Die
Debatte
um israelische und
palästinensische Schulbücher
TRAUGOTT SCHÖFTHALER
Setzen Palästinenser und
Israelis auch Schulbücher
zur ideologischen
Mobilisierung und damit als
Waffe in den seit zwei
Jahren anhaltenden
erbitterten
Auseinandersetzungen ein?
Dies war eine zentrale Frage
eines Symposiums des
Georg-Eckert-Instituts für
internationale
Schulbuchforschung in
Braunschweig vom 8. bis 10.
Dezember 2002.
Die Schulbuchinhalte
wurden trotz der so
genannten Zweiten Intifada
auf israelischer und auf
palästinensischer Seite
enorm verbessert. Dennoch
werden einzelne
Schulbuchzitate zum
politischen Argument, mit
dem die eine Seite der
anderen den ernsthaften
Willen zum Frieden
abspricht. Selbst die
EU, das Hilfswerk der
Vereinten Nationen für
Palästinensische Flüchtlinge
(UNWRA) und die Weltbank
mussten sich des Vorwurfs
erwehren, sie förderten
Unfrieden durch Finanzierung
palästinensischer
Schulbücher, die in Teilen
nicht den Standards der
UNESCO entsprächen.
Ein kurz vor dem Abschluss
stehendes Forschungsprojekt
des Georg-Eckert-Instituts
trägt dazu bei, schon jetzt
wichtige Voraussetzungen für
die Gestaltung einer
Nachkriegszeit im Nahen
Osten zu schaffen. Es geht
nicht nur um den
gegenseitigen Verzicht auf
Aufstachelung zum Hass,
sondern auch um das
Verstehen unterschiedlicher
Interessen und Perspektiven.
Die vom Auswärtigen Amt
geförderte Tagung war
geplant als vorläufiger
Schlusspunkt des seit 1990
laufenden Projekts einer
vergleichenden Untersuchung
zur Darstellung des
israelisch-palästinensischen
Konflikts in
palästinensischen und
israelischen Schulbüchern.
Die Hauptautoren Dr. Ruth
Firer, Hebrew University
Jerusalem, und Prof. Dr.
Sami Adwan, Bethlehem
University, waren jedoch an
der Teilnahme verhindert.
Die Realisierung des
Projekts zog sich wegen der
laufenden Neuproduktion von
Schulbüchern weit länger als
geplant hin. Zur Tagung
wurden die noch nicht
endgültig von den Autoren
gebilligten und daher noch
nicht zitatfähigen
Vorabdrucke der Studien
vorgelegt.
Die erste Studie enthält
neben sorgfältigen und
aktuellen Analysen zwei
gänzlich neue Elemente: eine
vergleichende Bewertung der
sehr konträren
palästinensischen und
israelischen geschichtlichen
Selbstvergewisserungen
("narratives") samt
Empfehlungen für künftige
Schulbuchgestaltung.
Die zweite Studie enthält
internationale
Diskussionsbeiträge, die
sich um Versachlichung der
Debatte bemühen. Seit der
regelmäßigen Verbreitung von
Zitaten aus
palästinensischen
Schulbüchern durch das vom
ehemaligen Sprecher Benjamin
Netanjahus, André Marcus,
geleitete israelische
Zentrum für das Monitoring
der Wirkungen des
Friedensprozesses (CMIP) war
diese Debatte stark
politisiert worden.
(CMIP im Internet
www.edume.org)
Die CMIP-Reports waren
Gegenstand eines
öffentlichen Vortrags im
Rahmen der Tagung, in der
ein seit Jahren
international ausgewiesener
Spezialist in Sachen
Nahost-Schulbücher, der
Politikwissenschaftler Prof.
Dr. Nathan Brown von der
George Washington
University, Washington D.C.,
eine Analyse vorlegte, die
die neuen palästinensischen
Schulbücher als Belege für
signifikante Bemühungen der
Palästinensischen
Autonomiebehörde um die
Entschärfung des
Konfliktpotenzials im
Bildungswesen würdigt.
