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Rede von Dr. Ruchama Marton
in Stockholm
Anlässlich der Preisverleihung des Rightlivelihood
Award/ Alternativen Nobelpreis
6.12.2010
im Schwedischen Parlament.
Sehr geehrter Sprecher
und Mitglieder des Parlamentes, sehr geehrte
Preisträger des Right Livelihood Award, Excellenzen
und liebe Freunde,
Im Januar 1988 kurz
nach Beginn des Ausbruchs der 1. Intifada – dem pal.
Aufstand gegen die israelische Besatzung sammelte
ich eine Gruppe von 11 israelischen Ärzten und wir
gingen das Al-Shifa-Krankenhaus in Gaza besuchen.
Es war ein
schockierendes Erlebnis. Wir wurden zu Zeugen erster
Hand, wie die Israelis auf den zivilen Aufstand
reagierten: Schusswunden, Leute wurden mit Knüppeln
bewusstlos auf den Kopf geschlagen, Jugendliche mit
gebrochenen Händen und Füßen uam.
Schockierend war für
uns auch der Zustand der medizinischen
Einrichtungen, besonders als wir den führenden
technologischen Standard medizinischer
Einrichtungen, wie wir ihn mit dem in unseren
Krankenhäusern in Israel verglichen, sahen.
Al.Shifa war eine Regierungseinrichtung, also unter
der Aufsicht und Verantwortung der israelischen
Besatzungsbehörden. Wir fragten uns selbst, warum
gibt es hier nicht denselben Standard wie bei uns?
Warum sind die palästinensischen Ärzte dem
Militärregime untergeordnet und ständig wegen
politischer Gründe bedroht?
Nun sind zwei
Jahrzehnte vergangen. Aus einer Pionierorganisation,
die die Menschenrechte der israelischen
Öffentlichkeit nahe brachte, haben wir uns zu einer
führenden Menschenrechtsorganisation entwickelt.
Gegründet und geleitet von einer Frau, errichteten
wir ein Modell feministischer, sozialer
Grasswurzelführung, dem schnell von anderen
nachgeeifert wurde. Innerhalb eines oder zweier
Jahre folgten der Gründung von PHR-Israel neue NGOs,
die von Frauen aufgebaut und geleitet wurden und so
deutlich machten, dass feministischer Aktivismus
seinen Kompetenzbereich erweitert: vom Kampf für die
Frauenrechte zu einer neuen Kapazität, in der es
die ganze Welt zu verändern galt.
PHR-Israel ist jetzt
eine ältere, besser etablierte Organisation – aber
unser Engagement zu unseren Werten hat sich nicht
verändert. Wir sind entschlossen, bei unserer
Tätigkeit weiter für das Ende der Besatzung
einzutreten, in unserm Kampf für das Recht der
Gesundheit der unter Besatzung lebenden
Palästinenser und für alle Gefangenen und
Verhafteten einzutreten. Gleichzeitig erweitern wir
unsere Aktivitäten, um das Recht der Gesundheit für
Randgemeinschaften innerhalb Israels einzutreten:
Gastarbeiter, Asylsuchende, Bewohner von nicht
anerkannten Beduinendörfern innerhalb Israels, die
Armen und jene Bürger Israels, die unter
Diskriminierung leiden. PHR Israel arbeitet in den
schwarzen Hinterhöfen der israelischen Gesellschaft,
in den schwarzen Hinterhöfen, die keiner sehen will
und um die sich sonst keiner kümmert.
Tatsächlich redet man
heute in Israel allgemein über Menschenrechte – aber
man achtet sie nicht. Seit kurzem werden Mitglieder
der Menschenrechtsorganisationen vermehrt als
Verräter denunziert. Unsere Forderung nach wahrer
Gleichheit und unsere andere Weltsicht gegenüber der
militaristischen Methode in der Erziehung, Bildung
und Politik sind der Hauptgrund für diese
Denunziation. Der Angriff geschieht auf mehreren
Ebenen, er kommt über die Gesetzgebung, die Medien,
Akademiker des rechten Flügels und NGOs.
