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Mit dem Fahrrad nach Palästina.
250 Frauen aus 28 Ländern unterwegs im Libanon, Syrien, Jordanien und Palästina.
Ein Bericht über die "Follow the Women" - Solidaritätsreise,  Mai 2008 -
Waltraud Schauer

So viele Frauen auf Rädern erregen auch in unseren Breiten Aufmerksamkeit -  besonders aber in Ländern, wo Rad fahren - speziell für Frauen - noch in den Kinderschuhen steckt.
 
"Follow the Women" (FTW) wurde von Detta Regan, einer Sozialarbeiterin aus England, die viele Jahre mit Jugendlichen in Palästina und Syrien gearbeitet hat, gegründet.


2002 erreichte sie ein verzweifelter Hilferuf aus Jericho, einer von den Israelis belagerten Stadt im Westjordanland, sie möge doch etwas unternehmen und auf die unerträgliche Situation der Palästinenser aufmerksam  machen.
Der passionierten Radfahrerin ist es mit dieser Initiative  nicht nur gelungen großes Medieninteresse in den bereisten Ländern zu erwirken, sondern die Begeisterung für diesen Sport an die vielen Teilnehmerinnen aus den arabischen Ländern (Irak, Syrien, Libanon, Jordanien, Palästina etc.) auch Iranerinnen waren dabei, weiter zu geben.
Es war dieses Jahr bereits die fünfte derartige Reise. Gestartet wird immer von einem anderen Ausgangspunkt aber immer ist  Palästina das Endziel. Die Reise ist auch immer  mit dem üblichen Nervenkitzel verbunden.  Wie werden die israelischen Behörden reagieren, werden sie die Einreise  erlauben? Nur die erste Reise  2004  endete nicht in Palästina. Der Versuch, damals  ins Westjordanland einzureisen, scheiterte an der Willkür der israelischen Behörden. 
Dieses Jahr betrug die Wartezeit an der King Hussein Bridge, dem Grenzübergang nach Palästina, nur mehr drei Stunden - ein deutlicher Fortschritt zum letzten Jahr.  Da waren es noch  fünf Stunden gewesen - und das obwohl es  Order vom  israelischen Tourismusminister gab,  rasch abzufertigen. Israel ist ein Militärstaat und - die Militärs haben ihre eigenen Regeln - das bekamen wir bei der Ausreise zu spüren.
Sei geschmeidig und fügsam - sagte der Mühlstein zum Samenkorn.
 
Ein Heer von freiwilligen Helfern  ist in den jeweiligen Ländern  Monate damit beschäftigt diese Solidaritätsreise zu organisieren und zu koordinieren . 250 Frauen  mit Rädern, Unterkunft, Verpflegung Transport  zu versorgen (es wurden Strecken auch in Bussen zurückgelegt, z.B. im Libanongebirge, auf den Golan-Höhnen, die Räder mußten mittransportiert werden) ist eine Herkulesarbeit.
 


Treffpunkt war in Beirut. Meine Freude war groß, als ich die vielen Palästinenserinnen erblickte. Sie waren 29 Stunden in Minibussen unterwegs  gewesen, um nach Beirut zu kommen. Eine Strecke, die, wäre Israel endlich zu ehrlichen  Friedensverhandlungen bereit,   nur einen Bruchteil dieser Zeit in Anspruch nähme.

 

 


 
Start in Beirut

 


Unser erster Besuch galt dem Flüchtlingslager Sabra und Shatila im Süden Beiruts. Arafat hatte nach dem Massaker 1982 (von Sharon befürwortet und nicht verhindert) fünf Kinder aus diesem Lager adoptiert. Zwei  dieser Adoptivtöchter sind  auch dieses Jahr wieder  mitgefahren. Für sie ist es besonders schwer, das Elend der PalästinenserInnen, speziell in diesem Lager, und die besonders triste Lage der Palästina-Flüchtlinge im Libanon zu sehen und zu spüren.

