Texte von Meir Margalit
Eine Sache beim
richtigen Namen nennen
Meir Margalith (Committee against
House Demolitions, ICAHD)
(Brief an den Herausgeber von
Hagada Hasmalit, 16.3.2005)
Der
Bericht, der von der Anwältin Talia Sasson über die illegalen Außenposten
zusammengestellt wurde, ist ein mutiges und nützliches Dokument. Doch um
seine weiter reichende Bedeutung zu begreifen, ist es auch notwendig,
andere Daten mit einzubeziehen, die nicht in dem Bericht eingeschlossen
sind und die nicht kommentiert wurden. Nach Israels Zivilverwaltung in
der Westbank sind seit dem Jahr 2000 etwa 800 den Palästinensern gehörende
Gebäude zerstört worden. Die Erklärung, die dazu gegeben wurde, war, es
seien illegale Bauten gewesen.
Das
wirkliche Ausmaß dieser Schande und der Umfang des Verfalls ( von Ethik
und Moral in Israel) wird offensichtlich, wenn man diese Daten mit dem
Bericht der Hauszerstörungen der Palästinenser vergleicht. Der Bericht
spricht Bedenken an, dass mangelhafte Rechtsnormen, die in der Westbank
( unter Siedlern) vorherrschten, sich in Israel ausbreiten und die
Herrschaft des Gesetzes untergraben könnten.
Dies ist
jedoch nicht die größte Bedrohung, der sich Israel gegenüber sieht. Der
schlimmste Aspekt der ganzen Affäre ist der, dass der Bericht nicht nur
das umfangreiche Netzwerk der Legalisierung illegaler Außenposten aufdeckt
– schlimmer ist, dass er die Stufe der Ethik entlarvt, auf die wir
gesunken sind.
Ein
Staat, der Bürger auf Grund ihrer Volkszugehörigkeit unterscheidet, der
doppelte Moral praktiziert, die sich auf Religion gründet, und Kriterien
nach der Nationalität bestimmt, ist ganz klar ein rassistischer Staat. Wir
sind dabei, zum einen den Rassismus des Apartheidregimes gegenüber den
Schwarzen und zum andern das, was während der Geschichte Juden
aufgezwungen worden war, zu wiederholen. Unsere Aktionen in den besetzten
Gebieten vom Kontrollpunkt bis zur Trennungsmauer, von der Landenteignung
bis zum Ausreißen der Bäume, von den Absperrungen bis zu den Belagerungen
– all das schreit: Rassismus, der mit dem Siegel rassistischer
Diskriminierung versehen ist.
Rassistische Ideologie steckt hinter jedem Außenposten und vernichtet
unsere Ethik und Moral. Jeder illegale Caravan ist ein sichtbares Zeichen
faschistischer Ideologie, die sich unter uns breit macht.
Der
Bericht der Anwältin Sasson beschreibt die systematische Art und Weise, in
der die Ideologie des rechten Flügels, verbunden mit dem Yesha-Siedlerrat
(Beit midrasch), die wichtigsten Institutionen des Staates,
einschließlich der Zivilverwaltung ( der besetzten Gebiete), übernommen
hat. Alles versinkt in einem Morast von Rassismus.
Die
Zivilverwaltung, die den Siedlern hilft, das Gesetz zu umgehen, erteilt
gleichzeitig Tausende von Abrissbefehlen von arabischen Wohnungen, und sie
zögert nicht, sie im Namen des Gesetzes zu zerstören. Mehr als 800 Häuser
unschuldiger Familien wurden vollkommen zerstört. Es waren keine Familien
von Terroristen. Die einzige Sünde dieser Leute war, dass sie ohne
Genehmigung gebaut haben. Dies wird Rassismus genannt – auch wenn es uns
schwer fällt, dieses Wort auszusprechen.
Da gibt
es nichts Unangenehmeres als jüdischem Verhalten Rassismus zuzuordnen. Wir
werden von Assoziationen überwältigt, die uns an dunkle Orte führen, wo
wir die letzten Opfer rassistischer Ideologie waren. Trotzdem müssen wir
diesem Bericht aufmerksam lesen. Während wir dies tun, versuchen wir, die
Situation zu verstehen und fragen uns, wie ist es möglich, dass wir in
diesen Abgrund geraten sind und uns mit den rassistischsten Staaten der
Welt verbunden haben.
Sassons
Bericht reflektiert das wahre, doch verzerrte Gesicht unmaskiert, doch
weigert er sich, die Sache beim richtigen Namen zu nennen. Er unterlässt
es, den ideologischen Hintergründen der Außenposten nachzugehen und sieht
davon ab, einen Spaten einen Spaten zu nennen. Er konzentriert sich mehr
auf das Verfahren als auf die fundamentale Bedeutung ( der Außenposten).
Die Anwältin Talia Sasson hat das Wesentliche nicht begriffen. Es geht
nicht um vernünftige Verwaltung; es geht um jüdischen Rassismus, der von
religiösem Fundamentalismus und einem rechten Nationalismus herkommt, den
beiden Grundelementen eines jeden faschistischen Staates. Die Siedler
tragen die Flagge der nationalistischen Ideologie, die typisch
faschistischen Inhalt einschließt; der Regierungsmechanismus, der die
Siedler, das Militär, die Regierung und die Agenturen unterstützt, ist
zum Sklaven dieser Ideologie geworden.
Solange
der Staat nicht die Fesseln der extremen Rechten abschüttelt, geht der
Prozess, faschistisch zu werden, immer weiter. Der Staat Israel ist von
einem krebsartigen Rassismusgeschwür befallen. Das muss als Teil eines
Heilungsprozesses immer wieder ausgesprochen werden. Wenn wir die Sache
nicht beim richtigen Namen nennen, wenn wir unsern Schmerz nicht laut und
öffentlich hinausschreien, wird die Öffentlichkeit es versäumen, ihre
Augen gegenüber dem Ausmaß des Verfalls zu öffnen, und wird ihm gegenüber
keinen Widerstand leisten.
(dt. Ellen Rohlfs)
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