Es ist ein Augenblick
des Tests, es ist der Moment, in dem
Menschenrechtsorganisationen unter Bedrohung ihren
Standpunkt sogar klarer und deutlicher als vorher
zum Ausdruck bringen sollen. Die Ärzte für
Menschenrechte in Israel werden an dieser Aufgabe
wachsen, weil für uns die moralischen und
Rechtstraditionen der Menschenrechte, der Gedanke
der sozialen Gerechtigkeit und die Prinzipien der
medizinischen Ethik mit eine feministischen
Weltsicht von Partnerschaft und Solidarität
verbunden sind.
Mein Weg als
Frauenaktivistin begann lange bevor ich die PHR-I
gründete, lange bevor ich wusste, was radikaler
Feminismus war oder ich die Gelegenheit hatte,
Theoretisches darüber zu lesen. Ich kämpfte als
Soldatin in einer von Männern dominierten
militaristischen Gesellschaft, später gegen die
Diskriminierung von Medizinstudentinnen an den
Medizinhochschulen, wo man uns bat, dankbar über die
Quote von 10% weiblicher Studenten zu sein. All
diese Erfahrungen dienten dazu, mich für ein Leben
von Aktivitäten zu trainieren und mich zu befähigen,
PHR zu gründen und ihnen diesen inhärenten Glauben
zu geben, dass die Arbeit für Menschenrechte mit
der Gesellschaft und nicht nur für die Gesellschaft
getan werden muss.
Wir sind ein Teil der
Gesellschaft; wir sind Bürger wie wir Ärzte sind,
deshalb sind wir zu sozialer Gerechtigkeit und den
Menschenrechten verpflichtet. Wir erheben unsere
Stimme für die , die keine Stimme haben, die Opfer
der Folterungen, die Gefangenen und all die
Ohnmächtigen in unserer Gesellschaft.
Wir kämpfen gegen
Unrecht, das mit menschlichem Verhalten zu tun hat,
wie wir gegen Krankheiten kämpfen, die durch Viren
und Mikroben verursacht werden. Wir setzen uns für
die Veränderung des Systems oder der Politik ein,
die das Leiden verursacht, dem wir täglich in
unsern Kliniken und Interventionen begegnen. Unsere
radikale politische Arbeit hat verschiedene Aspekte
des israelischen Gesundheitssystems verändert. Wir
spielten eine wichtige Rolle beim israelischen
Obersten Gerichtshof, als es um Entscheidungen gegen
Folterungen ging. Doch muss hier noch viel getan
werden.
Solidarität ist unser
Leitprinzip in unser Arbeit mit Palästinensern und
mit anderen Machtlosen und aus der Gesellschaft
ausgeschlossenen. Wir versuchen unser Bestes
gönnerhafte und philanthropische Methoden zu
vermeiden . Während wir direkt in medizinische
Tätigkeiten am Einzelnen, deren Rechte verletzt
wurden, in unsern mobilen und offenen Kliniken
engagiert sind, erfahren wir die Gründe, warum diese
Menschen keinen Zugang zu entsprechender
Gesundheitsversorgung haben. Wir bemühen uns, eine
radikale Lösung für dieses Problem zu finden und
verlangen Verantwortlichkeit von denen, die an der
Macht sind.
Wir fördern ständig
kritisches Denken, das uns ermächtigt, uns gegen die
ungestüme Umarmung des Mainstream zu wehren. Denn
ich versichere Ihnen, viele wollen uns zum Schweigen
bringen und uns in einen Wohltätigkeitsverein
verwandeln, der keine politische Botschaft trägt.
Wir wissen aber, dass es keine humanitäre Lösung für
humanitäre Krisen gibt. Wir wissen, dass eine
humanitäre Krise ein Ergebnis politischer Ursachen
und bösem Willen ist. Hunger, von einer
Naturkatastrophe verursacht, kann besser durch eine
gerechte politische Aktion gelöst werden. In
unserer Region – wird die Katastrophe von Menschen
gemacht.
