"Aus den gequälten Seelen entsteht Hass,
Zorn und Wut"
- Von Sumaya Farhat-Naser
Im Folgenden
dokumentieren wir die Rede von Sumaya Farhat-Naser, Professorin an der
Bir-Zeit-Universität (Palästina), auf der Abschlusskundgebung in Berlin am
15. Februar 2003.
Verbunden mit Millionen Menschen in der ganzen Welt stehen wir heute hier,
um den Krieg nicht als Mittel der Konfliktlösung gelten zu lassen. Wir sind
verbunden mit allen Menschen, die sich gegen den Krieg erheben: in New York,
Paris, London, Baghdad, Tel Aviv, Tehran, Nablos,Ramallah und mit allen
Menschen, die nicht demonstrieren dürfen.
Krieg kann niemals eine Rettung, und Gewalt kann niemals Frieden schaffen.
Krieg tötet und zerstört. Wer sorgt sich um die Menschen in Irak?
Anscheinend bleiben sie bedeutungslos, denn es geht um die Beherrschung der
Region und ihrer Ressourcen.
Die globalen geo-strategischen Kräfteverhältnisse verleiten die Mächtigen,
sich als die alleinigen Besitzer der Weisheit zu sehen, als die, die allein
über das Recht verfügen, über Leben und Tod anderer zu bestimmen.
Wer vom Krieg profitiert, sucht Rechtfertigung dafür im Namen der Religion
und der Demokratie, im Namen von Sicherheit und Frieden. Mit dem gemeinsamen
Entschluss der Mächtigen zum Krieg, um gemeinsam vom Krieg zu profitieren,
setzt sich die Globalisierung durch, ungeachtet der Schäden an Freiheit,
Menschlichkeit und Moral.
Für die Kriegsführung stehen unbegrenzte Ressourcen bereit. Planung,
Vorbereitung, Durchführung sowie Medienarbeit sind in vollem Gange. Was wäre
möglich, wenn ein Bruchteil all dieser Bemühungen und Kosten dem Frieden
gewidmet würde? Wenn der Irak militärisch bezwungen ist: Welches Land kommt
dann als nächstes? Welches Land hat keine vernichtenden Waffen? Welches Land
ist wirklich demokratisch? Warum versagt die internationale Gemeinschaft,
wenn die Resolutionen der UNO im Palästina-Israel Konflikt nicht respektiert
werden? All dies sind Fragen, die die Völker im Nahen Osten mit Angst und
Verbitterung stellen.
Als Palästinenserin verurteile ich den geplanten Krieg gegen den Irak, weil
ich weiss, was ein Krieg ist. Wir sind Opfer der vielen Kriege im Nahen
Osten: Die Vertreibung der Hälfte unseres Volkes ist auf den Krieg von 1948
zurückzuführen. Über drei Millionen Flüchtlinge leben seit über 50 Jahren im
Exil, im Gefühl des erlittenen Unrechts und der Unterdrückung. Die
35-jährige Besatzung unseres Volkes in der Westbank und im Gazastreifen ist
eine Folge des
sog. 6-Tage-Krieges.
Im Krieg von 1973 wurden Hunderttausende von Palästinensern erneut
vertrieben. Seit April 2002 sind wir einem ungewöhnlichen Kriegszustand
ausgeliefert, in welchem täglich Menschen getötet werden, ohne dass diese
Toten inzwischen noch eine Zeitungsmeldung wert wären. Wir werden unserer
Würde als Menschen beraubt, unsere Gesellschaft wird zerstört, unsere
Existenzgrundlage wird vernichtet. Wir alle, Palästinenser und Israelis,
verlieren an Menschen und an Menschlichkeit, wir entbehren im Alltag
jegliches Sicherheitsgefühl mehr als je zuvor, denn der Einsatz brutalster
Kriegsmaschinerie und Gewalt kann niemals Sicherheit bringen. Wir wollen und
können keinen Krieg führen gegen Israel, wir wollen die Verwirklichung
unserer Menschen- und Völkerrechte. Wir wollen Frieden mit Israel.
