Israel Shahak:
Jüdische
Religion, Jüdische Geschichte
Inhaltsverzeichnis:
A/ 1- Israel - ein
Utopia für Auserwählte?
-
2-
Definition des Judenstaates
-
3-
Die Ideologie vom "erlösten" Land
-
4- Israelischer Expansionismus
-
5- Ein geschlossenes Utopia?
B/ 6- Vorurteile
und Verfälschungen
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7- Befreiung von außen
-
8-
Hindernisse für das Verstehen
-
9-
Totalitäre Geschichte
-
10- Verteidigungsmechanismen
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11- Die Täuschung geht weiter
C/ 12- Orthodoxie
und Interpretation
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13-
Interpretation der Bibel
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14-
Aufbau des Talmud
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15- Die Dispensationen
cc1-
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16- Verzinsung
cc2-
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17- Das Sabbat-Jahr
cc3-
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18- Melken am Sabbat
cc4-
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19- Vermischte Feldfrüchte
cc5-
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20- Gesäuerte Substanzen
cc6-
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21-
Der Sabbat-Goj
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22- Soziale Aspekte der
Dispensationen
D/ 23- Die Bürde
der Geschichte
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24- Grundzüge des klassischen
Judaismusda1-
-
25- England, Frankreich und Italien
da2-
-
26- Moslemische Länder
da3-
-
27- Das christliche Spanien
da4-
-
28-
Polen
-
29-
Antijüdische Verfolgungen
-
30-
Der moderne Antisemitismus
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31-
Die zionistische Reaktion
-
32- Konfrontation mit der
Vergangenheit
E/ 33-
Gesetze gegen Nichtjuden
-
34- Mord und Völkermord
-
35-
Rettung von Leben
-
36-
Entheiligung des Sabbats zur Lebensrettung
-
37-
Sexuelle Straftaten
-
38-
Status
-
39- Geld und Eigentum
ef1-
-
40- Geschenke
ef2-
-
41- Zinsforderungen
ef3-
-
42- Verlorenes Eigentum
ef4-
-
43- Täuschung im Geschäftsleben
ef5-
-
44- Betrug
ef6-
-
45-
Diebstahl und Raub
-
46-
Nichtjuden im Land Israel
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47-
Schmähungen
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48- Die Einstellungen zu Christentum
und Islam
F/ 49- Politische
Konsequenzen
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50-
Jerusalem und die Juden
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51-
Rezension von Benjamin Beit-Hallahmi
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52-
Leserbriefe
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53-
Ein Exzeß an Demagogie
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54-
Ein spanisches Beispiel
-
55-
Israelischer Terrorismus
-
56- Die Halacha
unterscheidet zwischen verschiedenen
Arten von Mord
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57-
Wer ist Demokrat im Nahen Osten?
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58-
Scharons Imperium
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59-
Mord gemäß der Halacha
-
60-
Das Gleichnis gilt
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61-
Gebete auf verworrenen Wegen
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62-
Das iranische Modell
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63-
Maskerade von ausgestopften Bälgern als menschliche Wesen
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64-
Beste Absicht?
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65-
Ist es noch dieselbe Arbeiterpartei?
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66-
eres' Unterstützung der Siedler
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67-
Woraus besteht eine Öffentlichkeit?
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68-
Organspenden von Nichtjuden
-
69-
Der Weg zu absoluter Korruption
-
70-
Ein Fall einer unreinen Adresse
-
71-
Der Rassismus von Arthur Ruppin
-
72- Sehnsucht nach Wiedererrichtung
des Königreichs Davids und
Salomos
-
73-
Was will Gott wirklich?
-
74-
Gehirnwäsche
-
75-
Wer darf aus den "Staatsländereien" Nutzen ziehen?
-
76-
Wie die religiösen Fanatiker in Ägypten
-
77-
Ein Chomeini-Staat
-
78-
Das Schweigen der israelischen Juden
-
79-
Vier Hauptmerkmale des Apartheid-Regimes
-
80-
Professor Gabison irrt
-
81-
Ein grober Bruch der militärischen Disziplin
-
82-
Es kann hier geschehen
-
83-
Der richtige Name ist "Genozid" und nicht "Sho'a"
-
84-
Der Verrat der [israelischen] Medien und Intellektuellen
-
85-
Sabra und Schatila Nr. 2
-
86-
Die [zionistische] Arbeiterbewegung ist nicht sozialdemokratisch
-
97-
"Diese Missetat soll euch nicht vergeben werden, bis ihr sterbet"
-
88- Die Ideen
der Chabad-Bewegung sind noch
verwerflicher als diejenigen von Kahane
-
89- Die "Grundsatzerklärung"
erkennt nicht die Rechte der
Palästinenser an
-
90-
Nichtmoderater physischer Druck
-
91-
Nur zum Nutzen der Juden
-
92-
Ein Fall von Vorurteilslosigkeit aus dem 11. Jahrhundert
-
93-
Das jüdische Religionsgesetz ist inhuman
-
94-
Nachwort von Edward W. Said
-
95- Die Vita von Israel Shahak
A/
ISRAEL
- ein
Utopia für Auserwählte?
Hier schreibe ich, was ich
für wahr halte, daß die Geschichten der Griechen so zahlreich wie
gedankenarm sind.
(Hekataios von
Milet, zitiert nach Herodot)
Amicus Plato sed magis
amica veritas - Plato ist mir lieb, noch lieber die Wahrheit.
(Lateinisches
Sprichwort nach der Nikomachischen Ethik von Aristoteles)
In einem freien Staat kann
jeder denken, was er will, und sagen, was er denkt.
(Spinoza)
Obwohl in
englischer Sprache entstanden und für Menschen gedacht, die außerhalb
des Staates Israel leben, ist dieses Buch gewissermaßen eine Fortsetzung
meiner politischen Arbeit als israelischer Jude. Diese Arbeit begann in
den Jahren 1965 und 1966 mit einem Protest, der seinerzeit großes
Ärgernis erregte. Ich war nämlich Augenzeuge, wie ein ultrareligiöser
Jude die Benutzung seines Telefons am Sabbat verweigerte: Für einen
Nichtjuden, der in der Gegend von Jerusalem einen Kollaps erlitten
hatte, wurde ein Notarztwagen benötigt. Statt mich auf eine
Pressemitteilung zu beschränken, bemühte ich mich um eine Zusammenkunft
mit dem Rabbinischen Gericht von Jerusalem, dessen Mitglieder vom Staate
Israel ernannt werden. Ich fragte die Rabbiner, ob solch ein Verhalten
ihrer Auslegung der jüdischen Religion entspräche. Ihre Antwort war, daß
der fragliche Jude sich richtig, ja sogar fromm verhalten hätte, und sie
zitierten zur Bekräftigung ihrer Aussage eine Passage aus einem in
unserem Jahrhundert abgefaßten maßgeblichen Handbuch der talmudischen
Gesetze. Ich berichtete diesen Vorfall der größten hebräischen
Tageszeitung Haarez, die mit ihrer Meldung einen Medienskandal auslöste.
Für mich hatte der
Skandals ziemlich negative Folgen. Weder in Israel noch in der Diaspora
hoben rabbinische Autoritäten die Vorschrift auf, daß kein Jude den
Sabbat verletzen dürfe, um das Leben eines Nichtjuden zu retten. Sie
betteten das Ganze in viel scheinheiliges Geschwätz, die Verletzung des
Sabbat sei nur dann erlaubt, wenn wegen einer unterlassenen
Hilfeleistung Juden in Gefahr geraten könnten.
Ich besann mich
auf mein in der Jugend erworbenes Wissen und begann, jene talmudischen
Gesetze zu studieren, die die Beziehungen zwischen Juden und Nichtjuden
regeln. Dabei wurde mir klar, daß sowohl der angeblich vorwiegend
areligiöse Zionismus als auch die seit der Staatsgründung betriebene
israelische Politik und ganz besonders die Israel unterstützende Politik
der jüdischen Diaspora nur zu verstehen ist, wenn man den starken
Einfluß dieser Gesetze und die dafür verantwortliche Ideologie
berücksichtigt. Die von Israel nach dem Sechs-Tage-Krieg verfolgte
Politik und besonders der Apartheid-Charakter des israelischen
Besatzungsregimes sowie die Einstellung des größten Teils der Juden
gegenüber den Rechten der Palästinenser (auch wenn sie keine praktischen
Auswirkungen hatte) haben diese Überzeugung noch bestärkt.
Mit dieser Aussage
versuche ich nicht, die politischen oder strategischen Überlegungen, die
ebenfalls einen Einfluß auf die Herrschenden in Israel haben, zu
ignorieren. Ich sage nur, daß Realpolitik aus der Wechselwirkung
zwischen realistischen Erwägungen (gleichgültig, ob richtig oder falsch,
moralisch oder unmoralisch nach meiner Bewertung) und ideologischen
Einflüssen erwächst. Die letzteren scheinen dann um so einflußreicher zu
sein, je weniger sie erörtert und "aufs Tapet gebracht" werden. Jede
Form von Rassismus, Diskriminierung und Xenophobie gewinnt um so mehr
politischen Einfluß, je mehr sie die Allgemeinheit für
selbstverständlich hält. Dies gilt gerade dann, wenn die Diskussion
darüber offiziell oder inoffiziell tabuisiert wird. Rassismus,
Diskriminierung und Xenophobie, von Juden ausgehend und mit religiösen
Motiven unterlegt gegen Nichtjuden gerichtet, ist ein Zwillingsbruder
des Antisemitismus und seiner religiösen Motive. Während über die eine
Rassismusvariante gesprochen werden kann, wird das Vorhandensein der
anderen im allgemeinen ignoriert, und zwar weitaus häufiger außerhalb
Israels als in Israel selbst.
Definition des Judenstaates
Ohne eine
Erörterung der unter Juden vorherrschenden Haltungen gegenüber
Nichtjuden kann man auch das Konzept Israels als "Judenstaat", wie sich
Israel selbst formell definiert, nicht verstehen. Das weitverbreitete
Mißverständnis, daß Israel (auch ohne Berücksichtigung seiner
Besatzungsherrschaft) eine echte Demokratie sei, läßt sich auf die
Weigerung zurückführen, die Bedeutung des Begriffs "Judenstaat"
Nichtjuden nahezubringen. Meiner Ansicht nach ist Israel als Judenstaat
eine Gefahr nicht nur für sich selbst und seine Einwohner, sondern für
alle Juden und alle anderen Völker und Staaten im Nahen Osten und noch
darüber hinaus sein. Außerdem meine ich, daß auch die anderen
nahöstlichen Staaten oder Institutionen, die sich entsprechend der
israelischen Selbstdefinition als "jüdisch", als "arabisch" oder
"moslemisch" definieren, ebenfalls eine Gefahr sind. Während diese
Gefahr in der Öffentlichkeit diskutiert wird, schweigt man über die
Gefahren, die dem jüdischen Charakter des Staates Israel innewohnen.
Das Prinzip
Israels als "Judenstaat" war seit den Anfängen des Staates für alle
israelischen Politiker von höchster Wichtigkeit und wurde der jüdischen
Bevölkerung mit allen nur denkbaren Mitteln eingeprägt. Als sich Anfang
der achtziger Jahre eine winzige Minderheit israelischer Juden bildete,
die diesem Konzept ablehnend gegenüberstand, verabschiedete die Knesset
im Jahre 1983 mit überwältigender Mehrheit ein Verfassungsgesetz (d.h.
ein Gesetz, das die Regelungen anderer Gesetze außer Kraft setzt und nur
durch ein spezielles Verfahren aufgehoben werden kann). Nach diesem
Gesetz darf eine Partei, deren Programm dem Prinzip des "Judenstaates"
offen widerspricht oder Änderungen daran durch demokratische Mittel
vorsieht, an den Wahlen zur Knesset nicht teilnehmen. Ich selbst bin ein
heftiger Gegner dieses Verfassungsprinzips. Für mich besteht die
Konsequenz darin, daß es für mich in dem Staat, dessen Bürger ich bin,
keine Partei gibt, deren Prinzipien ich zustimmen und die zugleich an
den Parlamentswahlen teilnehmen kann. Gerade dieses Beispiel zeigt, daß
der Staat Israel keine Demokratie ist, denn eine jüdische Ideologie wird
gegen alle Nichtjuden und gegen solche Juden angewendet, die diese
Ideologie ablehnen. Die Gefahr durch diese herrschende Ideologie
beschränkt sich jedoch nicht auf die Innenpolitik, sondern beeinflußt
auch die Außenpolitik Israels. Diese Gefahr wird weiter wachsen, solange
sich zwei gegenwärtige Entwicklungen zuspitzen: Die Zunahme des
jüdischen Charakters von Israel und der Zuwachs an militärischer,
insbesondere nuklearer Stärke. Ein weiterer verhängnisvoller Faktor ist
die Tatsache, daß der israelische Einfluß auf das politische
Establishment der USA wächst. Deshalb sind genaue Informationen über den
Judaismus und besonders über die Behandlung der Nichtjuden durch Israel
nicht nur wichtig, sondern auch politisch lebensnotwendig.
Lassen Sie mich
mit der offiziellen israelischen Definition des Begriffs "jüdisch"
beginnen, der den entscheidenden Unterschied zwischen Israel als
"Judenstaat" und der Mehrheit der anderen Staaten aufzeigt. Nach dieser
offiziellen Definition "gehört" Israel nur den Menschen, die von den
israelischen Behörden als "jüdisch" definiert werden, unabhängig von
Wohnort oder Staatsangehörigkeit. Andererseits "gehört" Israel offiziell
nicht den nichtjüdischen Bürgern, deren Status sogar offiziell als
untergeordnet angesehen wird. Dies bedeutet in der Praxis, wenn
peruanische Indios zum Judentum konvertieren und somit als jüdisch
betrachtet werden, sie sofort berechtigt sind, israelische Bürger zu
werden und von etwa 70% des Bodens im besetzten Westjordanland (und von
92% des Bodens im eigentlichen Israel) profitieren zu können, das
offiziell ausnahmslos zum Nutzen durch Juden vorgesehen ist. Alle
Nichtjuden (nicht nur alle Palästinenser) sind von diesen Vorrechten
ausgeschlossen. (Das Verbot gilt auch für arabische Staatsbürger
Israels, die in der israelischen Armee gedient und einen hohen Rang
erreicht haben.) Der Fall mit den zum Judentum konvertierten Peruanern
ereignete sich tatsächlich vor einigen Jahren.
Diese neuen Juden
wurden im Westjordanland in der Nähe von Nablus auf Land angesiedelt,
das Nichtjuden offiziell nicht besiedeln dürfen. Alle israelischen
Regierungen nehmen enorme politische Risiken einschließlich der Gefahr
eines Krieges auf sich, damit solche Siedlungen, die sich ausschließlich
aus "jüdisch" definierten Personen (und nicht etwa "israelischen", wie
die meisten Medien lügenhaft behaupten) zusammensetzen, nur "jüdischer"
Autorität unterstehen.
Ich vermute, daß
die Juden in den USA oder in Großbritannien es als antisemitisch
ansähen, wenn Christen vorschlügen, aus Großbritannien oder den USA
sollte ein "Christenstaat" werden, der offiziell nur den als "Christen"
definierten Bürgern gehöre. Die Folge einer solchen Doktrin bestünde
darin, daß zum Christentum konvertierte Juden wegen ihres Übertritts zum
Christentum vollberechtigte Bürger würden. Man sollte sich daran
erinnern, daß die Vorteile von Glaubensübertritten den Juden aus ihrer
eigenen Geschichte bekannt sind. Als die christlichen und islamischen
Staaten alle Personen diskriminierten, die - wie die Juden - nicht der
Staatsreligion angehörten, wurde die Diskriminierung der Juden durch
ihren Glaubensübertritt aufgehoben. Ein vom Staat Israel diskriminierter
Nichtjude erfährt aber ebenso sofort eine andere Behandlung, wenn er zum
Judaismus konvertiert. Es zeigt, daß dieselbe Art der Exklusivität, die
die Mehrheit der in der Diaspora lebenden Juden als antisemitisch an
sich ansieht, von der Mehrheit aller Juden als jüdisch betrachtet wird.
Ein Eintreten gegen Antisemitismus und jüdischen Chauvinismus wird unter
Juden weitgehend als "Selbsthaß" betrachtet, was in meinen Augen
sinnwidrig ist.
Die Bedeutung des
Begriffs "jüdisch" und der artverwandten Wörter einschließlich
"Judaismus" erlangt im Zusammenhang mit der israelischen Politik
dieselbe große Bedeutung wie das offiziell von Iran verwendete Wort
"islamisch" oder der offiziell von der UdSSR verwendete Begriff
"Kommunist". Die Bedeutung des allgemein benutzten Begriffs "jüdisch"
ist jedoch nicht klar, weder im Hebräischen noch in anderen Sprachen.
Daher muß der Begriff offiziell definiert werden.
Nach israelischem
Gesetz ist eine Person "jüdisch", wenn entweder die Mutter, die
Großmutter, die Urgroßmutter oder die Ururgroßmutter religiöse Jüdinnen
waren, oder die Person in einer Art und Weise zum Judentum konvertierte,
die den israelischen Behörden zufriedenstellend erscheint. Darüber
hinaus gilt die Bedingung, daß die Person nicht vom Judentum zu einer
anderen Religion konvertierte. In diesem Falle betrachtet Israel diese
Person nicht mehr als "jüdisch". Von diesen drei Bedingungen entspricht
die erste der talmudischen Definition "Wer ist Jude?", d.h. der auch von
der jüdischen Orthodoxie verwendeten Definition. Der Talmud und das
nachtalmudische Gesetz erkennen außerdem den Glaubensübertritt eines
Nichtjuden zum Judentum (als auch den Kauf eines nichtjüdischen Sklaven
durch einen Juden mit anschließendem Glaubensübertritt einer anderen
Art) als eine Methode an, ein Jude zu werden, vorausgesetzt, daß der
Glaubensübertritt durch einen autorisierten Rabbiner auf entsprechende
Art und Weise vorgenommen wird. Diese "entsprechende Art und Weise" hat
für Frauen die Konsequenz, daß sie sich von drei Rabbinern nackt in
einem "Reinigungsbad" untersuchen lassen müssen. Dieses Ritual ist zwar
allen Lesern der hebräischen Presse bekannt, wird aber in den
nichtjüdischen Medien trotz des unzweifelhaften Interesses für bestimmte
Leser nicht oft erwähnt. Ich hoffe, daß dieses Buch den Anfang eines
Prozesses bildet, der diese Diskrepanz beseitigt.
Es gibt aber eine
weitere dringende Notwendigkeit für eine offizielle Definition dessen,
wer "jüdisch" ist und wer nicht. Der Staat Israel diskriminiert
offiziell Nichtjuden gegenüber Juden in vielen Lebensbereichen, von
denen ich folgende drei als die wichtigsten betrachte: Wohnrecht,
Arbeitsrecht und das Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz. Die
Diskriminierung im Wohnrecht gründet sich auf der Tatsache, daß etwa 92%
des israelischen Landes Staatseigentum sind und von der israelischen
Landbehörde entsprechend den vom Jewish National Fund (JNF), einem
Ableger der World Zionist Organization, erlassenen Vorschriften
verwaltet werden. In diesen Vorschriften verweigert der Jewish National
Fund jedermann, der nicht jüdisch ist, das Recht auf Niederlassung, auf
Geschäftseröffnung und oft auch zur Arbeit. Und zwar nur deshalb, weil
er kein Jude ist. Gleichzeitig ist es Juden aber erlaubt, sich überall
in Israel niederzulassen und geschäftlich tätig zu sein. Solche
Maßnahmen gegen Juden in einem anderen Staat würden sofort und zu Recht
als Antisemitismus gebrandmarkt werden und zweifellos massive
öffentliche Proteste hervorrufen. Wendet jedoch Israel diese Maßnahmen
als Teil der "jüdischen Ideologie" an, so werden sie in der Regel
geflissentlich ignoriert oder (bei einer seltenen Erwähnung)
entschuldigt.
Die Verweigerung
des Rechts auf Arbeit bedeutet, daß Nichtjuden offiziell von der Arbeit
auf dem Land ausgeschlossen sind, das die israelische Landbehörde
entsprechend den Jewish-National-Fund-Vorschriften verwaltet. Diese
Vorschriften werden sicher nicht immer durchgesetzt, existieren aber.
Von Zeit zu Zeit versucht Israel jedoch, diese Vorschriften von
staatlichen Behörden durchsetzen zu lassen, wie z.B. immer dann, wenn
das Landwirtschaftsministerium vorgeht gegen den "Frevel, gepachtete
Obstplantagen, die Juden gehören und sich auf nationalem Land (d.h.
Land, das dem Staate Israel gehört) befinden, von arabischen
Arbeitskräften abernten zu lassen", auch wenn die fraglichen
Arbeitskräfte Bürger Israels sind. Israel verbietet es ferner den auf
"nationalem Land" angesiedelten Juden, auch nur einen Teil des Landes an
Arbeiter selbst für nur kurze Zeit zu verpachten. Diejenigen, die es
dennoch tun, müssen in der Regel schwere Geldstrafen zahlen. Nichtjuden
ist es jedoch nicht verboten, ihr Land an Juden zu verpachten. Dies
bedeutet in meinem Falle, daß aufgrund der Tatsache, daß ich ein Jude
bin, ich das Recht habe, einen Obstgarten zur Aberntung von einem
anderen Juden zu pachten. Ein Nichtjude jedoch, gleichgültig, ob Bürger
Israels oder ein niedergelassener Ausländer, hat dieses Recht nicht.
Nichtjüdische
Bürger Insraels haben nicht das Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz.
Diese
Diskriminierung drückt sich in vielen israelischen Gesetzen aus, in
denen die Begriffe "jüdisch" und "nichtjüdisch" in der Regel nicht
explizit, wie in dem entscheidenden Rückkehrgesetz, verwendet werden,
vermutlich, um Verwicklungen zu vermeiden. Nach diesem Gesetz haben nur
offiziell als "jüdisch" anerkannte Personen automatisch das Recht auf
Einwanderung und Niederlassung in Israel. Sie erhalten automatisch ein
"Einwanderungs-Zertifikat", das ihnen bei der Ankunft das "Bürgerrecht
kraft ihrer Rückkehr in das jüdische Heimatland" und das Recht auf viele
finanzielle Vorteile verleiht, die je nach Herkunftsland unterschiedlich
ausfallen. Die aus den Staaten der früheren UdSSR emigrierten Juden
erhalten eine "Eingliederungsbeihilfe" von mehr als 20 000 Dollar pro
Familie. Alle Juden, die entsprechend diesem Gesetz nach Israel
einwandern, erhalten sofort das aktive und passive Wahlrecht für die
Knesset - auch wenn sie kein Wort hebräisch sprechen.
Andere israelische
Gesetze dienen als Ersatz für die etwas dunklen Aussagen "jeder, der
entsprechend dem Rückkehrgesetz einwandern kann", und "jeder, der
entsprechend dem Rückkehrgesetz ein Recht zur Einwanderung hat". Je nach
fraglichem Gesetz erhält die erste Kategorie Zuwendungen, die der
zweiten systematisch verweigert werden. Das alltägliche Mittel zur
Diskriminierung im täglichen Leben ist der Personalausweis, den jeder
jederzeit mit sich tragen muß. In den Personalausweisen steht mit der
wichtigen Ausnahme "Israeli" die offizielle "Nationalität" einer Person,
die "jüdisch", "arabisch", "drusisch" und dergleichen sein kann.
Versuche von Israelis, das Innenministerium zur Angabe "Israeli" oder
sogar "Israeli-Jude" in ihren Personalausweisen zu zwingen, sind
fehlgeschlagen. Diejenigen, die solche Versuche unternommen hatten,
erhielten vom Innenministerium einen Brief mit der Angabe, daß "es einen
Beschluß gibt, eine israelische Nationalität nicht anzuerkennen". In dem
Brief ist nicht gesagt, von wem oder wann diese Entscheidung getroffen
wurde.
Israel kennt
derart viele Gesetze und Vorschriften, die Personen entsprechend der
Definition "wer entsprechend dem Rückkehrgesetz einwandern kann"
begünstigen, so daß das Thema eine gesonderte Behandlung verlangt. Wir
können hier ein Beispiel heranziehen, das im Vergleich mit den
Einschränkungen bei den Niederlassungsrecht trivial und dennoch wichtig
ist, da es die wahren Absichten des israelischen Gesetzgebers enthüllt.
Israelische Bürger, die das Land eine Zeitlang verlassen haben, jedoch
als solche definiert sind, die "entsprechend dem Einwanderungsgesetz
einwandern können", haben bei ihrer Rückkehr Anspruch auf großzügige
Zollerleichterungen, Unterstützung für eine höhere Schulausbildung ihrer
Kinder und entweder eine Beihilfe oder einen günstigen Kredit zum Kauf
eines Appartments sowie andere Zuwendungen. Bürger, die nicht derart
definiert sind, d.h. die nichtjüdischen Bürger Israels, erhalten keine
dieser Vergünstigungen. Die offensichtliche Absicht solcher
diskriminierender Maßnahmen besteht darin, die Anzahl der nichtjüdischen
Bürger zu vermindern, um den Staat Israel "jüdischer" zu machen.
Die Ideologie vom
"erlösten" Land
Israel propagiert
unter den jüdischen Bürgern die supra-exklusive Ideologie der Erlösung
des Landes. An dieser Ideologie, die den jüdischen Schulkindern in
Israel eingetrichtert wird, läßt sich das offizielle Ziel ablesen, die
Anzahl an Nichtjuden auf ein Minimum zu reduzieren. Man lehrt sie, daß
dies dem gesamten Staat Israel oder nach 1967 für das Gebiet gilt, das
man das Land Israel nennt. Nach dieser Ideologie ist das "erlöste" Land
das Land, das aus nichtjüdischem in jüdisches Eigentum überging. Das
Eigentum kann entweder in privater Hand sein oder dem Jewish National
Fund oder dem Judenstaat gehören. Das im Besitze von Nichtjuden
befindliche Land wird dagegen als "unerlöst" betrachtet. Wenn also ein
Jude, der die schlimmsten Verbrechen begangen hat, ein Stück Land von
einem unbescholtenen Nichtjuden kauft, wird durch solch eine Transaktion
das "unerlöste" zu "erlöstem" Land. Kauft jedoch ein unbescholtener
Nichtjude Land vom denkbar schlechtesten Juden, so wird das zuvor
makellose und "erlöste" Land erneut zu "unerlöstem" Land. Die logische
Schlußfolgerung aus solch einer Ideologie ist die "Transfer" genannte
Vertreibung aller Nichtjuden aus dem Landgebiet, das "erlöst" werden muß.
Deshalb ist die Utopie der vom Staat Israel übernommenen "jüdischen
Ideologie" das Land, das vollständig "erlöst" ist und sich nicht im
Besitze von Nichtjuden befindet oder von diesen bearbeitet wird. Die
Führer der zionistischen Arbeiterbewegung drückten diese ganz und gar
abstoßende Idee mit größter Klarheit aus. Walter Laqueur, ein
eingefleischter Zionist, beschreibt in seinem Buch History of Zionism,
wie der im Jahre 1919 verstorbene A. D. Gordon, eine dieser geistigen
Väter, "Gewalt prinzipiell ablehnte und Selbstverteidigung nur unter
extremen Umständen rechtfertigte. Er und seine Freunde wünschten jedoch,
daß jeder Baum und jeder Busch im jüdischen Heimatland von keinem
anderen als jüdischen Pionieren gepflanzt werde." Dies bedeutet, daß er
von jedem anderen verlangte, auszuwandern und das von Juden "zu
erlösende" Land zu verlassen habe. Gordons Nachfolger wandten mehr
Gewalt an, als er im Sinne hatte. Das Prinzip der "Erlösung" und die
sich daraus ergebenden Folgen blieben jedoch erhalten.
