Gegenstimme: Ein Staat für Palästina – Was
für ein Staat?
Christa Ortmann
Frauen in Schwarz München / Palästinakomitee München
Anfang Februar dieses Jahres kündigte die palästinensische Führung
überraschend an, im kommenden September vor der UNO die Anerkennung
Palästinas als selbständigen Staat und Mitglied der
Staatengemeinschaft beantragen zu wollen. Am 4. April kam ebenso
überraschend in Kairo das Versöhnungsabkommen von Hamas und Fatah
unter ägyptischer Vermittlung zustande, eine wichtige Grundlage für
diesen Antrag. Seither scheiden sich die Geister bzw. Regierungen an
der Frage, ob und wie dieses Vorhaben zu unterstützen sei. Die USA
und Deutschland bemängeln vor allem seine „Einseitigkeit“. Obama
mahnte vor dem Kongress und dem American Israel Publik Affairs
Committee (AIPAC) in zwei Grundsatzreden am 19. und 22. Mai einen
palästinensischen Staat „auf der Grundlage“ der sog.
Waffenstillstandslinie von 1967 an, bestätigte gleichzeitig Israels
Recht auf einen „jüdischen Staat“ und forderte beide Seiten zu
Verhandlungen auf. -Zwei Tage später lehnte Netanjahu in einer viel
bejubelten Rede vor dem Kongress einen solchen Staat Palästina ab,
beharrte auf Jerusalem als ungeteilter Hauptstadt Israels,
reklamierte dauerhafte militärische Präsenz im Jordantal,
verweigerte die Rückkehr palästinensischer Flüchtlinge und ist nur
dann bereit, mit der Führung in Ramallah zu verhandeln, wenn das
Versöhnungsabkommen mit der Hamas widerrufen wird. Mehr als 130 von
192 in der UNO vertretenen Staaten wollen dem Antrag in der
Vollversammlung zustimmen. Die israelische Regierung ist alarmiert
und gibt Anweisungen für Lobbyarbeit gegen einen Palästinenserstaat
heraus. Bereits unmittelbar nach Netanjahus Auftritt in Washington
erklärten israelische und internationale Anwälte in einem
ausführlichen Schreiben an den UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon eine
unilaterale Deklaration für illegal. Israelische
Friedensorganisationen demonstrierten in Tel Aviv für einen Staat
Palästina. Bundeskanzlerin Merkel und Außenminister Westerwelle
sicherten Israel zu, mit Nein zu votieren. DIE LINKE brachte am 9.
Juni einen Antrag in den Bundestag ein: „Den Staat Palästina
anerkennen“, um die Bundesregierung unter Druck zu setzen. Er wurde
inzwischen abgelehnt. Immer mehr Gruppen, Organisationen und
Einzelpersonen werben vorbehaltlos, geradezu euphorisch um
Unterstützung. Am 15.7. wollen israelische Linke und
palästinensische Organisationen in Jerusalem gemeinsam für die
Unabhängigkeit Palästinas demonstrieren. Aber es gibt gravierende
Vorbehalte, und sie sollten von allen bedacht werden, die einen Weg
zum gerechten Frieden suchen. Einmal abgesehen davon, dass Abbas und
Fayad keine Legitimation besitzen, für das palästinensische Volk zu
sprechen, schafft die Anerkennung durch bzw. die Aufnahme in die UNO
"an sich" keine Unabhängigkeit und beschert keine Rechte, auch wenn
diesmal mehr Unterstützer da sein sollten als bei Arafats erstem
Versuch 1988 (Deklaration von Algier). Liberty -Equality -Return,
Ende der Besatzung – Gleichberechtigung – Rückkehr, davon ist
nirgendwo die Rede! In dieser Abstraktheit schützt die Anerkennung
als Staat die Palästinenser genauso wenig vor israelischer
Aggression wie beispielsweise Syrien oder Libanon, die von Anfang an
UNO-Mitglieder waren und deren Territorien dennoch zum Teil bis
heute von Israel besetzt gehalten werden. Die syrischen Golan Höhen
wurden 1981 sogar annektiert, Libanon war jahrelang besetzt, die
Shebaa Farmen sind es immer noch. Der von den Befürwortern
proklamierte Nutzen neuer völkerrechtlicher Optionen, die einem
Staat Palästina offenstünden, um Rechte durchzusetzen, ist abhängig
vom Konsens und der Einsatzbereitschaft aller UNO-Mitglieder, und da
werden die Palästinenser auf die alten Fronten stoßen. Das
Mauerurteil des IGH von 2004 ist bis heute folgenlos.