Es sei jedoch völlig
unrealistisch, von
palästinensischen
Schulbüchern Werbung für den
Verzicht auf
palästinensische Ansprüche
zu erwarten: Diese Forderung
sei hinter zahlreichen
Kritiken verborgen.
Beide Seiten sollten
stattdessen Anstrengungen
unternehmen, ihrer Jugend
die unterschiedlichen
Perspektiven von Israelis
und Palästinensern zu
vermitteln und damit einen
unverzichtbaren Beitrag zur
Verständigung zu leisten.
Rund 25 Experten aus
Deutschland, Israel und
Palästina sowie aus Belgien
(die belgische Regierung
gehört zu den größten
Förderern des
palästinensischen
Bildungsministeriums),
Großbritannien (Nordirland),
Österreich und den USA
erörterten auf Grundlage
mündlicher Vorstellungen der
wesentlichen Inhalte der
beiden Studien sowie
weiterer Berichte die
aktuelle Lage und die sich
hieraus ergebenden Optionen
für die kommenden Jahre. Das
Gesprächsklima zwischen den
israelischen und
palästinensischen Experten -
einschließlich der Vertreter
der staatlichen
Lehrplaninstitute - war
bemerkenswert sachlich.
Auf dem Weg zur
Multiperspektivität
Die neuesten Schulbücher und
Lehrpläne sind als
erheblicher Fortschritt auf
dem Weg zu einer Bildung zu
werten, die mehr der
Verständigung als der
Anstachelung zum Hass dient.
Die israelische
Schulbuchkommission hat
jetzt unter Beteiligung der
israelischen Palästinenser
erstmals das Ziel
"Multiperspektivität" im
Lehrplan festgeschrieben.
Sowohl
israelisch-palästinensische
als auch israelisch-jüdische
Sichtweisen sollen allen
Jugendlichen vermittelt
werden.
Auf palästinensischer Seite
korrespondiert damit die
sehr weitgehende Tilgung von
Negativwertungen der
jüdischen Religion und
Israels. Damit sind jeweils
unilateral Grundlagen für
weitergehende Bemühungen um
eine Erziehung zur
Verständigung geschaffen.
Bilaterale Kooperation
erscheint jedoch auf
absehbare Zeit nicht
möglich. Sowohl die
israelischen als auch die
palästinensischen Experten
haben daher die
Notwendigkeit einer
Einschaltung dritter und
vierter Parteien sowie des
multilateralen Rahmens der
UNESCO nachdrücklich betont.
Die weitere Herausarbeitung
der unterschiedlichen
israelischen und
palästinensischen
Perspektiven wurde hierbei
als Priorität gewertet. Ein
wichtiger Anstoß wird von
dem an der Talitha
Kumi-Schule in Beit Jala
angesiedelten
Friedensforschungsinstitut
für den Nahen Osten (Peace
Research Institute for the
Middle East PRIME) erwartet,
das derzeit eine Publikation
vorbereitet, in der
israelische und
palästinensische Experten
die unterschiedlichen
Sichtweisen zu den aus ihrer
Sicht sechs wichtigsten
Streitfragen herausarbeiten.
Von Jugendbegegnungen in
Nahost rieten unter
gegebenen Umständen die
meisten Teilnehmer ab.
Hingegen wurden pädagogische
Lehrerseminare unter
Einschaltung von Schulbuch-
und Lehrplanexperten als
besonders wichtig bewertet.
Sie müssten jedoch außerhalb
der Region stattfinden, zum
Beispiel in Braunschweig.
Auch das Internet sollte
mehr als bisher zur
Präsentation von Texten und
zur Bereitstellung von
Unterrichtsmaterialien
genutzt werden. Dabei sollte
auch das Potenzial einer
Darstellung vergleichbarer
Bemühungen um
Konfliktbewältigung im
Schulbuch aus anderen
Regionen mehr als bisher
verfügbar gemacht werden
(Nordirland,
deutsch-polnische
Schulbuchkommission,
Bosnien-Herzegowina). Alle
Teilnehmer befürworteten den
Aufbau einer starken
Nahostkomponente in dem zur
Zeit zur Beratung
anstehenden neuen
UNESCO-Programm zur
Schulbuchforschung und
-verbesserung.