Desgleichen war
und ist der Kibbuz, der hochgelobte Versuch zum Aufbau einer Utopia,
eine supra-exklusive Utopia. Auch wenn er aus Atheisten besteht, nimmt
er prinzipiell keine arabischen Mitglieder auf und verlangt von
potentiellen Mitgliedern aus anderen Nationalitäten, daß sie zunächst
zum Judentum konvertieren. So ist es kein Wunder, daß die
Heranwachsenden aus dem Kibbuz als der militaristischste Teil der
israelisch-jüdischen Gesellschaft angesehen werden können.
Es ist gerade
diese supra-exklusive Ideologie und nicht das von der israelischen
Propaganda vorgeschobene "Sicherheitsbedürfnis", durch die die
Landübernahme in Israel in den fünfziger Jahren und erneut Mitte der
sechziger Jahre und in den besetzen Gebieten nach 1967 bestimmt wird.
Diese Ideologie diktierte auch die offiziellen Pläne Israels zur
"Judaisierung von Galiläa". Dieser seltsame Begriff soll Juden zur
Ansiedlung in Galiläa durch finanzielle Zuwendungen ermutigen. (Ich
frage mich, was wohl die Reaktion der amerikanischen Juden sein würde,
wenn ein Plan zur "Christianisierung von New York" oder sogar nur von
Brooklyn im Lande propagiert würde.) Doch der Rückkauf des Landes
impliziert mehr als nur regionale "Judaisierung". Im gesamten Gebiet von
Israel gibt der von israelischen Behörden (und speziell von der
Geheimpolizei) stark unterstützte Jewish National Fund große Summen
öffentlicher Gelder aus, um alles Land "zu erlösen", das Nichtjuden
verkaufen wollen, und um jeden Versuch eines Juden zu vereiteln, sein
Land an einen Nichtjuden gegen Zahlung eines höheren Preises zu
verkaufen.
Israelischer Expansionismus
Die größte Gefahr,
die Israel als "Judenstaat" für seine eigenen Einwohner, andere Juden
und seine Nachbarn bildet, ist die ideologische Motivierung der
territorialen Expansion und der unvermeidlichen Kriege, die dieses Ziel
nach sich zieht. Je stärker Israel, wie man im Hebräischen sagt, jüdisch
wird und je mehr es zum "Judaismus zurückkehrt" (ein Vorgang, der sich
in Israel seit mindestens 1967 vollzieht), desto stärker richtet sich
die Realpolitik an jüdisch-ideologischen Zielen und weniger an
rationalen Überlegungen aus. Der von mir verwendete Begriff "rational"
bezieht sich nicht so sehr auf eine moralische Bewertung der
israelischen Politik oder auf angenommene Verteidigungs- oder
Sicherheitsbedürfnisse Israels - noch weniger auf die unterstellte
Gefährdung des "Überlebens Israels". Ich meine hier die
israelisch-imperialistische Politik, die auf den mutmaßlichen Interessen
des Landes beruht. Wie moralisch schlecht oder politisch rüde eine
solche Politik auch sein mag, ich betrachte die Durchsetzung einer auf
der "jüdischen Ideologie" fußenden Politik mit all ihren verschiedenen
Versionen als noch schlechteren Fall. Die ideologischen
Verteidigungsmaßnahmen der israelischen Politik basieren in der Regel
auf der jüdischen Religion und bei areligiösen Juden auf den
"historischen Rechten" der Juden, die sich aus dieser Religion ableiten
und den dogmatischen Charakter des religiösen Glaubens beibehalten.
Meine eigene schon
früh einsetzende politische Wandlung von einem Bewunderer Ben Gurions zu
einem ausgesprochenen Gegner begann genau bei diesem Problem. Im Jahre
1956 nahm ich direkt alle von Ben Gurion vorgebrachten politischen und
militärischen Gründe für den Beginn des Suez-Krieges durch Israel in mir
auf, bis er (obwohl er als Atheist stolz darauf war, die Gebote der
jüdischen Religion nicht zu beachten) am dritten Tag des Krieges in der
Knesset aussprach, daß der wirkliche Grund für den Krieg "die
Wiederherstellung von Davids und Salomos Königreich" in seinen
biblischen Grenzen sei. An dieser Stelle seiner Rede sprang nahezu jedes
Knesset-Mitglied spontan auf und sang die Nationalhymne.
Meines Wissens hat
sich kein zionistischer Politiker jemals von Ben Gurions Vorstellung
distanziert, daß die israelische Politik (innerhalb pragmatischer
Überlegungen) sich auf der Wiederherstellung der biblischen Grenzen als
Grenzen des Judenstaates gründen müsse. In der Tat verdeutlicht eine
nähere Analyse der israelischen Langzeitstrategie und der tatsächlichen
Prinzipien der Außenpolitik, wie sie in hebräisch ausgedrückt sind, daß
die israelische Realpolitik überwiegend durch die "jüdische Ideologie"
bestimmt wird. Die Vernachlässigung des real existierenden Judaismus und
der "jüdischen Ideologie" lassen diese Politik dem ausländischen
Beobachter, der außer einigen oberflächlichen Apologien nichts über den
Judaismus weiß, unverständlich erscheinen.
An dieser Stelle
will ich ein weiteres Beispiel für den wesentlichen Unterschied
anführen, der zwischen der aufgeblähten, aber säkulären imperialen
Planung und den Prinzipien der "jüdischen Ideologie" besteht. Letztere
befiehlt, daß jedes Territorium, das entweder von einem jüdischen
Herrscher in der Antike regiert oder von Gott den Juden entweder in der
Bibel oder, was politisch tatsächlich noch wichtiger ist, gemäß der
rabbinischen Interpretation der Bibel und des Talmud, versprochen wurde,
Israel gehöre, da dies ein Judenstaat sei. Zweifellos sind viele
jüdische "Tauben" der Ansicht, daß solche Eroberungen auf einen
Zeitpunkt zurückzustellen seien, zu dem Israel stärker als jetzt ist,
oder daß es, wie man hofft, eine "friedliche Eroberung" geben könne,
d.h. daß die arabischen Herrscher oder Völker sich "überzeugen lassen",
das fragliche Land gegen Zahlungen abzutreten, die der Judenstaat dann
an sie leisten würde.
Im Umlauf sind
eine Reihe von sich widersprechenden Versionen der biblischen Grenzen
des Landes Israels, die rabbinische Autoritäten so interpretieren, daß
sie im Idealfall zum Judenstaat gehören. Nach der Maximalversion liegen
folgende Gebiete innerhalb dieser Grenzen: Im Süden der gesamte Sinai
und ein Teil des nördlichen Ägyptens bis in die Nähe von Kairo, im Osten
das gesamte Jordanien und ein großes Stück von Saudi-Arabien, ganz
Kuwait und ein Teil des Iraks südlich des Euphrat, im Norden der gesamte
Libanon und Syrien zusammen mit einem großen Teil der Türkei (bis zum
See Van) und im Westen Zypern. Umfangreiche auf diesen Grenzen beruhende
Forschungen und gelehrte Dispute, dargestellt in Atlanten, Büchern,
Artikeln und populären Formen der Propaganda, werden in Israel mit
staatlicher Förderung veröffentlicht. Sicherlich wünschen der kürzlich
verstorbene Rabbi Kahane und seine Anhänger sowie einflußreiche
Vereinigungen wie der Gusch Emunim nicht nur die Eroberung dieser
Gebiete durch Israel, sondern sehen es auch als göttlich befohlenes
Gesetz an, und sie vertrauen auf den Erfolg, weil Gott mit ihnen ist.
In der Tat
betrachten wichtige jüdische religiöse Persönlichkeiten die Weigerung
Israels, solch einen Heiligen Krieg zu führen oder, noch gravierender,
die Rückgabe des Sinai an Ägypten, als eine nationale Sünde, die von
Gott gerechterweise bestraft wurde. Dov Lior, einer der Wortführer des
Gusch Emunim und Rabbiner der jüdischen Siedlungen von Kirjat Arba und
von Hebron, stellte wiederholt fest, daß die militärische Libanon-Pleite
in den Jahren 1982 bis 1985 eine wohlverdiente göttliche Strafe für die
Sünde sei, "einen Teil des Landes Israel", nämlich den Sinai, an Ägypten
zurückgegeben zu haben.
Obwohl ich
zugegebenermaßen ein extremes Beispiel für die biblischen Grenzen des
Landes Israel, die zum "Judenstaat" "gehören", angeführt habe, sind
diese Grenzen in nationalreligiösen Kreisen sehr populär. Es gibt aber
auch weniger extreme Versionen der biblischen Grenzen, mitunter auch
"historische Grenzen" genannt. Es muß jedoch hervorgehoben werden, daß
in Israel und in der Diaspora das Konzept der biblischen bzw. der
historischen Grenzen als Demarkationslinien des den Juden zustehenden
Landes nicht prinzipiell abgelehnt wird. Eine Ausnahme bildet dabei eine
winzige Minderheit, die das Konzept eines Judenstaates ablehnt.
Andererseits sind Einwände gegen die Verwirklichung solcher Grenzen
durch Krieg rein pragmatischer Natur. Man mag einwenden, daß Israel noch
zu schwach zur Eroberung des gesamten Landes ist, das den Juden
"gehört", oder daß der Verlust jüdischen (aber nicht arabischen!) Lebens
als Folge eines Eroberungskrieges solcher Größe schwerwiegender als die
Eroberung des Landes sei. Aber im normativen Judaismus kann man nicht
bestreiten, daß das "Land Israel", in welchen Grenzen auch immer, nicht
allen Juden "gehört". Im Mai 1993 schlug Ariel Scharon auf dem
Likud-Parteitag formell vor, daß Israel das Konzept der "biblischen
Grenzen" als offizielle Politik anerkenne. Es gab weder innerhalb noch
außerhalb des Likud nennenswerte Einwände dagegen, und alle hatten
pragmatische Gründe. Nicht einer fragte Scharon, wo denn genau die
biblischen Grenzen lägen, die Israel seiner Meinung nach haben müsse.
Wir wollen uns daran erinnern, daß es unter denjenigen, die sich selbst
Leninisten nennen, keinen Zweifel gab, daß die Geschichte den von Marx
und Lenin erarbeiteten Prinzipien folgt. Nicht aus dem dogmatischen
Glauben selbst, sondern aus der Verhinderung offener Diskussionen und
der dadurch bedingten Skrupellosigkeit erwächst eine totalitäre
Geisteshaltung. Deshalb kann man von der israelisch-jüdischen
Gesellschaft und den in der Diaspora lebenden Juden, bei denen es sich
um Führer der "jüdischen" Leben handelt und die in rein jüdischen
Vereinigungen organisiert sind, sagen, daß ihr Charakter einen stark
totalitären Zug aufweist.
Seit den Anfängen
des Staates wurde aber auch eine israelische Langzeitstrategie
entwickelt, die sich nicht auf den Dogmen der "jüdischen Ideologie",
sondern auf rein strategische oder imperialistische Überlegungen
gründet. Der mittlerweile aus dem aktiven Dienst ausgeschiedene General
Schlomo Gasit, ehemals Befehlhaber des militärischen
Nachrichtendienstes, verfaßte solch eine maßgebende und erhellende
Beschreibung der Prinzipien, auf denen sich solch eine Strategie
aufbaut.
Gasit:
Die Hauptaufgabe
Israels änderte sich [seit dem Ende der UdSSR] überhaupt nicht und
bleibt von entscheidender Bedeutung. Die geographische Lage Israels in
der Mitte des arabisch-moslemischen Nahen Ostens prädestiniert Israel
dazu, ein aufmerksamer Wächter für Stabilität in allen benachbarten
Ländern zu sein. Israels Rolle besteht darin, die vorhandenen Regimes zu
schützen, den Prozeß einer Radikalisierung zu verhindern oder zu stoppen
und die Expansion des fundamentalistischen religiösen Fanatismus
einzudämmen.
Aus diesem Grund
wird Israel Änderungen jenseits seiner Grenzen verhindern und diese dann
als unannehmbar betrachten, wenn sie einen Punkt erreichen, an dem
Israel seine gesamte militärische Macht zu deren Verhinderung oder
Ausrottung einzusetzen zu müssen glaubt.
Mit anderen
Worten, Israel zielt darauf ab, eine Hegemonie über die anderen Staaten
im Nahen Osten zu erreichen. Nach den Worten von Gasit ist es
unmittelbar einsichtig, daß Israel an der Stabilität der arabischen
Regimes interessiert ist. Aus Gasits Sicht leistet Israel durch den
Schutz der nahöstlichen Regimes einen lebenswichtigen Dienst für die
"industriell hochentwickelten Staaten, die alle um die Stabilität im
Nahen Osten äußerst besorgt sind". Er meint, daß ohne Israel die
vorhandenen Regimes der Region schon längst zusammengebrochen wären,
weil sie nur noch wegen der israelischen Bedrohung existieren. Diese
Ansicht mag zwar heuchlerisch sein, doch sollte man sich in solchen
Zusammenhängen an La Rochefoucaulds Maxime erinnern, daß "Heuchelei die
Steuer ist, die die Niedertracht an die Tugend zahlt". Die Erlösung des
Landes ist solch ein Versuch, die Zahlung einer derartigen Steuer zu
vermeiden.
Selbstverständlich
bekämpfe ich auch voll und ganz die nichtideologische Politik Israels,
wie sie Gasit eindeutig und treffend beschreibt. Gleichzeitig erkenne
ich an, daß die von der "jüdischen Ideologie" motivierte Politik Ben
Gurions und Scharons viel gefährlicher als eine reine Machtpolitik, ja
sogar kriminell ist. Die Auswirkungen dieser Politik auf andere
ideologisch motivierte Regimes weisen in dieselbe Richtung. Schon das
Vorhandensein einer wichtigen Komponente der israelischen Politik, die
sich auf der "jüdischen Ideologie" gründet, verlangt zwingend eine
politische Analyse. Diese Ideologie basiert wiederum auf der Einstellung
des historischen Judaismus gegenüber Nichtjuden, die eines der
Hauptthemen dieses Buches ist. Diese Haltung beeinflußt notwendigerweise
- bewußt oder unbewußt - viele Juden. Unsere Aufgabe hier ist es also,
den historischen Judaismus so zu behandeln, wie er ist. Der Einfluß der
"jüdischen Ideologie" auf viele Juden ist desto stärker, je mehr er der
öffentlichen Diskussion entzogen ist. Diese Diskussion wird hoffentlich
viele Menschen dazu bringen, dieselbe Haltung gegenüber dem jüdischen
Chauvinismus und der von so vielen Juden gegenüber Nichtjuden an den Tag
gelegte Verachtung (die später dokumentiert werden soll) einzunehmen,
die man normalerweise gegen Antisemitismus und alle anderen Formen der
Fremdenfeindlichkeit, des Chauvinismus und des Rassismus entgegenbringt.
Man kann von der
Annahme ausgehen, daß nur die umfassende Beschreibung sowohl des
Antisemitismus als auch seiner historischen Wurzeln die Grundlage für
den Kampf gegen ihn sein kann. Desgleichen sehe ich voraus, daß nur eine
vollständige Darstellung des jüdischen Chauvinismus und des religiösen
Fanatismus die Basis für den Kampf gegen diese Erscheinungen sein kann.
Dies gilt gerade für die heutige Zeit, in der im Gegensatz zu der vor 50
oder 60 Jahren vorherrschende Lage der politische Einfluß des jüdischen
Chauvinismus und religiösen Fanatismus viel größer ist als der des
Antisemitismus. Da ist aber noch ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt.
Ich bin davon überzeugt, daß der Antisemitismus und der jüdische
Chauvinismus nur zusammen bekämpft werden können.
Ein
geschlossenes Utopia?
Bis diese
Einsichten sich weiter verbreitet haben, bleibt die tatsächliche Gefahr
der auf der "jüdischen Ideologie" basierenden israelischen Politik
größer als die Gefahr einer Politik, die sich auf rein strategischen
Überlegungen gründet. Den Unterschied zwischen beiden Arten der Politik
drückte Hugh Trevor-Roper in seinem Essay "Sir Thomas More and Utopia"
gut aus, indem er sie platonisch-machiavellistisch nannte.
Machiavelli
rechtfertigte wenigstens die Methoden, die er für die Politik als
unerläßlich ansah. Er bedauerte die Notwendigkeit von Gewalt und Betrug
und nannte sie auch bei keinem anderen Namen. Plato und More hingegen
sanktionierten sie unter der Voraussetzung, daß sie zur
Aufrechterhaltung ihrer eigenen utopischen Republiken verwendet würden.
Desgleichen sind
die echten Gläubigen des "Judenstaat" genannten Utopia, das die
"biblischen Grenzen" anstrebt, viel gefährlicher als die großartigen
Strategen vom Typ Gasit, da deren Politik entweder durch die Religion
oder, was noch schlimmer ist, durch die Anwendung säkularisierter
religiöser Prinzipien mit Absolutheitsanspruch sanktioniert ist. Während
Gasit wenigstens noch das Argument vorbringen zu müssen glaubt, daß das
israelische Diktat für die arabischen Regimes von Vorteil sei, ließ Ben
Gurion keinen Zweifel daran, daß die Wiederherstellung des Königreichs
von David und Salomo sich allein für den jüdischen Staat auszahlte.
Die Anwendung der
Konzepte des Platonismus zur Analyse der auf der "jüdischen Ideologie"
basierenden israelischen Politik dürfte nicht ungewöhnlich sein. Mehrere
Gelehrte, unter ihnen Moses Hadas als der bedeutendste, stellten fest,
daß die Grundlagen des "klassischen Judaismus", d.h. der von den
talmudischen Weisen begründete Judaismus, auf den Einflüssen Platos und
insbesondere seines Bildes von Sparta beruht. Nach Hadas war es ein
entscheidendes Merkmal des vom Judaismus schon in der makkabäischen Zeit
(142 bis 63 v. Chr.) übernommenen politischen Systems von Plato, "daß
jede Phase menschlichen Verhaltens religiösen Sanktionen unterliegt, die
in Wirklichkeit vom Herrscher manipuliert werden".
Es gibt keine
bessere Definition des "klassischen Judaismus" und der Art und Weise, in
der die Rabbis und Rabbiner ihn manipulierten, als diese Definition
Platos. Insbesondere meint Hadas, daß der Judaismus das übernahm, was
"Plato selbst als die Ziele seines Programms" in der folgenden bekannten
Passage zusammenfaßte:
Das Wichtigste
ist, daß niemand, weder Mann noch Weib, ohne Vorgesetzte sei, und daß
niemandes Seele sich gewöhnt habe, sei es im Kampfe selbst oder bei den
Vorübungen, etwas für sich nach eigener Willkür zu tun; sondern in jedem
Kriege und während des Friedens stets auf den Vorgesetzten hinzublicken
... mit einem Wort, seine Seele durch Gewöhnung dahin zu bestimmen, daß
sie ohne die andern nichts tue noch überhaupt von etwas Kenntnis nehme
oder sich unterrichte, sondern daß vielmehr das Leben aller zu einem
möglichst vereinten, unter sich verbundenen und gemeinsamen sich
gestalte. (Gesetze 942ab)
Ersetzt man das
Wort "Vorgesetzter" durch "Rabbiner", haben wir ein perfektes Bild des
klassischen Judaismus. Letzterer hat noch einen großen Einfluß auf die
israelisch-jüdische Gesellschaft und bestimmt zum größten Teil die
israelische Politik.
Gerade die oben
zitierte Passage wählte Karl Popper in seinem Werk Die Offene
Gesellschaft und ihre Feinde zur Beschreibung der Wesensmerkmale einer
"geschlossenen Gesellschaft". Der historische Judaismus und seine beiden
Nachfolger, die jüdische Orthodoxie und der Zionismus, sind beide
eingeschworene Feinde des Konzepts einer Offenen Gesellschaft, soweit es
auf Israel angewandt wird. Ein Judenstaat kann nie eine Offene
Gesellschaft sein, gleichgültig, ob er sich auf der derzeitigen
jüdischen Ideologie oder, falls er dem Charakter nach jüdischer wird,
als er jetzt ist, auf den Prinzipien der jüdischen Orthodoxie gründet.
Die israelisch-jüdische Gesellschaft hat zwei Wahlmöglichkeiten: Sie
kann ein vollständig geschlossenes und kriegerisches Ghetto werden, ein
jüdisches Sparta, das von der Arbeitskraft arabischer Heloten gestützt
und durch seinen Einfluß auf das politische Establishment der USA sowie
durch Drohungen mit seiner Atommacht am Leben gehalten wird, oder sie
kann versuchen, eine Offene Gesellschaft zu werden. Die zweite
Wahlmöglichkeit hängt ab von einer ehrlichen Aufarbeitung der jüdischen
Vergangenheit, von dem Eingeständnis, daß jüdischer Chauvinismus und
jüdische Abgrenzung existieren sowie eine ehrliche Überprüfung der
Haltung des Judaismus gegenüber Nichtjuden.
B/
Vorurteile und Verfälschungen
Die erste
Schwierigkeit bei der Behandlung dieses Themas besteht darin, daß der
Begriff "Jude" während der letzten 150 Jahre zwei unterschiedliche
Bedeutungen hatte. Um dies zu verstehen, versetzen wir uns in das Jahr
1780. Zu jener Zeit verstand man unter "Jude" genau das, was die Juden
selbst als ihre eigene Identität ansahen. Diese Identität war vorwiegend
religiös geprägt. Die religiösen Vorschriften regelten jede Einzelheit
des täglichen Verhaltens in allen Lebenslagen sozialer und privater Art
unter den Juden selbst sowie in ihren Beziehungen zu Nichtjuden. Es ist
buchstäblich wahr, daß damals ein Jude noch nicht einmal ein Glas Wasser
im Hause eines Nichtjuden trinken durfte. Dieselben Grundgesetze für das
Verhalten gegenüber Nichtjuden galten gleichermaßen vom Jemen bis nach
New York. Gleichgültig, mit welchem Begriff die Juden des Jahres 1780
auch beschrieben werden (ich möchte hier nicht in eine metaphysische
Diskussion über Begriffe wie "Nation" und "Volk" eintreten) - es ist
unstrittig, daß alle jüdischen Gemeinden jener Zeit sich von den sie
umgebenden nichtjüdischen Gesellschaften abgrenzten.
Dies alles änderte
sich jedoch durch zwei parallel verlaufende Prozesse, die in Holland und
in England begannen und sich im revolutionären Frankreich und in den
modernen Monarchien des 19. Jahrhunderts fortsetzten: Juden erhielten
einen bedeutenden Teil der Individualrechte (in einigen Fällen sogar die
volle Gleichheit), und die jüdischen Gemeinden verloren die gesetzliche
Gewalt über ihre Mitglieder. Es ist dabei zu beachten, daß beide
Entwicklungen gleichzeitig abliefen und die zweite, obwohl weit weniger
bekannt als die erste, eine größerer Bedeutung hatte.
Seit der Zeit des
späten Römischen Reiches übten die jüdischen Gemeinden beträchtliche
Macht über ihre Mitglieder aus, und zwar nicht nur die Macht, die sich
aus der freiwilligen Mobilisierung sozialen Druckes ergibt (z.B. das
Verbot, mit einem exkommunizierten Juden irgendetwas zu tun zu haben
oder sogar seinen Leichnam zu vergraben), sondern die Macht des nackten
Zwanges wie etwa Prügelstrafe, Einkerkerung und Vertreibung. All dies
konnte das rabbinische Gericht über einen Juden für alle Arten von
Vergehen legal verhängen. In vielen Ländern - Spanien und Polen sind
herausragende Beispiele - war die Vollstreckung der Todesstrafe möglich,
mitunter auch mit grausamen Methoden, wie das Auspeitschen bis zum Tode.
Dies war nicht nur erlaubt, sondern wurde auch von staatlichen Stellen
sowohl in christlichen als auch moslemischen Ländern gefördert, die
neben dem allgemeinen Interesse an der Erhaltung von "Recht und Ordnung"
in einigen Fällen auch direkte finanzielle Vorteile im Auge hatten. So
enthalten z.B. spanische Akten des 13. und 14. Jahrhunderts viele von
den frömmsten Katholischen Königen von Kastilien und Aragon erlassene
Befehle, die ihre weniger strenggläubigen Beamten anwiesen, gemeinsam
mit den Rabbinern die Einhaltung des Sabbats durchzusetzen. Warum?
Verhängte nämlich ein rabbinisches Gericht gegen einen Juden wegen
Verletzung des Sabbats eine Geldstrafe, so mußten die Rabbiner neun
Zehntel der Strafe an den König abführen, was eine sehr profitable und
wirksame Maßnahme war.
Man kann auch die
Responsen anführen, die kurz vor 1832 der bekannte Rabbiner Mose Sofer
aus Preßburg (jetzt Bratislava bzw. Pozsonyi), das damals zum autonomen
ungarischen Königreich im österreichischem Kaiserreich gehörte, verfaßte
und nach Wien ins eigentliche Österreich schickte, das den Juden schon
beträchtliche Individualrechte gewährt hatte. Er beklagt sich über die
Tatsache, daß die Juden es mit der Einhaltung religiöser Gesetze nicht
mehr so genau nähmen, da die jüdische Gemeinde in Wien das Recht zur
Bestrafung von Missetätern verloren hätte. Er fügte hinzu: "Als man mir
hier in Preßburg sagte, daß ein jüdischer Ladeninhaber es wagte, sein
Geschäft während der Halbfeiertage zu öffnen, schickte ich sofort einen
Polizisten hin, um ihn einzusperren."
Dies war die
wichtigste soziale Tatsache der jüdischen Existenz vor dem Entstehen des
modernen Staates: Die Juden setzten die Einhaltung der religiösen
Gesetze des Judaismus mit physischem Zwang durch, dem man sich nur durch
Übertritt zur Religion der Mehrheit entziehen konnte, was unter diesen
Umständen einen totalen sozialen Bruch bedeutete und daher mit Ausnahme
in einer religiösen Krise praktisch unmöglich war.
Mit dem Entstehen
des modernen Staates verlor die jüdische Gemeinde ihr Recht, Juden zu
bestrafen und zu bedrohen. Der Zusammenhalt einer der geschlossensten
der "geschlossenen Gesellschaften", einer der totalitärsten
Gesellschaften in der Weltgeschichte, zerbrach. Die Befreiung kam
größtenteils von außen, auch wenn es einige wenige Juden gab, die von
innen dazu beitrugen. Diese Form der Befreiung hatte ernste Folgen für
die Zukunft. Im Fall Deutschland (nach der meisterhaften Analyse von A.
J. P. Taylor) war es einfach, die Sache der Reaktion mit Patriotismus zu
verbinden, da in der Tat die Armeen der Französischen Revolution und
Napoleon die Individualrechte und die Gleichheit vor dem Gesetz nach
Deutschland brachten. Man konnte daher die Freiheit als "undeutsch"
brandmarken.
Genauso leicht
(und zwar besonders in Israel) fiel den Juden, die Vorstellungen und
Ideale von Humanität und Rechtsstaatlichkeit als "unjüdisch" oder
"antijüdisch" - was sie in einem historischen Sinne tatsächlich sind -
und als Prinzipien zu attackieren, die zwar gelten, wenn sie "jüdischen
Interessen" nützen, aber ungültig sind, wenn sie "jüdischen Interessen"
schaden, also sich z.B. Araber auf dieselben Prinzipien berufen. Dies
führte, wiederum gerade in Deutschland und den anderen Nationen in
Mitteleuropa, zu einer verfälschenden, sentimentalen und
ultraromantischen jüdischen Geschichtsschreibung, aus der alle
unbequemen Tatsachen ausgemerzt wurden.
