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 Wendungen des „jüdischen Antisemitismus’“

 

Antony Lerman, T 5. Oktober 2009

 

Von dem Moment an, als er den Job der Leitung der UN-Menschenrechtsratsmission übernahm, um die Menschen- und Völkerrechtsverletzungen während des Gazakrieges zu untersuchen, war es nicht zu vermeiden,  dass  der aus einer südafrikanisch jüdischen Familie stammende Richter Richard Goldstone, als selbsthassender Jude oder jüdischer Antisemit bezeichnet wurde. Sofort nach der Veröffentlichung der Ergebnisse im September, die folgerten, dass beide, Israel sowie die Hamas, Kriegsverbrechen begangen hatten, konnte Israels Finanzminister Yuval Steinitz es kaum abwarten und klagte ihn (des Antisemitismus) an.

 

Sicher war er nicht der einzige. Die Beschuldigung ist heute schon so populär, dass die Leute, die sie benützen, sich  wie Lotteriegewinner gefühlt haben mögen,  nur weil sie es mit einem so „hohen Tier“ wie Goldstone zu tun hatten. Sie wollten es vielleicht noch ein bisschen weitertreiben als Ministerpräsident Binjamin Netanyahu, der im August  die beiden jüdischen Mitarbeiter Präsident Obamas Rahm Emanuel und David Axelrod wütend als selbst-hassende Juden beschimpfte.

 

Falls etwas diesen Begriff endlich als falsch und bankrott aufweist, dann  sollte es die Anwendung gegenüber Goldstone sein. Jüdischer Selbsthass bedeutet, alles von sich selbst zurückweisen, was jüdisch ist, weil es für einen selbst hassenswert ist.  Als Beschreibung Goldstones   stimmt dies überhaupt nicht. Er ist sein Leben lang Zionist und gehört zum Panel der Hebräischen Universität in Jerusalem. Er ist davon überzeugt, es sei eine der Lektionen des Holocaust, die Kriegsverbrechen vor Gericht zu bringen. Und er glaubt, dass die Errichtung Israels ein Symbol dafür ist, was die Menschenrechtsbewegung nach dem Krieg vor allem war. Aber  für diejenigen, die die Anklage erheben, ist der wirkliche Grad jüdischer Zugehörigkeit des Angeklagten irrelevant.

 

Nun ist es ziemlich eindeutig,  wenn man  im Kontext des israelisch-palästinensischen Konfliktes jemanden einen selbsthassenden Juden nennt, dann  ist dies als  erniedrigende politische Beleidigung beabsichtigt. Es ist eine Methode, die Ansichten von Juden, mit denen man nicht übereinstimmt, zu delegitimieren. Aber einer der Gründe, warum die Anklage so allgegenwärtig und  für Beweise und Argumente so unzugänglich ist, beweist, dass sie falsch ist, dass sie nicht nur als Schimpfwort benützt wird. Für einige Akademiker und ernsthafte Kommentatoren ist jüdischer Selbsthass ein bewiesener psychopathologischer Zustand, eine akademisch beachtenswerte Kategorie, und Vertreter derselben können in der ganzen Geschichte gefunden werden. Ihr Zeugnis hilft, die Anklage zu untermauern.

 

Professor Robert Wistrich, der einem Antisemitismus-Forschungszentrum an der Hebräischen Universität vorsteht, akzeptiert den Begriff ohne Frage und hielt ein Semester lang Vorlesungen darüber. Lord Sacks, Englands orthodoxer Chefrabbiner des Mainstream, unterstützt den Begriff in seinen  letzten beiden  Büchern. Er sagt, er sei im 15. Jahrhundert in Spanien entstanden. Einer, der sich vor kurzem dieser Denkweise angeschlossen hat, ist David Aaronovitch,  ein Kolumnist der Times und des Jewish Chronicle, der entdeckte, dass es so etwas wie einen echten selbsthassenden Juden gab, nachdem er die scharfen anti-jüdischen Schriften von Otto Weininger, dem brillanten jungen Wiener Juden, gelesen hatte,  der 1902 zum Christentum konvertierte und ein Jahr später Selbstmord beging. Und Robin Shepherd (Jackson-Gesellschaft) dessen gründliches, querköpfiges Buch in diesem Monat mit dem Untertitel „ Europas Problem mit Israel“ herauskommt,  benützt den Begriff, um zu erklären, warum linke Juden sich ‚öffentlich gegen Israel wenden’.

