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INTERNATIONAL SOLIDARITY MOVEMENT

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Erlaubnis zum Leben?
 
ISM, Hebron, 20.10 2004

 

Ich bin nun in Hebron und plane, die letzten zwei Monate meines Aufenthaltes hier zu sein. Wir arbeiten an Plänen, wie man den Bau der Annexionsmauer  hier im Süden verhindern kann. Die Dörfler hier im Süden haben wenig Erfahrung, in Massen  zivilen Widerstand zu leisten und haben offensichtlich Angst vor den unvermeidlichen Folgen, wie Tod, Verletzung, Verhaftung. Letzte Woche waren wir  zu einer Demo von einigen Bauern  eines kleinen Dorfes eingeladen, das im Begriff ist,  Hunderte von  Acres Land und Tausende von Olivenbäumen durch den Bau der Mauer und den Verlust des Landes jenseits der Mauer zu verlieren. Also mobilisierten wir Internationale und Israelis, um schließlich herauszufinden, dass die meisten im Dorf zu große Angst hatten, um daran teilzunehmen. Das war für die Organisatoren und für uns sehr enttäuschend– aber natürlich verstehen wir es auch.

 

Gehorsam ist das (oberste) Gebot unter Besatzung. Die israelische Regierung und seine Armee behandeln Palästinenser in der selben Weise wie ein hartherziger Hundebesitzer  seinen Hund. Vor kurzem fuhr ich in einem Sammeltaxi von Bethlehem nach Ramallah, als wir zu einem „fliegenden“ Checkpoint kamen, der aus ein oder zwei Jeeps besteht und alle palästinensischen Fahrzeuge anhält und die ID-Karten  der Passagiere kontrolliert. Als wir ankamen, war unser Wagen vielleicht der 20. in der Schlange. Ich nickte ein ( es war früh am Morgen) Ich wachte auf, als ich merkte, dass die Leute wieder in den Wagen stiegen, was bedeutete, dass wir am Anfang der Warteschlange angekommen waren. Die Soldaten hatten eine Linie gezogen, hinter der die Wagen stehen bleiben sollen. Das sind dann 20-30 m  vor dem Jeep. Da der Wagen vor uns sich auf das Jeep zubewegte, überfuhr unser Fahrer versehentlich die Linie um  kaum einen Meter. Der Soldat gab ihm zu verstehen, ans Ende der Warteschlange zu fahren. Es waren 20-30 Wagen. Ich war wütend. Der Fahrer  war in großer Verlegenheit und fühlte, dass er uns aussteigen lassen musste. Wir stiegen aus und gingen zu Fuß weiter. Er durfte  sich dann nach 5 Wagen wieder einschleusen. Ich hasste die Soldaten wegen dieser Schikane  - aber wie die Palästinenser  musste ich mich ordentlich benehmen und gehorchen, als sie meinen Pass kontrollierten.

So ähnlich war es letzte Woche in Hebron, als ich die Altstadt betrat: ich kam an einen Checkpoint, wo etwa sechs Frauen mit ein paar Kindern und einem jungen Mann festgehalten wurden. Als ich sie ansprach, stellte sich heraus, dass sie seit einer halben Stunde festgehalten werden. Ein Soldat sagte zu dem jungen Mann, er solle nicht mit mir reden. Dann stellte er die Frauen an einer Mauer entlang und befahl ihnen, still zu sein und nicht mit einander zu reden. Es erinnerte an eine Szene in der Grundschule . Eine Grundschule, die von einem 19Jährigen geführt wird.

 

Man wartet auf die Erlaubnis, die Straße entlang zu gehen, auf einer Straße zu fahren, Oliven im eigenen Feld zu pflücken, Jerusalem zu besuchen, ins Ausland zu fahren – so sieht das Leben in Palästina aus. Die israelische Regierung hat – schon lange vor Sharon – ein Netz von Genehmigungen gewoben, die  jede palästinensischen Bewegung vollkommen kontrolliert. Das Genehmigungssystem zusammen mit den  200 Checkpoints und Straßensperren* hat die palästinensische Wirtschaft vollkommen zum Erliegen gebracht. Landwirtschaftliche Produkte können innerhalb Palästinas einfach nicht transportiert werden - aber auch nicht nach draußen. Deshalb kommen in die meisten Städte und Dörfer  die Produkte aus Israel auf den Markt; denn israelischen LKWs ist es erlaubt, auf den Straßen zu fahren, die für Palästinenser gesperrt sind. Während ich zu Hause gewissenhaft israelische Waren  boykottiert habe, bin ich jetzt in Palästina gezwungen, die israelische Wirtschaft zu unterstützen. Das ist eine Ironie, die kein internationaler Aktivist, der hierher kommt, versteht.

