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Welches Israel unterstützt Ihr?
Ein Brief an Europäer von Yuval Halperin

 

Wenige Male besuchte ich Europa, und ich weiß nicht viel von Euren Realitäten. In letzter Zeit  wird Europa jedoch in Israel in einem einzigen Zusammenhang immer häufiger  erwähnt: Antisemitismus.

Die israelische Presse berichtet schadenfroh, dass endlich die Angst vor Antisemitismus in die Herzen der Menschen in den europäischen Ländern eindringt, besonders in Frankreich und dass einiges im Gange sei, um diese Krankheit zu bekämpfen.

Es gab niemals eine ethnische, nationale oder religiöse Minorität, die nicht rassisch verfolgt wurde. All jene, denen die Werte von Gleichheit  und  Demokratie teuer sind, müssen mit aller Macht gegen jeden gegen eine Minorität geäußerten Hass,  kämpfen.

Aber während ich selbst gegen meine eigene Regierung kämpfe, fürchte ich, dass die israelische Regierung und seine  offiziellen Vertreter die drohende Antisemitismusgefahr  ausnützen, um sich selbst von jeder Opposition und jeglicher Kritik zu befreien und damit die Linie verwischen, die zwischen rassischem Hass gegen Juden - egal wo sie sind - und der legitimen Opposition gegen die Besatzung oder den Zionismus  unterscheidet.

 

Um meine Behauptung zu erklären, will ich hier kurz die Begriffe „Jude“ und „Zionist“ klären.

 

Seit  Hunderten von  Jahren lebten Juden als  ethno-religiöse Minderheit in christlichen und muslimischen Ländern. Viele Generationen lang litten sie unter Diskriminierung, Demütigung und  Verfolgung. Juden wurden wegen ihrer Abstammung und ihrem Glauben verfolgt, lange bevor die afrikanischen, asiatischen und amerikanischen Völker dasselbe Schicksal – ausgelöst durch ihre kolonialen Beherrscher – erlitten.

 

Es überrascht darum nicht, wenn man entdeckt, dass  gerade jüdischstämmige Leute einen großen Anteil als Avantgarde  im Kampf gegen Nationalismus und Rassismus und für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit einnahmen. Die Namen von Karl Marx, Rosa Luxemburg, Danny „dem Roten“ und viele andere sind hier zu erwähnen.

 

Zionismus war eine der Reaktionen auf die Enttäuschung durch diese Prinzipien oder um genauer zu sein, durch ihre ( Nicht-)Erfüllung während der Geschichte. Sein Beginn kann in die Mitte des 19.Jahrhundert datiert werden. Er erschien als voll entworfene Ideologie und Bewegung beim 1. Zionistischen Kongress in Basel 1897.  Die dem Zionismus zugrunde liegende Annahme war , dass die demokratischen Prinzipien niemals Erfolg haben werden, den Juden-Hass und die Aufhetzung gegen Juden zu verhindern, deshalb mussten die Juden eine Sonderlösung  (ihres Problems) wählen anstelle einer universalen: das heißt,  nach der Errichtung eines jüdischen Staates in einem Land zu trachten, in dem  solch ein Staat schon einmal existiert hat, zu dem sich alle Juden in der Welt hingezogen fühlen. Um dieses Ziel zu erreichen, behaupten die Zionisten, ist es erlaubt, mit jeder Macht zu kooperieren, die dies akzeptiert, ohne Rücksicht auf deren eigene Motive  oder anderen Glauben und Einflüsse.

Deshalb hat der Gründer des Zionistischen Weltkongresses, Theodor Herzl, dem deutschen Kaiser Wilhelm III. geraten, den Zionismus zu unterstützen; denn dies würde viele Juden aus den radikalen und republikanischen Bewegungen des Kaiserreichs lösen. (Sie würden in den jüdischen Staat auswandern).

Die ersten Gegner der Zionisten waren natürlich die Juden, da die jüdische Bewegung nur unter Juden aktiv war – nur sie waren dafür qualifiziert, unter dieses Banner zu treten.

Die meisten Juden der Welt  sind heute auch keine Zionisten, obgleich ihre Botschafter, die von der israelischen Regierung geschickt werden, ihr Bestes tun, den Unterschied zwischen „Jude“ und „Zionist“ zu verwischen. Dabei hilft die Tatsache, dass nichtzionistische Juden weder ihr Jude-Sein  betonen noch ihr Judentum  stolz vorführen.

 

Doch bald entwickelte sich noch eine Kraft, die den Zionismus bekämpft – die wachsende palästinensische Nation. Das Land, das die zionistische Bewegung zur Zufluchtsstätte der Juden in aller Welt zu verwandeln träumte, war niemals verlassen oder leer. Alte landwirtschaftliche Gemeinschaften, die hier wohnten, entwickelten nach und nach im 19. Jahrhundert eine nationale Identität.