Neuere Forschungsberichte
aus dem
Georg-Eckert-Institut geben
Hinweise auf Probleme
arabischer Schulbücher, die
tiefer liegen als die
Zitatensammlungen des CMIP.
Sie tragen noch die Erblast
eines christlichen
Antijudaismus.
Formulierungen wie "Jesus
war Opfer einer jüdischen
Verschwörung" haben in
Europa vor 1945 zum
Holocaust beigetragen.
Deutsche Fachinstitute
könnten wichtige Ergebnisse
der Neugestaltung des
christlichen
Religionsunterrichts in den
letzten Jahrzehnten und
frühchristlicher
Geschichtsschreibung an
Lehrplangestalter und
Schulbuchautoren im Nahen
Osten übermitteln.
Von den zehn eingeladenen
Experten aus Palästina
konnten nur fünf nach
Braunschweig kommen. Fünf
weitere palästinensische
Experten wurden infolge
neuer verschärfter
Einreisebedingungen trotz
gültiger Schengen-Visa an
der jordanischen Grenze
gestoppt. Hintergrund ist
offenbar die zunehmende
Besorgnis der jordanischen
Behörden, angesichts der
Erschwernisse würde es zu
einer Massenflucht von
Palästinensern aus der
Westbank nach Jordanien
kommen. Angeblich haben in
den letzten Monaten bereits
125.000 Palästinenser -
überwiegend illegal -
Zuflucht in Jordanien
gesucht.
DR. TRAUGOTT SCHÖFTHALER ist
Generalsekretär der
Deutschen UNESCO-Kommission.
http://www.unesco-heute.de/0303/gei-symposium.htm
Frankfurter Rundschau vom
01.10.2001
Palästinensische Schulbücher
Nahost-Konflikt wird differenzierter
dargestellt
now BERLIN, 1. Oktober. Das
Georg-Eckert-Institut für internationale
Schulbuchforschung hat in einer
vergleichenden Studie Fortschritte bei der
Gestaltung von Schulbüchern festgestellt,
mit deren Hilfe palästinensische Kinder und
Jugendliche Geschichte und Sozialkunde
lernen. Zwar werde Israel in den
Lehrmaterialien weiterhin als Aggressor,
aber nicht mehr länger als Bandit oder
Schurke hingestellt, sagte Professor Sami
Adwan (Bethlehem) am Montag in Berlin
bei der Präsentation der Studie. Häufig
werde der aktuelle Konflikt zwischen Israel
und den Palästinensern ganz ausgespart,
stellte die erste vergleichende Studie von
israelischen und palästinensischen
Geschichts- und Sozialkundebüchern für das
erste bis sechste Schuljahr fest. Anlass
dafür waren Vorwürfe, palästinensische
Schulbücher verbreiteten antisemitische
Klischees.
Propagiert werde in den aktuellen
Lehrmaterialien meist das Bild einer
"sauberen, homogenen palästinensischen
Gesellschaft", sagte Götz Nordbruch von der
Berliner Humboldt-Universität. Als
abschreckendes Beispiel "westlicher
Dekadenz" sei an einer Stelle das Foto
zweier Punks dem Bild einer
palästinensischen Familie gegenüber
gestellt.
Auch israelische Schulbücher würden den
Palästina-Konflikt wesentlich
differenzierter darstellen, erläuterte
Professor Yoshua Mathias von der Universität
Tel Aviv. Die überwiegende Mehrheit der
Bücher spreche heute auch die "dunklen
Seiten" der zionistischen Geschichte an, wie
die Vertreibung palästinensischer Bewohner.