Für uns bei den
PHR-Israel insbesondere und für die
Menschenrechtsgemeinschaft in Israel im allgemeinen,
kommt der RLA-Preis genau zur rechten Zeit. Er
ermutigt unsere Freunde, Freiwillige und Mitglieder
– ohne sie würde unsere Arbeit nicht möglich sein –
in einer der schwierigsten Zeiten für die
israelische Gesellschaft. Wir leben in einer
Gesellschaft, die ein Leben der Täuschung lebt: sie
glaubt, dass wir die einzigen Opfer sind; dass die
lange Besetzung aus Sicherheitsgründen nötig sei;
das wir eine Demokratie ohne Rassismus oder
Fremdenfeindlichkeit seien, kein Apartheidregime.
Stimmen wie die unsrigen werden angegriffen, um uns
zum Schweigen zu bringen. Ihre unterstützende Stimme
könnte wesentlichen Einfluss auf die öffentliche
Meinung und die Politikmacher in Israel haben.
Für alle von uns gibt
dieser Preis einen Moment des Stolzes und der
Anerkennung für ein Leben des andauernden Kampfes,
der oft getadelt wird. Es ist für einen Arzt oder
eine Krankenschwester keine leichte Entscheidung,
sich den Ärzten für Menschenrechten in Israel
anzuschließen. Sie werden von ihren KollegInnen als
„politisch“ kritisiert, als ob die Medizin ein
neutraler Beruf sein könnte. Weil Gesundheit vom
Regime als Mittel benützt wird, seine Bürger zu
kontrollieren, auch die ohne Dokumente und die
Palästinenser unter Besatzung. Durch das Recht auf
Gesundheit können wir am besten gegen solche
Kontrollen und die Besatzung kämpfen.
Heute, wenn
verschiedene NGOs delegitimiert werden, besonders
jene, die sich für die Menschenrechte der
Palästinenser unter Besatzung einsetzen oder die
darum kämpfen, eine inklusivere Gesellschaft zu
erreichen, zögern Ärzte, sich uns anzuschließen. Der
Staat wird immer ethnozentrischer und die
demokratischen Werte sind gefährdet. Die
Gesellschaft wird immer weniger tolerant, und sie
bezeichnet die israelisch palästinensischen Bürger
als „fünfte Kolonne“; Asylsuchende als eine Gefahr
für den jüdischen Charakter des Staates;
Anti-Besatzungsaktivisten und Menschenrechtsgruppen
als eine Bedrohung der Existenz des Staates, als ob
es nur eine Möglichkeit gäbe, Israel zu erhalten,
und zwar über militärische Kontrolle, Unterdrückung
und Demütigung des anderen. Das Ergebnis dieses gut
koordinierten Angriffes ist eine Einschränkung des
Diskurses der öffentlichen Debatte, die so
wesentlich für jeden demokratischen Prozess wäre. Zu
diesem Zeitpunkt gibt der Preis nicht nur
Anerkennung für vergangene Leistungen, sondern
spielt eine bedeutende Rolle bei der Unterstützung
unseres gegenwärtigen Kampfes.
Ich fühle mich geehrt,
dass ich heute hier stehen darf in Gesellschaft der
anderen Preisträger.
Anerkannt zu werden,
mit ähnlicher Unverwüstlichkeit und Errungenschaften
wie sie, ist die beste Belohnung, die ich mir hätte
erhoffen können. Eine von Euch zu sein ist
außerordentlich bedeutsam, da ich selbst und PHR-I
dringend die moralische Unterstützung und
Anerkennung benötigen.
Im Namen des
unermüdlichen und wunderbaren Stabs der Ärzte für
Menschenrechte, der Freiwilligen und Mitglieder, im
Namen unserer lieben palästinensischen Partner aus
den besetzten Palästinensischen Gebieten; und im
Namen all derer, die uns unterstützen, nehme ich mit
Bescheidenheit den Preis an. Im Namen all dieser aus
Israel und den besetzten Gebieten darf ich Ihnen
meinen großen Dank ausdrücken. Mit ihrem Engagement
bauen wir die Gesellschaft auf, derer wir uns nicht
zu schämen brauchen, sondern stolz sein werden auf
ihre Einstellung gegenüber den Menschenrechen.
Vereinigen wir unsere
Stimmen, dass sie laut und deutlich zu vernehmen
sind. Denn Schweigen ist die Sprache der
Komplizenschaft, laut auszusprechen ist die Sprache
des Wandels.
Vielen Dank.
(dt. Ellen Rohlfs)
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