Auch in Hannah
Arendts umfangreichen Schriften über den Totalitarismus oder über Juden
oder über beide findet man nicht den geringsten Hinweis darauf, wie es
in der jüdischen Gemeinschaft im 18. Jahrhundert wirklich aussah:
Bücherverbrennung, Verfolgung von Schriftstellern, Kontroversen über die
magischen Kräfte von Amuletten, Verbot der elementarsten
"nichtjüdischen" Ausbildung (wie der Deutschunterricht im korrekten
Gebrauch der Sprache oder im Schreiben mit lateinischen Buchstaben).
Niemand findet in den zahllosen in englischer Sprache abgefaßten
"jüdischen Geschichtswerken" grundlegende Tatsachen über die Haltung der
jüdischen Mystik (die derzeit in gewissen Kreisen so modisch ist)
gegenüber Nichtjuden: Sie werden - so wörtlich - als Körperteile des
Satans angesehen, und die wenigen nichtsatanischen Personen unter ihnen
(d.h. diejenigen, die zum Judaismus konvertierten) seien in Wirklichkeit
"jüdische Seelen", die verlorengingen, als der Satan die heilige Frau
(Schechina oder Matronit), einer der weiblichen Teile der Gottheit und
nach der Kabbala die Schwester und die Ehefrau des jüngeren männlichen
Gottes (in ihrem himmlischen Wohnsitz), schändete. Die großen
Autoritäten wie Gerschom Scholem haben mit ihrem Ansehen ein System von
Betrügereien in all den "sensiblen" Bereichen gestützt, wobei die besser
bekannten unter ihnen auch die unehrlichsten und demagogischsten waren.
Als soziale Folge
dieses Liberalisierungsprozesses konnte ein Jude zum ersten Mal seit
etwa 200 n. Chr. innerhalb des bürgerlichen Rechts eines Landes frei
handeln, ohne dafür den Preis des Übertritts zu einer anderen
Religionsgemeinschaft zu zahlen. Die Freiheit, in modernen Sprachen
abgefaßte Bücher kennenzulernen und zu lesen, die Freiheit, von den
Rabbinern nicht autorisierte Bücher in Hebräisch zu lesen und zu
schreiben (jedes hebräische oder jiddische Buch mußte zuvor genehmigt
werden), die Freiheit, nichtkoschere Nahrungsmittel zu essen, die
Freiheit, die zahllosen absurden Tabus hinsichtlich des Soziallebens zu
ignorieren, ja sogar die Freiheit des Denkens ("verbotene Gedanken"
zählen zu den schwersten Sünden), wurde den Juden in Europa (und später
in anderen Ländern) von den modernen und sogar absolutistischen Regimen
gewährt, obwohl letztere gleichzeitig antisemitisch und tyrannisch
waren. Der russische Zar Nikolaus I. war ein notorischer Antisemit und
erließ zahlreiche Gesetze gegen die Juden in seinem Staate. Er stärkte
jedoch die Kräfte von "Recht und Ordnung" in Rußland, und zwar nicht nur
die Geheimpolizei, sondern auch die normale Polizei und die Gendarmerie,
so daß es schwierig wurde, Juden auf Geheiß der Rabbiner zu ermorden,
was in Polen vor 1795 recht einfach war. Die "offizielle" jüdische
Geschichtsschreibung verurteilt Nikolaus I. deswegen in beiden
Anklagepunkten. So befahl z.B. kurz vor 1840 ein "heiliger Rabbi" (ein
Zaddik) in einer kleinen jüdischen Stadt in der Ukraine die Ermordung
eines Häretikers, der in das kochende Wasser der städtischen Bäder
geworfen werden sollte. Zeitgenössische jüdische Quellen vermerken mit
Erstaunen und Erschrecken, daß Bestechung "keine Wirkung mehr hatte" und
nicht nur die Täter, sondern auch der "heilige Mann" schwer bestraft
wurden. Das Regime von Metternich war in Österreich vor 1848 notorisch
reaktionär und den Juden gegenüber sehr unfreundlich eingestellt, ließ
aber nicht zu, daß liberale Rabbiner vergiftet wurden. Im Laufe des
Jahres 1848, als die Staatsmacht vorübergehend geschwächt wurde, war das
erste, was die Führer der jüdischen Gemeinde in der galizischen Stadt
Lemberg (jetzt Lviv, Lwów bzw. Lvov) mit ihrer neuerlangten Freiheit
taten, den liberalen Rabbiner der Stadt zu vergiften, den die winzige
nicht-orthodoxe jüdische Gruppe der Stadt aus Deutschland geholt hatte.
Nebenbei bemerkt, als eine der größten Häresien galt die Befürwortung
und tatsächliche Ausführung der Bar-Mizwa-Zeremonie, die kurz zuvor
eingeführt wurde.
Befreiung von außen
In den letzten 150
Jahren hat der Begriff "Jude" eine doppelte Bedeutung erhalten, was
besonders in den englischsprachigen Ländern einige gutmeinende Leute
sehr verwirrte; sie meinten, daß die ihnen bekannten Juden, unter
sozialen Gesichtspunkten gesehen, "repräsentativ" für die Juden "im
allgemeinen" seien. In Osteuropa und in der arabischen Welt wurden die
Juden von der Tyrannei ihrer eigenen Religion und ihrer eigenen
Gemeinden durch äußere Kräfte befreit, jedoch zu spät und unter den
Verhältnissen zu ungünstig für eine echte innere soziale Wandlung. In
den meisten Fällen (besonders in Israel) hat sich die alte Vorstellung
von der Gesellschaft, dieselbe Ideologie - speziell gegenüber Nichtjuden
- sowie dasselbe vollständig falsche Geschichtsbild erhalten. Dies gilt
auch für einige der Juden, die "fortschrittlichen" oder linken
Bewegungen beitraten. Eine Untersuchung der radikalen, sozialistischen
und kommunistischen Parteien fördert viele Beispiele versteckten
jüdischen Chauvinismus und Rassismus derjenigen zutage, die diesen
Parteien lediglich aus Gründen des "jüdischen Interesses" beitraten und
in Israel eine Diskriminierung von "Nichtjuden" fordern. Man braucht nur
nachzuprüfen, wieviele jüdische "Sozialisten" über den Kibbuz
geschrieben haben, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden,
daß der Kibbuz eine rassistische Institution ist, die nichtjüdische
Bürger Israels rigoros ausschließt, und daß dieses von uns angedeutete
Phänomen keineswegs ungewöhnlich ist.
Ohne auf Ignoranz
oder Heuchelei beruhende Klischees verwenden zu wollen, sieht man, daß
das Wort "Judentum" (und die Wörter gleichen Ursprungs) zwei
verschiedene und sogar gegensätzliche soziale Gruppen beschreibt; wegen
der derzeitigen israelischen Politik schwindet das Kontinuum zwischen
beiden sehr schnell. Einerseits gibt es die traditionelle und oben
behandelte totalitäre Bedeutung, andererseits aber auch
Abstammungsjuden, die den von Karl Popper "Offene Gesellschaft"
genannten Ideenkomplex nach innen verlagert haben. (Insbesondere in den
USA gibt es aber auch solche, die diese Vorstellungen zwar nicht
verinnerlicht haben, aber dennoch versuchen, damit hausieren zu gehen.)
Man muß wissen,
daß sämtliche angeblichen "jüdischen Charaktereigenschaften" (von
unkundigen sogenannten Intellektuellen im Westen "den Juden"
angedichtet) neue Merkmale sind, die während des größten Teils der
jüdischen Geschichte unbekannt waren und erst hervortraten, als die
Macht der totalitären jüdischen Gemeinde zu schwinden begann. Nehmen wir
z.B. den bekannten jüdischen Humor. In der Vergangenheit war er nur
während einiger kurzer Perioden in den Ländern anzutreffen, in denen die
jüdische Oberklasse relativ wenig unter dem rabbinischen Joch zu leiden
hatte, wie in Italien vom 14. bis zum 17. Jahrhundert oder im
moslemischen Spanien. Vor dem 19. Jahrhundert ist dieser Humor in der
hebräischen Literatur nicht nur selten zu finden, sondern Humor und
Witze sind sogar durch die jüdische Religion strikt verboten, mit der
bezeichnenden Ausnahme von Witzen über andere Religionen. Gegen die
Rabbiner und die Führer der Gemeinde gerichtete Satire war nie Thema
beim Judaismus, auch nicht in ganz geringem Maße wie beim lateinischen
Christentum. Es gab keine jüdischen Komödien, wie auch die antiken
Spartaner keine Komödien schrieben, und das aus ähnlichen Gründen.
Oder nehmen wir
die Liebe zum Lernen. Mit Ausnahme eines rein religiös motivierten
Lernens, das sich selbst in einem minderwertigen und degenerierten
Zustand befand, beherrschte die Juden in Europa (und in etwas geringerem
Ausmaß auch in den arabischen Ländern) vor etwa 1780 tiefe Verachtung
und tiefer Haß gegenüber allem Lernen (mit Ausnahme des Talmud und der
jüdischen Mystik). Große Teile des Alten Testaments, die gesamte
nichtliturgische hebräische Poesie und die meisten Bücher über jüdische
Philosophie wurden nicht gelesen, sondern mit dem Bann belegt. Strikt
verboten war das Studium der Sprachen, ebenso wie das der Mathematik und
der Naturwissenschaften. Völlig unbekannt waren Geographie und
Geschichte, besonders die jüdische Geschichte. Der kritische Verstand,
dieser angeblich singuläre Charakterzug der Juden, war überhaupt nicht
zu finden, und nichts war so verboten, so gefürchtet und deshalb so
verfolgt, wie die geringste Neuerung oder die harmloseste Kritik.
Es war eine in
verachtenswertesten Aberglauben, Fanatismus und Unwissenheit
abgeglittene Welt, eine Welt, in der sich das Vorwort zum ersten in
hebräisch abgefaßten geographischen Werk (veröffentlicht 1803 in Rußland)
darüber beklagte, daß viele bedeutende Rabbiner die Existenz des
amerikanischen Kontinents deswegen leugneten, weil er "unmöglich" sei.
Zwischen diesem jüdischen Milieu und dem, was der Westen oft als
"typisch jüdisch" betrachtet, besteht mit Ausnahme des unrichtigen
Adjektivs keine Gemeinsamkeit.
Viele der heutigen
Juden hegt jedoch nostalgische Gefühle für dieses Milieu, das verlorene
Paradies und die komfortable geschlossene Gesellschaft, aus der sie
nicht so sehr befreit, sondern mehr vertrieben wurden. Ein großer Teil
der zionistischen Bewegung wollte sie von jeher restaurieren - und
gerade dieser Teil hat die Oberhand gewonnen. Viele der hinter der
israelischen Politik stehenden Motive, die die armen, verwirrten
westlichen "Freunde Israels" oft so verblüffen, lassen sich erklären,
sobald man sie schlicht und einfach als Reaktion in der politischen
Bedeutung dieses Wortes ansieht, als eine auf Zwang beruhende und in
vielerlei Hinsicht einfallsreiche und deshalb illusorische Rückkehr zur
geschlossenen Gesellschaft der jüdischen Vergangenheit.
Hindernisse für das Verstehen
Wie aus der
Geschichte bekannt, hat eine geschlossene Gesellschaft an ihrer
Selbstbeschreibung kein Interesse, denn eine solche Beschreibung hat
zweifellos teilweise die Form einer kritischen Analyse und ermutigt das
Aussprechen vieler kritischer "verbotener Gedanken". Je offener eine
Gesellschaft wird, desto aufgeschlossener ist sie zunächst einer
beschreibenden und dann kritischen Selbstreflexion ihrer gegenwärtigen
Funktion und ihrer Vergangenheit. Was geschieht aber, wenn eine Clique
von Intellektuellen wünscht, eine schon zu einem beträchtlichen Teil
geöffnete Gesellschaft in ihren früheren totalitären geschlossenen
Zustand zurückzuversetzen? In diesem Falle werden die Mittel des
früheren Fortschritts wie die Philosophie, die Naturwissenschaften, die
Geschichtsschreibung und speziell die Soziologie zum wirksamsten
Instrument des "Verrats der Intellektuellen". Sie werden pervertiert,
damit sie als Mittel des Betrugs dienen, und degenerieren im Laufe
dieses Prozesses.
Der klassische
Judaismus war nur wenig interessiert an einer Selbstbeschreibung für die
Mitglieder der eigenen Gemeinde, seien sie nun (durch talmudische
Studien) gebildet oder nicht. Bezeichnenderweise gibt es keine jüdische
Geschichtsschreibung (nicht einmal im trockensten Chronistenstil)
zwischen der Zeit des Flavius Josephus (Ende des 1. Jahrhunderts) und
der Renaissance. Erst in der Renaissance blühte sie kurzzeitig in
Italien und anderen Ländern auf, in denen die Juden unter starkem
italienischen Einfluß standen. Es ist typisch für die Rabbiner, daß sie
mehr noch die jüdische als die allgemeine Geschichte fürchteten. So trug
das erste moderne (im 16. Jahrhundert veröffentlichte) Geschichtsbuch
den Titel Geschichte der Könige Frankreichs und der osmanischen
Könige#B#bibliographische Angaben?#. Darauf folgten einige
Geschichtswerke, die nur von den Verfolgungen handelten, unter denen die
Juden zu leiden hatten.
Das erste Buch
über die eigentliche jüdische Geschichte, es befaßte sich mit der
Antike, verboten und unterdrückten die höchsten rabbinischen
Autoritäten; es erschien erst wieder im 19. Jahrhundert. Die
rabbinischen Autoritäten in Osteuropa verboten alle nichttalmudischen
Untersuchungen, auch wenn sie darin nichts fanden, was dieses Verbot
rechtfertigte. Die damit verbrachte Zeit solle besser zum Talmudstudium
oder Geldverdienen verwandt werden, und das Geld könne wiederum zur
Unterstützung der Talmudgelehrten benutzt werden. Ein Schlupfloch blieb
jedoch offen, nämlich die Zeit, die auch ein frommer Jude zwangsweise
auf dem Abort verbringen muß. Da an diesem unsauberen Ort das Studium
heiliger Schriften verboten ist, war es erlaubt, Geschichtswerke dort zu
lesen, vorausgesetzt, sie waren in Hebräisch abgefaßt und vollständig
säkulär, was letztlich bedeutete, daß sie ausschließlich nichtjüdische
Themen behandeln durften. (Man kann sich vorstellen, daß die wenigen
Juden dieser Zeit, die - zweifellos durch satanische Versuchung - ein
Interesse an der Geschichte der französischen Könige entwickelten, sich
dauernd bei ihren Nachbarn über die Verstopfung beklagten...) So befand
sich vor zweihundert Jahren der überwiegende Teil der Juden in geistiger
Dunkelheit, nicht nur, was die Existenz Amerikas, sondern auch die
jüdische
Geschichte und den damaligen Zustand des Judentums betraf. Und sie waren
sehr einverstanden damit, daß es dabei blieb.
Totalitäre Geschichte
Bei einer Sache
durften sie jedoch nicht in der Selbstgenügsamkeit verweilen, nämlich
bei christlichen Angriffen gegen die Passagen des Talmud und der
talmudischen Literatur, die sich gegen Nichtjuden im allgemeinen und
Christen im besonderen richteten. Man muß wissen, daß solche Angriffe
erst relativ spät in der Geschichte der christlich-jüdischen Beziehungen
auftraten, und zwar vom 13. Jahrhundert an. (Vor dieser Zeit gingen die
christlichen Autoritäten gegen den Judaismus entweder mit der Bibel oder
mit allgemeinen Argumenten vor. Der Talmud war ihnen anscheinend
ziemlich unbekannt.) Die christliche Kampagne gegen den Talmud leiteten
offensichtlich von zum Christentum übergetretene Juden ein, die den
Talmud sehr gut kannten und sich in vielen Fällen von der Entwicklung
der christlichen Philosophie mit ihren starken aristotelischen (und
somit universellen) Charakter angezogen fühlten.
Man muß
vorausschicken, daß der Talmud und die talmudische Literatur - ganz
abgesehen von den allgemeinen Andeutungen gegen Nichtjuden, die sich
durch sie ziehen und ausführlich im Kapitel V ("V Gesetze gegen
Nichtjuden") behandelt werden - einige sehr anstößige, besonders gegen
das Christentum gerichtete Aussagen und Vorschriften enthalten.
Neben einer Reihe
von skurrilen, unbewiesenen Behauptungen über das Sexualleben von Jesus,
schreibt z.B. der Talmud, daß seine Strafe in der Hölle darin bestehe,
in kochende Exkremente eingetaucht zu werden. Diese Aussage zielt nicht
gerade darauf ab, den Talmud bei frommen Christen beliebt zu machen. Man
kann aber auch die Vorschrift zitieren, nach der die Juden angewiesen
werden, jedes Exemplar des Neuen Testaments, das ihnen in die Hände
fällt, möglichst öffentlich zu verbrennen. Diese Vorschrift ist zwar
nicht mehr in Kraft, wird aber heute noch praktiziert, wie etwa am 23.
März 1980, als Hunderte von Exemplaren des Neuen Testaments öffentlich
und zeremoniell in Jerusalem unter der Schirmherrschaft von "Jad Le
Achim", einer religiösen jüdischen und vom israelischen
Religionsministerium unterstützten Organisation, verbrannt wurden.
Jedenfalls setzten
in vielen Punkten gut begründete Angriffe gegen den talmudischen
Judaismus im Europa des 13. Jahrhunderts ein. Wir führen hier nicht die
auf Unwissenheit beruhenden Verleumdungen an, wie die von geistig
zurückgebliebenen Mönchen in kleinen Provinzstädten verbreitete
Blutlüge, sondern die in den damals besten Universitäten Europas
abgehaltenen und weitgehend unparteiisch geführten Disputationen, wie
sie damals unter den Gegebenheiten des Mittelalters möglich waren.
Was war nun die
jüdische oder - besser gesagt: die rabbinische - Reaktion? Die
einfachste Antwort bestand darin, daß man die alte Waffe der Bestechung
herausholte und Beziehungen spielen ließ. In den meisten europäischen
Ländern konnte man fast alles durch ein Schmiergeld regeln. Nirgendwo
galt dieser Grundsatz mehr als im Rom der Renaissancepäpste. Die
Erstausgabe des vollständigen Kodex des talmudischen Gesetzes, die
Mischne Tora von Maimonides, angefüllt nicht nur mit den widerwärtigsten
Vorschriften gegen alle Nichtjuden, sondern auch mit expliziten
Angriffen gegen das Christentum und gegen Jesus (dessen Namen der Autor
mit dem frommen Zusatz "möge der Name des Verruchten vergehen"
versieht), wurde im Jahre 1480 von anstößigen Stellen ungereinigt in Rom
unter Sixtus IV., eines politisch sehr aktiven Papstes, der sich dauernd
in ernsten Geldnöten befand, veröffentlicht. (Einige Jahre zuvor wurde
die ältere Ausgabe des Goldenen Esel von Apulejus, aus dem die heftigen
Angriffe gegen das Christentum nicht beseitigt wurden, gleichfalls in
Rom veröffentlicht.) Alexander VI. aus der Familie der Borgia war
ebenfalls sehr liberal in dieser Hinsicht.
Wie vorher gab es
auch in dieser Zeit immer Länder, in denen zeitweilig eine Welle
antitalmudischer Verfolgung ausbrach. Doch mit der Reformation und der
Gegenreformation setzte ein weitreichender und folgerichtiger Ansturm
ein, als sich eine höhere intellektuelle Ehrlichkeit und bessere
Hebräischkenntnisse unter den christlichen Gelehrten verbreiteten. Vom
16. Jahrhundert an wurde die gesamte talmudische Literatur
einschließlich des Talmuds in verschiedenen Ländern der Zensur
unterworfen, in Rußland bis zum Jahre 1917. Während einige Zensoren, wie
etwa in Holland, etwas laxer bei der Handhabung der Zensur vorgingen,
verfuhren andere weitaus strenger und beseitigten oder änderten die
anstößigen Passagen.
Alle modernen
wissenschaftlichen Untersuchungen über den Judaismus, insbesondere die
von Juden stammenden, haben sich aus diesem Konflikt heraus entwickelt.
Bis heute tragen sie noch die unverkennbaren Züge ihres Ursprungs:
Betrug, Apolegetik oder feindliche Polemik, Gleichgültigkeit oder sogar
aktive Feindschaft gegenüber der Suche nach Wahrheit. Von damals bis zum
heutigen Tag sind deshalb alle sogenannten jüdischen Studien über den
Judaismus als Polemiken gegen einen äußeren Feind und nicht als interne
Debatte gedacht.
Man muß wissen,
daß dies anfänglich für die gesamte Geschichtsschreibung in allen
bekannten Kulturkreisen kennzeichnend war (mit Ausnahme des antiken
Griechenlands, wo die frühen liberalen Historiker später von den
Sophisten wegen ihres mangelnden Patriotismus angegriffen wurden!). Dies
gilt auch für die ersten katholischen und protestantischen Historiker,
die gegeneinander polemisierten. Desgleichen sind die ersten nationalen
Geschichtswerke in Europa mit gröbstem Nationalismus und mit
Geringschätzung gegenüber anderen Nationen getränkt. Früher oder später
kommt jedoch eine Zeit, in der man den Versuch macht, nationale oder
religiöse Gegnerschaft zu verstehen und gleichzeitig tiefgreifende und
wichtige Aspekte der eigenen Geschichte kritisch zu beleuchten. Diese
beiden Entwicklungen laufen gleichzeitig ab. Nur wenn, wie es Pieter
Geyl so gut ausgedrückt hat, die Geschichtsschreibung "eine Debatte ohne
Ende" wird und keine Fortsetzung des Krieges mit historiographischen
Mitteln bleibt, wird eine humane, nach Genauigkeit und Ausgewogenheit
strebende Geschichtsschreibung möglich; sie wird dann zu einem der
wirkungsvollsten Instrumente des Humanismus und der Selbsterziehung.
Gerade aus diesem
Grunde schreiben die modernen totalitären Regimes die Geschichte um oder
bestrafen Historiker. Wenn eine ganze Gesellschaft die Rückkehr zum
Totalitarismus versucht, wird totalitäre Geschichte geschrieben, und
zwar durchgesetzt nicht durch den Zwang von oben, sondern durch den viel
wirksamereren Druck von unten. Gerade dies geschah in der jüdischen
Geschichte und bildet das erste Hindernis, das wir überwinden müssen.
Verteidigungsmechanismen
Wie sahen nun
neben der oben erwähnten Bestechung die Mechanismen aus, die die
jüdischen Gemeinden gemeinsam mit äußerster Kraft einsetzten, um den
Angriff auf den Talmud und die andere religiöse Literatur abzuwehren? Es
lassen sich mehrere Methoden unterscheiden, von denen alle die wichtigen
politischen Folgen haben, die sich in der gegenwärtigen israelischen
Politik zeigen. Es wäre ermüdend, in jedem Falle auf die Parallelen zu
Begin oder zu Ben Gurion hinzuweisen; ich bin sicher, daß der mit der
Politik im Nahen Osten etwas vertraute Leser selbst die Ähnlichkeit
bemerken wird.
Der erste
Mechanismus, der hier behandelt werden soll, ist der mit äußerlicher
Unterwerfung verbundene heimliche Widerstand.
Wie schon oben
gesagt, mußten die gegen das Christentum oder gegen Nichtjuden
gerichteten talmudischen Passagen entfernt oder geändert werden - der
Druck war allzu stark. Man tat folgendes: Einige der anstößigsten
Passagen wurden aus allen in Europa nach der Mitte des 16. Jahrhunderts
gedruckten Ausgaben herausgenommen. In allen anderen Passagen ersetzte
man die Ausdrücke "Heide", "Nichtjude", "Fremder" (Goi, Eino Jehudi,
Nochri), die in allen frühen Manuskripten und Druckwerken sowie in
sämtlichen in islamischen Ländern veröffentlichten Ausgaben standen,
durch Begriffe wie "Götzenanbeter", "Heide" oder sogar "Kanaaniter" oder
"Samariter", die sich leicht wegerklären lassen, die aber ein jüdischer
Leser als Euphemismus für die alten Ausdrücke erkennen konnte.
Mit den sich
steigernden Angriffen wurde die Verteidigung immer subtiler, mit
zuweilen dauerhaft tragischen Ergebnissen. Zu bestimmten Zeiten wurde
die Zensur im zaristischen Rußland immer strenger, und als die oben
erwähnten Euphemismen enttarnt wurden, verbot man sie. Daraufhin nahmen
die rabbinischen Autoritäten als Ersatz die Begriffe "Araber" oder
"Moslem" (in Hebräisch "Ismaeliter" - was beides bedeutet) oder
gelegentlich auch "Ägypter" und kalkulierte ganz richtig, daß die
zaristische Behörden gegen diese Art des Mißbrauchs nichts einwenden
würden. Gleichzeitig wurden Listen der talmudischen Auslassungen in
Manuskriptform in Umlauf gebracht, die alle neuen Begriffe erläuterten
und alle Auslassungen herausstellten. Gelegentlich druckte man eine
Distanzierung vor der Titelseite eines jeden Bandes der talmudischen
Literatur, in der man feierlich und manchmal auch eidlich bekräftigte,
daß alle feindseligen Ausdrücke in dem betreffenden Band nur gegen die
Götzenverehrer der Antike oder sogar gegen die längst untergegangenen
Kanaaniter gerichtet seien und nicht gegen "die Menschen, in deren Land
wir leben". Nach der Eroberung Indiens durch die Briten gebrauchten
einige Rabbiner die Schutzbehauptung, daß alle von ihnen verwendeten,
besonders schimpflichen und herabsetzenden Ausdrücke nur für die Inder
gedacht wären. Manchmal benutzte man auch die Ureinwohner Australiens
als Prügelknaben.
Selbstverständlich
war alles von Anfang bis Ende ein vorsätzlicher Betrug, denn als sich
nach der Gründung des Staates Israels die Rabbiner erst einmal sicher
fühlten, nahmen sie alle anstößigen Passagen und Ausdrücke in alle neuen
Ausgaben ohne Zögern wieder auf. (Wegen der enormen Kosten, die mit
einer neuen Ausgabe verbunden sind, ist ein beträchtlicher Teil der
talmudischen Literatur einschließlich des Talmuds selbst noch immer ein
Nachdruck der älteren Ausgaben. Aus diesem Grunde wurden die oben
genannten talmudischen Auslassungen jetzt in Israel in einer billigen
Ausgabe mit dem Titel Chesronot Schas veröffentlicht.) Man kann also
jetzt ganz frei solche Passagen lesen (und den jüdischen Kindern werden
sie tatsächlich auch beigebracht), wie diejenige, in der steht, daß
jeder Jude beim Vorbeigang eines jüdischen Friedhofs seinen Segen
aussprechen, aber an einem nichtjüdischen Friedhof die Mütter der Toten
verfluchen muß.
In den alten
Ausgaben wurde der Fluch weggelassen oder einer der Tarnnamen für
"Nichtjude" eingesetzt. In der neuen israelischen Ausgabe des Rabbiners
Adin Steinsalz (komplett mit hebräischen Erläuterungen und Glossaren zum
aramäischen Teil des Textes, so daß die Schulkinder nicht im Zweifel
darüber sind, was sie sagen sollen) nahm man die unzweideutigen Wörter
"Nichtjuden" und "Fremde" wieder auf.
