Joel Kovel: „Den
Zionismus überwinden“
Rezension von Michael Smith
Joel Kovel: Den
Zionismus überwinden; einen einzigen demokratischen Staat in Israel/Palästina
gründen (London and Arbor Pluto Press, 2007)
Joel Kovel hat uns ein
eindrucksvolles und bedeutendes Buch geschrieben. Die erste Auflage ist verkauft
worden, ohne eine einzige Buchbesprechung. Nichtsdestotrotz verbreitet sich der
Ruf dieses außerordentlichen Buches. In den USA ( nicht in Israel), ist das
Tabu, ernsthaft und kritisch über das zionistische Israel zu diskutieren,
durch die Veröffentlichung von Jimmy Carters kühnem Buch, das die Situation in
den besetzten Gebieten mit Apartheid bezeichnet, und mit der Veröffentlichung
der Professoren Mearsheimer und Walt „Über die Macht der israelischen Lobby“
(London Review of Books, nachdem die Atlantic Monthly es abgelehnt hat)
gebrochen worden. Indem Kovel sich direkt auf die „Überwindung“ des Zionismus
konzentriert, nimmt er die Diskussion genau an der Stelle auf, von wo sie
ausgehen muss. Er schreibt wunderbar, fast poetisch nicht nur über die
schmutzige Geschichte des Zionismus, sondern auch über dessen Ideologie und
Ethik und sogar über seine schreckliche ökologische Zerstörung in Israel selbst,
wo jeder Fluss verseucht ist – manche bis zu einem tödlichen Grad. Und er
schreibt mit Mut und Hoffnung.
Kovel ist davon
überzeugt, dass die Staatsgründung Israels 1948 als Kolonie von Siedlern, die
einen exklusiven und diskriminierenden Staat gründeten, eine Katastrophe mit
vielen Facetten war – „ein schrecklicher Fehler“ – der rückgängig gemacht werden
sollte: ein ent-zionisiertes Israel, das sich in den Nahen Osten integriert.
Seine Lösung wird im Untertitel des Buches genannt und in der Überschrift seines
letzten Kapitels: Palesrael: eine säkulare und universale Demokratie für
Israel/Palästina.“ Das wäre eine elegante Lösung und mit einem Programm zeigt er
auch auf, wie es auszuführen wäre.
Wie kam Joel Kovel,
der Jude aus Brooklyn und Sohn ukrainischer Einwanderer … zu dieser radikalen
Kritik und genauso radikalen Lösung? Joel studierte in der Yale-Universität und
wurde ein erfolgreicher Psychiater. Er lehrte an der medizinischen Fakultät,
bevor er seine Karriere veränderte und eine Dozentur für soziale Wissenschaften
an der Bard-Hochschule übernahm… er ist noch immer dort als einziger Marxist der
Fakultät. Dieses Buch wird seine Karriere nicht fördern.
„Was ich für eine Art
Jude sei?“ fragt er und antwortet selbst : „ein ganz Schlimmer.“ Genauer gesagt,
er definiert sich - nach Isaak Deutscher - selbst als „ein nicht-jüdischer
Jude“. Nicht dass er nicht spirituell wäre; er schreibt für das Unendliche.
Aber er ist nicht religiös. Teil einer Sekte zu sein, grenzt zu sehr ein. Er
identifiziert sich mit den jüdischen Häretikern, die das Judentum
transzendieren, die aber doch ein Teil der jüdischen Tradition sind, wie
Spinoza, Marx, Freud, Proust, Einstein, Kafka, Wittgenstein und Luxemburg. Für
sie besteht „der wahre Ruhm“ im Jude-sein, „am Rande zu leben und jenseits der
Grenzen.“
Kovel schreibt, …dass
sich Juden seit alten Zeiten als „ein besonderes Volk“ sehen, von Jehova
auserwählt, mit dem sie einen besonderen Bund eingegangen sind. Nach Kovels
Ansicht wurde die Dynamik des Zionismus aus dem am meisten partikularistischen
Teil des Judentums geholt und sein Schicksal wurde zur Wiedereinsetzung des
Stammeswesens in der Gestalt eines modernen, äußerst militarisierten und
aggressiven Staates“, den sie mitten in die islamische Welt pflanzten. Hier
liegt die Tragödie.