Kinder in Sabra und Shatila

Die Begeisterung  der Bevölkerung in den von uns besuchten Orten war auch im Libanon und Jordanien unglaublich - aber nicht zu vergleichen mit der unbeschreiblichen Gastfreundschaft und Herzlichkeit,  die uns in Syrien und Palästina empfing. Überall bekamen wir Blumen, Datteln, Kuchen etc. geschenkt.
In Syrien war der Empfang besonders großzügig. Die Straßen wurden gesperrt. In Damaskus ritten wir auf unseren Drahteseln  wie Gladiatorinnen ein. Die Menschen winkten und riefen - welcome, welcome.

 


Syrien wird von Israel und den USA besonders attackiert. Das Land  zählt noch immer zu der Achse der Bösen - es fragt sich nur, wer hier der Böse ist.


Vertreterinnen von UNHCR in Damaskus bestätigten, dass Syrien 1,4 Millionen irakische Flüchtlinge aufgenommen  hat , die nicht in Flüchtlingslagern leben, sondern privat untergebracht sind.  Das verschärft nicht nur die ohnehin schon angespannte Trinkwassersituation. Auch die palästinensischen Flüchtlinge genießen die gleichen Rechte wie die Syrer - Recht auf Arbeit, Bildung, med. Versorgung - nur der syrische Pass wird ihnen vorenthalten. Das  wurde uns von den Bewohnern im Lager "Al Hussaineh" in Damaskus  bestätigt.  Syrien bot auch allen Flüchtenden aus dem Libanon Unterschlupf - als Israel 2006 das Land in Schutt und Asche legte.
Syrien, ein armes Land - empfängt Gäste und  auch Flüchtlinge mit Würde und Wärme.Bei uns sind schon ein paar ausländische Familien nicht zu verkraften.


Die Golan-Höhen sind ein Paradies - auch zum Rad fahren - eine Hochebene, beherrscht vom Mount Hermon und der ist wiederum bestückt mit unzähligen von Israel benützten Überwachungsausrüstungen, die weithin sichtbar in den Himmel ragen. In Quneitra, die von den Israelis 1967 total zerbombte und nie wieder aufgebaute Stadt,  ist jetzt der Sitz der österreichischen UN-Soldaten. Ihr Hauptquartier wurde neben dem ehemaligen, jetzt eine Ruine, "Golan General Hospital"  - diese Aufschrift ist noch zu lesen -errichtet. Die meisten der urprünglichen Einwohner des Golan wurden  von den Israelis vertrieben. Es leben nur mehr wenige Menschen in der entmilitarisierten Zone des Golan. Israel hingegen siedelt ungebrochen immer weiter Menschen völkerrechtswidrig  auf den von ihnen annektierten Gebieten des Golan.


Auch hier im total zerbombten Quneitra gab es zu unserer Begrüßung Tanz und Musik . Die Palästinenserinnen sind immer die ersten, die bei den Tanzgruppen mitmachen und reißen die übrigen Radfahrinnen mit ihrer Lebensfreude und Begeisterung mit - alle Müdigkeit scheint wie weggeblasen.

Bild: Das zerbombte Quneitra am Golan
 
Am nächsten Tag ging es  von Damaskus zur jordanischen Grenze - ständig bergauf und bei starkem Gegenwind. Wieder die Trasse gesperrt für uns - die Schlange war bisweilen sechs km lang. Die amerikanischen Teilnehmerinnen hatten ihre Radfahrhelme mit dem Sternenbanner beklebt -patriotisch wie immer - waren dadurch leicht erkennbar und  begehrtes Objekt für die diversen Medien. Speziell beim Pflanzen von Olivenbäumen in einem Hain am Weg nach Jordanien waren alle Kameras auf sie gerichtet. Der Empfang in Swaida - nahe der jordanischen Grenze hatte alles bisherige übertroffen - die Menschen standen auf den Dächern, auf den Straßen, der ganze Ort war auf den Beinen, wieder Musik, Tanz und Blumen, Hände schütteln ohne Ende, Essen  selbstgemacht - der ganze Wohlgenuß der orientalischen Küche erwartete uns hier, eine unendliche Herzlichkeit und Freude in allen Gesichtern.