Um in diesem Lande die Mehrheit zu werden, handelten die Zionisten nicht anders als andere Kolonialbewegungen: die einheimische Bevölkerung von einem Quadratkilometer nach dem anderen zu vertreiben und Kolonisten/ Siedler ( in hebr. Sprache „Olim“) in den so „gesäuberten“ Gebieten anzusiedeln. Es gab keinen Unterschied zwischen den verschiedenen Strömungen( „Labor-Zionismus“; „liberaler Zionismus“, „ religiöser Zionismus“) hinsichtlich dieses Problems. Die „Labor-Zionismus“-Bewegungen waren selbst eifrig damit  beschäftigt, die arabischen Arbeiter von dem Land zu vertreiben, das von  Zionisten erworben wurde, und stattdessen jüdische Arbeiter anzustellen. Mitglieder von „Poalei-Zion“ und Akhdut haavoda“-Organisationen pflegten junge Bäume, die von arabischen Arbeitern in den Dörfern gepflanzt wurden, auszureißen und arabische Hausierer in Städten zu betrügen. Stellt Euch das vor;  dies wurde mir in der Schule über „Sozialismus“ beigebracht.

 

Die Vertreibungspolitik hörte mit der Errichtung des Staates Israel nicht auf. Im Gegenteil: die von den Zionisten gewonnene Macht, ermöglichte es ihnen, dies mit noch mehr Gewalt durchzuführen. Seit der Errichtung des Staates (1948) existierte weiterhin eine große arabische Minderheit innerhalb seiner Grenzen. (Ich will jetzt nicht näher auf die Geschichte der Vertreibung des größten Teils der palästinensischen Bevölkerung  während des Krieges  1948 eingehen.) Heute leben etwa 1 Million Araber im Staat Israel, was etwa 20%  der Bevölkerung ausmacht. Trotzdem wurde keine einzige neue arabische Siedlung in den 56 Jahren israelischer Existenz  gebaut, obwohl sich die arabische Bevölkerung in diesen Jahrzehnten verfünffacht hat. Die Palästinenser sind gezwungen, sich innerhalb der Grenzen, in denen sie 1948 lebten, ohne rechtliche Genehmigung anzusiedeln, weil jedes Stück freie Land für jüdische Besiedlung reserviert ist. Slogans wie „Judaisierung Galiläas“ werden in Israel  als in Konsensvereinbarungen enthalten betrachtet.  Nur die Parteien, die die zionistische Ideologie aufgegeben haben, sind gegen diese Slogans. Dies ist nur ein Beispiel, das  die Situation der  palästinensischen Bürger Israels verdeutlicht. Sie sind nicht nur Bürger „zweiter Klasse“, sie sind ein Hindernis, ein Problem. Israel wird als der „Staat des jüdischen Volkes“ definiert, d.h. er gehört den Juden der ganzen Welt und nicht den Nicht-Juden, die darin leben. Der Begriff „Nation“ wird  in Israel recht ähnlich dem gesehen, wie ihn die äußerste Rechte in Europa vertritt: ethnische Nationalität anstelle einer territorialen.

 

Die Gebiete, die im Juni 1967 erobert wurden, wurden von Israel immer wie gewöhnliche Kolonien betrachtet. Ihre (einheimischen) Einwohner beantragten nie die israelische Staatsangehörigkeit – sie wurde ihnen aber auch nicht gegeben.  Israel bürdete ihnen jedoch eine militärische Herrschaft auf und baute auf ihrem Land jüdische Siedlungen, deren Bürgern volle Bürgerrechte  gewährt wurden. Eine klassische koloniale Realität entwickelte sich in den besetzten Gebieten: Kolonisten auf dieser und „Eingeborene“ auf der andern Seite. 

 

Es überrascht darum nicht, dass die besten Freunde der israelischen Regierung unter den Führern der extremen Rechten zu finden sind.  Jean-Marie le Pen  beschrieb - in diesen Tagen in einem Interview gegenüber einer israelischen Zeitung - Israel als ein Model zur Nachahmung und sagte: „Nun verstehen Sie, was wir während des Algerienkrieges durchgemacht haben.“ Der Italiener Gianfranco Pini  wird nicht müde, Israel zu loben und  zu rühmen und die dänische Partei des rechten Flügels servierte den Teilnehmern ihres Parteitages  israelische Weine, um ihre Solidarität zu zeigen. Und vergessen wir George Bush nicht, den rechtesten Präsidenten in der Geschichte der USA, der jede Aktion Sharons unterstützt, selbst wenn er Kriegsverbrechen begeht.