 

Der Bau der Mauer bringt eine neue Form des  Kontrollsystems mit sich, da die Bauern nun Anträge stellen müssen, um durch ein Tor die Mauer passieren zu können, um zu ihrem Land auf die andere Seite zu gelangen. Natürlich sind viele Passierscheinbesitzer an ein Tor gekommen, wo ihnen dann von einem Soldaten gesagt wird, dass sie nicht passieren könnten oder wenigstens nicht heute oder nicht nach 9 Uhr oder aus irgend einem der vielen anderen Gründe. Außerdem kann nur der Besitzer des Landes dh. der Mann, dessen Name auf der Landbesitzurkunde steht, eine Genehmigung erhalten, zu seinem Land zu kommen. Wenn derjenige nun aber zufällig 90 Jahre alt ist, kann er nach israelischem Gesetz keinen Antrag für seine Söhne stellen, damit die die Oliven der Familie ernten. Selbst wenn er ein  munterer 35 Jähriger wäre, er könnte die Oliven nicht allein ernten. Wie jeder ISM-ler bestätigen kann, erfordert die Olivenernte ein ganzes Team von Pflückern, Sammelplanen, Stöcke und Leitern, eine Menge gezuckerten Tee und natürlich einen Esel. Dies ist Arbeit für die ganze Familie und abgesehen von der  wirtschaftlichen Notwendigkeit der Oliven, so ist das Ernten ( ansonsten) für palästinensische Familien eine äußerst fröhliche kulturelle Angelegenheit.  Aber was hier geschieht, ist nicht nur ein kultureller Angriff auf die palästinensische Gesellschaft. Wie immer wird hier ein raffiniert politisches Spiel gespielt. Nach Gesetzen, die noch aus der Zeit der Ottomanischen Besatzung stammen – die israelische Regierung hat diese, wenn sie geeignet waren, in das eigene Rechtssystem eingebaut – fällt Land, das zwei Jahre nicht bearbeitet wurde,  an den Staat. Natürlich muss der Staat sich nicht an solche Gesetze halten – er kann ohne Rechtfertigung einfach Land annektieren. Nachdem er unzählige UN-Resolutionen ignoriert hat, was die Illegalität der Siedlungen betrifft und die Haager Verfügung über die Illegalität der Mauer, wird er  jetzt nicht auf einmal den Regeln des Gesetzes Aufmerksamkeit schenken.

 

Also warum sich dann mit den Passierscheinen herumärgern? Vielleicht kalkuliert die israelische Regierung damit, dass die Wahrscheinlichkeit für einen Massenaufstand geringer sei, wenn  den Leuten erlaubt wird, manchmal auf ihr Land zu gehen und  zuweilen  auf der Straße zu fahren. Wenn den Menschen gar nichts gegeben wird, werden sie revoltieren. Doch wenn den Leuten gerade soviel gegeben wird, um zu leben und mit kleinen Möglichkeiten gelockt werden, wird ihr Wille zum Aufstand geringer sein, und sie werden abgelenkt. Und für die Palästinenser, die des Kämpfens gegen die Zeit müde sind, und die nur gerade wollen, dass ihre Kinder zur Schule und Universität gehen und wieder sicher heim kommen, kann es sein, dass sie sich bei ein wenig Freiheit besser fühlen, als wenn sie gar keine hätten. So stellen sie Anträge für Passierscheine und nehmen, was sie erhalten und danken Gott, für jeden Tag, den sie leben.

 Und wenn ich ein Palästinenser wäre und kein Ire, dann würde ich vielleicht religiös sein und nicht atheistisch – denn dieses Leben durchzuhalten und am Ende auf nichts zu hoffen, wäre nur zu unfair, um es zu ertragen

 

* Eine Straßensperre kann  eine Betonbarriere quer über die Straße sein oder ein Berg von Erde, die mit einem Bulldozer (Caterpillar) ausgehoben wurde und die Straße unpassierbar macht. Dies sind Straßen zwischen palästinensischen Dörfern und Städten, nicht zwischen Palästina und Israel. Sie unterbricht vollkommen jede palästinensische Bewegung mit Fahrzeugen. Dies ist der Grund warum eine 10-Minuten-Fahrt mit Auto nun Stunden dauert. Aber dies geschieht natürlich  nur aus Sicherheitsgründen.

 

Kommt zu uns nach Palästina! www.palsolidarity.org

(dt: Ellen Rohlfs

 

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