Auch an der jordanischen Grenze spielte eine Band mit Tanzgruppe zu unserer Begrüßung. Mittlerweile war es fast Mitternacht und alle sehr müde - und doch tanzten wieder alle mit, selbstverständlich übernahmen wieder die Palästinenserinnen das Kommando, sie sind sehr starke Frauen. Die Zeit bis die Grenzformalitäten erledigt waren und wir alle wieder unsere Pässe hatten,  verging sehr schnell.  Herzliche Verabschiedung und weiter in den Bussen nach Amman.


Die Stadtrundfahrt am nächsten Tag habe ich geschwänzt - ich war einfach zu müde.
Abends gab es Treffen und Workshops mit irakischen Flüchtlingen.  Eine Irakerin, die 2006 flüchten mußte , nachdem sie alles verloren hatte, Mann, Kinder, Haus,  sagte mir: - "Ich bete jeden Tag, dass sich das Öl im Irak in Wasser verwandeln möge und uns dann die Amerikaner endlich in Ruhe lassen." Auch dass sie Saddam hasste - aber erst jetzt weiß, wie gut er für den Irak war.
Die Fahrt zum Toten Meer war einfach - baden im Toten Meer  und die Übernachtung in Beduinenzelten für alle ein Erlebnis.


Am nächsten Morgen ist allen  die Spannung ins Gesicht geschrieben. Werden uns die Israelis einreisen lassen? Von den arabischen Teilnehmerinnen hieß es Abschied nehmen, sie bekommen keine Einreisegenehemigung von den Israelis. Somit waren wir nur noch ca 150 Frauen, die sich zur King Hussein Brücke aufmachten. Von den israelischen Militärs, die die Grenzabfertigung verrichten - wurden wir nicht mit Blumen erwartet - Blicke sagen mehr als tausend Worte.


Die Palästinenserinnen waren glücklich mit uns abgefertigt zu werden und nicht wie üblich einen anderen Terminal benützen zu müßen und den Schikanen ausgesetzt zu sein. Israel zeigte ein menschliches Gesicht. Nach drei Stunden waren wir durch - auf die Räder bei 45 Grad und unter israelischer Militärbegleitung ging es nach Jericho. Ein erholsamer und vergnüglicher Abend  war vor uns - denn für alle war es ein Traum und ein Wunder in Palästina zu sein.
Für die Fahrt nach Ramallah standen uns Busse zu Verfügung. Die Steigung vom Toten Meer - 300 Meter unter dem Meerespiegel auf fast 1000 Meter ist nach so einer langen Tour mit dem Rad  und bei der Hitze kaum zu bewältigen.
Wir wurden von der Bürgermeisterin (!) von Ramallah im Kulturpalast begrüßt, just zu dem Zeitpunkt als sich George Bush in Israel zur 60 Jahr Feier aufhielt. Unser Aufenthalt in Palästina zum Zeitpunkt der 60 Jahre Nakba -Gedenken  war mehr als eine willkommene Solidaritätsgeste. Auf der Fahrt nach Nablus fielen die vielen israelischen Fahnen links und rechts der Straße  auf   -so als wäre es israelisches Staatsgebiet.
Israelische Siedlungen auf fast jeden Hügel.


Vor dem berüchtigten Huwara-Checkpoint vor Nablus gab es noch letzte Anweisungen - wie wir die Palästinenserinnen am besten schützen können, wir wurden durchgewunken - die erstaunten  Gesichter mancher israelischer Soldaten  zeigten auch ihre Überraschung über diese formlose Behandlung. Mir ist dieser Checkpoint von früheren Besuchen in äußerst unangenehmer Erinnerung. Nicht nur hier werden die PalästinenserInnen besonders gerne gedemütigt und zu Stunden langemWarten gezwungen, Kinder wurden hier geboren, Kinder sind hier gestorben.  Wir wurden auf der anderen Seite von den Palästinensern frenetisch begrüßt und so ging es durch die Stadt Nablus hinauf zur Universität. Ein herrliches Gebäude, hoch über der Stadt mit wunderbarem Ausblick  - in Gesprächen mit den Studenten erzählten sie von ihren täglichen Behinderungen seitens der Israelis, den Razzien, den Verhaftungen, der ständigen Angst nicht nach Hause oder nicht zur Universität zu kommen. Von den fehlenden Lehrmitteln und der Unmöglichkeit mit Studenten anderer Länder zusammenzukommen., ja nicht einmal mit Studenten innerhalb Palästinas. Israel versucht jeden Schritt der Palästinenser zu kontrollieren - alles im Namen der Sicherheit Israels.Von der Sicherheit der Palästinenser spricht niemand. Sie sind seit Jahrzehnten der Gewalt und Willkür, dem Land-und Wasserraub und den High-Tech Waffen der Israelis ausgesetzt.


