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Erste Geige - Vorspiel
zum Dialog
Noam Ben Zeev, Haaretz, 24.12.07
„Ich war schockiert, als ich diese Mauern sah; es ist eine neue
Apartheid, ein barbarisches Verhalten; wie kann man solch eine
kollektive Strafe verhängen und ein Volk /Menschen trennen?
Schließlich leben wir doch auf dem selben Planeten. Die Welt sollte
eigentlich schon von Südafrika gelernt haben. Und ein Land, das
nichts gelernt hat, sollte boykottiert werden – deshalb werde ich in
eurem Land kein Konzert geben.“
Dies war in diesem Sommer die Antwort in einem Interview mit
Haaretz mit dem international bekannten britischen Geiger Nigel
Kennedy, als er gefragt wurde, warum es israelischen Impressarios
trotz mehrfacher Versuche nicht gelungen war, ihn hierher zu holen.
Kennedys Kommentar berührte einen Punkt, der selten diskutiert wird,
wenn man über den Boykott Israels spricht: der kulturelle Boykott
und besonders der musikalische Boykott.
Die
automatischen Antworten von Boykottgegnern kamen denn auch bald.
Wie gewöhnlich waren sie mit Beleidigung und Schikanen verknüpft.
Besonders auffallend war dabei die Anklage des Antisemitismus, die
sofort gegen jeden Boykottier vorgebracht wurde, wer immer es auch
sein mochte. (Ein Blick auf Kennedys Leben und den kulturellen
Reichtum darin, einschließlich des jüdischen Elements, lässt
ernsthafte Zweifel darüber aufkommen, dass er antisemitisch sei).
Die
falsche Zuhörerschaft getroffen
Offensichtlich wird auch der Spott britischer Heuchelei (die auf
Israel herumhackt, während in China und im Sudan weitaus größere
Verbrechen begangen werden), als ob die Ungerechtigkeiten, die dort
geschehen und auch jene, die Großbritannien selbst heute noch
begeht, die Tragödie rechtfertigt oder auslöscht, die Israel den
Palästinensern zufügt. Als ob Heuchelei an sich schon ein Verbrechen
sei.
Eine Behauptung wurde aufgestellt, dass besonders Musiker und
Musikliebhaber das am wenigsten geeignete Ziel für einen Boykott
seien, weil es unter ihnen Linke gäbe, die gegen die Besatzung
sind. Aber wer in dieser Gesellschaft protestierte gegen die
Zerstörung von Musikinstrumenten in Ramallah während der Operation
„Schutzschild“? oder gegen die Belagerung von Nablus, die einen
Musiklehrer daran hinderte, in zusätzliche Unterrichtsstunden zu
gehen und Instrumente anzuschaffen ? Und die Demütigung von Musikern
an den Kontrollpunkten, die Verhaftung und schließlich die
Deportation eines Klavierstimmers am Ben-Gurion-Flughafen; die
Einschränkung der Bewegungsfreiheit, die dahin führte, den
Kinderchor von Bethlehem aufzulösen; die Blockierung des Busses
voller Musikstudenten auf dem Weg zum Sommerlager? Das bewusste
Nicht-sehen-wollen solcher Ungerechtigkeiten innerhalb der
musikalischen Gesellschaft in Israel macht sie nicht weniger
verantwortlich als irgendeine andere.
Ob
man nun die Musik bei der Boykottdebatte mit einbezieht: Musik
gründet sich schließlich ihrem Wesen nach auf Dialog, auf inneren
Ausdruck und gleichzeitig auf das Hören auf andere. Die Tatsache,
dass es sich hier auch um eine abstrakte Kunst handelt, der die
Worte fehlen, hat anscheinend die Kraft, Brücken zu bauen, die zu
Zusammenarbeit und gegenseitigem Verständnis führen. Ein
israelischer Geiger und ein syrischer Geiger, die zusammen vor ein
und demselben Notenblatt mit Beethovenmusik im
Ost-Westlichen-Diwan-Orchester sitzen, führen gemeinsam einen
Dialog. Aber der Definition nach wird ein Dialog zwischen Gleichen
geführt. Man kann aber schwerlich sagen, dass Israelis und
Palästinenser in dieser Situation Gleiche sind.