Unter äußerem
Druck bereinigten oder änderten die Rabbiner in betrügerischer Absicht
gewisse Passagen, aber nicht die in ihnen vorgeschriebenen Praktiken. Es
bleibt eine Tatsache, daß unsere totalitäre Gesellschaft
jahrhundertelang barbarische und inhumane Bräuche anwandte, um den Geist
ihrer Mitglieder zu vergiften. Dies geschieht heute noch. (Diese
inhumanen Bräuche können nicht als bloße Reaktion auf den Antisemitismus
oder die Judenverfolgungen wegerklärt werden. Sie sind unbegründete
Barbareien, die sich gegen jedes menschliche Wesen richten. Ein frommer
Jude, der zum ersten Mal nach Australien kommt und dabei zufällig an
einem Friedhof der Ureinwohner vorbeikommt, muß als kultische Handlung
die Mütter der dort Begrabenen verfluchen.) Wenn wir dieser harten
Tatsache nicht ins Gesicht schauen, werden wir alle zu Beteiligten an
der Täuschung und zu Komplizen bei der Vergiftung der heutigen und
künftigen Generationen mit allen ihren Konsequenzen.
Die
Täuschung geht weiter
Moderne Gelehrte
des Judaismus führten nicht nur die Täuschung fort, sondern übertrafen
noch die alten rabbinischen Methoden an Frechheit und an Verlogenheit.
Da die verschiedenen geschichtlichen Darstellungen des Antisemitismus
nicht einen ernsten Gedanken wert sind, will ich sie hier übergehen.
Stattdessen führe ich drei besondere Beispiele und ein allgemeines
Beispiel der moderneren "akademischen" Täuschungen an.
Im Jahre 1962
erschien im Jerusalem ein Teil des oben erwähnten Maimonidischen Kodex,
das sogenannte Buch der Gebote und Verbote mit den Grundregeln des
jüdischen Glaubens und der Religionsausübung als eine zweisprachige
Ausgabe, bei der die englische Übersetzung dem hebräischen Text
gegenübergestellt ist. Der hebräische Text wurde in seiner
ursprünglichen Fassung wiedergegeben, wobei das Gebot, jüdische
Ungläubige auszurotten, in voller Länge angeführt ist: "Es ist eine
Pflicht, diese mit eigener Hand auszurotten." Die englische Übersetzung
ist etwas abgeschwächt: "Es ist die Pflicht, aktive Maßnahmen zu
ergreifen, um sie zu vernichten". Dann aber führt der hebräische Text
genaue Beispiele der "Ungläubigen " an, die auszurotten sind: "Solche
Leute wie Jesus von Nazareth und seine Schüler sowie Sadok und Baitos
und deren Gefolgsleuten; möge der Name der Verruchten verrotten". Nicht
ein Wort davon erscheint im englischen Text auf der gegenüberliegenden
Seite (Seite 78 a).
Bezeichnend dabei
ist, daß trotz der weiten Verbreitung dieses Buches unter den Gelehrten
in den englischsprachigen Ländern keiner von ihnen meines Wissens nach
gegen diese eklatante Täuschung protestiert hat.
Das zweite
Beispiel stammt aus den USA, und hier wiederum aus der englischen
Übersetzung eines Buches von Maimonides, der nicht nur den Talmud
kodifizierte, sondern auch ein großer Philosoph war. Sein Führer der
Verirrten wird mit Recht als eines der größten Werke der jüdischen
Religionsphilosophie betrachtet, von vielen Menschen gelesen und noch
heute benutzt. Neben seiner Haltung gegenüber Nichtjuden im allgemeinen
und Christen im besonderen war Maimonides leider auch ein
schwarzenfeindlicher Rassist. Am Ende des Führers behandelt er in einem
entscheidenden Kapitel (Buch III, Kapitel 51) die Frage, wie die
verschiedenen Gruppen der Menschheit den höchsten religiösen Wert,
nämlich die echte Gottesanbetung, erreichen können. Zu denen, die nicht
fähig sind, sich diesem Ziel auch nur zu nähern, gehören:
Einige der Türken
[d.h. die mongolische Rasse] und die Nomaden im Norden sowie die
Schwarzen und die Nomaden im Süden und all diejenigen, die ihnen in
unseren Landstrichen ähneln. Ihre Natur entspricht der Beschaffenheit
stummer Tiere, und nach meiner Meinung stehen sie nicht auf dem Stand
von Menschen, und bei allen belebten Dingen stehen sie unter dem
Menschen und über dem Affen, da sie dem Aussehen nach mehr Menschen als
Affen ähneln.
Was soll man mit
so einer Passage in dem wichtigsten und unumgänglich notwendigen Buch
des Judaismus tun? Der Wahrheit und ihren Konsequenzen ins Gesicht
sehen? Gott behüte! Zugeben (wie z.B. viele christliche Gelehrte in
ähnlichen Situationen), daß eine hohe jüdische Autorität fanatische
schwarzenfeindliche Ansichten pflegt und durch dieses Zugeständnis den
Versuch einer Selbsterziehung zu echter Menschlichkeit machen? Vergessen
Sie diesen Gedanken. Ich kann mir schon die jüdischen Gelehrten in den
USA vorstellen, wie sie sich zu Beratungen zurückziehen und fragen, was
zu tun sei, denn das Buch mußte wegen der schwindenden Kenntnis des
Hebräischen unter den amerikanischen Juden übersetzt werden. Sei es
durch Beratung oder persönliche Inspiration, eine glückliche "Lösung"
wurde gefunden: In der weitverbreiteten amerikanischen Übersetzung des
Führers von einem gewissen Friedlander, die zuerst im Jahre 1923
veröffentlicht wurde und dann in vielen Neuauflagen, auch in mehreren
Taschenbuchausgaben, herauskam, ist das hebräische Wort Kuschim mit der
Bedeutung "Schwarze" einfach transskribiert worden und erscheint als "Kushites",
ein bedeutungsloses Wort, wenn man kein Hebräisch kann oder von einem
gütigen Rabbiner nicht mündlich aufgeklärt wird. Während all dieser
Jahre fiel nicht ein Wort, um diese einleitende Täuschung oder die
sozialen Tatsachen, auf denen sich diese Fortdauer der Täuschung
gründet, herauszustellen.
Und dies begab
sich während der ganzen Aufregung über die von so vielen Rabbinern
unterstützten Kampagnen Martin Luther Kings, ganz zu schweigen von den
anderen jüdischen Persönlichkeiten, denen die schwarzenfeindliche
rassistische Haltung bekannt sein mußte, die ein Teil ihres jüdischen
Erbes ist.
Viele der
rabbinischen Helfer Martin Luther Kings waren, wie man zwangsläufig
annehmen muß, schwarzenfeindliche Rassisten, die ihn wegen des
"jüdischen Interesses" aus taktischen Gründen (und um schwarze
Unterstützung für das amerikanische Judentum und Israels Politik zu
gewinnen) unterstützten. Oder es waren ausgebuffte, ja fast schon
schizophrene Heuchler, die sich sehr schnell von einer versteckten
Freude an fanatischem Rassismus auf erklärte Anhängerschaft eines
antirassistischen Kampfes und dann wieder umgekehrt umstellen konnten.
Das dritte
Beispiel stammt aus einem Werk, das einen weitaus geringeren
wissenschaftlichen Anspruch erhebt, aber gerade deswegen weiter
verbreitet ist: The Joys of Yiddish von Leo Rosten. Dieses heitere Buch,
zuerst in den Vereinigten Staaten im Jahre 1968 und dann in vielen
Neuauflagen einschließlich einiger Penguin Paperbacks veröffentlicht,
ist eine Art Glossar jiddischer Wörter, die Juden und sogar Nichtjuden
in den englischsprachigen Ländern oft gebrauchen. Jeder Eintrag enthält
nicht nur eine ausführliche Definition und mehr oder weniger amüsante
Anekdoten zur Veranschaulichung des Gebrauchs, sondern auch mehr oder
weniger korrekte etymologische Angaben über die Sprache, aus der das
Wort in das Jiddische übernommen wurde, und welche Bedeutung es in jener
Sprache hat. Eine Ausnahme bildet dabei Shaygets mit Hauptbedeutung
"nichtjüdischer Junge oder nichtjüdischer junger Mann". Als dunkle
etymologische Erklärung ist "hebräischen Ursprungs" angegeben, ohne
genau mitzuteilen, welche Form oder Bedeutung das ursprüngliche
hebräische Wort hat. Unter Shiksa, der weiblichen Form von Shaygets,
gibt der Autor das ursprüngliche hebräische Sheqetz (oder Sheques in
seiner Transskription) an und erklärt die hebräische Bedeutung mit
"blemish". Dies ist eine glatte Lüge, wie jeder Sprecher des Hebräischen
weiß. Das in Israel herausgegebene Megiddo Modern Hebrew-English
Dictonary definiert Sheqetz ganz richtig als: "unclean animal; loathsome
creature, abomination, wretch, unruly youngster; Gentile youngster"
(Anm.d.Übers.: "unsauberes Tier; ekelhafte Kreatur, Scheusal, Lump,
widerspenstiger Bursche, nichtjüdischer Bursche").
Das letzte und
allgemeinere Beispiel ist, falls überhaupt möglich, noch schockierender
als die anderen und betrifft die Haltung der chassidischen Bewegung
gegenüber Nichtjuden. Der Chassidismus, eine Fortführung (und eine
Verfälschung!) der jüdischen Mystik, ist noch immer ein lebendige
Bewegung mit Hunderttausenden von aktiven Anhängern, die fanatisch auf
ihre "heiligen Rabbis" eingeschworen sind. Einige von ihnen haben
beträchtlichen politischen Einfluß in Israel, darunter auf die Führer
der meisten Parteien und noch mehr auf die höheren Ränge der Armee.
Wie ist also nun
die Einstellung dieser Bewegung gegenüber Nichtjuden?
Als Beispiel sei
hier das berühmte grundlegende Buch Hatanya der Chabad-Bewegung
angeführt, eines der wichtigsten Ablegers des Chassidismus.
Nach diesem Buch
sind alle Nichtjuden ausnahmslos satanische Kreaturen, "in denen absolut
nichts Gutes ist". Sogar ein nichtjüdischer Embryo unterscheidet sich
qualitativ von einem jüdischen. Die ganze Existenz eines Nichtjuden ist
"entbehrlich", wogegen die gesamte Schöpfung allein um der Juden willen
erfolgte.
Dieses Buch
erschien in zahllosen Auflagen, und seine Vorstellungen werden in den
zahllosen "Diskursen" des derzeitigen, geborenen Führers des Chabad, dem
sogenannten Ljubawitscher Rabbi M. M. Schneuerssohn, weiterverbreitet,
der diese mächtige weltweite Organisation von seinem Hauptquartier in
New York aus leitet. In Israel erfolgt die Verbreitung dieser Ideen in
der Öffentlichkeit, in den Schulen und in der Armee. (Nach dem Zeugnis
von Schulamit Aloni, Mitglied der Knesset, erfuhr diese Propaganda des
Chabad eine Steigerung vor der israelischen Invasion des Libanon im März
1978, um Militärärzte und Krankenschwestern zu veranlassen, "verwundeten
Nichtjuden" medizinische Hilfe vorzuenthalten. Diese nazi-ähnliche
Anweisung galt nicht speziell für Araber oder für Palästinenser, sondern
schlicht und einfach für "Nichtjuden", Gojim.) Der frühere israelische
Präsident Schasar war ein glühender Anhänger des Chabad, und viele hohe
israelische und amerikanische Politiker, allen voran Premierminister
Begin, machten dieser Bewegung den Hof und unterstützten sie öffentlich.
Trotz der hohen Unbeliebtheit des Ljubawitscher Rabbi: In Israel wird er
heftig kritisiert, da er sich weigert, auch nur zu Besuch nach Israel zu
kommen. Er bleibt aus obskuren messianischen Gründen in New York, obwohl
seine schwarzenfeindliche Haltung dort notorisch ist.
Die Tatsache, daß
trotz dieser praktischen Schwierigkeiten der Chabad von so vielen hohen
Persönlichkeiten in der Politik öffentlich unterstützt werden kann, geht
zum großen Teil auf die vollkommen unredliche und irreführende
Behandlung durch die meisten Gelehrten zurück, die über die chassidische
Bewegung und ihren Ableger Chabad geschrieben haben. Dies gilt besonders
für alle Personen, die über diese Bewegung in englischer Sprache
schreiben und geschrieben haben. Sie vertuschen die offenkundige
Konzeption der alten chassidischen Texte sowie der aktuell daraus
folgenden politischen Konsequenzen. Diese fallen sogar dem
gelegentlichen Leser der hebräischen Presse auf, weil der Ljubawitscher
Rabbi und andere chassidische Führer hier unablässig die blutrünstigsten
Behauptungen und Ausfälle gegen alle Araber veröffentlichen.
Der Hauptbetrüger
in diesem Falle und ein gutes Beispiel für die Macht der Täuschung ist
Martin Buber. In seinen zahlreichen Werken hebt er die gesamte
chassidische Bewegung (einschließlich des Chabad) in den Himmel und
zeigt weniger die tatsächlichen Lehrmeinungen des Chassidismus
hinsichtlich der Nichtjuden auf.
Das Verbrechen der
Fälschung ist um so größer angesichts der Tatsache, daß Buber seine
Lobpreisungen des Chassidismus zuerst in deutsch während des Aufstiegs
des deutschen Nationalismus und der Machtübernahme der
Nationalsozialisten veröffentlichte. Angeblich war er ein Gegner des
Nationalsozialismus, glorifizierte aber eine Bewegung, die Lehrmeinungen
über Nichtjuden vertritt, die denen der Nationalsozialisten über die
Juden nicht nachstehen. Man könnte natürlich sagen, daß die
chassidischen Juden vor 70 oder 50 Jahren die Opfer waren und eine
"Notlüge" zugunsten eines Opfers entschuldbar sei. Die Folgen solch
einer Täuschung sind jedoch unermeßlich. Bubers Werke wurden ins
Hebräische übersetzt und zu einem mächtigen Element der hebräischen
Erziehung in Israel. Sie erhöhten stark die Macht der blutrünstigen
chassidischen Führer und sind somit zum großen Teil verantwortlich für
das Anwachsen des israelischen Chauvinismus und des Hasses gegenüber
allen Nichtjuden. Wenn man an die vielen Menschen denkt, die nur darum
starben, weil von der chassidischen Propaganda aufgestachelte
Sanitäterinnen der israelischen Armee ihnen ihre Hilfe verweigerten,
dann liegt die schwere Last für deren Blut auf dem Haupt von Martin
Buber.
Ich muß hier
erwähnen, daß Buber mit seiner Lobhudelei des Chassidismus andere
jüdische Gelehrte weit übertraf, und zwar vor allem diejenigen, die in
Hebräisch (oder früher in Jiddisch) oder sogar in europäischen Sprachen,
allerdings nur für eine jüdische Leserschaft, schreiben. Bei Fragen der
internen jüdischen Interessen hat es einmal eine starke und
gerechtfertigte Kritik der chassidischen Bewegung gegeben. Ihr Frauenhaß
(viel extremer als in der gesamten jüdischen Orthodoxie üblich), ihre
Alkoholexzesse, ihr fanatischer Kult mit ihren erblichen "heiligen
Rabbis", die ihnen Geld abpressen, ihre zahllosen abergläubischen
Vorstellungen - diese und viele andere negative Charakterzüge wurden mit
Kritik begleitet. Doch Bubers sentimentale und betrügerische
Romantisierung hat besonders in den USA und in Israel die Oberhand
gewonnen, da sie mit der totalitären Bewunderung für alles "echt
Jüdische" in Einklang stand und bestimmte "linke" jüdische Kreise, auf
die Buber einen besonders großen Einfluß hatte, diese Ansichten
übernahmen.
Buber stand mit
seinen Ansichten aber nicht allein, obwohl er meines Erachtens wegen der
Verderbtheit, die er verbreitete, und wegen des Einflusses, den er
hinterlassen hat, der weitaus Übelste war. Es gab andere, wie den
einflußreichen Soziologen und Bibel-Gelehrten Jecheskel Kaufmann, ein
Befürworter des Völkermordes nach dem Vorbild des Buches Josua, und den
Philosophen der idealistischen Richtung Hugo Schmuhl Bergman, der schon
in den Jahren 1914 und 1915 die Vertreibung aller Palästinenser in den
Irak und in viele andere Länder propagierte. Nach außen hin waren sie
zwar alle "Tauben", prägten jedoch Formulierungen, die man im extremsten
antiarabischen Sinne handhaben konnte. Alle neigten dem religiösen
Mystizismus zu, der die Verbreitung von Täuschungen begünstigte, und
alle schienen milde Seelen zu sein, die anscheinend keiner Fliege etwas
zuleide tun konnten, auch wenn sie für Vertreibung, Rassismus und
Völkermord eintraten.
Gerade aus diesem
Grunde war die Wirkung ihres Betrugs um so größer.
Unser Kampf muß
sich gegen die Glorifizierung der Inhumanität richten, die nicht nur von
den Rabbis und den Rabbinern, sondern auch von denen propagiert wird,
die man als die größten und sicherlich einflußreichsten Gelehrten des
Judaismus ansieht. Geführt werden muß dieser Kampf auch gegen die
modernen Nachfolger der falschen Propheten und der unredlichen Priester.
Eben weil in Israel und unter der überwältigenden Mehrheit der Juden in
Ländern wie den USA eine nahezu einhelligen Meinung vorherrscht, müssen
wir des Lucretius Warnung wiederholen, nicht auf ein eigenes Urteil
zugunsten der Tiraden der Priester zu verzichten: Tantum religio potuit
suadere malorum (Zu soviel Bösem werden Menschen durch die Religion
getrieben). Nicht immer ist die Religion, wie Marx sagte, das Opium des
Volks, kann es jedoch oft sein. Benutzt man sie jedoch in diesem Sinne
durch die Verdrehung und die falsche Darstellung ihrer echten Natur, so
werden die Gelehrten und Intellektuellen, die diese Aufgabe übernehmen,
zu Opiumschmugglern.
Aus dieser Analyse
können wir noch eine allgemeinere Schlußfolgerung ziehen über die
wirksamsten und erschreckendsten Mittel, jemanden dazu zu bringen, Böses
zu tun, zu betrügen und zu täuschen sowie ganze Völker zu korrumpieren
und sie zur Unterdrückung und Mord zu treiben, die Hände aber
gleichzeitig in Unschuld zu waschen. Zweifellos sind die schrecklichsten
Maßnahmen zur Unterdrückung im Westjordanland durch jüdischen religiösen
Fanatismus motiviert. Die meisten Menschen nehmen anscheinend an, daß
der schlimmste Totalitarismus physischen Zwang anwendet. Sie würden auf
Orwells 1984 als ein Modell verweisen, das solch eine Herrschaft
verdeutlicht. Mir aber scheint, daß diese allgemeine Ansicht ein grobes
Mißverständnis ist. Die Erkenntnis von Isaac Asimov, dessen
Science-Fiction-Erzählungen die schlimmste Unterdrückung immer
verinnerlichten, trifft viel besser auf die Gefahren der menschlichen
Natur zu. Den zahmen Gelehrten Stalins drohten Tod oder
Konzentrationslager. Die Rabbiner dagegen und mehr noch die hier
angegriffenen Gelehrten einschließlich des ganzen Abschaums der ebenso
schweigenden geistigen Dutzendware, wie Schriftsteller, Journalisten und
Prominente, die mehr als sie lügen und betrügen, mußten lediglich
sozialen Druck fürchten. Sie lügen aus Patriotismus heraus, da sie es
für ihre Pflicht halten, im vermeintlichen jüdischen Interesse zu lügen.
Sie sind eben patriotische Lügner, und gerade der nämliche Patriotismus
verurteilt sie zum Schweigen, wenn es um die Diskriminierung und die
Unterdrückung der Palästinenser geht.
Im vorliegenden
Fall haben wir es mit einer anderen Gruppenloyalität zu tun, die von
außen kommt und manchmal größeren Schaden anrichtet. Viele Nichtjuden
(einschließlich des christlichen Klerus und religiöser Laien sowie
einiger Marxisten jedweder Couleur) sind der wunderlichen Meinung, daß
eine Möglichkeit, für die Verfolgung der Juden zu "büßen", darin
besteht, die Untaten der Juden zu verschweigen und sich an ihren
"Notlügen" zu beteiligen.
Die krude
Beschuldigung des "Antisemitismus " (oder, im Fall der Juden, des
"Selbsthasses") gegen jeden, der gegen die Diskriminierung der
Palästinenser protestiert oder auf eine zur "genehmigten Version" nicht
passende Tatsache über die jüdische Religion oder die jüdische
Vergangenheit hinweist, wird mit größerer Feindschaft und Vehemenz von
den nichtjüdischen "Freunden der Juden" als von den Juden selbst
erhoben. Gerade die Existenz und der große Einfluß dieser Gruppe in
allen westlichen Ländern und insbesondere in den USA (sowie in anderen
englischsprachigen Ländern) gestattet den Rabbinern und den Gelehrten
des Judaismus, ihre Lügen nicht nur ohne Gegenwehr, sondern mit
beträchtlicher Hilfe zu verbreiten.
In der Tat haben
viele erklärte "Antistalinisten" lediglich die Objekte ihrer Anbetung
ausgetauscht, und sie neigen dazu, den jüdischen Rassismus und
Fanatismus mit mehr Eifer und größerer Perfidie zu unterstützen als die
meisten gläubigen Stalinisten in der Vergangenheit. Obwohl die blinde
und stalinistische Unterstützung für alles Böse, solange es nur
"jüdisch" ist, besonders stark seit 1945 war, als die Wahrheit über die
Ausrottung der europäischen Juden bekannt gegeben wurde, ist es ein
Fehler anzunehmen, daß dieses Phänomen erst damals auftrat. Ganz im
Gegenteil, es läßt sich weit zurückverfolgen, besonders bis in
sozialdemokratische Kreise hinein. Moses Hess; einer von Marx' früheren
Freunden und bekannt als einer der ersten Sozialisten in Deutschland,
entpuppte sich später als extremer jüdischer Rassist, dessen im Jahre
1858 veröffentlichte Ansichten über die "reine jüdische Rasse" ein
vergleichbarer Quatsch wie die "reine arische Rasse" ist. Die deutschen
Sozialisten jedoch, die gegen deutschen Rassismus kämpften, schwiegen
sich über den jüdischen Rassismus aus.
Während des
Krieges gegen Hitler verabschiedete die britische Labour-Party 1944
einen Plan zur Austreibung der Palästinenser aus Palästina, der Hitlers
frühen Plänen (von etwa 1941) hinsichtlich der Juden gleichkommt. Diesen
Plan wurde unter dem Druck der jüdischen Mitglieder der Parteiführung
gebilligt, von denen sich viele stärker nach dem Motto "eigene
Mischpoche zuerst" bei der israelischen Politik richteten, als es die
konservativen Vertreter von "eigene Sippe zuerst" für Ian Smith je getan
haben. Da stalinistische Tabus auf der Linken in Großbritannien stärker
als auf der Rechten wirken, findet fast keine Diskussion statt, auch
wenn die Labour-Party die Regierung Begin unterstützte.
In den USA
herrscht ein ähnlicher Zustand, und auch hier sind wiederum die
amerikanischen Liberalen die schlimmsten.
Dies ist nicht der
Platz, an dem alle politischen Konsequenzen dieser Situation ausgelotet
werden können. Wir müssen aber den Tatsachen ins Gesicht sehen: In
unserem Kampf gegen Rassismus und Fanatismus der jüdischen Religion
werden unsere größten Feinde nicht nur die jüdischen Rassisten (und die
Nutznießer des Rassismus), sondern auch jene Nichtjuden sein, die in
anderen Bereichen - in meinen Augen fälschlicherweise - als
"Fortschrittliche" gelten.
C/
Orthodoxie und Interpretation
Dieses Kapitel
behandelt ausführlich die theologisch-gesetzlichen Strukturen des
klassischen Judaismus. Zuvor ist es jedoch erforderlich, wenigstens
einige der vielen Mißverständnisse zu beseitigen, die nahezu alle
fremdsprachigen (d.h. nichthebräischen) Berichte über den Judaismus
verbreiten. Dies gilt besonders für solche Darstellungen, die solch
derzeit modische Phrasen wie "judisch-christliche Tradition" oder
"gemeinsame Werte der monotheistischen Religionen" propagieren.
Aus Platzgründen
befasse ich mich nur mit den wichtigsten dieser gängigen Irreführungen
ausführlich, daß nämlich die jüdische Religion monotheistisch ist und
immer gewesen sei. Wie viele Theologen wissen und eine genauere Lektüre
des Alten Testaments unschwer zeigt, ist dies eine gänzlich falsche,
unhistorische Sicht. Viele, wenn nicht die meisten, Büchern des Alten
Testaments bestätigen eindeutig die Existenz und Macht "anderer Götter".
Jahwe (Jehova), der mächtigste Gott, ist jedoch sehr eifersüchtig auf
seine Rivalen und verbietet es den Menschen, sie anzubeten. Erst sehr
spät in der Bibel, und zwar bei den späten Propheten, wird geleugnet,
daß es außer Jahwe andere Götter gibt.
Was uns hier
beschäftigt, ist nicht der biblische, sondern der klassische Judaismus.
Wenn auch weniger bekannt, so liegt es auf der Hand, daß letzterer in
den vergangenen Jahrhunderten zum größten Teil von reinem Monotheismus
weit entfernt war. Das gleiche läßt sich von den Lehrmeinungen des
heutigen orthodoxen Judaismus beherrschen, der Fortsetzung des
klassischen Judaismus, sagen. Die Ursache für den Verfall des
klassischen Monotheismus liegt in der Ausbreitung der jüdischen Mystik
(der Kabbala), der sich im 12. und 13. Jahrhundert entwickelte und im
späten 16. Jahrhundert einen nahezu vollständigen Sieg in anscheinend
allen Zentren des Judaismus errungen hatte. Die jüdische Aufklärung, die
der Krise des klassischen Judentums erwuchs, mußte gegen diesen
Mystizismus und seinen Einfluß weitaus heftiger kämpfen als gegen alles
andere. Trotzdem hat die Kabbala in der jüdischen Orthodoxie der
jüngsten Zeit, insbesondere unter den Rabbinern, einen vorherrschenden
Einfluß behalten. So wird z.B. die Bewegung Gusch Emunim zum großen Teil
von kabbalistischen Vorstellungen getragen.
Die Kenntnis und
das Verständnis dieser Ideen ist aus zwei Gründen wichtig. Zum einen
kann man ohne Kenntnis dieser Ideen den wahren Glauben des Judaismus am
Ende seiner klassischen Periode nicht verstehen. Zum anderen spielen
diese Ideen eine wichtige Rolle in der zeitgenössischen Politik
insofern, als sie zum expliziten System von Glaubensüberzeugungen vieler
religiöser Politiker wie der meisten Führer des Gusch Emunim gehören und
viele zionistische Führer aller Parteien einschließlich der
zionistischen Linken indirekt beeinflussen.
Nach der Kabbala
wird das Universum nicht von einem Gott, sondern von mehreren Gottheiten
verschiedenen Charakters und Einflusses beherrscht, die von einer
schwachen entfernten Ersten Ursache stammen. Ohne auf die vielen
Einzelheiten einzugehen, läßt sich das System wie folgt zusammenfassen.