Um die Wende des
20.Jahrhunderts sandte eine zionistische Konferenz in Wien mehrere Rabbiner zu
einer Erkundigungsreise nach Palästina. Die Rabbiner kamen zurück und sagten:
„Die Braut ist wunderbar, aber sie ist schon mit einem anderen Mann
verheiratet.“ Kovel schreibt prägnant, was dann folgte. Der „gewaltige Kampf“,
um die Bewohner Palästinas zu enteignen, war mit drei großen Schwierigkeiten
verbunden: der Widerstand derjenigen, die im Weg waren und die vertrieben werden
sollten; die geopolitischen Erfordernisse; und das eigene innere Sein, das
umgerüstet werden musste, vom Selbstverständnis eines Opfers zu dem eines
rücksichtslosen Eroberers. All diese Hindernisse konnten mit dem Einverständnis
des westlichen Imperialismus und Kapitalismus überwunden werden.
Jüdisches Leiden und
Verfolgung wurden zur Rechtfertigung für Aggressivität, indem man den
absonderlichen Anspruch über ein Land geltend macht, das angeblich vor 2500
Jahren von seinen eigenen Vorfahren kontrolliert worden sei.
Die Israelis nahmen
1948 78 % des Gebietes und 1967 die restlichen 22% . Die Logik des Zionismus –
einen ethnisch reinen, jüdischen Staat zu gründen – führt zu organisiertem
Terrorismus; die notwendigen Voraussetzungen wurden Mitte der 30iger-Jahre
geschaffen und die Möglichkeit dazu kam 1948. Die zionistischen Führer Chaim
Arlosoroff, Vladimir Jabotinsky und besonders David Ben Gurion sprachen
stillschweigend von der Notwendigkeit, die Araber zu vertreiben. Der
südafrikanische Ministerpräsident Henrik Verwoerd sagte 1961 etwas, was die
Liberalen nie gesagt hätten, dass die Zionisten das Land Israel den Arabern
weggenommen hätten, die dort seit über tausend Jahren gelebt hätten. Darin
stimme ich mit ihm überein, Israel ist wie Südafrika ein Apartheidstaat.“ Als
sich 1948 der Kriegsstaub hob, waren 531 arabische Dörfer zerstört und etwa 750
000 Palästinenser aus dem Land vertrieben. 1946 organisierte Menachim Begin –
späterer Ministerpräsident Israels – den Anschlag auf das britische
Hauptquartier (David Hotel) in Jerusalem und tötete 88 Personen, einschließlich
15 Juden. 1948 war das Massaker in Deir Yasin mit Begin und Shamir als
Kommandeure. Auch letzterer wurde Ministerpräsident. Seine faschistische
Organisation, die Stern-Gruppe, hatte Annäherungsversuche an die Nazis gemacht,
um einen jüdischen Staat entlang totalitärer Linien zu schaffen. Der Terror in
Deir Yassin war ein entscheidender Faktor für den arabischen Exodus. Die
ethnische Säuberung war – wie der israelische Historiker Ilan Pappe
dokumentierte - klar von der zionistischen Führung geplant gewesen. So haben
die Zionisten Israel mit einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit errichtet.
Ariel Sharon, der 3.
israelische terroristische Ministerpräsident, war tatsächlich von einem
israelischen Gericht für schuldig befunden worden, da er 1982 die Massaker in
Sabra und Shatila zuließ, wo etwa 3000 palästinensische Flüchtlinge ums Leben
kamen. 1953 überfiel Sharon Qibiya in Jordanien, und hinterließ das Dorf in
Schutt und Asche, sprengte 45 Häuser in die Luft und tötete 69 Menschen, die
Mehrzahl Frauen und Kinder.“
Er (?? – das
war doch Olmert)) wiederholte seinen Massenmord im
Libanon 2006 und verwendete in USA fabrizierte Streubomben. Es ist wirklich
bemerkenswert, wie Kovel herausstellt, wie ein Terrorist dreimal zur nationalen
Führung aufsteigen kann – und „ kaum jemand hat sich Gedanken darüber gemacht,
was das bedeutet.“ Kovel bemerkt das daraus folgende schlechte Gewissen der
Israelis und wie ihre daraus folgernden Gefühle
????? „ den anderen die
Schuld zu geben“ – seien es die enteigneten Palästinenser oder die Kritiker
Israels, die dann als Antisemiten und/ oder als „selbst.hassende Juden“
bezeichnet werden.