Erklärung des Erziehungsministeriums –Palästina
zum Palästinensischen Curriculum und zu den
Schulbüchern - 12. Mai 2001
Einleitung
Das palästinensische Ministerium
für Erziehung (MOE) wurde Ende 1994
gegründet. Es ist eine allgemein bekannte
Tatsache, daß es einen jämmerlichen
Bildungszustand in der Westbank und in Gaza
von den israelischen Besatzungsbehörden
übernahm. Seitdem hat sich das
palästinensische Erziehungsministerium
außerordentlich darum bemüht, der
Verschlechterung in konkreten Schritten
entgegenzuwirken, die das Bildungssystem
während der Besetzung erlitt.
Ernste Probleme wie z. B. die
Schulen, in denen in drei Schichten
unterrichtet werden muß, die mangelnde
Lehrerausbildung und die schrecklichen
Folgen der Rekrutierungspraktiken etc.
charakterisierten die Bildung in der
Besatzungszeit. So spürte das
Bildungsministerium die Notwendigkeit, ein
Curriculum zu entwickeln, das den Schülern
entspricht, um die Dualität der Curricula in
der Westbank und in Gaza zu ersetzen und um
das Bildungssystem konsequent zu vereinen.
Der Plan enthält gegenwärtige Themen in
Bereichen der Demokratie, Menschenrechte,
Rechte von Kindern, Stärkung der Frauen,
Pluralität und Toleranz.
Die neue Vision enthält auch neue
Themenbereiche: Gesundheit, Umwelt,
Christliche Erziehung und
Informationstechnologie, zusätzlich zu
Verbesserungen und Änderungen im Bereich der
Lehre der Fremdsprachen etc. Schon bald nach
seiner Gründung bat das MOE die UNESCO und
Geberländer um Hilfen für die Errichtung
eines „Palestinian Curriculum Development
Center“s (PCDC), das jetzt vollauf damit
beschäftigt ist, das allererste
palästinenische Curriculum der Geschichte zu
entwickeln.
Bis jetzt hat es nur
palästinensische Schulbücher für zwei
Klassenstufen veröffentlicht: Für die 1.
Klasse (Kinder im Alter von 6 Jahren) und
für die 6. Klasse (Kinder im Alter von 11
Jahren). Aus pädagogischen Gründen wird
geplant und erwartet, daß die
palästinensischen Schulbücher für die
restlichen 10 Klassen in Etappen bis zum
Jahr 2004/2005 angefertigt werden. Solange
benutzen diese Klassenstufen die
jordanischen Schulbücher in der Westbank und
die ägyptischen Schulbücher in Gaza, was
bereits seit 1950 der Fall ist.
Viele in der internationalen
Gemeinschaft unterschätzen die Schwierigkeit
und Sensibilität, die es bedeutet, ein
nationales Curriculum und Schulbücher für
ein Volk anzufertigen, das so lange Jahre
gelitten hat unter brutaler Besatzung und
das sich in sehr komplizierten und
frustrierenden Verhandlungen engagierte, die
sein Schicksal und seine Grenzen bestimmen
werden. Viele unterschätzen die Komplexität
und den Zeitbedarf der Versöhnung und des
Heilungsprozesses. .....
Quelle und mehr >>>
Eine Besatzung
die Kinder dazu bringt sich umzubringen
-
von Leah
Tsemel - ZNet 03.12.2003
(Leah
Tsemel ist eine israelische Anwältin die in
Jerusalem arbeitet. Das ist eine Fassung
ihrer Rede über Kinder und Menschenrechte
bei der Giorgio Cini Gesellschaft in
Venedig.)
Meine Eltern verließen Europa knapp vor
dem Holocaust und sie verloren durch diesen
die meisten ihrer Familienmitglieder. Um mir
ein besseres Leben und die Sicherheit eines
eigenen Staates zu versprechen kamen sie in
jenen Teil der Welt welcher heute Israel
genannt wird, und einmal Palästina genannt
worden ist. Nach fast 60 Jahren kann ich
nicht behaupten, dass sie dies erreichten;
im Gegenteil. Es scheint, dass meine Eltern
und andere welche den israelischen Staat
bauen wollten nicht verstanden haben, dass
es unmöglich ist eine neue Zukunft auf dem
Fundament von Unterdrückung zu bauen.