Ausgehend von der Ersten Ursache, wurde zunächst ein Gott mit dem Namen
"Weisheit" oder "Vater" und dann eine Göttin mit dem Namen "Wissen" oder
"Mutter" ausgesendet oder geboren. Aus der Ehe dieser beiden ging ein
Paar jüngerer Götter hervor, und zwar der Sohn mit dem Namen "kleines
Gesicht" oder "der heilige Gesegnete" und die Tochter, auch "Herrin"
(oder "Matronit", einem Wort aus dem Lateinischen), "Schechina",
"Königin" usw. genannt.
Diese beiden
jüngeren Götter sollten vereinigt werden, was Satan, eine in diesem
System sehr wichtige und unabhängige Persönlichkeit, mit seinen
Machenschaften verhinderte. Die Schöpfung erfolgte durch die Erste
Ursache, damit beide sich vereinigen konnten. Der Sündenfall trennte sie
aber tiefer als zuvor, wobei es Satan gelang, der göttlichen Tochter
sehr nahe zu kommen und ihr sogar Gewalt anzutun (entweder nur scheinbar
oder tatsächlich - hierzu gibt es unterschiedliche Ansichten). Das
jüdische Volk wurde geschaffen, um den von Adam und Eva verursachten
Bruch zu kitten, was unter dem Berg Sinai für kurze Zeit erreicht werden
konnte. Der in Moses fleischgewordene Gottsohn wurde mit der Göttin
Schechina vereinigt. Leider trennte die Sünde des Goldenen Kalbs die
Gottheit wieder, doch die Reue des jüdischen Volkes machte dies in
gewissem Ausmaß wieder wett. Auch glaubt man, daß jeder Vorfall in der
biblischen jüdischen Geschichte im Zusammenhang mit der Vereinigung oder
Trennung des göttlichen Paares steht. Die jüdische Eroberung von
Palästina auf Kosten der Kanaaniter und der Aufbau des ersten und
zweiten Tempels waren somit besonders günstig für deren Vereinigung, die
Zerstörung der Tempel und die Vertreibung der Juden aus dem Heiligen
Land dagegen lediglich äußere Zeichen nicht nur der göttlichen Trennung,
sondern auch einer echten "Hurerei mit fremden Göttern". Die Tochter
fällt der Macht des Satans anheim, während der Sohn statt seines
richtigen Weibes verschiedene weibliche satanische Personen ins Bett
nimmt.
Der fromme Juden
hat die Pflicht, durch Gebete und durch religiöse Handlungen die
perfekte göttliche Einheit in Form einer sexuellen Vereinigung der
männlichen und weiblichen Gottheit wiederherzustellen. Vor den meisten
rituellen Handlungen, die jeder fromme Jude mehrmals am Tag vorzunehmen
hat, wird daher folgende kabbalistische Formel rezitiert: "Um der
[sexuellen] Vereinigung des heiligen Gesegneten und seiner Schechina
willen..." Die jüdischen Morgengebete sollen ebenfalls diese, wenn auch
nur vorübergehende sexuelle Vereinigung, fördern. Die
aufeinanderfolgenden Teile des Gebets entsprechen mystisch den
aufeinanderfolgenden Stufen der Vereinigung: An einer Stelle nähert sich
die Göttin mit ihren Mägden, an einer anderen legt der Gott seinen Arm
um ihren Nacken und streichelt ihre Brüste, und schließlich soll der
Liebesakt vollzogen werden.
Andere Gebete oder
religiöse Handlungen sollen nach Auslegung der Kabbalisten die
verschiedenen Engel (in der Vorstellung untergeordnete Gottheiten mit
einer gewissen Unabhängigkeit) täuschen oder den Satan besänftigen. An
einer bestimmten Stelle im Morgengebet spricht man einige Verse in
Aramäisch (und nicht im üblichen Hebräisch). Damit will man die Engel
überlisten, welche die Tore zum Einlaß der Gebete in den Himmel hüten
und damit die Macht haben, die Gebete des Frommen am Eintritt zu
hindern. Die Engel verstehen nur Hebräisch und werden durch die
aramäischen Verse genarrt, und weil sie etwas dumm (und vermutlich
weitaus weniger schlau als die Kabbalisten) sind, öffnen sie die Tore.
Und in diesem Moment kommen alle Gebete, einschließlich der hebräischen,
durch. Ein weiteres Beispiel: Sowohl vor als auch nach einer Mahlzeit
wäscht sich der fromme Jude rituell die Hände und äußert dabei einen
besonderen Segensspruch. Bei einer diesen beiden Handlungen betet er zu
Gott und fördert so die göttliche Vereinigung von Sohn und Tochter. Bei
der anderen betet er zum Satan, der die jüdischen Gebete und rituellen
Handlungen so gern mag, daß, werden ihm einige davon geboten, sie ihn
für eine Weile beschäftigen und er vergißt, der göttlichen Tochter
nachzustellen. In der Tat glauben einige Kabbalisten, daß einige der
Brandopfer im Tempel für den Satan vorgesehen waren. So wurden z.B die
70 während der sieben Tage des Tabernakel-Festes geopferten Ochsen
vermutlich Satan in seiner Rolle als Herrscher über alle Nichtjuden
angeboten, um ihn so zu beschäftigen, daß er am achten Tag, wenn Gott
ein Opfer dargebracht werden soll, nicht stören konnte. Viele andere
Beispiele dieser Art lassen sich anführen.
Notwendig sind
noch einige Anmerkungen zu diesem System und seiner Bedeutung, damit man
den Judaismus sowohl in der klassischen Periode als auch in seinem
heutigen politischen Bezug zu zionistischen Praktiken besser versteht.
Zum ersten kann
man über dieses kabbalistische System sagen, was man will, es kann
jedenfalls nur als monotheistisch angesehen werden, sofern man auch
bereit ist, dem Hinduismus, der späten griechisch-römischen Religion
oder sogar der Religion des alten Ägyptens die Bezeichnung
"monotheistisch" zuzugestehen.
Zum zweiten zeigt
sich die wahre Natur des klassischen Judäismus an der Leichtigkeit, mit
der dieses System übernommen wurde. Treue und Glauben (mit Ausnahme des
nationalistischen Glaubens) spielen im klassischen Judäismus eine nur
außergewöhnlich kleine Rolle. Von größter Wichtigkeit ist jedoch das
Ritual und nicht die Bedeutung, die der Handlung oder dem daran
gebundenen Glauben zugeschrieben wird. Wenn früher eine kleine
Minderheit der Juden die Übernahme der Kabbala verweigerte (wie es heute
der Fall ist), hielten sie es für eine Anbetung Gottes. Andere, die
genau dasselbe taten, versuchten damit, den Satan zu besänftigen.
Solange die Handlung die gleiche ist, pflegten sie gemeinsam zu beten
und blieben Mitglied derselben Glaubensgemeinschaft, gleichgültig, wie
stark die Abneigung unter ihnen auch war. Wagte es jedoch jemand, statt
der mit dem rituellen Waschen der Hände verbundene Absicht eine Neuerung
in der Art und Weise des Waschens einzuführen, wäre ein echtes Schisma
sicherlich die Folge.
Dasselbe läßt sich
sagen von allen heiligen Gebetsformeln des Judaismus. Unter der
Voraussetzung, daß die Funktionsweise intakt bleibt, ist die Bedeutung
im besten Falle eine untergeordnete Angelegenheit. So kann z.B. die
wahrscheinlich heiligste jüdische Glaubensformel "Höre Israel, der Herr
ist unser Gott, der Herr ist eins", die jeder fromme Jude mehrere Male
am Tag spricht, derzeit zwei gegensätzliche Dinge bedeuten. Sie kann
besagen, daß der Herr in der Tat "einer" ist. Sie kann aber auch
bedeuten, daß eine bestimmte Stufe bei der Vereinigung der männlichen
und weiblichen Gottheit erreicht wurde oder durch das richtige Aufsagen
dieser Gebetsformel gefördert wurde. Wenn jedoch Juden einer
Reformgemeinde diese Gebetsformel in einer anderen als der hebräischen
Sprache aufsagen, werden in der Tat alle orthodoxen Rabbiner, ob sie nun
an die Einheit Gottes oder an die sexuelle Vereinigung der beiden Götter
glauben, sehr zornig.
All dies ist auch
noch heute in Israel (und in anderen jüdischen Zentren) von großem
Gewicht. Die bloßen Gebetsformeln zugesprochene enorme Bedeutung (wie
das "Gesetz von Jerusalem"#A#Erklärung?#), die Vorstellungen und
Motivationen des Gusch Emunim, der inbrünstige Haß gegenüber den derzeit
in Palästina lebenden Nichtjuden, die fatalistische Haltung gegenüber
allen Friedensfühlern der arabischen Staaten, all dieses und viele
andere Charakterzüge der zionistischen Politik, die so manche
wohlgesinnte Menschen mit einer falschen Vorstellung über das klassische
Judentum verwirren, werden vor diesem religiösen und mystischen
Hintergrund verständlicher. Allerdings muß ich davor warnen, in das
andere Extrem zu verfallen und zu versuchen, die gesamte zionistische
Politik auf dieser Grundlage zu beschreiben. Das Ausmaß der letzteren
schwankt offensichtlich. Ben Gurion war ein Meister darin, diese Politik
für bestimmte Zwecke gezielt zu manipulieren. Unter Begin hatte die
Vergangenheit einen weitaus größeren Einfluß auf die Gegenwart. Man
sollte aber nie die Vergangenheit und ihre Einflüsse ignorieren, da man
nur durch deren Kenntnis ihre blinde Macht durchschauen kann.
Interpretation der Bibel
An dem vorherigen
Beispiel wird sich noch zeigen, daß das, was die meisten angeblich gut
über den Judaismus informierten Menschen zu wissen vermeinen, unter
Umständen auf grobem Mißverständnis beruht, sofern sie nicht Hebräisch
lesen können. Alle oben genannten Einzelheiten findet man in den
Originaltexten oder in einigen Fällen in Neuhebräisch abgefaßten Bücher
für eine ganz bestimmte Leserschaft. In englischen Ausgaben würde man
sie vergeblich suchen, auch dort, wo die Auslassung solch sozial
wichtiger Tatsachen das ganze Bild verzerrt.
Besonders unter
Christen oder stark von der christlichen Tradition und Kultur
beeinflußten Menschen herrscht ein weiteres Mißverständnis, nämlich die
irreführende Vorstellung, der Judaismus sei eine "biblische Religion"
und das Alte Testament im Judaismus nähme denselben wichtigen Platz und
dieselbe gesetzgebende Autorität ein wie die Bibel für die Protestanten
oder sogar für die katholische Christenheit.
Auch dies ist
wieder mit der Frage der Auslegung verbunden. Wir haben gesehen, daß es
in Glaubensdingen einen großen Spielraum gibt. Genau das Gegenteil gilt
jedoch für die rechtliche Auslegung der heiligen Texte. Hier läßt die
Interpretation kaum Spielraum, was allerdings mehr für denTalmud als die
Bibel selbst gilt. Der klassische Judaismus und die heutige Orthodoxie
legen vielen und vielleicht sogar den meisten biblischen Versen, die
religiöse Handlungen und Pflichten vorschreiben, eine ganz andere und
sogar gegensätzliche Bedeutung bei als die Christen oder die anderen
Leser des Alten Testaments, die nur den nackten Text sehen. Dieselbe
Trennlinie ziehen derzeit in Israel einerseits in jüdischen religiösen
und andererseits in "weltlichen" hebräischen Schulen ausgebildete
Menschen, denen im großen und ganzen die wörtliche Bedeutung des Alten
Testaments gelehrt wird.
Diesen wichtigen
Punkt kann man nur anhand von Beispielen verstehen. Man wird
feststellen, daß die Bedeutungsänderungen unter ethischen
Gesichtspunkten überhaupt nicht in die Richtung des heutigen
Verständnisses dieses Begriffs gehen. Apologeten des Judaismus meinen,
daß die Auslegung der Bibel, die mit den Pharisäern begann und im Talmud
festgelegt ist, immer über den wörtlichen Sinn hinausgeht. Die
nachfolgend aufgeführten Beispiele zeigen, daß dies von der Wirklichkeit
weit entfernt ist.
1. Beginnen wir
mit den Zehn Geboten. Das Achte Gebot "Du sollst nicht stehlen" (2. Mose
20, 15) wird als Verbot des "Stehlens" (d.h. der Entführung) einer
jüdischen Person verstanden, weil nach dem Talmud - so die Auslegung -
alle von den Zehn Geboten verbotenen Handlungen Kapitalverbrechen sind.
Das Stehlen fremden Eigentums ist dagegen kein Kapitalverbrechen, und
die Entführung von Nichtjuden durch Juden ist durch das talmudische
Gesetz erlaubt. Der nahezu gleiche Satz "Ihr sollt nicht stehlen" (3.
Mose 19, 11) ist dagegen in seiner wörtlichen Bedeutung zu verstehen.
2. Die bekannte
Aussage "Auge um Auge, Zahn um Zahn" usw. (2. Mose 21, 24) wird als
"Augengeld für ein Auge" interpretiert, d.h. als die Zahlung einer
Geldstrafe und nicht als physische Vergeltung.
3. Hier liegt der
bekannte Fall vor, in dem die wörtliche Bedeutung in das genaue
Gegenteil verkehrt wird. Der biblische Text warnt eindeutig davor, der
Masse bei einem ungerechten Verfahren zu folgen: "Du sollst nicht folgen
der Menge zum Bösen und nicht also antworten vor Gericht, daß du der
Menge nachgibst und vom Rechten weichest." (2. Mose 23, 2). Die letzten
Worte dieses Sinnspruchs "... daß du der Menge nachgibst und vom Rechten
weichest" werden aus dem Zusammenhang gerissen und als gerichtliches
Gebot, der Mehrheit zu folgen, ausgelegt!
4. Der Vers " ...
und sollst das Böcklein nicht kochen in seiner Muttermilch" (2. Mose 23,
19) wird als ein Verbot ausgelegt, jede Art von Fleisch mit Milch oder
einem Milchprodukt zu mischen. Da derselbe Vers an verschiedenen Stellen
in den fünf Büchern Moses steht, wird die bloße Wiederholung als ein
dreifaches Verbot gehalten, das es einem Juden verbietet, (ad 1) solch
eine Mischung zu essen, (ad 2) sie zu irgendeinem Zweche zu kochen und
(ad 3) sie zu genießen oder auf irgendeine Weise einen Nutzen daraus zu
ziehen.
5. "Dein Nächster
", "Fremder" oder sogar "Mensch" werden so verstanden, daß sie eine
supra-exklusive chauvinistische Bedeutung haben. Der bekannte Satz "Du
sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst (3. Mose 19, 18)" versteht
der klassische (und heutige orthodoxe) Judaismus als einen
ausdrücklichen Befehl, den nächsten Juden, aber nicht den nächsten
Mitmenschen zu lieben. Desgleichen soll der Satz "Du sollst auch nicht
stehen wider deines Nächsten Blut" (daselbst, 16) die Bedeutung haben,
daß man nicht tatenlos zusehen darf, wenn das Leben (das "Blut") eines
Mitjuden in Gefahr ist. Wie wir jedoch noch in Kapitel V ("V Gesetze
gegen Nichtjuden") sehen werden, ist es einem Juden allgemein verboten,
das Leben eines Nichtjuden zu retten, denn "er ist nicht dein Nächster".
Das großzügige Gebot, die Nachlese von Ähren auf einem Feld und in einem
Weinberg "dem Armen und Fremdling" zu überlassen (ebenda, 9 und 10) wird
so ausgelegt, das sich dies ausschließlich auf jüdische Arme und
Konvertiten zum Judentum bezieht. Die Tabu-Gesetze, die für Leichen
gelten, beginnen mit dem Vers "Dies ist das Gesetz: Wenn ein Mensch in
der Hütte stirbt, soll jeder, der in die Hütte geht, ... unrein sein
sieben Tage". (4. Mose 19, 16; Anmerkung des Übersetzers: Nach der
Luther-Übersetzung ist das der Vers 14, und nicht Vers 16 wie im
englischen Original.) Jedoch hat das Wort "Mensch" (adam) die Bedeutung
"Jude", so daß nur ein jüdischer Leichnam tabu (d.h. sowohl "unrein" als
auch geheiligt) ist. Nach dieser Auslegung bringen fromme Juden eine
tiefe magische Verehrung jüdischen Leichen und jüdischen Friedhöfen
entgegen, haben aber keinen Respekt gegenüber nichtjüdischen Leichen und
Friedhöfen. So wurden Hunderte moslemischer Friedhöfe in Israel
vollständig zerstört (wie in einem Falle, um für das Hilton-Hotel in Tel
Aviv Platz zu machen). Es gab aber einen lauten Schrei des Entsetzens,
als der jüdische Friedhof am Ölberg unter jordanischer Herrschaft
beschädigt wurde. Es gibt zuviele Beispiele dieser Art, als daß man sie
anführen könnte. Einige der inhumanen Konsequenzen dieser Art der
Auslegung werden in Kapitel V ("V Gesetze gegen Nichtjuden") behandelt.
6. Betrachten wir
zum Schluß eine der schönsten prophetischen Passagen, nämlich Jesajas
eindrucksvolle Verdammung der Heuchelei und des leeren Rituals sowie
seine Ermahnung zu allgemeiner Sittlichkeit. Ein Vers (Jesaja 1, 15) in
dieser Passage lautet: "Und wenn ihr schon eure Hände ausbreitet,
verberge ich doch meine Augen vor euch; und ob ihr schon viel betet,
höre ich euch doch nicht; denn eure Hände sind voll Blut." Da die
jüdischen Priester bei der Erteilung des Segens während des
Gottesdienstes "die Hände ausbreiten", deutet man diesen Vers so, daß
ein Priester, der zufällig ein Tötungsdelikt begeht, für ungeeignet
erklärt wird, bei der Segnung "seine Hände auszubreiten" (auch wenn er
seine Tat bereute), da sie "voll von Blut sind".
Schon an diesem
Beispielen zeigt sich klar, daß, wenn ein orthodoxer Jude heute (oder
alle Juden vor etwa 1780) die Bibel lesen (gelesen haben), sie in ein
ganz anderes Buch mit einer vollständig anderen Bedeutung als in jene
Bibel sehen, wie sie Nichtjuden oder nichtorthodoxe Juden verstehen.
Diese Unterscheidung gilt sogar in Israel, obwohl beide Parteien den
Text in Hebräisch lesen. Die Erfahrung hat, besonders seit 1967, dies
wiederholt erhärtet. Viele nichtorthodoxe Juden in Israel (und anderswo)
haben nur wenig detaillierte Kenntnis der jüdischen Religion und
versuchen, orthodoxe Israelis (oder stark von Religion beeinflußte
Anhänger rechter Parteien) durch Zitieren von Bibelversen in ihrem
schlichten menschlichen Sinne zu beschämen, so daß sie ihre inhumane
Einstellung gegen die Palästinenser aufgeben. Es stellte sich jedoch
immer heraus, daß solche Argumente nicht die geringste Wirkung auf die
Anhänger des klassischen Judaismus zeigen. Sie verstehen einfach nicht,
was man ihnen sagt, da ihnen der biblische Text etwas ganz anderes
bedeutet als den anderen.
Wenn schon solch
eine Kommunikationslücke in Israel existiert, wo Menschen hebräisch
lesen und sich die richtigen Informationen beschaffen können, kann man
sich vorstellen, wie tief im Ausland das Mißverständnis geht, wie etwa
bei Menschen, die in der christlichen Tradition aufwuchsen. Je mehr
solche Leute die Bibel lesen, desto weniger kennen sie den orthodoxen
Judaismus. Letzterer betrachtet das Alte Testament nämlich als einen
Text unwandelbarer heiliger Glaubensformeln, die herzusagen eine
Handlung von hohem Wert ist, deren Bedeutung aber anderswo vollständig
festgelegt wird. Wie schon Humpty-Dumpty zu Alice sagte, steht hinter
dem Problem, wer denn die Bedeutung der Wörter festlegen kann, die
einfache Frage: "Wer soll der Herr sein?"
Aufbau
des Talmud
Es sollte deshalb
von vornherein klar sein, daß die Quelle der Autorität für alle
Handlungen des klassischen (und heutigen orthodoxen) Judaismus, d.h. die
Bestimmung der Grundlage seiner rechtlichen Struktur, der Talmud oder -
noch genauer der sogenannte babylonische Talmud [Anm.d.Übers.: Babli] -
ist, während es sich beim Rest der talmudischen Literatur
(einschließlich des sogenannten jerusalemischen oder palästinensischen
Talmud [Anm.d.Übers.: Jeruschalmi] um eine ergänzende Autorität handelt.
Wir können hier
keine ausführliche Beschreibung des Talmud und der talmudischen
Literatur geben, sondern müssen uns auf einige Hauptpunkte beschränken,
die wir für unser Thema brauchen. Der Talmud steht grundsätzlich aus
zwei Teilen. Da ist zunächst die Mischna, ein knapper Gesetzestext aus
sechs Bänden, der jeweils in mehrere hebräisch geschriebene Traktate
unterteilt ist und in Palästina etwa 200 n. Chr. aus den weitaus
umfangreicheren (und größtenteils mündlich überlieferten) Gesetzestexten
abgefaßt wurde, die während der vergangenen zwei Jahrhunderte zuvor
entstanden. Der zweite und bei weitem wichtigere Teil ist die Gemara,
eine voluminöse Aufzeichnung von Diskussionen über und um die Mischna.
Weiterhin gibt es zwei, grob gesagt ähnliche, Ausgaben der Gemara, von
denen eine in Mesopotamien ("Babylon") zwischen 200 und 500 n. Chr. und
der andere in Palästina zwischen etwa 200 n. Chr. und einem unbekannten
Datum lange vor 500 entstand. Der babylonische Talmud (d.h. die Mischna
einschließlich der mesopotamischen Gemara) hat einen weitaus größeren
Umfang und eine bessere Gliederung als der palästinensische. Dieser
allein wird deshalb als endgültig und maßgebend betrachtet. Zusammen mit
einer Reihe von Sammlungen, bekannt als "talmudische Literatur" mit
Texten, die die Herausgeber der beiden Talmuds ausgelassen haben, wird
dem jerusalemischen (palästinensischen) Talmud ein entschieden
niedrigerer Status als rechtliche Autorität zugesprochen.
Im Gegensatz zur
Mischna ist der Rest des Talmuds und der talmudischen Literatur in einer
Mischung aus Hebräisch und Aramäisch abgefaßt, wobei Aramäisch im
babylonischen Talmud vorherrscht. Außerdem beschränkt der sich nicht nur
auf rechtliche Angelegenheiten. Ohne erkennbare Ordnung oder einsehbaren
Grund können die rechtlichen Abhandlungen plötzlich abbrechen, was als
"Erzählung" (Haggada) bezeichnet wird. Hierbei handelt es sich um ein
Gemisch von Geschichten und Anekdoten über Rabbis oder das gemeine Volk,
biblische Persönlichkeiten, Engel, Dämonen, Zauberei und Wunder. Diese
erzählenden Passagen haben im Laufe der Zeit zwar einen großen Einfluß
auf den Judaismus gehabt, wurden aber immer (sogar vom Talmud selbst)
als zweitrangig betrachtet. Am bedeutendsten für den klassischen
Judaismus sind die rechtlichen Teile des Textes, und hier insbesondere
die Behandlung der Fälle, die man als problematisch betrachtet. Der
Talmud selbst definiert die verschiedenen Kategorien von Juden in
steigender Folge: Auf der untersten Stufe stehen die ganz Unwissenden,
dann kommen diejenigen, die nur die Bibel kennen, anschließend solche,
die mit der Mischna oder der Haggada vertraut sind. Die oberste Klasse
bilden die Leute, die studiert haben und in der Lage sind, den
rechtlichen Teil der Gemara zu diskutieren. Nur letztere haben die
Fähigkeit, ihre Mitjuden in allen Dingen zu führen.
Das Rechtssystem
des Talmud läßt sich als allumfassendes, streng autoritäres und dennoch
zur unendlichen Weiterentwicklung befähigtes System beschreiben, ohne
daß sich aber die dogmatischen Grundlagen ändern können. Es behandelt
jeden persönlichen und sozialen Lebensbereich der Juden im
beträchtlichen Umfang und sieht Zwangsmaßnahmen und Strafen für jede nur
denkbare Sünde und Verletzung der Vorschriften vor. Die
Grundvorschriften für jedes Problem sind dogmatisch angegeben und können
nicht in Frage gestellt werden. Was jedoch möglich ist und auch
ausführlich diskutiert wird, ist die Verbesserung und praktische
Festlegung dieser Regeln. Dazu einige Beispiele.
"Keine Arbeit
verrichten" am Sabbat. Zur Definition des Wortes Arbeit sind genau 39
Arten der Arbeit aufgeführt, nicht mehr und nicht weniger. Das Kriterium
zur Aufnahme in diese Liste steht in keinem Zusammenhang mit der
Schwierigkeit der Aufgabe, sondern ist einfach eine Sache der
dogmatischen Definition. Eine verbotene Art der "Arbeit" ist das
Schreiben. Hierbei stellt sich die Frage, wieviele Zeichen man schreiben
muß, um die Sünde des Schreibens an Sabbat zu begehen? (Antwort: zwei).
Bleibt die Sünde ungeachtet dessen, welche Hand man benutzt, dieselbe?
(Antwort: nein). Um aber jemanden gegen solch einen Sündenfall zu
schützen, ist das erste Verbot des Schreibens mit einer zweiten
Vorschrift umgeben, die es verbietet, ein Schreibgerät an Sabbat
überhaupt zu berühren.
Eine weitere
prototypische am Sabbat verbotene Arbeit ist das Mahlen von Getreide.
Daraus läßt sich analog ableiten, daß jede Art des Mahlens, was immer es
auch sei, verboten ist. Und dieses Verbot ist wiederum von einer
Vorschrift umgeben, die Einnahme von Medizin an Sabbat verbietet,
(ausgenommen, jüdisches Leben ist gefährdet), um nicht in die Sünde zu
verfallen, ein Medikament zu zermahlen. Man weist vergeblich darauf hin,
daß in der modernen Zeit solche Gefahr nicht vorhanden ist (und
existierte als solche in vielen Fällen nicht einmal in talmudischen
Zeiten). Und als Zaun um den Zaun verbietet der Talmud ausdrücklich die
Einnahme flüssiger Medizin oder wiederbelebender Getränke am Sabbat. Was
festgeschrieben ist, bleibt für immer festgeschrieben, wie absurd es
auch sein mag. Tertullian, einer der ersten Kirchenväter, schrieb: "Ich
glaube es, weil es absurd ist.". Dies kann als Motto für den weitaus
größten Teil der talmudischen Vorschriften dienen, wobei die Worte "Ich
glaube es" durch "Ich mache es" zu ersetzen sind.
Das folgende
Beispiel zeigt noch besser, welchen Grad an Absurdität dieses System
erreicht hat. Eine am Sabbat verbotene prototypische Arbeit ist das
Ernten. Dies führt durch Analogieschluß weiter bis hin zu dem Verbot,
den Ast eines Baumes abzubrechen. Somit ist es verboten, ein Pferd (oder
anderes Tier) zu reiten, um gegen die Versuchung gefeit zu sein, einen
Ast zum Schlagen des Tiers abzubrechen. Das Argument, man habe schon
eine fertige Peitsche oder man wolle nur dort reiten, wo es keine Bäume
gibt, ist nutzlos. Was verboten ist, bleibt für immer verboten, was
jedoch noch ausgedehnt und strenger gehandhabt werden kann: In der
heutigen Zeit ist Fahrradfahren an einem Sabbat verboten, da dies dem
Reiten eines Pferdes ähnlich ist.
Mein letztes
Beispiel zeigt, wie man dieselben Methoden in rein theoretischen Fällen
benutzt, für die es in der Realität keine erkennbare Anwendung gibt.
