Hallo Ihr alle, hier ein neuer Bericht von
meinen Erlebnissen und Kontakten mit israelischen Soldaten in
Palästina von gestern und vorgestern...
Auch ich durfte vorgestern mit der Gruppe, wir
waren 4 Frauen und ein Mann und ein local coordinator erste
Erfahrungen mit den Soldaten hier machen. Das ganze zog sich
dreieinhalb Stunden hin und offenbarte alles unangenehme - ich will
nicht ekelhafte schreiben -, was eine Besatzungsmacht so mit sich
bringt.
Wir erfuhren um ca. 14 Uhr, dass Jeeps in die
Stadt gekommen sind und in einem Stadtteil Ausgangssperre verhängt
haben. Wir begaben uns dorthin, u.a. in der Absicht, herauszufinden,
ob sie Häuser besetzt haben und die Familien , die sie dann
gewöhnlich stundenlang gefangen halten, Hilfe brauchen - Essen,
Wasser etc. Außerdem wollten wir sie durch unsere Anwesenheit von
Überreaktionen gegenüber der Steine werfenden Kinder, den
medical-teams und anderen Unschuldigen abhalten.
Mit Hilfe der einmaligen
Mund-zu-Mund-Kommunikation hier bekamen wir recht schnell heraus, wo
sich die Jeeps -3- aufhielten, nämlich an einer großen
übersichtlichen Straßenkreuzung. In den nächsten 3 einhalb Stunden
wurden wir Zeugen eines erbärmlichen Spiels, welches die Soldaten
mit allen Anwesenden spielten: auf und ab Fahren, bis die Kids
Steine werfen, daraufhin sound-bombs, Tränengas, live-ammunition,
sogenannte rubber-bullets. Zwischendurch wurden immer wieder
Palästinenser, die zu Fuß gingen - natürlich wenige, wegen der
Ausgangssperre, die demütigend behandelt wurden. Sie mussten ihre
ID-cards den Soldaten, die sich ausschließlich in ihren Jeeps
aufhielten, geben, sich halb ausziehen, dann wurden sie drei
Schritte wegbeordert, wieder 2 ran, wieder 5 weg usw usw., ständig
unter Bedrohung der gezückten Gewehre derer im Jeep. Andere wurden
aus ihren Autos beordert, und wurden der gleichen Prozedur
unterzogen, der sich alle mit stoischem Grinsen unterzogen. Jedes
Aufmucken hätte evt. Verhaftung mit bis zu 6 Monaten
Gefängnisaufenthalt ohne Anklage zur Folge.
Die Soldaten amüsierten sich die ganze zeit
königlich, hatten sichtlich Spaß an ihrem Treiben. Witzig fanden sie
auch uns, als wir uns, nachdem sie anfingen auf die Kinder zu
schießen(!), ihnen bis auf wenige Meter näherten, lautstark auf uns
aufmerksam machten und sie aufforderten, das Schiessen auf die
Kinder zu unterlassen. Grinsend sahen sie uns, schlossen dann aber
auch zum Glück recht flott wieder die Hintertüren ihres Jeeps, und
fuhren 10 Meter weiter. Halbtotgelacht haben sie sich auch in ihrem
Fahrzeug, als sie Tränengas geschmissen und gleichzeitig geschossen
haben, woraufhin die medical teams zum Ort des Geschehens rannten,
da es 2 Verletzte gab. Wir liefen mit, um wenigstens ihre
Unversehrtheit zu gewährleisten (nicht selten schießen die Israelis
hier auch auf die
Sanitäter) und fanden uns dann nach 10
Sekunden um Atem ringend und heulend (das Scheißzeug brennt in den
Augen, das ist viel Unangenehmer als die
Atemprobleme) wieder, der Jeep rauschte an uns
vorbei und als ich die Soldaten anblickte durch ihre
Panzerglasscheiben, die stahlvergittert sind ( immun gegen jeden
Stein, sei er noch so groß) sah ich nur lachende Gesichter.
Recht am Anfang fanden sie es auch zu schön,
uns mit den Worten "Welcome to Israel! Israel is a beautiful country
and Nablus just a fucking city" durch Lautsprecher zu gruessen. Dann
kamen noch einige boshafte "Allahu Akbar"-Rufe und später zeigten
sie ihr ganzes Repertoire arabischer Schimpfworte. Schön fanden sie
es auch, sich minutenlang genau vor uns hinzustellen - mit ihren
Jeeps - und ein fieses Signal von sich zu geben, während sie drei
Palästinenser demütigten, ihnen immer wieder irgendwelche Befehle
per Lautsprecher gaben, die natürlich niemand verstehen
konnte...Unglaublich war auch, als sie soundbombs auf das Dach einer
Moschee und in den Hintergarten einer fast benachbarten Kirche
warfen.
Man fragt sich, wozu das alles???
