Ich möchte alle hier Versammelten um eine
Schweigeminute bitten, um an die in Gaza eingekesselten und
leidenden Menschen zu denken, an die Opfer der letzten israelischen
Angriffe auf Gaza mit dem Codenamen „Operation gegossenes Blei“.
• an die 1.415 Toten und Tausenden von
Verwundeten von Gaza,
• an die Opfer der illegalen
chemischen Waffen, die von der israelischen Armee in Dezember und
Januar in Gaza eingesetzt wurden.
• an die palästinensischen
Opfer der ständigen Abriegelungen, die vom Staat Israel über die
palästinensische Bevölkerung verhängt worden sind, die eine Ausreise
aus Gaza unmöglich machen, um notwendige medizinische Hilfe zu
bekommen und die in der Folge gestorben sind und weiter sterben.
Denken wir an die Kinder von Gaza – die Hälfte
der Bevölkerung von ca. 1.500.000 Menschen – die unter
unmenschlichen Zuständen –israelischen Bombardierungen, Besatzung,
Unterdrückung und Gewalt – aufwachsen. Denken wir heute an die
palästinensischen Kinder in den besetzten Gebieten, die auf Grund
der israelischen Besatzung traumatisiert sind und ihre Kindheit
nicht ausleben dürfen.
Ich hätte noch viel zu Gaza und seinen Menschen
zu sagen. Heute allerdings will ich von Tel Aviv sprechen, die
Stadt, die von der Stadt Wien mit dem gegenüberliegenden Strand
geehrt wird. Der Monat Mai ist für Palästinenser und Israeli ein
wichtiger Monat, denn im Mai 1948 wurde der Staat Israel auf 78% des
ursprünglichen palästinensischen Bodens gegründet. Schon voriges
Jahr gab es viele Protestbriefe und Artikel zum Thema „60 Jahre
Israel“, die betitelt wurden: „Kein Grund zum Feiern“.
Und heuer? Nach den Kriegsverbrechen in Gaza –
was wäre die Meinung dieser Menschen jetzt?
Diesen Monat erinnern wir uns an die Nakba, die
vor 61 Jahren stattgefunden hat. Wir erinnern uns der 750.000
Palästinenser, die 1948 durch Massaker und Krieg vertrieben wurden,
gezwungen ihr Land, Hab und Gut zu verlassen. An die Flüchtlinge,
denen von Israel bis heute nicht erlaubt ist, in ihr Land und zu
ihren Häusern zurückzukehren, obwohl das eine Bedingung der UNO für
die Gründung des Staates Israel war – nämlich: Das Recht auf
Rückkehr. Wir denken an die 150.000 Palästinenser, die in dem Teil
von Palästina geblieben sind, der am 15 Mai 1948 Israel geworden
ist; tausende wurden Flüchtlinge im eigenen Land. Wir denken an die
über 500 palästinensischen Dörfer, die während der Nakba und auch
später zerstört wurden.
Wir erinnern uns heute der Geschichte der Stadt
Tel Aviv und der ethnischen Säuberungen, die dort im Jahre 1948
stattgefunden haben, an die Zerstörung von palästinensischen Häusern
und Besitztum in der einmal florierenden palästinensischen Stadt
Jaffa, die noch heute andauert und von keinem unserer Medien erwähnt
wird.
Im Jahre 1909 haben sich 66 jüdische Familien an
einem Strand nördlich von Jaffa versammelt um an einer Verlosung von
Landparzellen, auf denen die ersten Häuser gebaut wurden,
teilzunehmen. Einige Monate später – im Jahr 1910 – wurde diese
Ausweitung des Hafens von Jaffa Tel Aviv genannt. Tel Aviv weitete
sich aus auf Kosten palästinensisch-arabischer Dörfer.
Ein Teil dieser Stadt steht auf dem Boden von im
Jahre 1948 zerstörten Dörfern, deren Bevölkerung der ethnischen
Säuberung zum Opfer fiel.
Das Dorf Scheich Munis: 1944 gab es dort 273
Häuser, 1.930 Einwohner, Landwirtschaft, Plantagen. Im März 1948
wurde dieses Dort von jüdischen terroristischen Milizen – den
„Lechi“ (sogenannte „Stern Gang“) eingenommen, deren Führer der
spätere israelische Premierminister Jitchak Shamir war. Die
Einwohner wurden vertrieben und das Dorf von jüdischen
Einwandererfamilien besetzt. Heute steht auf diesem Grund die
Universität von Tel Aviv und das elegante Wohnviertel Ramat Aviv.