 

Das europäische faschistische Lager war und bleibt antisemitisch, doch nun greift es eher Araber als Juden an. Die israelische Regierung und ihre Pressevertreter konkurrieren mit dieser antisemitischen Linie, nicht nur gegen semitische Araber innerhalb Israels und die unter  seiner Besatzung, sondern auch  gegen die semitischen Araber in Europa. Wer immer ein israelisches Nachrichtenprogramm hört, das sich mit europäischen Problemen befasst, mag annehmen, er sei versehentlich auf eine Radiostation gestoßen, die von der Nationalen Front  betrieben wird.

 

Die dort geäußerten Behauptungen identifizieren Europas Hauptproblem mit der „Muslimischen Gefahr“. Die „Eindringlinge“ aus der dritten Welt bedrohen angeblich den Frieden, dessen sich die schönen weißen Europäer erfreuen, und gefährden ihre Kultur; deshalb müssten die Regierungen entschlossene Schritte unternehmen, um dieses Problem los zu werden.

Die Tatsache, dass sich die extreme Rechte jederzeit der „wahren“ Behandlung von Juden „erinnern“ könnte, wird von der israelischen Regierung stillschweigend übergangen. Sie sagte kaum einen Ton  gegen den offenkundig antisemitischen Film „Die Passion Christi“, da dieser von den Evangelikalen unterstützt wurde, der extrem radikalen und reaktionären Sekte in den USA, die den 3. Tempel  auf dem Tempelberg errichtet sehen möchte, damit die Muslime der Welt ihre Schwerter drohend gegen Israel schwingen und so Jesus veranlassen, vom Himmel  herabzusteigen, es zu retten und die Juden von ihrer 2000 Jahre alten Blindheit zu heilen.

 

Aber jeder der Israels Politik oder den Zionismus in seiner Kritik  auf den Punkt  zu bringen wagt,      wird mit der Antisemitismuskeule  getroffen. Die IDF mordet  unschuldige Zivilisten? Antisemit! Die Siedlungen sind illegal? Antisemit. Die Trennungsbarriere widerspricht internationalem Gesetz? Antisemit. Zionismus trägt die Kennzeichen des Kolonialismus? Antisemit.

 

Diese Propaganda dringt zuerst und vor allem in die Köpfe der Israelis, dann in die der Juden außerhalb Israels und schließlich in die der Friedensunterstützer und Gegner von Rassismus im allgemeinen, die dann zögern, die Wahrheit über all diese Dinge zu äußern.

 

Ich bin froh, um mich herum Dutzende von Solidaritäts-Aktivisten der ISM-Bewegung (viele von ihnen sind Juden) zu sehen, die ihr Haus und ihr Land verlassen haben, um den Palästinensern und Israelis in ihrem Kampf gegen Rassismus und Besatzung beizustehen. Die europäischen Regierungen jedoch geraten in dem Augenblick in Panik, sobald sie spüren, dass sie Sharon oder Mofaz „irritierten“. Dem leisesten Wort der Kritik  folgt unvermeidlich eine lange Reihe von Entschuldigungen und Schmeicheleien. Wirkliche Sanktionen gegenüber Israel, das sich unter allen  Ländern vielleicht der stärksten Beziehungen  mit europäischen Ländern erfreut, werden nicht erwähnt. In den 60er Jahren verhängte de Gaulle ein Waffenembargo gegen Israel. Während der 1. Intifada  (1987-93) wurden viele Abkommen im kulturellem und wissenschaftlichen Bereich zwischen Israel und Europa ausgesetzt. Und jetzt – hört Sharon nur Komplimente, antwortet aber mit Knurren: „Antisemitismus“.

Der Nahe Osten war in der Menschheitsgeschichte immer  ein Brennpunkt schicksalsentscheidender Ereignisse. Das Land Israel oder Palästina – egal wie wir es nennen – liegt im Herzen des Nahen Ostens. Jeder auf der Welt, ob Jude, Moslem oder etwas anderes, muss die Ereignisse im Nahen Osten, besonders in Israel-Palästina, aufmerksam betrachten.

 

Die Entscheidung, die er treffen muss, ist nicht „für Israel“ oder „gegen Israel“; vielmehr,  welches Israel unterstützt er:  ist es das besetzende, kolonialistische und rassistische Israel oder das demokratische, patriotische und den Frieden suchende Israel, das sich aus den besetzten Gebieten zurückziehen und innerhalb seiner Grenzen alle Formen aus zionistischer Ideologie stammenden Diskriminierung  löschen will ?

 

Der Schreiber ist ein Aktivist des Civil Forum, das für völlige Demokratisierung Israels arbeitet.

 Quelle: Forum_ ezrachy(at)walla.co.il -- über The Other Israel am 1.1.05  erhalten.

(dt. Ellen Rohlfs – kursiv Gesetztes  von der Übers.)

 

 

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