Während der Existenz des Tempels durfte der Hohepriester nur eine
Jungfrau heiraten. Obwohl es während nahezu der gesamten talmudischen
Zeit weder Tempel noch Hohepriester gab, widmet der Talmud eine seiner
besonders verworrenen (und bizarren) Abhandlungen der genauen Definition
des Begriffs "Jungfrau", die ein Hohepriester heiraten darf. Wie steht
es mit einer Frau, deren Hymen durch einen Unfall durchstoßen wurde?
Besteht ein Unterschied darin, ob der Unfall vor oder nach dem Alter von
drei Jahren stattfand? Wurde er durch Metall oder Holz verursacht?
Kletterte sie auf einen Baum? Und wenn ja, kletterte sie herauf oder
herab? Geschah es auf natürliche oder unnatürliche Weise? All dies und
vieles andere wird lang und breit erörtert. Und jeder Gelehrte im
klassischen Judaismus mußte Hunderte solcher Probleme meistern. Große
Gelehrte maß man an ihrer Fähigkeit, diese Probleme weiter zu
entwickeln, da es, wie schon die Beispiele zeigten, immer einen
Spielraum für weitere Entwicklungen gab (wenn auch nur in eine Richtung)
und solche Entwicklungen tatsächlich nach der endgültigen Abfassung des
Talmud stattfanden.
Es gibt jedoch
zwei große Unterschiede zwischen der talmudischen (die um 500 endete)
und der Zeit des klassischen Judaismus (von etwa 800 an). Das im Talmud
angegebene geographische Gebiet ist beschränkt, wogegen die angegebene
jüdische Gemeinschaft eine "vollständige" Gemeinschaft ist, deren
Grundlage der jüdische Ackerbau bildete. (Dies gilt für Mesopotamien und
für Palästina.). Obwohl damals Juden im ganzen Römischen Reich und in
vielen Gebieten des sassanidischen Reiches lebten, geht aus dem
talmudischen Text klar hervor, daß ihre Zusammensetzung über ein halbes
Jahrhundert hinweg ausschließlich lokale Bedeutung hatte. Keine
Gelehrten aus anderen Ländern als Mesopotamien und Palästina waren Teil
dieser Gemeinschaft. Auch gibt der Text nicht an, welche sozialen
Bedingungen außerhalb dieser beiden Gebiete herrschten.
Wenig ist über die
soziale und religiöse Lage der Juden in den dazwischenliegenden drei
Jahrhunderten bekannt. Jedoch seit 800 (ausführlicherere historische
Informationen stehen wieder zur Verfügung) stellen wir fest, daß sich
die drei oben erwähnten Merkmale umkehrten. Es bestätigt sich, daß der
babylonische Talmud (und im geringerem Maße auch der Rest der
talmudischen Literatur) als maßgeblich galt und in allen jüdischen
Gemeinden studiert und weiterentwickelt wurde. Gleichzeitig wurde die
jüdische Gemeinschaft einer tiefgreifenden Änderung unterzogen: Welche
Änderung das auch sein mag und wo sie stattfand, sie betraf jedenfalls
nicht die Bauern.
Das sich aus
dieser Änderung ergebende soziale System wird in Kapitel IV ("IV Die
Bürde der Geschichte") behandelt. Hier beschreiben wir, wie der Talmud
den Bedingungen des klassischen Judaismus angepaßt wurde, im
geographischen Sinne etwas weiter und im sozialen Sinne etwas enger und
mit sehr unterschiedlicher Geschwindigkeit. Der Schwerpunkt liegt dabei
auf dem, was in meiner Sicht die wichtigste Methode der Anpassung war,
nämlich auf den Dispensationen
Die
Dispensationen
Wie oben gezeigt,
ist das talmudische System höchst dogmatisch und erlaubt keine Lockerung
der Vorschriften, auch wenn sie durch veränderte Umstände ins Absurde
abgleiten. Anders als bei der Bibel ist im Talmud der wörtliche Sinn des
Textes bindend und darf nicht auf irgendeine Weise ausgelegt werden. In
der Zeit des klassischen Judentums wurden verschiedene talmudische
Gesetze unhaltbar für die herrschende Klasse der Juden, nämlich die
Rabbiner und die Reichen. Im Interesse dieser Klasse erfand man eine
Methode zur systematischen Täuschung, um den Buchstaben des Gesetzes
beizubehalten, gleichzeitig aber dessen Geist und Absicht zu
vergewaltigen. Dies war das heuchlerische System der "Dispensationen" (Heterim),
das meiner Meinung nach die wichtigste Ursache für die Entartung des
Judaismus in seiner klassischen Zeit war. (Die zweite Ursache war die
jüdische Mystik, die jedoch viel kürzere Zeit wirkte.) Auch hier sollen
wieder einige Beispiele illustrieren, wie das System funktioniert.
(1)
Verzinsung
Der Talmud
verbietet einem Juden unter Androhung von schwerer Strafe, von einem
anderen Juden Zinsen für einen Kredit zu nehmen. (Nach den meisten
talmudischen Autoritäten besteht die religiöse Pflicht, von einem
Nichtjuden soviel Zinsen wie möglich zu erheben.) Ausführliche
Vorschriften verbieten sogar an den Haaren herbeigezogene Formen, in
denen z.B. ein jüdischer Gläubiger von einem jüdischen Schuldner
profitieren darf. Alle an solch einer gesetzwidrigen Transaktion
beteiligten Komplizen einschließlich des Schreibers und der Zeugen
brandmarkt der Talmud als ehrlose Personen, die vor Gericht keine
Zeugenaussagen machen dürfen, weil durch die Teilnahme an solch einer
Handlung ein Jude praktisch erklärt, daß "er nicht am Gott von Israel
teilhabe". Offensichtlich eignet sich dieses Gesetz gut für die
Bedürfnisse der jüdischen Bauern oder Handwerker oder kleine jüdische
Gemeinden, die ihr Geld für Kredite an Nichtjuden verwenden. In
Osteuropa (hauptsächlich in Polen) war die Situation im 16. Jahrhundert
jedoch ganz anders. Es gab eine relativ große jüdische Gemeinschaft, die
die Mehrheit in vielen Städten bildete. Die Bauern, die Leibeigene und
somit schon fast Sklaven waren, konnten sich kaum etwas leihen, während
die Kreditvergabe an den Adel das Geschäft einiger weniger sehr reicher
Juden war. Viele Juden betrieben Handel miteinander.
Unter diesen
Umständen erfand man für verzinste Kredite zwischen Juden ein
Arrangement (genannt Heter Iska: "Geschäfts-Dispensation"), das nicht
gegen den Buchstaben des Gesetzes verstößt, weil es sich dann in
formeller Hinsicht überhaupt nicht um einen Kredit handelt. Der
Verleiher "investiert" sein Geld in das Geschäft des Leihenden unter
zwei Bedingungen. Zunächst einmal zahlt der Leihende dem Verleiher zu
einem vereinbarten Datum in der Zukunft eine festgesetzte Geldsumme (in
Wirklichkeit die Kreditzinsen) als "Gewinnanteil". Zweitens wird dem
Leihenden unterstellt, er habe einen ausreichenden Gewinn gemacht, um
dem Verleiher seinen Anteil geben zu können, wenn nicht ein Widerspruch
durch das Zeugnis des Rabbiners oder des rabbinischen Richters der Stadt
usw. erhoben wird, der entsprechend dem Arrangement sein Zeugnis in
solchen Fällen verweigert. In der Praxis braucht man nur den in
Aramäisch geschriebenen und der großen Mehrheit vollkommen
unverständlichen Text dieser Dispensation zu nehmen und ihn an eine Wand
des Raums zu hängen, in dem die Transaktion durchgeführt wurde (eine
Kopie dieses Textes hängt in allen Filialen der israelischen Banken)
oder den Text nur in einem Kasten aufzubewahren, und der verzinsbare
Kredit zwischen den Juden ist vollkommen legal und untadelig.
(2) Das
Sabbat-Jahr
Nach dem
talmudischen Gesetz (das sich auf 3. Mose 25 gründet) muß das in
jüdischem Besitz befindliche Land in Palästina in jedem siebten Jahr
("Sabbatjahr") brachliegen und darf dann nicht bearbeitet (auch nicht
abgeerntet) werden. Es gibt überwältigende Beweise dafür, daß dieses
Gesetz etwa tausend Jahre lang, vom 5. Jahrhundert v. Chr. an bis zum
Verschwinden der jüdischen Landwirtschaft in Palästina, streng befolgt
wurde. Als es später keine Gelegenheit mehr zur praktischen Anwendung
des Gesetzes gab, blieb es theoretisch unverändert stehen. In den
achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts jedoch, als sich die ersten
jüdischen Landwirtschaftskolonien in Palästina bildeten, bereitete es in
der Praxis Schwierigkeiten. Die mit den Siedlern sympathisierenden
Rabbiner erfanden zur Abhilfe eine Dispensation, die später von ihren
Nachfolgern in den religiösen zionistischen Parteien perfektioniert und
so zu einer festen Gewohnheit in Israel wurde.
Diese Dispensation
funktioniert wie folgt. Kurz vor einem Sabbat-Jahr übergibt der
Innenminister Israels dem Oberrabbiner ein Dokument, das ihn zum
rechtmäßigen Eigentümer sämtlichen privaten und öffentlichen Landes in
Israel ernennt. Bewaffnet mit diesem Stück Papier geht der Oberrabbiner
zu einem Nichtjuden und verkauft ihm das gesamte Land Israels (und seit
1967 auch das der besetzten Gebiete) für einen symbolischen Betrag. In
einem separaten Dokument ist festgelegt, daß der "Käufer" nach Ablauf
des Jahres das Land wieder "zurückverkauft". Dieser Vorgang wiederholt
sich alle sieben Jahre, und zwar in der Regel mit demselben "Käufer".
Nichtzionistische Rabbiner erkennen die Gültigkeit dieser Dispensation
nicht an und sagen ganz richtig, daß sich das ganze Geschäft auf einer
Sünde gründe und somit null und nichtig sei, weil das religiöse Gesetz
es Juden verbiete, Land in Palästina an Nichtjuden zu verkaufen. Der
zionistische Rabbiner entgegnet darauf jedoch, verboten sei lediglich
ein echter und kein fiktiver Verkauf!
(3)
Melken am Sabbat
Ein Melken am
Sabbat war schon im vortalmudischen Zeiten durch die oben erwähnte sich
steigernde religiöse Strenge verboten. In der Diaspora konnte das Verbot
mühelos eingehalten werden, da jüdische Viehzüchter in der Regel reich
genug waren, sich nichtjüdische Diener zu halten, denen (unter einem der
nachfolgend beschriebenen Vorwände) das Melken befohlen werden konnte.
Die ersten jüdischen Kolonisten in Palästina benutzten Araber für diese
und andere Zwecke. Mit der zwingenden Auflage der zionistischen Politik,
nur jüdische Arbeitskräfte einzusetzen, brauchte man eine Dispensation.
(Besonders wichtig war dies vor der Einführung der Melkmaschinen Ende
der fünfziger Jahre.) Auch hier gab es unterschiedliche Meinungen
zwischen den zionistischen und nichtzionistischen Rabbinern.
Nach dem
zionistischen Rabbiner ist das verbotene Melken unter der Voraussetzung
erlaubt, daß die Milch keine weiße sondern blaue Farbe hat. Die blaue
Samstagmilch wird dann ausschließlich zur Herstellung von Käse verwendet
und der Farbstoff in die Molke ausgewaschen. Nichtzionistische Rabbiner
haben dagegen ein viel feineres Schema entwickelt (ich war persönlich
zugegen, als dies in einem religiösen Kibbuz 1952 in die Tat umgesetzt
wurde). Sie entdeckten eine alte Vorschrift, die es erlaubt, die Euter
einer Kuh unter der strengen Bedingung, daß die Milch ungenutzt in die
Erde läuft, am Sabbat nur zu dem Zweck zu leeren, dem Tier seine durch
die geschwollenen Euter verursachten Leiden zu mindern. Und nun
geschieht folgendes: Am Samstagmorgen geht ein frommer Kibbuznik in den
Kuhstall und stellt die Eimer unter die Kühe. (Solch eine Arbeit ist in
der gesamten talmudischen Literatur nicht verboten.) Dann geht er in die
Synagoge und betet. Anschließend kommt ein Kollege, dessen "ehrliche
Absicht" es ist, die Schmerzen des Tieres zu mindern und läßt die Milch
auf den Boden laufen. Steht aber zufällig ein Eimer herum, muß er dann
diesen entfernen? Natürlich nicht. Er "ignoriert" einfach die Eimer,
erfüllt seine mildtätige Aufgabe und geht in die Synagoge. Schließlich
geht ein frommer Kollege in den Kuhstall und entdeckt zu seiner großen
Überraschung die Eimer voller Milch. Er stellt sie an einen kühlen Ort
und folgt seinen Kameraden in die Synagoge. Alles hat jetzt seine
Ordnung, und es ist nicht mehr notwendig, Geld für den blauen Farbstoff
zu verschwenden.
(4)
Vermischte Feldfrüchte
Ähnliche
Dispensationen erteilten zionistische Rabbiner hinsichtlich des Verbots
(nach 3. Mose 19, 19), zwei verschiedene Feldfrüchte auf demselben Feld
zu säen. Die moderne Agrarwissenschaft hat jedoch gezeigt, daß in
einigen Fällen (besonders beim Anbau von Futter) ein gemischtes Säen den
höchsten Gewinn abwirft. Die Rabbiner ersannen also eine Dispensation,
nach der ein Mann in Längsrichtung einen bestimmten Samen sät und sein
Kamerad, der von dem anderen "nichts weiß", einen anderen Samen in
Querrichtung in den Boden bringt. Weil dieses Verfahren eine
Verschwendung von Arbeitskräften war, erfand man ein besseres: Ein Mann
legt einen Haufen einer Samenart auf einen öffentlichen Platz und deckt
ihn sorgfältig mit einem Sack oder mit einem Brett ab. Die zweite
Samenart wird dann auf die Abdeckung gelegt. Später kommt ein anderer
Mann und ruft vor Zeugen aus, daß er diesen Sack (oder das Brett)
brauche, und entfernt ihn so, daß die Samen sich "natürlich" vermischen.
Schließlich kommt ein dritter Mann daher und wird angewiesen, diesen
Samen zu nehmen und das Feld zu bestellen, was er dann auch tut.
(5)
Gesäuerte Substanzen
Sie darf ein Jude
während der sieben (oder außerhalb Palästinas acht) Tage des
Pessach-Festes weder essen noch im Besitz haben. Der Begriff "gesäuerte
Substanzen" wurde ständig erweitert, und die Abneigung, sie während des
Festes sogar noch sehen zu müssen, geriet an den Rand der Hysterie. Zu
diesen Substanzen gehören alle Arten von Mehl und sogar ungemahlenes
Korn. In der ursprünglichen talmudischen Gesellschaft war dies durchaus
tragbar, da Brot (sei es gesäuert oder nicht) in der Regel einmal in der
Woche gebacken wurde. Eine bäuerliche Familie pflegte den letzten Rest
des vorjährigen Korns zum Backen ungesäuerten Brotes für das Fest zu
verwenden, das die neue Erntesaison einleitete. Unter den Bedingungen
des nachtalmudischen europäischen Judentums war die Befolgung für eine
jüdische Mittelklassenfamilie und mehr noch für einen Getreidehändler
sehr schwierig. Also wurde eine Dispensation erfunden, nach der solche
Substanzen vor dem Fest an einen Nichtjuden fiktiv verkauft und danach
automatisch zurückgekauft wurden. Allerdings mußte man die tabuisierten
Substanzen für die Dauer des Festes unter Verschluß halten. In Israel
machte man diesen fiktiven Verkauf noch wirkungsvoller. Religiöse Juden
"verkaufen" ihre gesäuerten Substanzen an den für sie zuständigen
Rabbiner, der diese wiederum an den Oberrabbiner "verkauft". Letzterer
veräußert sie wieder an einen Nichtjuden, wobei nach einer besonderen
Dispensation von dem Verkauf angenommen wird, daß er sich auch auf die
gesäuerten Substanzen nichtpraktizierender Juden bezieht.
(6) Der
Sabbat-Goj
Die vielleicht
höchstentwickelten Dispensationen betreffen den "Sabbat-Goj". Wie schon
zuvor erwähnt, nahm der Umfang der am Sabbat verbotenen Arbeiten ständig
zu, während gleichzeitig der Umfang an Arbeiten, die zur Befriedigung
von Lebensbedürfnissen oder zur Erhöhung des Komforts ausgeführt oder
überwacht werden müssen, ebenfalls ständig stieg. Während dies
insbesondere für die moderne Zeit gilt, begann man das Bedürfnis nach
technischer Veränderung schon lange vorher zu empfinden. Das Verbot des
Mahlens an Sabbat war etwa im Palästina des 2. Jahrhunderts eine relativ
einfache Angelegenheit für einen jüdischen Bauer oder Handwerker, der
für häusliche Zwecke eine Handmühle benutzte. Es war allerdings eine
andere Sache für den Betreiber einer Wasser- oder Windmühle, einem der
häufigsten jüdischen Berufe in Osteuropa.
Doch selbst ein
einfaches menschliches "Problem", wie der Wunsch, eine heiße Tasse Tee
am Sonnabendnachmittag zu trinken, wird zu einer ernsthaften
Schwierigkeit, wenn der regelmäßig an Werktagen benutzte Samowar
verführerisch im Raume steht. Dies sind nur zwei Beispiele von einer
Vielzahl sogenannter "Probleme bei der Einhaltung des Sabbats". Man kann
mit Sicherheit sagen, daß die Schwierigkeiten bei einer Gemeinschaft,
die ausschließlich aus orthodoxen Juden besteht, zumindest während der
letzten acht oder zehn Jahrhunderte ohne die "Hilfe" von Nichtjuden fast
unlösbar waren. Dies gilt noch mehr für die heutige Zeit im "jüdischen
Staat", weil viele öffentliche Dienste wie die Wasser-, Gas- und
Stromversorgung in diese Kategorie fallen. Nicht eine Woche könnte der
klassische Judaismus ohne die Hilfe einiger Nichtjuden bestehen.
Ohne die
besonderen Dispensationen bereitet es große Schwierigkeiten, Nichtjuden
für diese Arbeiten am Sonnabend einzusetzen, denn die talmudischen
Vorschriften verbieten es Juden, einen Nichtjuden zu bitten, am Sabbat
eine Arbeit zu verrichten, die sie selbst nicht tun dürfen. Ich werde
nun zwei Arten dieser für solche Zwecke benutzten Dispensationen
beschreiben.
Zunächst einmal
gibt es die Methode des "Andeutens", die auf der kasuistischen Logik
beruht, nach der ein schlau formuliertes, sündiges Verlangen untadelig
wird. In der Regel muß die Andeutung "dunkel", darf aber in Fällen
extremer Dringlichkeit auch "klar" sein. So werden z.B. israelische
Soldaten in einem kürzlich veröffentlichten Büchlein über die Befolgung
religiöser Vorschriften belehrt, wie man mit von der Armee beschäftigten
arabischen Arbeitern als Sabbat-Gojim spricht. In dringenden Fällen, wie
wenn es etwa sehr kalt ist und ein Feuer entzündet werden muß oder man
Licht für einen Gottesdienst braucht, kann ein jüdischer Soldat eine
klare Andeutung benutzen und dem Araber sagen: "Es ist kalt oder dunkel
hier". Normalerweise muß aber eine dunkle Andeutung genügen, wie z.B.:
"Es wäre sehr schön, wenn es hier etwas wärmer wäre." Diese Methode des
"Andeutens" ist insofern besonders abstoßend und entwürdigend, als sie
in der Regel bei Nichtjuden verwendet wird, die infolge ihrer Armut oder
niedrigen sozialen Stellung vollständig der Macht ihrer jüdischen
Arbeitgeber ausgeliefert sind. Ein nichtjüdischer Diener (oder
Angestellter der israelischen Armee), der sich selbst nicht in der
Auslegung der "dunklen Andeutungen" als Befehle übt, wird mitleidslos
entlassen.
Die zweite Methode
verwendet man für Fälle, in denen es sich bei der Arbeit, die ein
Nichtjude an einem Sonnabend verrichten soll, nicht um eine
gelegentliche Aufgabe oder einen persönlichen, je nach Bedarf
"anzudeutenden" Dienst, sondern um routine- oder regelmäßige Arbeit ohne
dauernde jüdische Überwachung handelt. Nach dieser Methode, der
sogenannten "impliziten Einbeziehung" (havlaah) des Sabbats in die
Werktage, wird der Nichtjude "für die ganze Woche (oder das ganze Jahr)"
angestellt, ohne daß der Sabbat besonders herausgestellt wird. In
Wirklichkeit wird die Arbeit jedoch nur am Sabbat getan. Diese Methode
benutzte man in der Vergangenheit, um Nichtjuden anzuwerben, die die
Kerzen in der Synagoge nach dem Gebet am Samstagabend zu löschen hatten
(damit sie nicht herunterbrannten, was eine Verschwendung bedeutete).
Ein Beispiel aus dem modernen Israel ist die Regulierung der
Wasserversorgung, die Überwachung von Wasserbecken an Sonnabenden.
Ähnlich geht man
im Falle von Juden vor, jedoch zu einem anderen Zweck. Juden ist es
verboten, eine Zahlung für am Sabbat verrichtete Arbeit
entgegenzunehmen, auch wenn die Arbeit selbst erlaubt ist. Das hier
angeführte wichtige Beispiel betrifft die geistlichen Berufe: den
Rabbiner oder den talmudischen Gelehrten, der am Sabbat betet oder
lehrt, den Vorsänger, der nur an Sonnabenden und anderen heiligen Tagen
(an denen ähnliche Verbote gelten) singt sowie den Küster und ähnliche
Berufsgruppen. In talmudischen Zeiten, und in einigen Ländern auch
mehrere Jahrhunderte lang danach, wurden solche Arbeiten nicht bezahlt.
Als aber später diese zu bezahlten Berufe wurden, benutzte man die
Dispensation der "impliziten Einbeziehung" und stellte die
entsprechenden Leute auf "Wochen-" oder "Jahresbasis" ein. Im Falle der
Rabbiner und talmudischen Gelehrten brachte das Problem besondere
Schwierigkeiten mit sich, da der Talmud ihnen verbietet, sogar an
Werktagen eine Bezahlung für das Beten, das Lehren oder das Studium
talmudischer Angelegenheiten entgegenzunehmen. Für diese Gruppen legt
eine Dispensation fest, daß deren Gehalt überhaupt kein richtiges
Gehalt, sondern eine "Vergütung für Müßiggang" (dmej batalah) ist. Das
Ergebnis beider Funktionen ist eine Umwandlung in bezahlten Müßiggang an
Werktagen für eine Arbeit, bei der es sich in Wirklichkeit um eine
Vergütung für die hauptsächlich oder auch ausschließlich am Sabbat
verrichtete Tätigkeit handelt.
Soziale
Aspekte der Dispensationen
Zwei soziale
Aspekte dieser und vieler ähnlicher Praktiken verdienen besondere
Erwähnung.
Ein
vorherrschender Zug dieses Systems der Dispensationen und des
klassischen Judaismus, soweit er sich darauf gründet, ist die Täuschung,
und zwar besonders die Täuschung Gottes, falls man dieses Wort für ein
fiktives Wesen benutzen darf, das sich so leicht von den Rabbinern
hintergehen läßt, die sich selbst für viel schlauer halten. Man kann
sich keinen größeren Gegensatz zwischen dem Gott der Bibel (besonders
dem der Großen Propheten) und dem Gott des klassischen Judaismus
vorstellen. Letzterer hat mehr Ähnlichkeit mit dem Jupiter der früheren
Römer, den seine Anbeter ähnlich beschwindelten, oder den in Frazers
Golden Bough (Der Goldene Zweig) beschriebenen Göttern.
Unter ethischem
Gesichtspunkt stellt der Judaismus eine heute noch andauernde Entartung
dar. Diese Degenerierung zu einem unzivilisierten Anhäufung leerer
Rituale und magischen Aberglaubens zeitigt sehr wichtige soziale und
politische Folgen. Man darf nicht vergessen, daß nicht die Teile der
Bibel oder des Talmuds mit echtem religiösen und ethischen Wert, sondern
gerade der Aberglaube des klassischen Judaismus die jüdischen Massen
fest im Griff hält. (Dasselbe kann man auch in anderen Religionen
beobachten, die jetzt wiederbelebt werden.) Was wird aber nun gemein hin
als "heiligstes" erhabenstes Ereignis des jüdischen liturgischen Jahres
betrachtet, dem sehr viele Juden beiwohnen, die sonst ihrer Religion
fernstehen? Es ist das Gebet Kol Nidre am Vorabend des Jom Kippur, das
Absingen einer besonders absurden und betrügerischen Dispensation, nach
der alle privaten, vor Gott im folgenden Jahr zu schwörenden Eide schon
im voraus für null und nichtig erklärt werden. Auf dem Gebiet der
personalen Religion ist es das Gebet Kaddisch, das Söhne an den
Trauertagen aufsagen, damit die Seelen ihrer Eltern ins Paradies
gelangen. Zitiert wird dabei ein aramäischer Text, den die Mehrheit
nicht versteht. Es fällt auf, daß man diese abergläubischen Teile der
jüdischen Religion weitaus höher als deren besseren Teilen schätzt.
Zusammen mit der
Täuschung von Gott geht die Irreführung anderer Juden einher, und zwar
hauptsächlich im Interesse der herrschenden jüdischen Klasse. Es ist
bezeichnend, daß man keine Dispensationen für die besonderen Anliegen
der jüdischen Armen zuließ. Juden, die z.B. am Verhungern, jedoch noch
nicht dem Tode nahe waren, erlaubten die Rabbiner (die selbst selten
hungerten) nicht, verbotene Nahrung zu sich zunehmen, und das, obwohl
koschere Nahrung in der Regel sehr viel teurer ist.
Der zweite
vorherrsche Zug der Dispensationen besteht darin, daß sie sich zum
größten Teil augenscheinlich auf das Streben nach Gewinn gründen. Gerade
diese Kombination aus Heuchelei und Gewinnstreben erlangte einen immer
stärkeren Einfluß auf das klassische Judentum. In Israel, wo dieser
Prozeß noch andauert, spiegelt sich dies trotz aller offizieller durch
das Bildungssystem und die Medien geförderten Gehirnwäsche nur schwach
in der öffentlichen Meinung wider. Das religiöse Establishment, nämlich
die Rabbiner und die religiösen Parteien und in gewissen Maße die
orthodoxe Gemeinschaft als ganzes, sind in Israel sehr unpopulär, gerade
weil ihnen der Ruf der Doppelzüngigkeit und Bestechlichkeit anhaftet.
Natürlich ist die öffentliche Meinung (mit ihren möglicherweise häufigen
Vorurteilen) nicht das gleiche wie eine soziale Analyse. In diesem
besonderen Falle trifft es aber zu, daß das jüdische religiöse
Establishment infolge des korrumpierenden Einflusses der orthodoxen
jüdischen Religion eine starke Neigung zu Rechtsverdreherei und
Schiebung aufweist. Weil im allgemeinen die Religion im sozialen Leben
nur einer der sozialen Faktoren ist, hat sie auf die Masse der Gläubigen
nicht annähernd den großen Einfluß wie auf die Rabbiner und die Führer
der religiösen Parteien. Die in ihrer Mehrheit zweifellos aufrichtigen
religiösen Juden in Israel sind nicht wegen, sondern trotz des
Einflusses ihrer Religion und der Rabbiner ehrlich. Andererseits sind in
den wenigen Bereichen des öffentlichen Lebens in Israel, welche die
religiösen Zirkel vollständig beherrschen, Schiebung, Bestechlichkeit
und Korruption notorisch und übertreffen weit das "durchschnittliche"
Maß, das die allgemeine nichtreligiöse Gesellschaft in Israel toleriert.