Ich habe 30 Jahre lang die
PalästinenserInnen in israelischen
Gerichtshöfen verteidigt und habe es trotz
meiner Anstrengungen nicht geschafft die
Richter, ob nun in Militärtribunalen oder im
Höchstgerichtshof, dazu zu bringen diese
einfache Wahrheit zu verstehen. Sie
Situation verschlechtert sich und letztes
Jahr machte ich zwei Schritte rückwärts für
jeden vorwärts, wie in den letzten 25
Jahren.
Der bekannte israelische Autor David
Grossman hat über die Reinwaschung der
Sprache durch die israelische Besatzung
geschrieben. „Besatzung“ wurde in Hebräisch
zu „Entlassung“ oder „Rettung“.
„Kolonisation wurde zu „friedlicher Lösung“.
„Töten“ wurde zu „anvisieren“. Die
PalästinenserInnen antworteten auf diese
Euphemismen durch die Radikalisierung ihrer
Sprache. Früher kamen meine Klienten in mein
Büro in Jerusalem und sprachen über
SoldatInnen oder SiedlerInnen. Heute
sprechen sie über al-yahud – die Juden. „Die
Juden haben mir meine ID-Karte weggenommen“,
„die Juden haben mich geschlagen“, „die
Juden haben dieses oder jenes zerstört“. Das
erschreckt mich. Wenn der israelische Staat
mit allen Juden der Welt identifiziert wird
und alle Juden auf der Welt als SoldatInnen
oder SiedlerInnen betrachtet werden, müssen
wir sehr vorsichtig sein.
Ein palästinensisches Kind welches
heute al-yahud sagt, was „die Juden“
bedeutet, und damit die Leute in Uniform
meint, wird fanatisch werden und einen
nationalistischen Fanatismus entwickeln,
neben einem jugendlichen religiösen
Fanatismus. Aber ein ähnliches Problem,
vielleicht sogar schlimmer, ist, dass der
religiöse Fanatismus auf der jüdischen Seite
zu wachsen beginnt. Die jüngere Generation
der israelischen Juden und Jüdinnen wollen
die AraberInnen verbannen. An den Mauern in
israelischen Städten sehen wir hebräische
Slogans wie „Araber aus dem Land“ oder „Tod
den Arabern“. Wir erreichen einen Zustand,
in welchem die israelische Regierung offen
darüber debattiert, was sie mit Yasser
Arafat machen wird, dem gewählten
Präsidenten der PalästinenserInnen: soll man
ihn töten? Ihn abschieben? Die Wahl eines
anderen, entgegenkommenderen Präsidenten für
die PalästinenserInnen arrangieren, der
schwach genug ist um uns alles zu geben was
wir wollen?
Die hauptsächlichen Opfer der Besatzung
und der Unterdrückung sind Inder. In Israel
sind die alten Gesetze Aus der Zeit des
britischen Mandats vor der Unabhängigkeit
noch immer in Kraft, welche es der
Besatzungsmacht erlauben kollektive Strafen
durchzuführen. Kürzlich verlor ich einen
Fall. Ich hatte versucht die Zerstörung des
Hauses eines jungen Mannes zu verhindern,
eines palästinensischen
Selbstmordattentäters der sich selbst und
acht andere in der Nähe eines militärischen
Camps außerhalb Tel Avivs umgebracht hatte.
Gemäß dem Gesetz aus der britischen
Mandatszeit soll das Haus von jemandem der
einen terroristischen Angriff durchführt
zerstört werden. Als ich die Familie anrief
um ihnen zu sagen, dass ich verloren habe,
sagte die Mutter des Selbstmordattentäters
„Ich wußte, daß wir keine Hoffnung haben.
Wir haben das Haus bereits evakuiert.“
Nur selten haben wir in solchen Fällen
die Zeit vor Gericht zu gehen.
[Haus-]Zerstörungen bestrafen normalerweise
nicht die Verbrecher sondern ihre Familien.