Das Land der ältesten Kulturen, der Bögen und Arkaden, der vergoldeten blau
und türkis gefärbten Kuppel und Türme, der Dattelpalmen und Olivenbäume, der
Poesie und Lyrik, dieses Land sieht mit Schrecken den Tod seiner Einwohner,
seien sie Araber, Kurden, Kildan, Assyrer, Armenier oder Palästinenser im
IRAk.
Im letzten Golfkrieg erreichte die Zahl der Opfer des Krieges und seiner
Auswirkungen eine Million. Diesmal wird ihre Zahl in Irak und der gesamten
Region viel höher sein. Niemand bleibt erspart, weder Befürworter noch
Gegner dieses oder jenes politischen Regimes, auch nicht Unentschiedene oder
Ungefragte.
Die Bevölkerung wird stärker darunter leiden, weil sie ihrer Macht beraubt
wurde, ein politisches Regime zu wählen, das im Einklang steht mit dem, was
verlangt wird. Das irakische Volk hat das Recht auf Selbstbestimmung, auf
ein politisches System seiner Wahl, das die Souveränität des Iraks und seine
Ressourcen wahrt. Ein Krieg bringt die Gefahr eines unkalkulierbarer Chaos
mit sich, denn die Interessen vieler Staaten und politische Strömungen
prallen auf einander und jeder wird versuchen das Momentum zu nutzen. Die
Völker im Nahen Osten erleben Gewalt, Demütigungen und andauernde
Erfahrungen von Ungerechtigkeit von ihren politischen Systeme und die
Palästinenser zusätzlich von der israelischen Mitlitärbesetzung. Das bewirkt
ein Grundgefühl der Ohnmacht und der Perspektivlosigkeit. Die Sehnsucht nach
einem Leben in Ruhe, Sicherheit und Frieden wird durch die politischen
Fakten und Entwicklungen immer neuen Zerreißproben ausgesetzt und von
Enttäuschungen und Resignation erstickt.
Ein Krieg gegen Irak kann die Region ins Schleudern bringen, die politischen
Systeme destabilisieren, und eine Situation schaffen, wo Friedensaussichten
in die weite Ferne rücken werden. Die Palästinenser befürchten ihren
Albtraum von Massenvertreibung, Ausrottung von Dörfer, Tötung und
psychisches Brechen, vor allem der über 15.000 politisch Gefangenen.
Der Krieg würde einen nährreichen Boden für radikale politische Bewegungen
bereiten.
Aus den gequälten Seelen entsteht Hass, Zorn und Wut:
- Eine Wut, die den Seelen der Menschen die Menschlichkeit beraubt,
- das Leben beherrscht, sodass das Leben, auch das eigene, als solches
unwichtig wird, alle Beschränkungen aufhebt und alle Werte auslöscht.
Fragt sich jemand wie so Wut entsteht?
Die Aufforderung Gewalt zu beenden und sich an die internationalen
Humanitären Gesetze und internationale Legitimität und Völkerrechte zu
halten, UNO Resolutionen respektieren, muss gleicher maßen für Alle gelten.
Wir fordern Abrüstung im ganzen Nahen Osten, einschliesslich Israel.
Wir sorgen uns um die Menschen in Irak, auch um unsere Familien dort. Wir
machen uns Gedanken, wie wir das Trauern begegnen werden mit denen, die es
physisch überleben, und mit denen, die psychisch zerbrechen werden.
Wir wissen was Besatzung ist, wir kennen die Qual der traumatisierten Kinder
und Erwachsene. Niemand sollte jemals solches erleben, auch nicht die Irakis.
Heute telefonierte ich mit meiner Schwägerin in Baghdad. Ich fragte sie, was
sie vorbereiten, welche Überlebensmassnahmen sie getroffen hätten. Sie
antwortete leise, bescheiden und doch sicher: Da gibt es wenig zu tun, wir
legen unsere Seelen in Gottes Hand.
Die Zukunft ist auch in unserer Hand. Politiker, Journalisten,
Wirtschaftsleute, Schriftsteller und Künstler und alle einflussreichen
Mensche sind jetzt, hier und heute gefordert, den Krieg zu verhindern.
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