese
Identifizierung zwingend ist.
Rose unterstreicht,
„wir geben Israel ja nicht auf. Wir wenden uns
lediglich gegen eine Gleichstellung jüdischer
Identität mit einem Nationalismus. Für uns haben
Gerechtigkeit und ein ethisch geführtes Leben einen
hohen Stellenwert, und dies sind zentrale Elemente
jüdischer Tradition.“
Bereits 2002 wurde
in England die Gruppe Jews for Justice to
Palestinians (JFJP) gegründet, ihrerseits
Mitglied im Netz European Jews for a Just Peace
(EJJP), mit Sitz in Amsterdam, das 18 kleinere
Organisationen
umfasst, in Belgien, der Schweiz, Frankreich,
Schweden, Italien... Jetzt hat der IJV die Debatte
wiederbelebt: gerade hat sich in Australien eine
ähnliche Gruppe gebildet und in den Vereinigten
Staaten klagt das Comittee for Open Discussion of
Zionism(CODZ ) die Hetzjagd auf Autoren wie
Norman Finkelstein, Joel Kovel oder den
Expräsidenten Jimmy Carter an. In Spanien müsste das
Klima anders sein, glaubt Jaqueline Rose, angesichts
der Friedensinitiative Daniel Barenboims.“
In Deutschland hat
jegliche Kritik an Israel Wellen der Empörung zur
Folge. Diese Erfahrung machte Rolf Verleger,
Mitglied des Zentralrats der Juden in Deutschland,
als er im Sommer 2006 das israelische Bombardement
auf den Libanon kritisierte. Zwei Wochen später
entließ ihn die jüdische Gemeinde von Lübeck aus dem
Amt des regionalen Vorsitzenden. Verleger reagierte,
indem er die Initiative Schalom5767 ins Leben rief.
Diese fordert die Regierung auf, „die israelische
Besatzungspolitik nicht länger zu tolerieren, den
Boykott der Palästinensischen Autonomiebehörde zu
beenden und sich ernsthaft für einen realistischen
palästinensischen Staat einzusetzen.“ 71 deutsche
Juden unterzeichneten die Deklaration, aber die
Absicht, eine Million Unterschriften von
Befürwortern in Deutschland zu erhalten, scheiterte:
während eines Jahres sammelte man 14.000
Unterschriften.
Verleger glaubt,
dass die Mehrzahl der Deutschen für den Frieden ist
und dass auch keine Angst bestünde zu
unterschreiben, aber wohl gäbe es „ein Gefühl der
Sinnlosigkeit, solange sich die Haltung der
Vereinigten Staaten nicht ändere“. „Da die Politiker
weder den USA noch Israel widersprechen wollen – das
tun nur die aus dem Amt Geschiedenen - , gibt es
einen Unterschied zwischen der Volksmeinung und der
Regierungsmeinung“, signalisiert er La Clave.
Und da gibt es eine
Einrichtung, die darüber wacht, dass sich nichts
ändert. Honestly Concerned (HC) ist eine im
Jahre 2002 gegründete Verbindung, die erklärt,
„alarmiert von Israel schädigenden Pressenotizen“ zu
sein und die zu „Unterschriftenaktionen,
Leserbriefen und Demonstrationen“ aufruft. Ihr
Einfluss ist offensichtlich: nach Protesten von HC
zog eine katholische Kirche in Frankfurt die
angekündigte Präsentation eines
Buches von Hajo Meyer, Überlebender von Auschwitz,
zurück, weil jener politische Vorgehen in Israel in
Bezug auf die Palästinenser mit
nationalsozialistischen Haltungen verglichen hatte.
Der Herausgeber des Buches, Abraham Melzer,
ebenfalls Jude, führte seine Präsentation
schließlich auf der Straße durch, vor einer
„Gegendemonstration“ von HC-Mitgliedern mit
israelischen Flaggen. Melzer verglich diese
Aktivität mit Einschüchterungsmitteln, die
Nazistrupps gegen die Juden gebrauchten.
Meinungen ablehnen
Der deutsche Anwalt
Winfried Seibert
weist
darauf hin, dass HC „einen enormen Druck ausübt, um
abweichende Stimmen zum Schweigen zu bringen“ und
„andere des Antisemitismus’ anzeigt, ohne überhaupt
Wesen und Hintergrund einer Information einzusehen.
Auch Verleger beklagt, dass „man an einem äußerst
niedrigen Niveau in der jüdischen Debatte angelangt
sei: niemandem sei es eingefallen, Martin Buber,
Hannah Arendt oder Albert Einstein, die sich für
eine friedliche Lösung in Palästina einsetzten, als
Antisemiten zu bezeichnen. Heute benutze man den
Terminus, um unbequeme Meinungen auszuschalten, so
wie zuvor ‚Klassenfeind’ oder ‚Antiamerikanismus’“.
Die Website von HC
bezeichnet – mit Fotografien – als antisemitisch
oder „zum Hass anstiftend“ Dutzende von Titeln, die
auf der Frankfurter Buchmesse ausgestellt sind,
darunter verschiedene von jüdischen Autoren wie Uri
Avnery, Noam Chomsky oder Norman Finkelstein. Der
Letztgenannte musste seinen Lehrstuhl an der DePaul
University von Chicago, wo er sechs Jahre
unterrichtet hatte, aufgeben. Im Juni hatte der
Lehrkörper ihm eine Festanstellung verweigert. Nach
Ansicht des Professors eine Folge äußeren Drucks.
Gibt es eine
jüdische ‚Lobby’ in den Vereinigten Staaten? Nein:
dieser Gedanke ist „etwas mehr als eine paranoide
Fantasie“ in den Worten von Abraham Foxman, Direktor
der Antidefamation League (ADL), eine der drei
größten nordamerikanischen jüdischen Organisationen.