Im Kapitel IV ("IV
Die Bürde der Geschichte") werden wir sehen, wie das im klassischen
Judaismus vorherrschende Profitstreben mit der Struktur der jüdischen
Gesellschaft und ihrer Ausprägung in der allgemeinen Gesellschaft, in
deren Mitte die Juden in der "klassischen" Periode lebten, verknüpft
ist. Hier möchte ich nur darauf hinweisen, daß das Gewinnstreben kein
spezielles Merkmal des Judaismus in seiner gesamten Geschichte ist. Nur
die platonische Konfusion, die nach dem metaphysischen zeitlosen "Wesen"
des Judaismus sucht, statt die historischen Änderungen in der jüdischen
Gesellschaft in Betracht zu ziehen, hat diese Tatsache verschleiert.
(Und diese Konfusion wurde vom Zionismus in seiner Abhängigkeit von den
"historischen Rechten", die in ahistorischer Weise aus der Bibel
abgeleitet sind, stark gefördert.) Daher sagen die Apologeten des
Judaismus unverblümt, daß die Bibel dem Gewinnstreben feindlich
gegenübersteht und der Talmud eine gleichgültige Haltung einnimmt. Die
Ursache hierfür liegt in den sehr verschiedenen sozialen Bedingungen,
unter denen sie abgefaßt wurden. Wie schon oben gesagt, wurde der Talmud
in zwei gut definierten Bereichen zu einer Zeit abgefaßt, als die dort
lebenden Juden eine Gesellschaft bildeten, die sich auf die
Landwirtschaft gründete und hauptsächlich aus Bauern bestand und sich
somit in der Tat sehr stark von der Gesellschaft des klassischen
Judaismus unterschied.
Im Kapitel V ("V
Gesetze gegen Nichtjuden") behandeln wir ausführlich die feindlichen
Einstellungen und Betrügereien, die das klassische Judentum gegen
Nichtjuden hegt bzw. praktiziert. Wichtiger als sozialer Faktor ist
jedoch die vom Gewinnstreben motivierte Täuschung, die alle reichen
Juden gegen ihre armen Mitjuden (wie die Dispensation bezüglich des
Zinses auf Kredite) ausüben. An dieser Stelle muß ich trotz einer
Ablehnung sowohl der marxistischen Philosophie als auch seiner
Gesellschaftstheorie anmerken, daß Marx in seinen beiden Artikeln über
den Judaismus recht hatte, in denen er ihn als vom Profitstreben
beherrscht ansieht, vorausgesetzt, diese Ansicht beschränkt sich auf den
ihm bekannten Judaismus, d.h. den klassischen Judaismus, der in seiner
Jugend schon in das Stadium der Auflösung trat. Es stimmt, daß er dies
willkürlich, ohne Sinn für Geschichte und ohne Beweis schrieb.
Offensichtlich kam er intuitiv zu seiner Schlußfolgerung, hatte aber mit
seiner Eingebung in diesem Falle und mit der entsprechenden historischen
Einschränkung recht.
D/
Die Bürde der Geschichte
Es ist viel Unsinn
geschrieben worden bei dem Versuch, das Judentum oder den Judaismus "als
ganzes" unter sozialen oder mystischen Gesichtspunkten auszulegen. Dies
ist nicht möglich, denn die soziale Struktur des jüdischen Volkes und
die ideologische Struktur des Judaismus haben sich im Laufe der Zeiten
tiefgreifend verändert. Es lassen sich jedoch vier
Hauptentwicklungsstufen unterscheiden:
1. Die Zeit der
antiken Königreiche Israel und Juda bis zur Zerstörung des ersten
Tempels (587 v. Chr.) und die babylonische Gefangenschaft. (Ein großer
Teil des Alten Testament befaßt sich mit dieser Zeit, obwohl die
wichtigsten Bücher des Alten Testaments einschließlich der Fünf Bücher
Moses, sowie wir sie kennen, erst danach abgefaßt wurden.) Unter
sozialen Gesichtspunkten hatten diese antiken jüdischen Königreiche eine
große Ähnlichkeit mit den benachbarten Königreichen in Palästina und
Syrien, wobei sich, wie ein sorgfältiges Studium der Propheten zeigt,
die Ähnlichkeit auch auf die religiösen Kulte erstreckte, die von der
großen Mehrheit des Volkes praktiziert wurden. Diese für den späteren
Judaismus typischen Vorstellungen einschließlich der besonderen
ethnischen Abgrenzung und der monotheistischen Exklusivität beschränkten
sich in diesem Stadium auf kleine Kreise von Priestern und Propheten,
deren sozialer Einfluß von königlicher Unterstützung abhing.
2. Die Zeit der
Doppel-Zentren Palästina und Mesopotamien von der ersten "Rückkehr aus
Babylon" (537 v. Chr.) bis etwa 500 n. Chr. Diese Zeit ist
gekennzeichnet durch das Vorhandensein dieser beiden autonomen und sich
hauptsächlich auf den Ackerbau gründenden jüdischen Gesellschaften,
denen die schon zuvor von Priestern und Schriftstellern ausgearbeitete
"jüdische Religion" durch die Macht und Autorität des persischen Reiches
aufgezwungen wurde. Das Buch Esra im Alten Testament enthält den Bericht
des Priesters Esra, "eines gewandten Schriftgelehrten des Gesetzes des
Moses". Der persische König Artaxerxes I. ermächtigte Esra, "Beamte und
Richter" über die Juden in Palästina einzusetzen, damit "jeder, der
nicht nach dem Gesetz Gottes und des Königs lebt, schnell verurteilt
werde, sei es nun zum Tode, zur Verbannung, zur Beschlagnahme seines
Gutes oder zu Gefängnisstrafen." Und im Buch Nehemia, eines königlichen
Mundschenks, den König Artaxerxes zum Statthalter von Judäa mit noch
größerer Machtfülle ernannte, erfahren wir, in welchem Ausmaß fremder
(heute würde man sagen "imperialistischer") Druck bei der Aufzwingung
der jüdischen Religion verwendet wurde, und zwar mit langanhaltenden
Ergebnissen.
In beiden Zentren
währte die jüdische Autonomie während des größten Teils dieser Zeit.
Abweichungen von der religiösen Orthodoxie wurden unterdrückt. Ausnahmen
von dieser Regel traten immer dann auf, wenn sich die religiöse
Aristokratie selbst mit hellenistischen Ideen "infizierte" (von 300 bis
166 v. Chr. und danach wieder unter Herodes dem Großen und seinen
Nachfolgern von 50 v. Chr. bis 70 n. Chr. ) oder sie sich als Reaktion
auf neue Entwicklungen spaltete (so z.B. die Aufspaltung in die großen
Parteien der Pharisäer und Sadduzäer um etwa 140 v. Chr.). Sobald jedoch
eine der Parteien die Oberhand gewann, benutzte sie den
Zwangsmechanismus der jüdischen Autonomie (oder, für eine kurze Zeit,
der Unabhängigkeit), ihre eigenen religiösen Ansichten allen Juden in
beiden Zentren aufzuzwingen.
In dieser Zeit,
besonders nach dem Zusammenbruch des persischen Reiches, und bis etwa
200 v. Chr., waren die Juden außerhalb dieser beiden Zentren meist frei
von jüdischem religiösen Zwang. Unter den in Elephantine (Oberägypten)
erhaltenen Papyrusrollen befindet sich ein Brief aus dem Jahre 419 v.
Chr. mit dem Text eines Ediktes des persischen König Darius II., das den
ägyptischen Juden in allen Einzelheiten vorschrieb, wie sie das
Pessach-Fest befolgen müssen. Die hellenistischen Königreiche, die
Römische Republik und das frühe Römische Reich kümmerten sich jedoch
nicht um solche Dinge. Die Freiheit, in der die hellenistischen Juden
außerhalb Palästinas lebten, förderte eine griechisch geschriebene
jüdische Literatur, die der Judaismus später in toto ablehnte und dessen
Überreste die Christen vor der Vergessenheit bewahrten. Diese relative
Freiheit der jüdischen Gemeinden außerhalb der beiden Zentren
ermöglichte den Aufstieg des Christentums. Bedeutsam ist dabei die
Erfahrung des Apostels Paulus. Als die örtliche jüdische Gemeinde in
Korinth Paulus wegen Häresie anklagte, wies der römische Statthalter
Gallio die Klage sofort ab und weigerte sich, als "Richter in solchen
Angelegenheiten" aufzutreten, wogegen in Judäa der Statthalter Festus
sich verpflichtet fühlte, diesen rein internen religiösen Streit der
Juden gerichtlich untersuchen zu lassen.
Diese Toleranz
endete 200 n. Chr., als die Römer die jüdische Religion so, wie sie
mittlerweile in Palästina erarbeitet und weiterentwickelt worden war,
allen Juden des Reiches aufzwangen.
3. Die Zeit, die
wir als klassischen Judaismus definiert haben, soll nachfolgend
behandelt werden.
4. Die moderne
Zeit ist gekennzeichnet durch den Zerfall der totalitären jüdischen
Gemeinde und ihrer Macht sowie durch die Versuche, diese
wiederherzustellen. Hierbei spielte der Zionismus die wichtigste Rolle.
Diese Zeit beginnt im Holland des 17. Jahrhunderts, in Frankreich und
Österreich (ohne Ungarn) im späten 18. Jahrhundert, in den meisten
anderen europäischen Ländern in der Mitte des 19. Jahrhunderts und in
einigen islamischen Ländern im 20. Jahrhundert. (Im Jahre 1948 lebten
die Juden im Jemen noch immer in der mittelalterlichen "klassischen"
Zeit.) Über diese Entwicklungen soll später noch etwas angemerkt werden.
Zwischen der
zweiten und der dritten Zeit, und zwar derjenigen des klassischen
Judaismus, klafft eine Lücke von mehreren Jahrhunderten, über die wir
heute hinsichtlich der Juden und der jüdischen Gesellschaft nur wenig
wissen. Das wenige, was uns bekannt ist, stammt alles aus externen
(nichtjüdischen) Quellen. Aus den Ländern des lateinischen Christentums
sind bis zur Mitte des 10. Jahrhunderts überhaupt keine schriftlichen
Aufzeichnungen überliefert. Die Informationen aus internen jüdischen
Quellen, meist aus der religiösen Literatur, fließen nur im 11. und
besonders im 12. Jahrhundert reichlicher. Für die Zeit davor sind wir
zunächst vollständig auf römische Zeugnisse angewiesen. Obwohl in den
islamischen Ländern die Informationslücke bei weitem nicht so groß ist,
wissen wir nur sehr wenig über die jüdische Gesellschaft vor 800 n. Chr.
und über die Umwälzungen, die während der drei vorangegangenen
Jahrhunderte stattgefunden haben müssen.
Grundzüge des klassischen Judaismus
Wir wollen deshalb
diese "dunklen Zeiten" ignorieren und der Einfachheit halber mit den
beiden Jahrhunderten 1000 bis 1200 beginnen, aus denen uns Informationen
aus sowohl internen als auch externen Quellen über alle wichtigen
jüdischen Zentren in Ost und West reichhaltig zur Verfügung stehen. Der
klassische Judaismus, den man in dieser Zeit klar erkennen kann, hat
sich damals nur wenig verändert und ist (unter der Maske des orthodoxen
Judaismus) noch heute eine einflußreiche Macht.
Wie kann man
diesen klassischen Judaismus charakterisieren, und welche sozialen
Unterschiede unterscheiden ihn von früheren Zeiten des Judaismus? Ich
meine, daß es drei solcher Grundzüge gibt.
1. Die klassische
jüdische Gesellschaft kannte keine Bauern und zeigt daher starke
Unterschiede zwischen den früheren jüdischen Gesellschaften in den
beiden Zentren Palästina und Mesopotamien. In unserer Zeit ist es
schwierig zu verstehen, was dies bedeutet. Um erkennen zu können, daß
während der gesamten klassischen Zeit die Juden trotz aller
Verfolgungen, die sie erleiden mußten, in die privilegierten Klassen
eingegliedert waren, müssen wir uns folgendes vor Augen halten: Die
Bedeutung der Leibeigenschaft, den enormen Unterschied in der Fähigkeit
des Lesens und Schreibens (ganz zu schweigen von einer Ausbildung),
zwischen Dorf und Stadt während dieses Zeitraums und die unvergleichlich
größere Freiheit, die sämtliche nichtbäuerlichen Minderheiten genossen.
Die jüdische Geschichtsschreibung ist besonders in den
englischsprachigen Ländern in diesem Punkt insofern irreführend, als sie
dazu neigt, sich auf die jüdische Armut und die antijüdische
Diskriminierung zu konzentrieren. Beides gab es zeitweilig wirklich;
jedoch stand der ärmste jüdische Handwerker, Hausierer, Verwalter eines
Grundbesitzes oder ein unbedeutender Kleriker unendlich besser da als
ein Leibeigener.
Dies gilt
insbesondere für die europäischen Länder, in denen es die
Leibeigenschaft, sei es nur teilweise oder in extremer Form, noch bis
ins 19. Jahrhundert hinein gab: Preußen, Österreich (einschließlich
Ungarn), Polen und die von Rußland annektierten polnischen Länder. Und
es ist nicht ohne Bedeutung, daß vor dem Beginn der großen jüdischen
Wanderungen der modernen Zeit (um etwa 1880) ein großer Teil der Juden
in diesen Gebieten lebte und die wichtige soziale Funktion ausübte,
Helfershelfer bei der Unterdrückung der Bauern seitens des Adels und der
Krone zu spielen.
Überall
entwickelte der klassische Judaismus mehr noch als gegen Nichtjuden
einen Haß und eine Verachtung gegen die Landwirtschaft als Beruf und die
Bauern als Klasse, einen Haß, für den ich nichts Vergleichbares in
anderen Gesellschaften kenne. Dies fällt sofort jedem auf, der sich in
der jiddischen oder hebräischen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts
auskennt.
Die meisten
osteuropäischen jüdischen Sozialisten (d.h. die Mitglieder der
ausschließlich oder vorwiegend jüdischen Parteien und Cliquen) luden die
Schuld auf sich, nie auf diese Tatsache hingewiesen zu haben. In der Tat
trugen viele von ihnen den Makel einer militanten Bauernfeindlichkeit,
die sie vom klassischen Judaismus erbten. Natürlich kommen die
zionistischen "Sozialisten" in dieser Hinsicht am schlechtesten weg,
doch waren andere, wie der Bund, auch nicht viel besser. Ein typisches
Beispiel ist ihre Gegnerschaft gegenüber den vom katholischen Klerus
geförderten bäuerlichen Kooperativen aus dem Grunde, daß dies ein "Akt
des Antisemitismus" sei. Selbst heute trifft man diese Einstellung noch
an. Sie zeigt sich deutlich in den rassistischen Ansichten, die viele
jüdische "Dissidenten" in der UdSSR hinsichtlich des russischen Volkes
haben, und ebenso in der fehlenden Erörterung dieses Hintergrunds durch
so viele jüdische Sozialisten wie etwa Isaak Deutscher. Der gesamten
rassistischen Propaganda über die angebliche Überlegenheit der jüdischen
Moral und des jüdischen Intellekts (an der so viele jüdische Sozialisten
mitwirkten) fehlt vollständig die Sensibilität für das Leiden eines
großen Teils der Menschheit, der während der letzten tausend Jahre unter
besonderer Unterdrückung zu leiden hatte, nämlich die Bauern.
2. Die klassische
jüdische Gesellschaft war besonders abhängig von Königen oder Adligen
mit königlichen Machtbefugnissen. Im nächsten Kapitel ("V Gesetze gegen
Nichtjuden") behandeln wir die verschiedenen gegen die Nichtjuden
gerichteten Gesetze und insbesondere jene Gesetze, die den Juden
vorschreiben, Nichtjuden zu schmähen und es zu unterlassen, sie oder
ihre Bräuche zu achten. Die einzige in diesen Gesetzen vorgesehene
Ausnahme betrifft einen nichtjüdischen König oder eine örtlich
einflußreiche Persönlichkeit. Einen König lobt man, und man betet für
ihn. Man gehorcht ihm nicht nur in den meisten bürgerlichen
Angelegenheiten, sondern auch in einigen religiösen. Wie wir sehen
werden, müssen jüdische Ärzte, denen es im allgemeinen verboten ist, das
Leben normaler Nichtjuden am Sabbat zu retten, alles in ihren Kräften
stehende tun, um hochgestellte Persönlichkeiten und Herrscher zu heilen,
was zum Teil erklärt, warum Könige und Adlige, Päpste und Bischöfe oft
jüdische Ärzte hatten.
Aber nicht nur
Ärzte sondern auch jüdische Steuer- und Zolleintreiber oder (in
Osteuropa) Gutsverwalter sollten so abhängig sein, daß sie ihr
Möglichstes für den König oder Baron in einer Weise taten, die einem
Christen nicht immer möglich war.
Der rechtliche
Status einer jüdischen Gemeinde gründete sich in der Zeit des
klassischen Judaismus normalerweise auf einem "Privilegium" von
Freiheiten und Rechten, das ein König oder Fürst (oder ein mächtiger
Adliger in Polen nach dem 16. Jahrhundert) der jüdischen Gemeinde
gewährte und ihr damit Autonomierechte übertrug, d.h. den Rabbinern die
Macht gab, über andere Juden diktatorisch zu bestimmen. Ein wichtiger
Teil eines solchen Freibriefs, der sich bis in das späte Römische Reich
zurückverfolgen läßt, war die Einrichtung eines jüdischen
Klerikerstandes, der genau wie die christliche Geistlichkeit im
Mittelalter von Steuerzahlungen an den Souverän befreit war und zum
eigenen Vorteil den Menschen unter seiner Herrschaft, d.h. den Juden,
Steuern auferlegen durfte. Interessant dabei ist, daß diese Übereinkunft
zwischen dem späten Römischen Reich und den Rabbinern um mindestens 100
Jahre den sehr ähnlichen von Konstantin dem Großen und seinen
Nachfolgern dem christlichen Klerus gewährten Privilegien voranging.
Von etwa 200 n.
Chr. bis zum frühen 5. Jahrhundert hatte das Judentum im Römischen Reich
etwa folgende rechtliche Stellung. Ein erblicher jüdischer Patriarch
(mit Sitz in Tiberias in Palästina) wurde zugleich als höchster
Würdenträger in der offiziellen Hierarchie des Reiches und als Oberhaupt
aller Juden im Reich anerkannt. Als römischer Beamter war der Patriarch
ein vir illustris, der derselben gesellschaftlichen Klasse wie die
Konsuln, die obersten Heerführer des Reiches und die höchsten
Würdenträger am Thron (dem Heiligen Konsistorium) angehörte.
Protokollarisch höher stand nur die kaiserliche Familie. Tatsächlich
stand der Erhabene Patriarch (wie er stets in kaiserlichen Erlassen
angeredet wurde) über dem Provinzstatthalter. So ließ Kaiser Theodosius
der Große, ein frommer und orthodoxer Christ, den Statthalter von
Palästina wegen einer Beleidigung des Patriarchen hinrichten.
Gleichzeitig
wurden alle Rabbiner, die vom Patriarchen dazu berufen wurden, von den
drückendsten römischen Steuern befreit und erhielten viele offizielle
Privilegien, wie die Freistellung von Pflichten als Stadträte (was eines
der wichtigsten Vorrechte war, das ebenfalls der christlichen
Geistlichkeit zugestanden wurde). Darüber hinaus erhielt er das Recht,
die Juden zu besteuern und sie mittels Geldbußen, Auspeitschen und
anderer Strafen zu disziplinieren. Er benutzte seine Macht dazu,
jüdische Häresien zu unterdrücken und (wie wir aus dem Talmud wissen)
jüdische Prediger zu verfolgen, die ihn beschuldigten, Steuern von den
jüdischen Armen zu seinem eigenen Vorteil einzuziehen.
Aus jüdischen
Quellen wissen wir, daß die von den Steuern befreiten Rabbiner durch
Exkommunikationen und andere in ihrer Macht stehenden Mittel die
religiöse Hegemonie des Patriarchen erweiterten. Ebenfalls, wenn auch
sehr indirekt, erfahren wir von dem Haß und dem Spott, mit dem viele
jüdische Bauern und in den Städten Palästinas lebende Arme ihre Rabbiner
bedachten, sowie von der Verachtung, die die Rabbiner den jüdischen
Armen entgegenbrachten (ausgedrückt in der Regel als Verachtung für
"Ignoranten"). Nichtsdestoweniger bestand dieses typische Kolonialsystem
fort und wurde durch die Macht des Römischen Reiches gestützt.
Ähnliche
Verhältnisse existierten überall in der gesamten Zeit des klassischen
Judaismus, fielen je nach Größe der einzelnen Gemeinden in ihren
sozialen Wirkungen jedoch unterschiedlich aus. Gehörten zu einer
Gemeinde nur wenige Juden, so gab es in der Regel keine soziale
Differenzierung, da sie mehr oder weniger aus Reichen oder Angehörigen
des Mittelstandes bestanden, von denen die meisten eine gute
rabbinisch-talmudische Ausbildung genossen hatten. In Ländern jedoch, in
denen es eine größere Anzahl von Juden gab und sich eine große Klasse
jüdischer Armer herausbildete, zeigte sich dieselbe oben beschriebene
Spaltung. Hier sehen wir, wie die rabbinische Klasse gemeinsam mit den
Reichen die armen Juden sowohl im eigenen Interesse als auch im
Interesse des Staates, d.h. im Interesse von Krone und Adel,
unterdrückt.
Dies gilt
insbesondere für die Situation in Polen vor 1795. Die jeweiligen
Bedingungen, unter denen das polnische Judentum lebte, sollen später
beschrieben werden. Hier möchte ich nur darauf hinweisen, daß wegen der
Bildung einer großen jüdischen Gemeinde in diesem Land sich eine tiefe
Kluft zwischen der jüdischen Oberklasse (den Rabbinern und den Reichen)
und den jüdischen Massen vom 18. Jahrhundert an auftat und bis ins 19.
Jahrhundert reichte. Solange die jüdische Gemeinde Macht über ihre
Mitglieder ausübte, konnte sie die anfänglichen Revolten der die
Hauptlast der Steuern tragenden Armen durch die Kombination aus
religiösen Sanktionen und dem nackten Zwang der jüdischen
"Selbstverwaltung" unterdrücken.
Aus all diesen
Gründen waren die Rabbiner in der klassischen Zeit (wie in der modernen
Zeit) die loyalsten (um nicht zu sagen, die eifrigsten) Helfer der
jeweils Mächtigen. Und je reaktionärer das Regime war, desto größere
Unterstützung erhielt es von den Rabbinern.
3. Die
Gesellschaft des klassischen Judaismus steht der sie umgebenden
nichtjüdischen Gemeinschaft mit Ausnahme des Königs (oder der Adligen
nach der Machtübernahme im Staate) vollkommen ablehnend gegenüber, was
im Kapitel V ("V Gesetze gegen Nichtjuden") nur allzu deutlich wird.
Zusammengenommen
erklären die Folgen dieser drei sozialen Bedingungen weitgehend die
Geschichte der klassischen jüdischen Gemeinschaft sowohl in christlichen
als auch in moslemischen Ländern.
Eine besonders
günstige Stellung hatten die Juden unter starken Regimen, die einen
feudalen Charakter beibehielten und in denen sich ein Nationalbewußtsein
nicht einmal in rudimentären Ansätzen entwickelte. Noch besser ist die
Stellung in Ländern, wie in Polen vor 1795 oder in den iberischen
Königreichen vor der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, in denen die
Bildung einer nationalen, mächtigen Zentralgewalt zeitweilig oder
dauernd verhindert wurde. In der Tat hatte das klassische Judentum ihre
höchste Blüte unter starken Regimen, die sich gegen die meisten Stände
in der Gesellschaft abgrenzte. Unter solchen Regimen führten die Juden
die Funktion einer Mittelklasse aus, wenn auch in dauernd abhängiger
Form. Aus diesem Grunde wurden sie nicht nur von der Bauernschaft (deren
Widerstand mit Ausnahme seltener Volksaufstände unwichtig ist), sondern
mehr noch von der nichtjüdischen Mittelklasse (die in Europa damals im
Aufstieg begriffen war) und von der niederen Geistlichkeit bekämpft.
Geschützt wurden sie von der höheren Geistlichkeit und dem Adel. In den
Ländern jedoch, in denen nach Brechung der feudalen Anarchie sich der
Adel mit dem König (und mit zumindest einem Teil des Bürgertums) zur
Führung des Staates (eines entstehenden oder vollendeten
Nationalstaates) verbündete, verschlechterte sich die Stellung der
Juden.
Dieses sowohl für
moslemische als auch für christliche Länder gültige allgemeine Schema
soll nun durch einige wenige Beispiele kurz veranschaulicht werden.
(1)
England, Frankreich und Italien
Da die erste Zeit
jüdischer Anwesenheit in England sehr kurz war und mit der Entwicklung
der nationalen Monarchie zusammenfiel, kann dieses Land als bestes
Beispiel für das obige Schema dienen. Wilhelm der Eroberer brachte die
Juden als Teil der französischsprachigen normannischen Herrscherklasse
hauptsächlich zu dem Zweck nach England, den geistlichen und weltlichen
Feudalherren Kredite zu gewähren, da sie sonst keine Möglichkeit hatten,
ihre Lehensabgaben zu bezahlen. Diese Abgaben waren in England besonders
hoch und wurden in dieser Zeit nachdrücklicher als in allen anderen
europäischen Monarchien eingetrieben. Der wichtigste königliche
Schutzherr der Juden war Heinrich II. Die Magna Charta steht jedoch für
den Beginn ihres Abstiegs, der sich während des Konflikts der Barone mit
Heinrich III. fortsetzte. Die vorübergehende Beilegung des Konflikts
durch Eduard I. sowie die Einführung des Parlaments und der "normalen"
und festen Besteuerung wurde von der Austreibung der Juden begleitet.
Ebenso erlebten
die Juden in Frankreich eine Blüte während der Bildung feudaler
Fürstentümer im 11. und 12. Jahrhundert einschließlich der königlichen
Ländereien. Ihr bester Schutzherr unter den Kapetingern war Ludwig VII.
(1137 bis 1180), ungeachtet seiner tiefen und aufrichtigen christlichen
Frömmigkeit. Zu jener Zeit zählten sich die Juden in Frankreich zu den
Edelleuten (paraschim auf Hebräisch). Die führende jüdische Autorität in
Frankreich, Rabbenu Tam, warnt sie davor, einer Einladung eines
Feudalherren zur Niederlassung auf seinem Landgut zu folgen, sofern sie
nicht ähnliche Privilegien wie die anderen Edelleute erhalten. Der
Niedergang ihrer Stellung beginnt mit Philipp II. Augustus, dem Urheber
der politischen und militärischen Allianz der Krone mit aufsteigenden
städtischen Kommune-Bewegungen, und setzt sich unter Philipp IV., dem
Schönen, fort, der erstmals die drei Generalstände für ganz Frankreich
zusammenrief, um Unterstützung gegen den Papst zu erhalten . Die
schließliche Austreibung der Juden aus ganz Frankreich ist eng mit der
festen Einrichtung der Besteuerungsrechte der Krone und dem nationalen
Charakter der Monarchie verbunden.