Der Fakultäts-Club der Universität Tel Aviv wird
„das Grüne Haus“ genannt. Vor 1948 war dieses Gebäude das Haus des
Bürgermeisters des Dorfes Scheich Munis, aber diese Tatsache
wird an der Universität nicht erwähnt. Nach Ilan Pappe ist „das
Grüne Haus“ der Inbegriff der Verdrängung des zionistischen
Meisterplans für die ethnische Säuberung Palästinas, das in Tel Aviv
im Roten Haus in der Yarkon Strasse finalisiert wurde. Weitere
damals zerstörte Orte:
Das Dorf Samayl: 1870 zum ersten Mal erwähnt.
Es gab 187 Häuser, 850 Einwohner, Plantagen, Viehzucht, Handwerk. In
März 1948 wurde Samayl von der Haganah, der Vorläuferin der
israelischen Armee, geräumt, die Bewohner vertrieben. Heute steht
auf diesem Grund das Arlosoroff/Ibn Gvirol Viertel.
Das Dorf Jammasin al-Gharbi war bereits 1596
in osmanischen Grundbüchern registriert. Im 18. Jahrhundert
gründeten Beduinen aus dem Jordantal das Dorf neu. Es gab Plantagen
und Büffelzucht. Im Januar 1948 wurden die Einwohner von der Haganah
vertrieben. Dieses Dorf lag im Nordosten Tel Avivs im Bavli Viertel.
Das Dorf Salama wird schon im 16. Jahrhundert
erwähnt. Im Jahr 1944 lebten hier 6.670 Einwohner. Aufgrund des
Widerstandes 1948 wurde Salama bombardiert, die Bewohner vertrieben,
die übrig gebliebenen Häuser von jüdischen Familien besetzt. Das
Dorf stand südlich vom heutigen Givatayim und die Ruinen sind heute
noch zu sehen.
Das Dorf Al Manshiya bestand Anfang des 19.
Jahrhunderts als ethnisch und religiös gemischtes Viertel. Dort
befand sich das erste jüdische Spital. 1948 wurde dieser Ort besetzt
und von der irregulären rechtsradikalen Miliz, der „Irgun“,
zerstört, deren Führer der spätere Premierminister Menachem Begin
war. Die palästinensisch-arabischen Einwohner wurden vertrieben.
Erhalten ist noch die Baalbek Moschee. Heute
befinden sich dort das Dolphinarium, Hotels, Büros und das Museum
der „Irgun“.
Das Dorf Mantekat Al-Sayadin war ein
Fischerdorf an der Mündung des Jarkon Flusses, im Norden Tel Avivs.
Es wurde 1948 zerstört und die Bewohner vertrieben. Heute steht dort
ein Kraftwerk. In der Nähe, nördlich des Hafens von Tel Aviv, lebte
der Beduinenstamm Abu Jabne, der ebenfalls vertrieben worden ist.
Die hier Versammelten protestieren heute nicht
nur wegen der Kriegsverbrechen, die viele Jahre gegen die im
Gaza-Streifen eingeschlossenen Menschen stattgefunden haben, Opfer
von unvorstellbarer Unterdrückung, die von der israelischen
Regierung, durch die Armee und jüdische Siedler ausgeführt wurde.
Wir protestieren auch gegen das Stillschweigen,
die Feigheit, den Opportunismus der Politiker der internationalen
Gemeinschaft bezüglich einer Verurteilung dieser Verbrechen. Wir
protestieren gegen die doppelten Maßstäbe, die für Israelis und
Palästinenser gelten: zum Beispiel was die neu gewählte
rechtsextremistische Regierung Israels betrifft. Sie wird weder
boykottiert, noch leidet sie unter Sanktionen.
Die Stadt Wien bietet uns an, Tel Aviv als eine
Vergnügungsstätte zu betrachten und nicht als Hauptstadt des
Staates, der Kriegsverbrechen durch die Militäraggression in Gaza
vor nur wenigen Monaten begangen hat.
Besatzung, Zerstörung und Unterdrückung in den
besetzten Gebieten halten an. Die Menschen in Gaza leben immer noch
in Ruinen und entbehren wichtigste Lebensnotwendigkeiten, trotz der
Spenderkonferenz, die vor einigen Monaten stattgefunden hat. So viel
ich weiß, ist kein Geld für den Wiederaufbau bis jetzt freigegeben
worden.
Es ist unerlässlich für die Zivilgesellschaft
durch Boykott, Investitionsstopp und Sanktionen gegen dieses Unrecht
zu protestieren – so lange zu protestieren bis auch Palästinenser
die Rechte erhalten, wie sie allen Menschen dieser Erde zugestanden
werden müssen – die Rechte auf Selbstbestimmung und Freiheit.
Wir werden die Menschen in Gaza nicht vergessen
und sagen: Gaza muss leben!