Dies ist rein intellektuelle Trägheit oder ideologische oder politische Anfälligkeit in akademischer Sprache oder beides. Die Art und Weise wie historische Schlüsselfiguren  Ende des 19. und frühen 20. Jahrhunderts ihren jüdischen Selbsthass zu pflegen versuchten – Weiniger, Siegmund Freud, Karl Kraus, Heinrich Heine -  und zwar im Zusammenhang  mit ihrem Judentum, ist viel zu  komplex, um dem Etikett „selbsthassender Jude“ irgend etwas anderes als eine grobe Missdeutung zuzuerkennen. Außerdem spiegelte sich der in ihren Schriften wahrnehmbare Antisemitismus in den Schriften der Zionisten wider, besonders vom Gründer des politischen Zionismus’ Theodor Herzl. Er zeichnete den schwachen Ghetto-Juden in seinem Aufsatz „Mauschel“ ( 1897) als eine Verzerrung des menschlichen Charakters, als unbeschreiblich geizig, abstoßend und nur an Profit interessiert. Weit davon entfernt eine Antithese des jüdischen Selbsthasses zu sein, lässt sich der Standpunkt vertreten, dass der Zionismus tatsächlich eine Demonstration davon ist.

Die jüdische Selbsthassanklage setzt voraus,  es gebe eine korrekte Art und Weise, nach der  Leute ihre jüdische Identität in der Öffentlichkeit ausdrücken sollten; und dass es eine besondere Reihe von Kernwerten und Institutionen gibt, die man bevorzugen sollte. Keine dieser  Annahmen ist auf der Basis jüdischer Lehren und jüdischer Geschichte gerechtfertigt. Die Anklage setzt auch voraus,  Jüdischkeit/Judentum  sei oder sollte (mindestens) eine wesentliche Identität sein und deshalb sei es irgendwie unnatürlich und falsch, sie  zurückzuweisen oder zu kritisieren.

Doch indem man einen Aspekt einer Identität kritisiert, impliziert dies nicht automatisch Kritik dieser Identität an sich. In die Vorstellung von jüdischem Selbsthass gehört die Vorstellung  jüdischen Wesens. Aber die lange Geschichte der Juden – zu der auch Konversion, Assimilation und ein vielfaches Auf-einander-stoßen jüdischer Identitäten gehört, das Verständnis, dass Judentum eine Kombination von Religion, Ethnik oder Kultur sein kann - macht aus solch einer Idee Unsinn.

Jene, die die Anklage verwenden,  richten über die Jüdischkeit anderer. Dies könnte verständlich – wenn auch beleidigend – sein, falls man (sagen wir mal) ein orthodox-zionistischer Jude ist. Aber es ist klar, dass viele prominente Ankläger nicht diese Überzeugung haben. Sie sind eher Leute, die sehr dagegen wären, wenn orthodoxe Rabbiner zu Gericht sitzen, wenn sie das Recht beanspruchen, zu bestimmen, wer Jude ist.

 

Wenn das Etikette des selbst-hassenden Juden jemandem  wie dem integeren Richter Goldstone angehängt wird, der auf seine Judentum stolz ist, und von der israelischen Regierung und prominenten jüdischen Führern und Kommentatoren gemeinsam angewendet wird, dann liegt die bedrohliche Verzweiflungstat der Ankläger  offen. Nach dem erschreckenden Zustand der öffentlichen  Debatte über Antisemitismus und Israel/Palästina unter Juden  - egal, wie deutlich und wie oft die Anklage des jüdischen Selbsthasses demonstriert wird  - so ist es  nichts anderes als eine politische und persönliche Beleidigung, die  den Ankläger erniedrigt und den Angeklagten dämonisiert und wird bedauerlicherweise nicht so bald verschwinden.

 

( dt. Ellen Rohlfs)

 

 

 

 

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