Warum Israel die Westbank
nicht räumen will?
Wie wichtig ist die Frage
des Westbank-Wassers?
Gespräch mit einem Wasserexperten
Von :
Hakam Abdel-Hadi
Inzwischen gibt es
weltweit einen Konsens darüber , dass die
Zwei-Staaten-Lösung die einzig mögliche
Friedensregelung für den
palästinensisch-israelischen
Konflikt ist: All
Staaten, einschließlich Israel, sind sich -
zumindest deklamatorisch- darin einig, dass die
Gründung eines palästinensischen Staates in der
Westbank und im Gazastreifen neben dem Staat Israel
möglichst bald erfolgen muss. Nichts ist unmöglich,
wenn alle wollen. Der Verdacht liegt aber nahe, dass
Israel sich aus taktischen Gründen nur verbal dem
internationalen Willen fügt. Warum? Nicht zuletzt
besiedelt Israel unaufhörlich in der Westbank,
weil die Besatzung für Israel unschätzbare Vorteile
bringt; hier seien nur einige dieser Vorteile
erwähnt:
-
Einen Markt
fast ohne Konkurrenz: Etwa 4,5 Millionen
Konsumenten in der
Westbank und dem Gazastreifen kaufen alles von der
Zahnbürste bis zum Computer von Israelischen
Firmen.
- Ein Heer von
billigen Arbeitskräften steht als Reserve der
Israelische
Wirtschaft zur Verfügung.
-
Die
lebenswichtigen Wasserreserven in der Westbank
werden zu
etwa 85 Prozent von
Israel kostenlos ausgebeutet.
Mit der gegenwärtig
ausgeklammerten und doch relevanten Wasserfrage
befassen sich folgende Ausführungen:
Während meines
Aufenthalts in der Westbank im Dezember 2008 hatte
ich die Gelegenheit mit dem Wasserexperten, Prof.
Kamal Abdul-Fattah, dem Geographieprofessor an der
Universität Birzeit in der Westbank ein Gespräch
über die Wasserfrage zu führen. Ich begann das
Interview mit folgender Frage:
Warum waren Sie kein
Mitglied der palästinensischen Delegation bei den
Verhandlungen mit Israel über die Wasserfrage,
obwohl Sie als einer der besten Kenner der
Geographie und der Wasserressourcen des Landes
anerkannt sind?
Seine Antwort lautete:
„Ich wurde damals darum gebeten, aber ich lehnte das
Angebot ab, da ich von Anfang an nichts Gutes vom
Osloer Abkommen erwartet hatte. Ich bin nach wie vor
eindeutig dagegen“.
Es war keine leichte
Aufgabe, ein klassisches Interview mit ihm zu
führen, denn er akzeptierte nicht die Spielregeln,
die unter anderem darin bestehen, relativ kurze
Antworten zu geben. „Verzeihen Sie mir“, sagte er,
„ich habe mich daran gewöhnt, Vorlesungen zu halten,
aber seien Sie nicht ungeduldig. Sie werden sehen,
dass im Zuge meiner Ausführungen die meisten (nicht
gestellten) Fragen beantwortet werden“.
So blieb mir nichts
anders übrig, als in seinem geräumigen Haus, das
oberhalb de Stadt Dschenin/Nordpalästina liegt,
aufmerksam zuzuhören. Es war mir natürlich bewusst,
dass dieser 67-jährige Gelehrte viel zu sagen hat.
Bereits im Jahre 1977 verfasste er einen Sonderband
der „Erlangener Geographischen Arbeiten“,
herausgegeben vom Vorstand der Fränkischen
Geographischen Gesellschaft, unter dem Titel: „Historical
Geography of Palestine, Transjordan und Southern
Syria in the Late 16th Century“ (Historische
Geographie Palästinas, Transjordaniens und des
südlichen Syrien im späten 16. Jahrhundert). Drei
Jahre später beendete er an der Universität Erlangen
seine Promotion über die Bauern und die
traditionelle Landwirtschaft in Assir/im
südwestlichen Saudi-Arabien. Aber das meiste Wissen
über Geographie und Ressourcen Palästinas, hat er -
nach seinen eigenen Angaben- im Lande erworben, da
er während der vergangenen 25 Jahre unendlich viele
Forschungsreisen mit seinen Studenten in Palästina
unternahm. Er kennt alle Dörfer, Täler, Berge,
Flüsse und Quellen seiner Heimat.
Wasser als
Kriegsursache
Während der Erörterung
der Bedeutung des Wassers für das Leben im Nahen
Osten erinnerte ich ihn daran, dass der ehemalige
ägyptische Präsident Sadat Ende der 70-er Jahre die
These vertrat, dass Wasserknappheit Kriege im 21.