Musiker klassischer Musik haben in sich einen fest verwurzelten
Konservativismus. Sie sind wie eine unterdrückte Minderheit. Deshalb
schweigt ihre Stimme, was den Boykott betrifft. Eine Ausnahme ist
die britische Sängerin Emma Kirkby, die trotz ihrer mutigen Kontakte
mit der israelischen Szene und der auf Gegenseitigkeit beruhenden
Liebe zwischen ihr und ihrer Zuhörerschaft und den
Musikeinrichtungen hier im Jahr 2000 einen Boykott ankündigte „bis
die Besatzung endet.“
Andere ausländische Musiker fühlen sich nicht wohl, wenn sie in
Israel auftreten, sind aber weniger bekannt wegen ihrer
Verweigerung, in Israel zu spielen. Ihre politischen Gründe sind
deshalb weniger wichtig. Wer kümmert sich darum, und in wie weit
wird ihr Boykott zum Ende der Besatzung beitragen, wenn sie einfach
durch andere ersetzt werden, und ihr Protest nicht gehört wird?
Deshalb könnten anscheinend die Musiker und vor allem die bekannten
unter ihnen, wie Kennedy und Kirkby, eine wirksamere Methode
anwenden: Statt zu boykottieren und dann vergessen zu werden,
sollten sie kommen und reden. Sie könnten ihren Besuch von einer
Veranstaltung in den palästinensischen Gebieten abhängig machen: in
Konzerten, Meisterklassen, Workshops oder in Vorträgen und dadurch
öffentlich und privat ihre Stimme zu diesem Thema hören lassen. In
die israelische Öffentlichkeit sickert langsam das Wissen, dass auch
die Palästinenser - genau wie wir - klassische Musik lieben, ein
Mozartfestival organisieren können und Workshops für zeitgenössische
Musik halten. Dass auch sie Konservatorien, Jugendorchester und
Kammermusikkonzerte haben. Und dass auch sie eine Konzerthalle mit
einem Symphoniekonzert mit einem festlichen Auditorium füllen
Die
Israelis sind noch immer geschockt, wenn sie hören, dass Musiker in
Jenin Geige spielen oder dass es in Ramallah ein
Jugendsymphonieorchester gibt. Um ihnen dieses ins Bewusstsein zu
bringen, gibt es da einen besseren Weg, als zu erklären, dass jeder
Musiker, der Israel besucht, auch dort drüben auftreten wird?
Das
wird einen Dialog zwischen Impressarios und Institutionen auf beiden
Seiten über den Austausch von Musikern anregen. Die wachsende Anzahl
von Veranstaltungen wird möglicherweise auch die Bürde der
Finanzierung für jede Institution verringern.
Auf
diese Weise werden viele Musiker mit den Problemen in der Region
konfrontiert und vielleicht bilden sie sich auch darüber eine
unabhängige Meinung. Palästinenser werden neue Kontakte knüpfen,
erweiterte Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft
erhalten und sich immer mehr international bekannter Künstler
erfreuen können, die nach Israel kommen. Dies ist eine Situation, in
der Grassroot-Organisationen eine Chance haben, Einfluss auf die
Entscheidungsgremien auszuüben, die über ihnen stehen.
„Es
ist nicht im Interesse der Palästinenser, Pilgerreisen von Musikern
nach Israel willkommen zu heißen, nur damit wir vielleicht auch
profitieren“, sagte ein palästinensischer Künstler, einer von denen,
die den Boykott gegen Israel befürworten. Nach ihm „ist dies eine
lokale Behandlung des Problems und auf diese Weise wird es nicht
gelöst. Die Kosten, die die Israelis für die Besatzung zahlen, muss
durch Erweiterung des Boykotts angehoben werden. Und gleichzeitig
muss eine echte und unabhängige Beziehung von uns mit der
internationalen Gemeinschaft geschaffen werden – nicht auf dem Weg
über Israel“.
„Ich bin nicht an der Stingveranstaltung (?) in Ramallah
interessiert, weil sie mit Bedingungen in Israel aufzutreten
verknüpft war, sondern weil er das genau aus freiem Willen und aus
echter und gemeinsamer Initiative mit uns wählte. Ihr müsst euch
andere Wege aussuchen, um die verzerrte Darstellung von uns als
Halb-Menschen zurechtzurücken.“
(dt. Ellen Rohlfs, Christa
Clamer)
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