Darum: Zuerst die Rechte, dann die Entscheidung über den Staat, und
diese Entscheidung sollen/dürfen nur die Palästinenser selbst bzw.
ihre legitimen
Repräsentanten treffen. Die formale Anerkennung, wenn sie denn
überhaupt zustande kommen sollte, bewirkt bestenfalls eine
symbolische Aufwertung Palästinas auf internationaler Ebene, mit
großer Wahrscheinlichkeit ist sie nur eine Beruhigung für alle, die
glauben, damit sei eine große Hürde genommen, und alles weitere
müsse und könne danach verhandelt werden. Wem nützt dieses Procedere?
„Alles weitere“, das sind die unverhandelbaren Grundrechte, durch
zahlreiche UNO-Resolutionen abgedeckt und seit Jahrzehnten
vorenthalten. Es grenzt an Zynismus, sich jetzt, 18 Jahre nach Oslo,
bei der UNO für die Ausrufung eines nicht mehr realisierbaren
palästinensischen Staates einzusetzen, derweil die Menschen dort für
ihre Rechte im unbewaffneten Widerstand ihr Leben riskieren. Und
mehr noch: Wer glaubt, die formale Anerkennung als Staat in den
Grenzen der Grünen Linie und die
UNO-Mitgliedschaft seien nach langer Stagnation ein erster Schritt
auf dem Weg zur gerechten Lösung des Konflikts, erliegt einem
gefährlichen Trugschluss. Um nur ein Beispiel zu nennen: Die
Forderungen nach gleichen Bürgerrechten für die 1,5 Mio
Palästinenser in einem Jüdischen Staat Israel und nach Rückkehr der
Flüchtlinge wären damit grundsätzlich obsolet geworden, und ein
großes Unrecht wäre damit zementiert.
Statt einen Staat für Palästina zu fordern bzw. den Antrag auf
Anerkennung zu unterstützen, sollten deshalb die palästinensischen
Kräfte gestärkt werden, die den gewaltfreien Kampf um die
Grundrechte vorantreiben: Das Palestinian Popular Resistance
Movement (PPRM) z.B., das vor eineinhalb Jahren gegründete Netzwerk
der vielen einzelnen Widerstandsgruppen gegen den Landraub durch
Mauerbau und Siedlungen, die zahlreichen Friedens-und
Menschenrechtsorganisationen und vor allem die BDS-Bewegung. Am 9.
Juli 2005 haben über 170 palästinensische Gruppen einen
Internationalen Aufruf zu Boykott, Investitionsentzug und Sanktionen
(BDS) gegen Israel an die Weltöffentlichkeit gerichtet -so lange bis
es Internationalem Recht und den universellen Prinzipien der
Menschenrechte nachkommt -, um mit diesem im Kampf gegen die
südafrikanische Apartheidspolitik bewährten Instrument des
gewaltlosen Widerstands auch für Palästina die unangefochtenen
Grundrechte einzufordern, die Rechte der Freiheit und
Selbstbestimmung, der Gleichheit und Gleichberechtigung und der
Rückkehr für die Flüchtlinge. BDS ist die Stimme der
palästinensischen Zivilgesellschaft, eine Bewegung, die weltweit
rapide wächst, Wirkung zeigt und wichtige Befürworter hat: Desmond
Tutu, Richard Falk, Jimmy Carter u.v.a. Wer sich ihr anschließt, ist
kein Antisemit, sondern steht auf der Seite der Menschenrechte und
des Völkerrechts; er leistet einen Beitrag zur Befreiung Palästinas
und damit auch zur Ermöglichung eines wie immer gearteten Staates.
Von der jetzt angestrebten Anerkennung durch die UNO ist dies nicht
zu erwarten.
Zur Lektüre empfohlen: Salman Abu-Sitta, The PLO is to „liberate“
not to legalize
partition. www.middleeastmonitor.org.uk/articles
Christa Ortmann, Frauen in Schwarz München / Palästinakomitee
München