Jahrhundert entfachen wird. Prof. Abdul-Fattah
sagte, dass längst vor dieser Erklärung Sadats ein
Krieg wegen der Wasserressourcen ausgebrochen sei,
nämlich der israelisch-arabische Krieg vom Juni
1967. Zwar gab Israel damals vor, dass der Anlass
für die Sperrung der Straße von Tiran ( dem Zugang
zum roten Meer) durch den damaligen ägyptischen
Präsidenten Nasser sei, aber der Grund war in
Wahrheit die Drohung der arabischen Staaten, die
Nebenflüsse vom Jordan (Al Yarmuk, Al Hasbani und
Al Liddan) umzuleiten; dies beschlossen sie auf
ihrem ersten Gipfel im Jahre 1964 in Kairo, und
daraufhin erklärte der israelische Ministerpräsident
Levi Eschkol: „Das Wasser des Jordan ist uns so
kostbar wie das Blut in unseren Adern“.
Dagegen hatte zu jener
Zeit der Zugang zum Roten Meer keine große Bedeutung
für die israelische Wirtschaft, da nur ein Prozent
des israelischen Handelsvolumens damals dadurch
abgewickelt wurde. Nach seinem Sieg im 67-er Krieg
brachte Israel den Löwenanteil des Jordanwassers
unter seine Kontrolle, obwohl die meisten Quellen
auf arabischem Gebiet (Golanhöhen, Libanon und
Nordjordanien) liegen.
Aus der Sicht der
arabischen Staaten betreibt Israel Wasserraub in der
Region, und seit 1967 versorgt die Pumpstation am
See Genezareth israelische Plantagen mit etwa 600
Millionen Kubikmeter Wasser, ohne Rücksicht auf den
Wasserbedarf der benachbarten arabischen Bauern.
Prof. Abdul Fattah
erinnert daran, dass die zionistische Bewegung schon
im Zuge des 1.Weltkrieges bei den Verhandlungen
zwischen Großbritannien und Frankreich über die
Teilung der Nahostregion darum bemüht war, den
höchstmöglichen Anteil der Wasserressourcen für den
künftigen Judenstaat zu sichern. Dieser Staat wurde
bekanntlich in der berühmten Erklärung des
britischen Außenministers Balfour im Jahre 1917 in
Aussicht gestellt. Auch die anfängliche zionistische
Siedlungspolitik konzentrierte sich bereits in den
30-er Jahren um das Gebiet am See Genezareth und die
Jordansenke, unter Berücksichtigung des sog.
„Hydrostrategischen Imperativs“.
Israel hat seit seiner
Gründung im Jahre 1948 das ehrgeizige und erklärte
Ziel, die Negevwüste zu einem grünen Paradies zu
verwandeln. „Daraus wurde nichts“, sagte Prof. Abdul
Fattah, „ denn obwohl es das Jordanwasser
weitgehend allein beansprucht, gelang es ihm in den
vergangenen 60 Jahren nicht mehr als ein Prozent der
Fläche der Negevwüste zu kultivieren. Die Wüste
blieb Wüste, so wie wir sie seit Jahrhunderten
kennen.“
Was wurde
aus dem Grundwasser in der Westbank?
Der Jordan wurde also
von Israel für eigene Zwecke ausgenutzt, aber was
wurde aus dem Grundwasser in der Westbank? Abdul
Fattah spricht von drei Reservoiren:
·
Das westliche
Reservoir in der Nähe von Inibta, Salfit, Ramalla,
Jerusalem, Betlehem und nördlich von Hebron ist das
größte Wasservorkommen, und sein Volumen beträgt
jährlich etwa 500 Millionen Kubikmeter;
·
Das nördliche
Reservoir von Burin in der Nähe von Nablus bis
Dschenin umfasst jährlich etwa 140 Millionen
Kubikmeter;
·
Das östliche
Becken besteht aus einer Reihe von Becken (Al Udscha,
Al Faraa, Dujuk und Kalt) mit jährlich etwa 200
Millionen Kubikmetern.
Demnach beträgt die
Summe der Wasserreserven in den drei Becken etwa 840
Millionen Kubikmeter. Israel gestattet den
Palästinensern nur die Nutzung von 120 Millionen
Kubikmetern, also nur 15 Prozent, während die
Besatzungsbehörden 720 Millionen Kubikmeter (85
Prozent) für ihre Plantagen und Siedlungen abzapft.
