Der Zionismus stirbt zwischen Hebron und
Ytzhar
Zeev
Sternhell, Haaretz, 8.8.2008
„Das zionistische Unternehmen,“ sagte Berl Katznelson 1929, als er
die ersten zehn Jahre der Ahdut Ah Avoda-Bewegung zusammenfasste,
ist ein Eroberungsunternehmen.“ Und im selben Atemzug fügte er
hinzu: „Es ist nicht zufällig, dass ich militärische Termini
verwende, um die Besiedlung des Landes zu beschreiben.“ Und
tatsächlich – der Zionismus war eine Bewegung der Eroberung und alle
Mittel waren erlaubt, um diese Aufgabe auszuführen.“
Doch was unbedingt erforderlich und deshalb in den Tagen vor der
Staatsgründung gerechtfertigt war, nimmt jetzt eine hässliche und
gewalttätige Form kolonialer Besatzung an: das autoritäre Regime in
den besetzen Gebieten, die Schaffung von zwei Rechtssystemen, die
Armee und die Polizei im Dienste der Siedlungsbewegung, das Rauben
des palästinensischen Landes. Dies alles symbolisiert nicht die
Erfüllung des Zionismus, sondern seine Beerdigung. Es ist zwischen
Hebron und Yitzhar, wo die Siedlungen den demokratischen jüdischen
Staat beerdigen.
Wie andere koloniale Regime versucht die Regierung in den besetzten
Gebieten unter dem Deckmantel der Dunkelheit zu operieren. Einem vor
drei Wochen von Peace Now organisierten Besuch mit etwa 250
Teilnehmern war es verboten, Hebron zu betreten. Das Gebiet wurde
vom Chef der Hebronbrigade zur militärisch geschlossenen Zone
erklärt, aber die Hebroner Polizei verhinderte lokale Burschen nicht
daran, die Teilnehmer dieser Tour anzugreifen. Die Polizei hielt
andere Wagen auch nicht an, die aus der Stadt heraus- oder in sie
hineinfahren wollten. Wir können nur vermuten, dass wenn Mitglieder
des Likud und der national-religiösen Partei zu einem Besuch
gekommen wären, dann wäre dieses Gebiet nicht geschlossen worden,
und die Armee würde die Besucher bedient haben.
Der Chef der Hebronbrigade ist dieselbe Person, die bei anderer
Gelegenheit im TV gesehen wurde, wie sie einen B’tselem-Fotografen
grob festgenommen hat: der Mann hatte nur aufgenommen, was sich vor
seinen Augen abspielte. Und in den besetzten Gebieten ist das ein
schweres Verbrechen. Wenn da eine Kamera vor Ort ist, ist das
Leugnen von Fällen von Misshandlung und Demütigung oder wie das
Schießen auf einen gefesselten Palästinenser nicht möglich.
Am
schlimmsten aber ist die Tatsache, dass hinter dem
Brigadekommandeur, der nur wie ein kleines Zahnrädchen (im Getriebe)
ist und der nur im Geiste seiner Kommandeure operiert, dass hinter
dem Bataillonkommandeur, dessen Soldat in Na’alin auf den Abzug
drückte – die ganze Kommandokette der besetzten Gebiete liegt. Dies
sind die Leute, die die Verantwortung für die jungen Soldaten haben.
Doch soweit es die Öffentlichkeit betrifft, ist Ehud Barak die
Person, die die Hauptverantwortung für die Partnerschaft zwischen
Siedlern und Sicherheitskräften trägt. Wir müssen so bald wie
möglich und ein für alle mal der Kultur der Gewalt ein Ende setzen,
die in den besetzten Gebieten herrscht, eine Kultur, die die
jüdische Kriminalität und die täglichen Schikanen gegenüber der
zivilen palästinensischen Bevölkerung nährt.
Bus-Touren über das Land der Siedler wäre für jeden dringend nötig,
der wissen will, was um ihn herum geschieht. Jeder, der sich vor Ort
umsieht, versteht sofort, dass das Problem nicht in den sog.
„illegalen“ Außenposten liegt. Auch wenn man nicht so sehr darauf
aus ist, mit solchen Siedlerburschen, die sich über Gesetze und
Regierungsentscheidungen hinwegsetzen, an einander zu geraten, so
ist das schon wie eine Strafe. Doch ist das nicht das
Haupthindernis, die Besatzung zu beenden. Das Problem liegt in der
Siedlungsbewegung selbst, am israelischen Hunger nach Land.
Der wirkliche Grund für die Siedlungen, zunächst auf den Golanhöhen
und später im Jordantal und in den zentralen judäischen Hügeln war,
das Land zu besetzen: die geistlichen Erben und Jünger von Berl
Katznelson und sogar diejenigen seiner Generation, die noch leben,
sehen keinen Grund, das Werk nicht fortzusetzen. Realistische Leute
wie Levi Eshkol und Pinhas Sapir hatten keine intellektuelle und
moralische Antwort auf die Forderung, den Weg weiterzugehen, der bis
dahin für den Zionismus der einzig mögliche war. Auf der andern
Seite stand die revisionistische Rechte und Gush Emunin.
Zusammengefasst waren die Rechten genau wie die Linken bei ihren
Aktionen Partner. Der nationalistisch-messianische Eifer und der
Wunsch, den Unabhängigkeitskrieg zu vollenden, mündete in dem
Impuls der Besatzung. Die ganze Rechte und der größte Teil der
Linken – ‚wir kehrten heim ins Land der Richter und der Könige der
davidischen Dynastie’, sagte der Verteidigungsminister Moshe Dayan
bewegt im Sommer 1967 – trugen gemeinsam die Verantwortung für die
allmähliche Schaffung der Katastrophe, in der sich die israelische
Gesellschaft heute suhlt ( wallow).
Da
es unmöglich war, legal die Kontrolle über das Land zu nehmen,
entwickelte sich in den besetzten Gebieten eine mafiaartige Kultur
des Diebstahls, der Lügen und der Täuschungen, in denen verschiedne
Regierungsbehörden sich noch immer suhlen, vom den Ministern im
maßgeschneiderten Anzug bis hin zu den letzten Polizisten, die auf
den Schnellstraßen schwitzen.
Im
Gegensatz zu den Regeln des internationalen und des israelischen
Gesetzes, im Widerspruch zu den elementaren Regeln der
Gerechtigkeit, entgegen aller Logik und allem echten israelischen
Interesse wurden weite Teile des Landes um der Siedler willen
konfisziert und riesige Summen ausgegeben.
Aber nach Jahren hat sich der Golem gegen den Schöpfer erhoben: Als
der Öffentlichkeit schließlich klar wurde, dass, falls die jüdisch
nationale Bewegung nicht die universalen Grundwerte der
Menschenrechte, der Demokratie und der Gesetzesvorschriften annimmt,
sie sich selbst zur Zerstörung verurteilen wird. Solch negative
Kräfte sind schon über die Grüne Linie geschwappt, die nun alle in
Israel zu ertränken drohen.
Auf diese Weise hat eine Minorität die Kontrolle über das Schicksal
der ganzen Gesellschaft und hält diese als Geisel – dank der
ideologischen Impotenz der Linken und einem Mangel an Charakter,
Entschlossenheit und Führung. Wenn die Gesellschaft nicht die
emotionale Stärke findet, die ( würgende) Schlinge der Siedlungen
zu entfernen, wird nichts außer einer traurigen Erinnerung an den
jüdischen Staat, wie er (angeblich jetzt ER) noch existiert,
bleiben.
(dt. Ellen Rohlfs)
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