Gestern dann musste ich aus 2 Metern
Entfernung mit ansehen, wie sie einen jungen Palästinenser, der halt
gerade dort die Strasse langging, wo sie mit ihren Jeeps
auftauchten, erst 40 Minuten lang neben sich in der Sonne stehen
ließen, dem Steinhagel auch mit ausgesetzt..., seine ID-card
checkten, wichtig rumtelefonierten( auf unsere Nachfrage hin mit
einem Commander) und ihm letztendlich die Hände auf dem Rücken
fesselten, ihm die Augen verbanden und ihn mitnahmen. Offensichtlich
hatten sie Langeweile. Dies alles passierte unter Steinwürfen der
Kids von Hausdächern, die mit Schüssen beantwortet worden, aber
niemanden verletzten. Zum Glück. Jack aus meiner Gruppe filmte das
Ganze und als das Fahrzeug mit dem armen Kerl abfuhr, war er dann
dran...Höchstaggressiv wurde er von Soldaten aus dem anderen Jeep zu
sich befohlen, seine Frau und ich gingen mit, die Sprache war
nämlich da noch Arabisch. Ich übersetzte. Auf dem Weg zum Jeep
gelang es Jack, das Tape aus seiner Kamera zu nehmen und in seine
hintere Hosentasche zu stecken...Beim Jeep angekommen - nach 10
Sekunden - ging es dann auf gebrochenem Englisch weiter. Die
Soldaten verlangten das Tape und brüllten ziemlich rum, wir
täuschten Verständnisschwierigkeiten vor, ich fummelte in der
Zwischenzeit das Tape aus seiner Tasche und machte mich langsam
davon. Im Endeffekt wollten sie dann nur noch seinen Pass, notierten
die Nummer und sagten, dass er sich auf seine Ausreise am Flughafen
freuen könne...Er würde dort große Schwierigkeiten bekommen. Mir
hatten sie kurz zuvor auf Arabisch befohlen, nach Hause zu gehen.
Sie erinnerten sich anscheinend nicht, dass ich am Vortag noch aus
Germany kam. Es waren nämlich die gleichen Soldaten.
Während wir mit dem jungen Mann dort standen,
uns unterhielten und versuchten, gleichzeitig mit den Soldaten zu
verhandeln und den Steinen auszuweichen versuchten die Soldaten im
Jeep immer wieder uns zu fotografieren. Ich verhüllte mein Gesicht
erfolgreich mit meinem grellgrünen Kopftuch, die beiden anderen
wandten sich ab. Mit diesen Fotos versuchen sie uns bei der
Ausreise, zu catchen.
Ich schreibe diese letzten Sätze jetzt Sonntag
morgen, hatte also schon wieder etwas Zeit zu verarbeiten. Ich merke
in mir, dass ich fast größere Probleme mit dem, was ich gestern
erlebt habe, als den ganzen grauenhaften Mittwoch. Das zerstörte
Haus, die massive Militärpräsenz, die Scharfschützen, die
entstellten Leichen, die aufgebrachten jungen Männer, die sich
anfangs selbst voller Angst von den Toten abwenden mussten, die
hysterischen Frauen, - das war der Mittwoch, dann am Donnerstag die
theoretische Aufarbeitung im Gespräch mit Augenzeugen und die
Hausbesichtigung noch einmal.
Gestern aber, als der junge Palästinenser da
neben dem Jeep stand, sprach ich ja mit ihm, fragte, ob er unsere
Hilfe wolle. Er sagte ja, wir sprachen mit den Soldaten, die nicht
wirklich zugänglich waren. Dann warteten wir hilflos, ich unterhielt
mich mit ihm auf Arabisch, irgendwann wurde er dann zur Hintertür
beordert, aufgefordert sich umzudrehen, sie fesselten ihm die Hände
auf dem Rücken, dann verbanden sie ihm die Augen, dann musste er
einsteigen. Das alles 2 Meter vor mir und ich konnte nur schauen.
Bis jetzt wird mir schlecht, wenn ich diese Bilder erinnre. Diese
Ohnmacht, diese Hilflosigkeit, und das, wo wir doch um Hilfe gebeten
worden waren, was nicht unbedingt selbstverständlich ist, da die
Männer hier auch nicht immer ihren Stolz verlieren wollen.
Es kann nun sein, dass er einige Stunden, 8,
18 Tage oder 6 Monate eingesperrt wird. Pech z. B. für ihn, wenn
einer aus seiner Familie ein Gesuchter o.ä. ist.
Wenn ich diese Mail gerade selber noch mal
durchlese, erscheint sie mir ein wenig wirr. Bitte entschuldigt
dies. Ich denke und hoffe , Ihr könnt trotzdem nachvollziehen, was
mich bewegt und was ich hier so erlebe...
Ich melde mich bald wieder.
Liebe Grüße
Hanan