Israel als
rassistischer Staat diskriminiert in Gegenden mit Immigranten, Siedlungen und
bei der Landentwicklung. Jeder Jude, der auf mütterlicher Seite eine jüdische
Großmutter aufweisen kann, erhält automatisch die Staatsbürgerschaft – doch ein
1948 und 1967 vertriebener Araber darf trotz Völkerrecht und der UNO-Resolution
194 sein Recht auf Rückkehr nicht in die Tat umsetzen. 92% des Landes in
Israel wird vom Jüdischen Nationalfond verwaltet, der Nicht-Juden die Nutzung
des Landes nicht erlaubt.
Rassismus steckt im
Wesen eines kolonialen Siedlerstaates. Bemerkenswert ist der Grad, mit dem
Zionisten genau dies leugnen. Kovel gibt Beispiele eines israelischen
Top-Generals, der die Palästinenser „betrunkene Küchenschaben in einer Flasche“
nennt. Er zitiert eine Umfrage von 2006, die zeigt, dass mehr als 2/3 der
Israelis sich weigern würden, mit Arabern in einem Haus zu leben, und dass der
Gedanke, die arabischen Bürger Israels zu vertreiben, allgemein sei. Viele
jüdische Fußballfans verfluchen und greifen die arabischen Mitglieder ihres
Nationalteams an.
Während sich Kovel an
Thomas Jefferson erinnert, schreibt er, dass kein Staat das absolute Recht zu
existieren hat, da alle Staaten bis zu einem gewissen Grad illegitim seien. Er
fügt hinzu, dass Staaten relativ oder absolut illegitim sein können und dass ein
rassistischer Staat illegitim sei. Israel als exklusiv jüdischer Staat ist ein
rassistischer Staat. Er schlussfolgert, dass das Problem also beim Zionismus und
dem jüdischen Staat als solchem liegt und nicht an seiner illegalen Besetzung
der Westbank“. Es geht darum, die Jüdischkeit des Staates zu ändern. Dafür muss
man nicht den Zionismus niedertrampeln; man muss ihn überwinden und die
Menschen von seinen Ketten befreien. Dies geht notwendiger Weise über die
Zwei-Staatenlösung hinaus, weil der Zionismus durch ständige Aggression und
Erweiterung das palästinensische Territorium auf nur noch 8% von dem, was es
1948 war, zerschnitten hat und die einheimische Bevölkerung mit einem
unbedeutenden Rest, mit zu wenig, dazu kontaminierten, wirtschaftlich nicht
mehr verwendbarem Wasser gelassen hat, sie ihrer Landwirtschaft beraubt, sie
durch Straßen - „nur für Juden“ - isoliert und sie teilweise mit einer obszönen
Mauer umgeben hat.
Was ist zu tun? Man soll
die Wahrheit über Israel aussprechen. Setze die zionistische Lobby der Kritik
aus. Man trage dazu bei, dass sie als Agentin einer ausländischen Regierung
angesehen wird. Man bringe Klagen wegen Menschenrechtsverletzungen vor, wie das
Zentrum für Verfassungsrecht gegen einen israelischen General wegen Massenmordes
in einem Dorf, oder gegen die US-Caterpillar-Gesellschaft, die riesige
Bulldozer fabriziert und bewusst an die israelische Armee für den
ausdrücklichen Zweck der Häuserzerstörung verkauft . (Einer von diesen Bulldozer
fuhr über Rachel Corrie und tötete sie. Kovel widmete ihr einen Teil dieses
Buches).
Gib Israel den Platz,
der ihm gebührt: neben dem Apartheidstaat Südafrika. Schneide die Verbindungen
zum Unterstützungs-System ab; boykottiere es akademisch, wirtschaftlich und
kulturell.