Sehr oft werden sie ohne Vorwarnung
durchgeführt. „Sie haben fünf Minuten um das
Haus zu verlassen!“ ist die ganze Zeit die
man [ihnen] gibt. Die Zerstörer zertrümmern
alles – die Einrichtung und das Gewand. Ich
frage die Familien oft was sie in diesen
fünf Minuten schnell mitnehmen und sie sagen
„die Zeugnisse der Kinder“. Ihr Optimismus
ist wunderbar.
Die Kinder von KämpferInnen, also von
„palästinensischen TerroristInnen“, werden
für immer gebrandmarkt sein. Unter der
militärischen Besatzung wird ihnen nicht
gestattet das Land zu verlassen, die Stadt
zu wechseln oder woanders zu studieren. Sie
können ihre Eltern nicht im Gefängnis
besuchen.
Die letzte Bestrafung für
„terroristische“ Familien ist es sie zu
zwingen umzuziehen. Seit dem Beginn der
letzten Intifada gab es in jeder
palästinensischen Stadt in den besetzten
Gebieten eine totale Ausgangssperre, während
israelische Panzer hinein und hinausfahren
wie es ihnen passt. Es ist ein Hobby
palästinensischer Kinder auf Hügel, Berge
und die Zäune und Hindernisse zu klettern,
die Israel aufbaut um die Bewegung zwischen
den Dörfern und Städten zu verhindern.
Jetzt baut Sharon einen Zaun – oder
nein, eine Mauer – zwischen Israel und
Palästina. Dieser Zaun ist keine Grenze; er
verläuft nicht entlang der Grenzen von 1967.
Das ist eine Mauer die eine Apartheid
zwischen der jüdischen und der
palästinensischen Bevölkerung schaffen soll,
und welche die PalästinenserInnen von den
kleinen Stücken bebaubaren Landes in den
besetzten Gebieten trennen soll welche noch
nicht von den jüdischen SiedlerInnen
genommen worden sind, und um dieses Land in
den israelischen Staat zu integrieren.
Manchmal sieht man lustige oder
berührende Szenen. Mütter die auf
Betonmauern oder Zäune klettern. Öfter hört
man traurige Geschichten, wie jene über die
jungen israelischen Soldaten welche eine
palästinensische Frau welche im Begriff war
zu gebären nicht durchließen. Das Kind
starb.
Die Unterdrückung und die Erniedrigung
sind schwere Bürden. Um zu einem Doktor in
einem Krankenhaus zu kommen muss ein Kind
aus der Nähe von Ramallah stundenlang mit
seinem Vater gehen, nur um auf eine
Straßenblockade zu stoßen. Die Kultur des
Vaters hat ihm gelehrt, dass er ein
Patriarch sein sollte, und es kränkt ihn
tief vor den Augen seines Sohnes die
SoldatInnen anbetteln und anflehen zu
müssen, sie durchzulassen. Was für ein Bild
bekommen diese Kinder von ihren Ältern?
Dann gibt es die Ermordungen von
Kindern. Kürzlich warf ein zehnjähriges Kind
einen Stein auf einen Soldaten in der Nähe
einer Straßenblockade außerhalb Jerusalems
und wurde erschossen. Ein Ein-Tonnen Bombe
die von einem israelischen Flugzeug auf Gaza
abgeworfen worden ist, die dichtest
besiedelste Stadt in der Welt, tötete 16
Kinder. Mohammed Dura, das Kind welches zu
Beginn der Intifada vor drei Jahren in den
Armen seines Vaters gestorben ist, ist mehr
als ein Symbol: er ist eine alltägliche
Realität.