Die Nacht verbrachten wir im ehemaligen Gefängnis Alfara. Es wurde in den 30iger Jahren von den Briten errichtet und von den Israelis von 1982 bis 1995 als Anhaltelager für Jugendliche bis 17 Jahre benützt, ehe alle Gefangenen in Palästina nach Israel transferiert wurden.


Zwei Überlebenden dieses Lagers erklärten uns die Foltermethoden in diesem Gefängnis. Die meisten derartigen Vorrichtungen haben die Israelis mitgenommen oder zerstört, aber einige haben sie zurückgelassen. Viele sind hier gestorben. Ein bedrückender Ort. Er wird heute als Jugendzentrum für vielerlei Sport und Veranstaltungsmöglichkeiten genützt.


Am nächsten Tag ging es weiter nach Jenin. Norwegen hat mittlerweile das Flüchtlingslager - das von den Israelis 2002 zerstört wurde wieder aufgebaut. Wir verbrachten die Nacht in einem Dorf in der Nähe von Jenin, übernachteten bei Familien, die damals die Flüchtlinge aus dem Lager aufgenommen hatten. Es wurde gemeinsam gekocht und gegessen, erzählt und natürlich getanzt. Dieses Dorf leidet besonders unter der israelischen Besatzung. Der Mauerbau hat große Teile ihres Landes weggenommen, die Bauern werden ständig von den Soldaten behindert und belästigt. Es herrscht pure Angst, denn ganz in der Nähe ist eine Kaserne der Israelis, es wird ständig geschoßen, Kinder können nicht spielen, Bauern nicht ihre Felder bearbeiten, es gibt ständig Ausgangssperren, Razzien etc. Das Leben ein Albtraum 

Die Rückfahrt zur Grenze nach Jordanien erfolgte durch das Jordantal. Auch hier unzählige israelische Siedlungen mit großen Gärtnereien, die hier in diesem trockenen Gebiet und bei der Hitze besonders viel Wasser benötigen - das sie natürlich den Palästinensern wegnehmen.
Die Verabschiedung von unseren neuen palästinensischen Freundinnen war schmerzlich und tränenreich -  aber nächstes Jahr gibt es ein Wiedersehen! Alle Teilnehmerinnen hoffen, dass auch die sechste derartige Reise gelingen möge.  Ausreisen aus Palästina kann ebenso mühsam und schwierig sein wie die Einreise. Die Israelis wendeten "Kollektiv-Strafen" an. Unsere palästinensischen Betreuer empfahlen uns - bei der Ausreise keine palästinensischen Symbole zu tragen.  Viele hielten sich nicht daran und trugen dementsprechende T-shirts. Das veranlasste die Israelis -  uns aus "Sicherheitsgründen"  die Fahrräder fünf Mal umladen zu lassen und das bei über 40 Grad im Schatten. Es war herrlich wieder in Jordanien zu sein und die freundlichen Gesichter und Gesten dieser Beamten zu erleben.
 
Die Palästinenserinnen durften nur ganz kurze Zeit dieses Gefühl der Freiheit geniessen. Es war ein Vergnügen sie beim Rad fahren zu beobachten. Diese ungestüme Lebensfreude, diese Kraft und Ausdauer - sie waren immer an der Spitze  - ist ansteckend und könnte Vorbild  für viele andere sein.
 
Waltraud Schauer

 

 

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