Die Palästinenser sind
die größte und älteste Flüchtlingsbevölkerung der Welt. Das Wichtigste in der
Kampagne gegen das zionistische Israel wäre die Unterstützung des
Rückkehrrechts. So könnte der Zionismus in völlig friedlicher Weise überwunden
werden. Das Rückkehrrecht ist noch wesentlicher als die Liquidation der
Besatzung, die den zionistischen Staat unverändert ließe. Das Rückkehrrecht
würde das Ende der Besatzung als Vorbedingung erforderlich machen und könnte
mit den Rückkehrern, die volle und gleiche Rechte erhalten, die Jüdischkeit des
Staates direkt zunichte machen. Selbst jetzt, wenn die besetzten Gebiete
mitgezählt werden, ist die Bevölkerung Juden zu Arabern im Verhältnis etwa
50:50. Der neue Staat – „PALESRAEL“ - könnte sich nach dem südafrikanischen
Anti-Apartheid Prinzip der Anerkennung und Verantwortung neu aufbauen. Dies
würde auf eine Gesellschaft hinweisen, die sich im Wesentlichen nach
nicht-kapitalistischen Richtlinien organisieren würde. Kovel weiß, dass dies
nicht leicht zu bewerkstelligen ist und dass das Ergebnis zum Teil von
unvorhersehbaren Erschütterungen außerhalb Israel/Palästinas abhängen wird.
Seine Schlussfolgerungen: So sieht die Realität aus, wie sie Träumern von einer
besseren Welt gegenüber steht : eine geringe Chance und eine lange Wegstrecke.
Aber es ist wie immer: der Weg zählt, die Suche nach gutem Gewissen, gutem
Willen und guten Kameraden.
Dies ist ein
reichhaltiges Buch mit vielen Schichten. Es reflektiert Kovels umfassende
Lektüre und seine Reisen. Kovels Hintergrund als Psychiater ist mit seinem
weisen Verständnis offensichtlich. Die Judenfeindlichkeit im Nazi-Deutschland
kommt aus einer Zeit, als Juden – wenn auch nicht ganz schuldlos – machtlos
waren und die Schulden zahlen mussten, die vom Anti-Kommunismus des
faschistischen Staates und vom schlechten Gewissen der Christenheit verlangt
wurden. Er nennt es „intellektuelle Barbarei“, wenn man die augenblickliche
Kritik an Israel als Antisemitismus bezeichnet; aber er versteht sehr wohl, dass
in einer Situation von Invasion und Besetzung des Landes eines anderen Volkes,
es nicht überraschend ist, die ganze Bandbreite menschlicher Antworten zu finden
.. die vom Emanzipatorischen bis zum gewaltfreiem Ausdruck reicht, ja bis zu
primitivem Atavismus, der rassistische Haltung mit einschließt.
Nach Kovels Ansicht ist
Israel für die Juden zum gefährlichsten Ort auf der Welt geworden. Hier
besteht im Vergleich zur ganzen industrialisierten Welt die größte Kluft
zwischen Reichen und Armen . 40 % leben unter der Armutsgrenze; die Hälfte der
israelischen Familien können ihre monatlichen Rechnungen nicht zahlen. Kovel
berichtet, dass die unmittelbare Ursache davon ein starker neoliberaler Angriff
auf die Armen und den öffentlichen Sektor gewesen ist, der Israel mit der
schlechtesten Grundschul- und Unterstufenausbildung in der westlichen Welt
gelassen habe. Die sozialistischen Ideale liegen in Trümmern. Die Folge davon
ist ein bedenklicher Anstieg der Auswanderung. Etwa 760 000 Israelis lebten
2004 im Ausland. Juden, die aus Russland auswandern, kommen seltsamerweise
lieber nach Deutschland als nach Israel.
Ich denke, dass Leute,
die sich mit diesem Problem der Juden und des Zionismus befassen, dieses eine
Buch in ihrem Bücherregal haben sollten.
Michel Stephen Smith
Mitglied in der National Laywers Guild
NLG fact-finding
committee in Israel/Palästina, 1985
Quelle: http://
Lawanddisorder.org/ Michael-Smiths-review-overcoming-Zionism/
(dt. Ellen Rohlfs)
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