„Im Vergleich zu den
palästinensischen Gebieten ist Israel ein gewaltiger
Wasserverbraucher“, sagt Abdul Fattah, und fügt
hinzu: „ Während in Israel 50 Prozent der
landwirtschaftlich genutzten Flächen bewässert
werden, gestattet die Besatzungsmacht die
Bewässerung nur von fünf Prozent solcher Flächen in
der Westbank.“ Dazu kommt natürlich der extrem hohe
Konsum israelischer Bürger und der vielen
ausländischenTouristen im Vergleich zum niedrigen
persönlichen Verbrauch der Palästinenser.
Unschätzbare Wasserwerte
Ich versuchte den Wert
der von Israel in Beschlag genommenen
Wasserressourcen in Euro oder Dollar auszudrücken.
Abdul Fattah erklärte, dass, wenn wir einen Dollar
pro Kubikmeter berechnen würden, was nicht
unrealistisch sei, weil die Türkei einen solchen
Preis für Wasserlieferungen verlange, dann in den
41 Jahren israelischer Besatzung viele Milliarden
Dollars zusammenkämen. Aber so könne man nicht
rechnen, da es sich nicht nur um den Wert des
geraubten Wassers handele, sondern um das Fehlen
eines kostbaren Gutes für die wirtschaftliche
Entwicklung in Palästina, Syrien, dem Libanon und
Jordanien. Prof. Abdul Fattah fuhr fort: „Diese
Länder, die zur dritten Welt gehören, tragen
unfreiwillig zur Entwicklung Israels bei, also einem
der reichsten Länder der Welt“.
Der ehemalige
israelische Ministerpräsident Netanjahu wurde einmal
gefragt, warum Israel das Grundwasser der
Palästinenser weitgehend abzapfe. Er antwortete
lapidar: „ Weil wir es halt brauchen!“ Abdul Fattah
meint, die Palästinenser bräuchten es ebenfalls, und
in vielen Fällen müssten sie auch noch ihre
Wasserrechnung bei den Israelis begleichen. Wie
dramatisch die Wasserversorgung der Palästinenser
sei, könne man in Gaza sehen, wo das Grundwasser
stark versalzen und oft nicht trinkbar sei.
Die Israelis denken
natürlich nicht daran, eine Wiedergutmachung für die
Palästinenser zu leisten. In diesem Zusammenhang
erzählte mir Prof. Abdul Fattah folgende Geschichte:
„ Ajn Haud ist ein Dorf
auf dem Karmel-Berg unweit von Haifa; ihre Bewohner
flüchteten im Jahre 1948 ins Lager von Dschenin.
Einige von ihnen gründeten auf demselben Berg „Ajn
Haud al Dschadida“ (das neue Ajn Haud). Das alte Ajn
Haud wurde nicht wie hunderte palästinensische
Dörfer von Israel dem Erdboden gleichgemacht, da das
Dorf in den Wäldern versteckt und unauffällig war.
Seit den 50-er Jahren wohnen in diesem schönen Dorf
israelische Künstler. Einige Jahre später schrieb
Susan Slimovitz ihre Doktorarbeit über die Bewohner
des alten Dorfes. Sie traf manche von ihnen im
Flüchtlingslager von Dschenin und in der
jordanischen Stadt Irbid. Frau Slimovitz fragte
einen der israelischen Künstler: ‚Wissen Sie, dass
Sie im Haus eines entwurzelten palästinensischen
Flüchtlings wohnen, der im Lager von Jenin
dahinvegetiert?’ Er erwiderte: ‚ Das bedauere ich,
aber was kann ich für ihn tun?’ Slimovitz:
Was halten Sie davon,
ihm sein Haus zurückzugeben?’ ‚ Nein, ich denke gar
nicht daran’, antwortete er. Sie lenkte ein: ‚ Was
halten Sie davon, ihm wenigsten die Miete des Hauses
zu zahlen, um Ihre gute Absicht zu zeigen?’ ‚Nein,
das werde ich niemals tun’, erklärte der Künstler.
Prof. Abdul Fattah
sagte in aller Deutlichkeit: „Die israelische
Politik kann kein einziges vernünftiges Argument
anführen, dass den Wasserraub legitimiert. Seine
Wasserversorgung sichert es allein mit Waffengewalt.
Die Palästinenser müssten dennoch auf ihren Rechten
beharren. Es gibt keine Alternative dazu“.
Ich verließ den
freundlichen Gelehrten und hätte ihm gerne eine
weitere Frage gestellt, aber ich kam leider nicht
dazu. Ich hätte ihn nämlich gerne gefragt, warum die
Palästinenser nichts gegen diese himmelschreiende
Ungerechtigkeit tun. Wahrscheinlich hätte er
geantwortet: Das Wasser ist im Bauch der Erde, und
die Erde haben die Israelis den Palästinensern
weggenommen.
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