Ein Teil dieser großen Tragödie stammt
von der Ähnlichkeit zwischen den
PalästinenserInnen und den Israelis. Ein
europäischer Freund sagte mir vor kurzem:
„Ich verstehe das nicht; alle sind sich so
ähnlich. Wie erkennen die SoldatInnen wer
arabisch und wer jüdisch ist?“ und ich sagte
ihm was ich gehört habe: „Die SoldatInnen
starren in die Augen einer Person, und wenn
sie jüdische Augen hat, sind sie sicher
arabisch.“
An einem anderen Tag sah ich an der
Grenze zwischen Ost- und Westjerusalem 150
ältere palästinensische Männer in einem
Park. Sie waren alle aus dem Westjordanland
und die Polizei ließ sie nicht in die Stadt
hinein – entweder hatten sie keine
Passierscheine oder die Polizei weigerte
sich die Scheine anzuerkennen die sie
hatten. Ich ging dort mit meinem üblichen
Optimismus hin, und dachte, dass ich eine
Frau bin, weiß bin, jüdisch bin, eine
Anwältin bin, ich alle Probleme lösen kann,
und ich versuchte mit den SoldatInnen und
mit der Polizei zu reden. Die Männer standen
einfach stumm da. Ihnen war befohlen worden
die Akkus aus ihren Mobiltelephonen zu
nehmen und nicht zu sprechen. Ich fühlte
mich dumm. Sie hatten ihre Situation viel
besser verstanden als ich. Sie wußten, dass
sie einen hohen Preis zahlen würden, wenn
sie mir antworten würden; sie wußten
bereits, dass mein Einschreiten sinnlos war.
Die willkürlichen Befugnisse der SoldatInnen
und der Polizei sind viel größer als jedes
legale System das ich repräsentiere. Ich
dachte: was hätte Primo Levi empfunden wenn
er diesen Moment gesehen hätte, in dem
andere Menschen von JüdInnen unterdrückt
werden?
Die frühere israelische
Premierministern Golda Meir sagte, dass sie
Albträume hatte, weil die PalästinenserInnen
sich so schnell vermehren: vor 20 Jahren
verursachte diese Bemerkung einen Skandal.
Aber am 29. August 2003 beschloss die
israelische Knesset folgendes Gesetz: „Wenn
es zu einer Heirat zwischen einer
israelischen und einer palästinensischen
Person aus den besetzten Gebieten kommt,
wird die [palästinensische] Person nicht
nach Israel kommen dürfen, und jedes Kind
einer solchen Ehe wird nicht im israelischen
Geburtenregister verzeichnet werden, wenn es
nicht innerhalb eines Jahres nach seiner
Geburt registriert wird.“ Wir versuchen
angestrengt diese Politik zu bekämpfen,
welche ich nur rassistisch nennen kann.
Die palästinensischen Kinder,
bilden als Ergebnis dieses Krieges ein
Potential an Selbstmordattentätern. Ich
vertrete jene welche nicht sterben konnten
und ich weiß von jenen die starben, also
spreche ich aus Erfahrung. Sie sterben nicht
für die 70 Jungfrauen die ihnen versprochen
werden wenn sie Shahids (Märtyrer) werden
und sie werden nicht gezwungen oder einer
Gehirnwäsche unterzogen. Diese Jungen
Menschen kommen von allen teilen der
Bevölkerung, und sterben aus Verzweiflung
freiwillig. Sie fühlen, dass sie wenig zu
verlieren und nur Ruhm zu gewinnen haben. Es
ist furchtbar, wenn eine Gesellschaft Kinder
dazu bringt sich umzubringen; es ist
furchtbar, wenn unsere jüdische israelische
Gesellschaft Siedler produziert die ein Auto
vollgepackt mit starken Sprengstoffen vor
einer palästinensischen Mädchenschule in
Jerusalem stehen lassen, wie jetzt enthüllt
worden ist. Die Polizei fand es nur
zufällig. Die Ermordung von Kindern ist zu
einer Besessenheit geworden. Seit der
letzten Intifada bis heute sind 700
palästinensische und 100 jüdische Kinder
unter 16 Jahren gestorben. In den letzten
drei Jahren sind 382 palästinensische Kinder
von der Armee oder von SiederInnen
umgebracht worden, und auch 79 israelische
Kinder starben. Es ist ein Albtraum ein
israelisches Kind zu sein – sich davor zu
fürchten zum Bus zu gehen, zum Markt, in das
Geschäft. An jedem Tor stehen Wachen die
deine Taschen öffnen und dich durchsuchen.
mehr >>>
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