Foxman spielt auf ein Essay zweier Professoren an,
John Mearsheimer und Stephen Walt, das in Harvard
unter dem Titel „Die israelische Lobby und sein
Einfluss auf die nordamerikanische Außenpolitik“
publiziert wurde. Andere weisen darauf hin, dass die
äußerst negative Reaktion der nordamerikanischen
Presse geradezu beweise, dass die Autoren Recht
haben mit ihrer Feststellung, dass „jeder, der die
Existenz einer israelischen ‚Lobby’ behauptet,
Gefahr, als Antisemit beschuldigt zu werden.
Die Debatte
überrascht: auf seiner eigenen Internetseite
präsentiert sich das American Israel Public
Affairs Comittee( AIPAC), das 1951 gegründet
wurde und heute einige hunderttausend Mitglieder
hat, als „die proisraelische ‚Lobby’ von Amerika“.
Im Detail wird seine Arbeit beschrieben:
Zusammenkünfte mit zahlreichen Gesetzgebern,
Präsidentschaftskandidaten, Reisen nach Israel für
„einflussreiche Führungspersönlichkeiten und
Journalisten“, Vorträge... Unter den erreichen
Zielen im Kongress stellen die größten die Hilfe an
Israel dar - 170.000 Millionen im Jahr 2007 -,
unterstützende Resolutionen des
„Verteidigungsrechts“ Israels, die Einstellung der
Hilfe an die Palästinensische Autonomiebehörde nach
dem Sieg der Hamas, das „Niederschmettern der
Resolutionen gegen Israel“ und „die Verdopplung
jüdischer Beteiligung in den Parteien.“.
„Es ist gar kein
Geheimnis: AIPAC prahlt damit, mehrere Abgeordnete,
die Israel kritisiert hatten, rausgeschmissen. und
deren Rivalen in der folgenden Wahlkampagne
finanziell unterstützt zu haben. Das Resultat: nicht
ein einziges Kongressmitglied wagt es, Israel zu
kritisieren“ bestätigt der israelische Journalist
und Ex-Abgeordnete Uri Avnery, der mit 15 Jahren in
der terroristisch-zionistischen Gruppe Irgun kämpfte
und heute, mit 84 Jahren, stellt er eine bedeutende
Figur in der friedlichen Linken seines Landes dar.
Er betont, dass die pro-israelische Lobby nicht nur
rein jüdisch ist: die Gruppen mit christlichem Druck
unterstützen die israelische extreme Rechte aus
theologischen Gründen und die jüdische ‚Lobby’ gibt
nicht die Meinung der jüdischen Gemeinden in den
Vereinigten Staaten wieder.
Unmittelbare Proteste
„Es ist sehr bequem
für die israelische Regierung: anstelle einer
kritischen Beurteilung der eigenen Handlungen nennt
sie jeden, der Kritik an ihr übt, Antisemit“, klagt
Avnery an, der glaubt, dass besonders die Leute, die
Israel lieben, es kritisieren sollten, aber jedes
Mal, wenn eine amerikanische
Tageszeitung es wagt, derartiges zu drucken, erhält
sie unmittelbar Tausende von Protestschreiben von
Lesern, und vor allem von Inserenten. Das wissen
auch die Universitäten: wenn sie Schenkungen reicher
Personen erhalten wollen, müssen sie die Kritiken
unterbinden“. Sogar das Polnische Konsulat in New
York sagte einen Vortrag des jüdischen Historikers
Tony Judt, Direktor des Remarque Instituts, in einem
seiner Räumen ab, nachdem man einen telefonischen
Anruf erhalten hatte. Als Gegenreaktion
unterschrieben Hunderte jüdischer Intellektueller
einen Offenen Brief an ADL, die sie für
verantwortlich hielten.
Ein Land, in dem
die Debatte mit mehr Natürlichkeit geführt wird, ist
Israel: die gleiche Meinung, die Rolf Verleger in
Deutschland sein Amt kostete, brachte in Israel
10.000 Personen in einer Demonstration gegen das
Bombardement auf den Libanon in Tel Aviv zusammen.
In der gleichen Stadt konnte Ilan Pappe, bis zu
diesem Jahr Professor an der Universität von Haifa
und Verteidiger eines palästinensischen und
jüdischen Zusammenlebens in einem gemeinsamen Staat
– was nach Melanie Phillips gleichbedeutend wäre mit
der Zerstörung Israels – seine These in einer
Debatte mit Avnery vor einer großen Zuhörerschaft
vortragen.
Auch der Historiker
Shlomo Ben Ami vertritt in seinem Buch „Narben des
Krieges“ ähnliche Positionen wie die Norman
Finkelsteins; eine Debatte beider in dem amerikanischen
Radioprogramm „Democracy Now!“ zeigt ihre
Übereinkunft in der Meinung, dass die Vertreibung
der Palästinenser aus Israel eine absichtliche und
ungerechte Politik war – für die selbsternannten
Verteidiger Israels eine tabuisierte Feststellung –
und sie sind lediglich anderer Meinung in Bezug auf
die Art und Weise, wie das Unrecht wieder gut zu
machen sei.
Aber es ist
schwierig sich vorzustellen, dass Honestly
Concerned, israelische Fahnen schwingend,
beabsichtigt, die Präsentation dieses Buches in
Deutschland zu verhindern: Shlomo Ben Ami war von
2000 bis 2001 Außenminister von Israel.
(Ilya
U. Topper; Übersetzung Edith Lutz)
Quelle:
http://www.laclave.com/noticia.asp?ref=1977 |