Ähnliche Beispiele
lassen sich aus anderen europäischen Ländern anführen, in denen die
Juden während dieser Zeit lebten. Während wir das christliche Spanien
und Polen noch etwas ausführlicher behandeln wollen, läßt sich in
Italien, wo viele Stadtstaaten eine republikanische Herrschaftsform
hatten, dieselbe Regelmäßigkeit erkennen. Eine besondere Blüte erlebten
die Juden im Kirchenstaat, im Königreich beider Sizilien (bis sie 1540
auf spanischen Befehl vertrieben wurden) und in den feudalen Enklaven
von Piemont. In den großen unabhängigen Handelsstädten wie Florenz war
ihre Anzahl jedoch gering und ihre soziale Rolle ohne Bedeutung.
(2)
Moslemische Länder
Dasselbe
allgemeine Schema gilt für die jüdischen Gemeinden während der
klassischen Zeit in den moslemischen Ländern, jedoch mit der wichtigen
Ausnahme, daß die Austreibung der Juden dort nahezu unbekannt war, weil
gegen das islamische Recht verstoßend. (Das katholische Kirchenrecht im
Mittelalter macht dagegen keine Aussagen zur Zulässigkeit oder
Unzulässigkeit solch einer Vertreibung.)
Die jüdischen
Gemeinden gediehen während des bekannten, jedoch sozial mißdeuteten
jüdischen Goldenen Zeitalters in moslemischen Ländern unter Regimen, die
sich in besonderer Weise von der Mehrheit der von ihnen beherrschten
Menschen abhoben und deren Macht auf nichts als nackter Gewalt und einer
Söldnertruppe beruhte. Das beste Beispiel hierfür ist das maurische
Spanien, wo das wahre jüdische Goldene Zeitalter (der Philosophie, der
hebräischen Dichtung usw.) genau mit dem Niedergang des spanischen
Kalifats der Omaijaden nach dem Tode des de facto Herrschers Al-Mansur
im Jahre 1002 und der Einrichtung zahlloser kleiner Königreiche beginnt,
die alle auf nackter Gewalt beruhen. Der Aufstieg des bekannten
Oberbefehlshabers und Premierministers des Königreiches Granada, Samuel
der Fürst (Samuel ha-Nagid bzw. Samuel ibn Nagrela, 993 bis 1055), eines
der größten hebräischen Poeten aller Zeiten, war möglich, weil es sich
bei dem Königreich, dem er diente, um die Tyrannei einer ziemlich
kleinen berberischen Militärmacht über die arabischsprechenden Einwohner
handelte. Ähnlich war die Lage in den anderen arabisch-iberischen
kleinen Königreichen. Die Stellung der Juden verschlechterte sich etwas
mit der Errichtung des Regimes der Almoraviden (1086 bis 1147) und wurde
unter dem starken und volksverbundenen Regime der Almohaden (nach 1147)
gefährlich, als wegen der Verfolgungen die Juden in die christlichen
spanischen Königreiche emigrierten, in denen die Könige noch nicht so
mächtig waren.
Ähnliches
beobachtet man in den Staaten des moslemischen Ostens. Der erste Staat,
in dem die jüdische Gemeinde eine Stellung mit wichtigem politischen
Einfluß erreichte, war das Reich der Fatimiden. Dies gilt besonders für
den Zeitpunkt nach der Eroberung Ägyptens im Jahre 969, weil es auf der
Herrschaft einer religiösen Minorität der schiitischen Ismailiten
beruhte. Dasselbe Phänomen läßt sich in den Staaten der Seldschuken mit
ihren feudalen Armeen - Söldnertruppen und in steigendem Maße auch
Sklaventruppen (Mameluken) - und in ihren Nachfolgestaaten beobachten.
Die Vorliebe Saladins für die jüdischen Gemeinden, erst in Ägypten und
dann in anderen Teilen seines sich ausweitenden Reiches, begründete sich
nicht nur auf seinen echten persönlichen Qualitäten, wie Toleranz,
Warmherzigkeit und tiefer politischer Weisheit, sondern gleichermaßen
auf seinem Machtzuwachs als rebellischer Befehlshaber der neu in Ägypten
eingetroffenen Söldnertruppen und später als Usurpator der dynastischen
Macht, der er (wie sein Vater und sein Onkel vor ihm) gedient hatte.
Das vielleicht
beste islamische Beispiel ist der Staat, in dem die Juden eine bessere
Stellung als irgendwo anders im Osten seit dem Niedergang des alten
Persischen Reiches hatten, nämlich das Osmanische Reich, besonders auf
seinem Höhepunkt im 16. Jahrhundert. Wie allgemein bekannt, basierte die
Herrschaft der Osmanen zunächst auf dem nahezu vollständigen Ausschluß
der Türken selbst (nicht zu erwähnen die anderen gebürtigen Moslems) von
den politischen Machtstellungen und vom wichtigsten Teil der Armee,
nämlich der Janitscharen (aus in der Kindheit entführten und in
speziellen Schulen ausgebildeten Sklaven christlicher Herkunft
rekrutiert). Bis zum Ende des 16. Jahrhunderts konnte kein frei
geborener Türke Mitglied der Janitscharen werden oder ein wichtiges
Regierungsamt bekleiden. Unter solch einem Regime spielten die Juden in
ihrem Wirkungskreis eine ganz ähnliche Rolle wie die Janitscharen in
ihrem Bereich. Daher hatten die Juden die beste Stellung unter einem
Regime, das sich von den regierten Untertanen politisch am meisten
abhob. Mit der Zulassung der Türken selbst (sowie einiger anderer
Moslemvölker wie der Albaner) zur herrschenden Klasse des Osmanischen
Reiches erfährt die Stellung der Juden ihren Niedergang, der wegen der
andauernden Willkürmaßnahmen und des unvölkischen Charakters des
Osmanischen Regimes nicht allzu abrupt verlief.
Meines Erachtens
ist dieser Punkt besonders wichtig, weil sich palästinensische und
andere arabische Propagandisten auf die relativ gute Lage der Juden
unter dem Islam im allgemeinen und unter bestimmten islamischen Regimen
im besonderen in einer sehr einfältigen, obgleich wohlmeinenden Weise
berufen. Zunächst einmal verallgemeinern sie und reduzieren ernste
Fragen der Politik und Geschichte auf reine Schlagwörter. Zugegeben, die
Stellung der Juden war im allgemeinen viel besser unter dem Islam als
unter dem Christentum. Als wichtige Frage bleibt jedoch, unter welchem
Regime sie besser oder schlechter war. Wir haben gesehen, wohin solch
eine Analyse führt.
Als zweiter und
noch wichtigerer Punkt bleibt anzuführen, daß in einem vormodernen Staat
die "bessere" Stellung der jüdischen Gemeinde in der Regel eine stärkere
Tyrannei zur Folge hatte, die die Rabbiner in dieser Gemeinschaft
gegenüber anderen Juden ausübten. Dazu ein Beispiel: Unter
Berücksichtigung seiner Zeit ist Saladin sicherlich eine Gestalt, die
tiefen Respekt abverlangt. Doch trotz dieses Respektes kann ich nicht
vergessen, daß die größeren der jüdischen Gemeinde in Ägypten gewährten
Privilegien und die Ernennung von Maimonides als Oberhaupt (Nagid)
sofort eine starke religiöse Verfolgung der jüdischen "Sünder" durch die
Rabbiner nach sich zog. So ist es z.B. jüdischen "Priestern"
(angeblichen Abkömmlingen der antiken Priester, die im Tempel dienten)
verboten, nicht nur Prostituierte, sondern auch Geschiedene zu heiraten.
Dieses Verbot, das immer Schwierigkeiten bereitete, verletzten während
der Anarchie unter den letzten Fatimiden (etwa 1130 bis 1180) solche
"Priester", die entgegen dem jüdischen religiösen Gesetz jüdische
geschiedene Frauen in islamischen Gerichten (die auch Nicht-Moslems
trauen durften) heirateten. Die größere von Saladin zugestandene
Toleranz für "die Juden" bei seiner Machtübernahme versetzte Maimonides
in die Lage, Befehle an die rabbinischen Gerichte in Ägypten zu
erteilen, alle unerlaubt verheirateten Juden zu ergreifen und
auszupeitschen, bis sie ihrer Ehescheidung "zustimmten". Im Osmanischen
Reich war die Macht der rabbinischen Gerichte ebenfalls sehr groß und
infolgedessen auch höchst bösartig. Deshalb sollte man die Stellung der
Juden in moslemischen Ländern der Vergangenheit nie als politisches
Argument im Zusammenhang mit der Gegenwart (oder der Zukunft) benutzen.
(3) Das
christliche Spanien
Den Schluß habe
ich den beiden Ländern vorbehalten, in denen die Stellung der jüdischen
Gemeinde und die innere Entwicklung des klassischen Judaismus am
wichtigsten war, nämlich das christliche Spanien (oder mehr noch die
iberische Halbinsel einschließlich Portugal) und das Polen vor 1795.
Politisch gesehen, hatten die Juden in den christlichen spanischen
Königreichen die höchste Stellung, die sie je in einem Land (mit
Ausnahme einiger der arabisch-iberischen kleinen Königreiche und unter
den Fatimiden) vor dem 19. Jahrhundert erreichten. Viele Juden dienten
offiziell als Schatzmeister der kastilischen Könige, als regionale und
überregionale Steuereintreiber, als Diplomaten (Vertreter des Königs an
fremden sowohl moslemischen als auch christlichen Höfen und sogar
außerhalb Spaniens) und als Höflinge und Ratgeber der Herrscher und des
Hochadels. Mit Ausnahme Polens hatte die jüdische Gemeinde in keinem
anderen Land größere Machtbefugnisse über die Juden oder benutzte sie -
einschließlich der Todesstrafe - so rigoros in der Öffentlichkeit. Seit
dem 11. Jahrhundert war es in Kastilien üblich, Karäer (Angehörige einer
jüdischen Sekte) durch Auspeitschen bis zum Tode zu bestrafen, falls sie
keine Reue zeigten. Jüdischen Frauen, die sich mit Nichtjuden einließen,
schnitten Rabbiner die Nasen ab und erklärten dabei, daß "sie auf diese
Weise ihre Schönheit verliert und der nichtjüdische Geliebte sie hassen
wird". Juden, die die Unverfrorenheit hatten, einen jüdischen Richter
anzugreifen, hackte man die Hände ab. Ehebrecher wurden, nachdem sie
durch das jüdische Viertel Spießruten laufen mußten, ins Gefängnis
gesteckt. Bei religiösen Disputen schnitt man vermeintlichen Häretikern
die Zunge heraus.
Unter historischen
Gesichtspunkten steht all dies im Zusammenhang mit der feudalen
Willkürherrschaft und dem Versuch einiger weniger "starker" Könige, mit
nackter Gewalt zu herrschen und die parlamentarischen Institutionen, wie
die schon existierende Cortes, zu übergehen. In diesem Kampf war nicht
nur der politische und finanzielle Einfluß der Juden, sondern auch ihre
militärische Macht (zumindest im wichtigsten Königreich; in Kastilien)
von großer Bedeutung. Ein Beispiel soll genügen. Sowohl die feudale
Mißwirtschaft als auch der jüdische politische Einfluß in Kastilien
erreichten ihren Höhepunkt unter Peter I. mit dem passenden Beinamen
"der Grausame". Die jüdischen Gemeinden in Toledo, Burgos und anderen
Städten dienten praktisch als seine Garnisonen in dem langen Bürgerkrieg
zwischen ihm und seinem Halbbruder Heinrich von Trastámara, der nach
seinem Sieg Heinrich II. (1369 bis 1379) genannt wurde. Derselbe Peter
I. übertrug den kastilischen Juden das Recht, eine landesweite
Inquisition gegen jüdische religiöse Abweichler einzurichten, und das
100 Jahre vor der Einsetzung der bekannteren Heiligen Inquisition der
Katholischen Kirche.
Wie in anderen
westeuropäischen Ländern wurde das stetige Ansteigen des
Nationalbewußtseins in der Monarchie, das unter dem Haus Trastámara
begann und nach einigen Rückschlägen seinen Höhepunkt unter den
Katholischen Königen Ferdinand und Isabella erreichte, zunächst von
einem Verfall der Stellung der Juden und anschließend durch
Volksbewegungen und Druck gegen sie mit anschließender Austreibung
begleitet. Im ganzen schützten der Adel und die hohe Geistlichkeit die
Juden. Eine feindliche Einstellung hegten die plebejischen Teile der
Kirche und hier insbesondere die ins Leben der unteren Schichten
eingebundenen Bettelorden. Die größten Feinde der Juden, nämlich
Torquemada und der Kardinal Jiménez, waren aber auch große Reformer der
spanischen Kirche. Sie beseitigten weitgehend die Korruption und
stärkten die Bindung an die Monarchie, statt die feudale Aristokratie zu
konservieren.
(4)
Polen
Das alte Polen vor
1795, eine Adelsrepublik mit einem Wahlkönig, ist ein entgegengesetztes
Beispiel. Es zeigt, daß die Juden vor dem Entstehen des modernen Staates
eine bedeutende soziale Stellung und die höchste innere Autonomie
hatten, und zwar unter einem Regime, das in einem Zustand völliger
Degenerierung verharrte.
Aus mehreren
Gründen hinkte die Entwicklung des mittelalterlichen Polen hinter
Ländern wie England und Frankreich her. Eine starke, feudalistisch zu
nennende Monarchie ohne parlamentarische Institutionen gab es nur im 14.
Jahrhundert, besonders unter Kasimir dem Großen (1333 bis 1370).
Unmittelbar nach seinem Tod führten Wechsel in der Dynastie und andere
Faktoren zu einer schnellen Machtentfaltung der adligen Magnaten und
dann auch des niederen Adels, so daß bis 1572 der Prozeß, den König auf
einen Strohmann zu reduzieren und die nichtadligen Stände von der
politischen Macht auszuschließen, nahezu beendet war. In den folgenden
beiden Jahrhunderten entwickelte sich Polen infolge einer fehlenden
Regierung zu der bekannten Anarchie. Dies ging soweit, daß ein Adliger
eine Gerichtsentscheidung nur als Lizenz zur Führung eines Privatkriegs
zur Durchsetzung des Spruches (es gab keine andere Möglichkeit zur
Durchsetzung) betrachtete und im 18. Jahrhundert Fehden zwischen den
großen Adelshäusern mit Privatarmeen ausgetragen wurden, die eine
Mannschaftsstärke von mehreren zehntausend hatten und größer als die
lächerlichen Kräfte der offiziellen Armee der Adelsrepublik waren.
Begleitet wurde
dieser Prozeß von einer Verschlechterung der sozialen Stellung der
polnischen Bauern (die im Frühmittelalter frei waren) bis zu reiner
Leibeigenschaft, die sich kaum noch von Sklaverei unterschied und
sicherlich die härteste in ganz Europa war. Der Wunsch des Adels in den
benachbarten Ländern, die Macht des polnischen Pan über seine Bauern zu
besitzen (einschließlich der Macht über Leben und Tod ohne das Recht auf
Berufung) förderte die territoriale Expansion Polens. Am schlechtesten
war die Lage in den "östlichen" Ländern Polens (Weißrußland und
Ukraine), die von gerade in die Leibeigenschaft geratenen Bauern
kolonisiert und besiedelt wurden. Eine kleine, jedoch hochrangige Anzahl
von Juden lebte augenscheinlich seit dem 10. Jahrhundert in Polen. Eine
jüdische Einwanderung in größem Umfang begann im 13. Jahrhundert und
erreichte unter Kasimir dem Großen den Höhepunkt. Gleichzeitig
verschlechterte sich die Lage der Juden in West- und dann in
Mitteleuropa. Über das polnische Judentum in dieser Zeit ist nur wenig
bekannt. Doch mit dem Niedergang der Monarchie im 16. Jahrhundert, und
zwar besonders unter Sigismund I. (1506 bis 1548) und seinem Sohn
Sigismund II. August I. (1548 bis 1572), erlangten die Juden schlagartig
soziale und politische Bedeutung, begleitet wie üblich mit einem höheren
Grad an Autonomie. Dies war jene Zeit, in der die Juden Polens ihre
umfangreichsten Privilegien erhielten, was in der Schaffung der
bekannten Vierländersynode, einem sehr wirksamen autonomen jüdischen
Organ zur Herrschaft und Rechtsprechung über alle Juden in den vier
Landesteilen Polens, gipfelte. Eine ihrer vielen wichtigen Aufgaben
bestand darin, sämtliche Steuern von Juden im ganzen Land einzuziehen,
einen Teil des Ertrages für eigene Zwecke und für die örtlichen
jüdischen Gemeinden abzuzweigen und den Rest dem staatlichen Schatzamt
zu übergeben.
Welche soziale
Rolle spielte nun das polnische Judentum vom Beginn des 16. Jahrhunderts
bis 1795? Mit dem Niedergang der königlichen Macht übernahm der Adel
sehr schnell die Aufgabe, die der König hinsichtlich der Juden ausübte,
und zwar mit langandauernden und tragischen Ergebnissen für die Juden
selbst und für die einfachen Leute in der polnischen Adelsrepublik. In
ganz Polen nutzten Adlige die Juden als Mittelsmänner, die
wirtschaftliche Kraft der ohnehin schon schwachen königlichen Städten zu
untergraben. Unter den Ländern der westlichen Christenheit unterlag nur
in Polen der Grundbesitz eines Adligen in einer königlichen Stadt nicht
den Gesetzen der Stadt und den Satzungen der Zünfte. In den meisten
Fällen setzten die Adligen ihre jüdischen Abhängigen in diesen
Landbesitz ein und schufen somit den Grund für einen permanenten
Konflikt. Die Juden waren in der Regel "siegreich" in dem Sinne, als die
Städte sie weder unterdrücken noch vertreiben konnten. Bei den häufigen
Volksaufständen verloren Juden ihr Leben (und häufiger ihren Besitz),
während die Adligen die Profite einstrichen. Ähnliche oder noch
schlechtere Folgen hatte die häufige Verwendung von Juden als
kommerzielle Vermittler des Adels: Sie brauchten die meisten polnischen
Abgaben und Zölle nicht zu bezahlen, was ein Nachteil für die polnischen
Bürger war.
Die am
andauerndsten und tragischsten Folgen zeigten sich in den östlichen
Provinzen Polens, und zwar etwa im Bereich östlich von der heutigen
Grenzen sowie in fast dem gesamten Gebiet der Ukraine bis hin zur
russischen Sprachgrenze (bis 1667 reichte die polnische Grenze weit
östlich über den Dnjepr hinaus, so daß z.B. Poltawa in Polen lag). In
diesem großen Gebiet gab es nahezu keine königlichen Städte. Die Städte
wurden von den Adligen gegründet, gehörten ihnen und wurden nahezu
ausschließlich von Juden besiedelt. Bis 1939 betrug ihr
Bevölkerungsanteil in vielen polnischen Städten östlich des Bug etwa
90%. Dieses demographische Phänomen war noch ausgeprägter in jenem
Gebiet des zaristischen Rußland, das ehemals zu Polen gehörte und als
jüdischer Pale-Distrikt bekannt ist. Außerhalb der Städte waren in ganz
Polen, und hier besonders im Osten, viele Juden als direkte Bewacher und
Unterdrücker der geknechteten Bauernschaft beschäftigt - als Verwalter
ganzer Rittergüter (ausgestattet mit der vollständigen Hausgewalt des
Eigentümers) oder als Pächter bestimmter feudaler Monopole, wie Mühlen,
Bäckereien, Wirtshäuser oder Destillerien (mit dem Recht, bewaffnet die
Bauernhäuser nach illegal gebranntem Alkohol zu durchsuchen) sowie als
Eintreiber feudaler gewohnheitsrechtlicher Abgaben aller Art. Kurz
gesagt, im östlichen Polen waren die Juden unter der Herrschaft des
Adels (und der feudalisierten Kirche, die ausschließlich vom Adel
gebildet wurde) sowohl unmittelbare Ausbeuter der Bauernschaft als auch
nahezu die einzigen Stadtbewohner.
Zweifellos
erhielten die Gutsherren auf diese oder jene Weise die von den Juden den
Bauern abgepreßten Profite. Zweifellos gab es auch eine starke
Unterdrückung und Unterjochung der Juden durch den Adel. Die
historischen Berichte erzählen so manche erschreckende Geschichte über
die Nöte und die Demütigungen, die der Adel "seinen Juden" zufügte. Wie
wir aber schon gesehen haben, litten die Bauern am schwersten unter der
Unterdrückung sowohl durch die Gutsherren als auch durch die Juden. Man
kann annehmen, daß außer während der Bauernaufstände die Bauern von der
vollen Wucht der jüdischen religiösen Gesetze gegen Nichtjuden getroffen
wurden. Wie wir im nächsten Kapitel erfahren werden, wurden diese
Gesetze nur dann zeitweilig außer Kraft gesetzt oder abgeschwächt, wenn
man befürchtete, sie könnten gefährliche Feindschaft gegen die Juden
wecken. Die Feindseligkeit der Bauern konnte man jedoch solange als
wirkungslos vernachlässigen, als sich der jüdische Gutsverwalter hinter
dem Rücken seines Gutsherrn verkriechen konnte.
Bis zur Entstehung
moderner Staaten blieb die Situation gleich. Zu dieser Zeit war Polen
schon auseinandergefallen. Deshalb war es das einzige große Land im
westlichen Christentum, aus dem die Juden nie vertrieben wurden. Eine
neue Mittelklasse konnte aus der vollständig versklavten Bauernschaft
nicht entstehen. Das alte Bürgertum lebte nur in begrenzten Gebieten,
war wirtschaftlich schwach und deshalb machtlos. Die Lage
verschlechterte sich insgesamt, hatte jedoch keine grundlegende Änderung
zur Folge.
Die innere Lage
der jüdischen Gemeinden entwickelte sich auf ähnliche Art und Weise. In
der Periode von 1500 bis 1795, einer Zeit des ausgeprägtesten
Aberglaubens in der Geschichte des Judaismus, übertraf das polnische
Judentum an abergläubischer Furcht und Fanatismus alle anderen jüdischen
Gemeinschaften. Die beträchtliche Macht der jüdischen Selbstverwaltung
wurde immer stärker ausgeübt, um alle originellen und neuen Gedanken zu
unterdrücken, die schamlose Ausbeutung der jüdischen Armen durch die
jüdischen Reichen und die Rabbiner zu fördern und die Rolle der Juden
bei der Unterdrückung der Bauern im Dienste des Adels zu rechtfertigen.
Auch hier fand sich mit Ausnahme einer Befreiung von außen kein Ausweg.
Im Polen vor 1795, wo die Juden eine größere soziale Rolle als jede
andere klassische Diaspora spielten, zeigt sich besser als in jedem
anderen Lande der Bankrott des klassischen Judaismus.
Antijüdische Verfolgungen
Während der
gesamten Zeit des klassischen Judaismus waren Juden oft Opfer von
Verfolgungen. Gerade diese Tatsache dient jetzt als Haupt-"Argument" der
Apologeten der jüdischen Religion mit ihren gegen Nichtjuden gerichteten
Gesetze und speziell der Zionisten. Natürlich ist die Ausrottung von 5
bis 6 Millionen europäischer Juden durch die Nationalsozialisten das
alles übertreffende Alibi auf dieser Ebene. Deshalb müssen wir dieses
Phänomen und seine zeitgenössischen Aspekte näher betrachten.
Insbesondere gilt dies hinsichtlich der Tatsache, daß die Nachkommen der
Juden aus Polen vor 1795 ("osteuropäische Juden" genannt, im Gegensatz
zu den Juden aus dem deutschen Kulturraum des frühen 19. Jahrhunderts
einschließlich Österreich, Böhmen und Mähren) heute hauptsächlich die
politische Macht in Israel sowie in den jüdischen Gemeinden der USA und
anderer englischsprachiger Länder ausüben. Wegen dieser ihr ureigenen
Vergangenheit hat sich diese Art des Denkens besonders tief bei ihnen
eingegraben, und zwar weitaus nachhaltiger als bei anderen Juden.
Zunächst müssen
wir scharf unterscheiden zwischen den Verfolgungen der Juden während der
klassischen Zeit einerseits und der Ausrottung durch die
Nationalsozialisten anderseits. Erstere waren von unten kommende
Volksbewegungen, wogegen letztere von oben ausgeheckt, organisiert und
ausgeführt wurde, und zwar durch Staatsbeamte. Solche Maßnahmen wie die
staatlich von den Nationalsozialisten organisierte Ausrottung findet man
in der Weltgeschichte relativ selten, obwohl es andere Fälle gibt (z.B.
die Ausrottung der Tasmanier und anderer kolonisierter Völker). Außerdem
beabsichtigten die Nationalsozialisten, außer den Juden auch andere
Völker auszulöschen. So wurden die Zigeuner wie die Juden vernichtet,
und die Ausrottung der Slawen hatte schon angefangen, wobei Millionen
von Zivilisten und Kriegsgefangenen, systematisch umgebracht wurden.
Gerade die wiederholten Verfolgungen von Juden in vielen Ländern während
der klassischen Zeit benutzen die zionistischen Politiker bei der
Verfolgung der Palästinenser als Vorwand (und als Ausrede) und die
Apologeten des Judaismus als Argument im allgemeinen. Dies ist ein
Phänomen, das näher beleuchtet werden soll.
Es muß darauf
hingewiesen werden, daß auch bei den schlimmsten antijüdischen
Verfolgungen (d.h., bei denen Juden getötet wurden) die herrschende
Elite, nämlich der Kaiser und der Papst, die Könige, der Hochadel und
der höhere Klerus sowie das reiche Bürgertum in selbstverwalteten
Städten, immer auf der Seite der Juden standen. Die Feinde der Juden
zählten zu den mehr unterdrückten und ausgebeuteten Klassen und
denjenigen, die ihnen im täglichen Leben und in ihren Intentionen
nahestanden wie etwa die Brüder der Bettelorden. Es ist eine Wahrheit,
daß in den meisten (wenn auch meiner Meinung nach nicht in allen) Fällen
Mitglieder der Elite die Juden weder aus Gründen der Humanität noch
wegen besonderer Sympathien für die Juden als solche verteidigten,
sondern einfach aus dem Grund, den die Herrschenden im allgemeinen zur
Rechtfertigung ihrer Interessen anführen, nämlich die Nützlichkeit der
Juden (für sie), die Verteidigung von "Recht und Ordnung", der Haß auf
die niedrigen Schichten und die Furcht, daß antijüdische Unruhen sich zu
einem allgemeinen Volksaufstand ausweiten könnten. Dennoch bleibt die
Tatsache bestehen, daß sie die Juden in Schutz nahmen. Aus diesem Grund
waren alle Massaker an den Juden während der klassischen Periode des
Judaismus Teil eines Bauernaufstandes oder anderer Volksbewegungen in
den Zeiten, in denen die Regierung aus irgendeinem Grunde besonders
schwach war. Dies gilt besonders für das zaristische Rußland, das in
gewisser Weise eine Ausnahme bildet. Die zaristische Regierung, die über
ihre Geheimpolizei hinterhältige Maßnahmen ergriff, förderte die Pogrome
immer nur dann, wenn sie besonders schwach war (wie nach der Ermordung
von Alexander II. 1881 und in der Zeit unmittelbar vor und nach der
Revolution von 1905). Aber auch dann achtete sie sorgfältig darauf, daß
"Recht und Ordnung" gewahrt wurden. Zur Zeit der größten Macht wie etwa
unter Nikolaus I. oder gegen Ende der Herrschaft von Alexander III., als
die Opposition vernichtet war, tolerierte das zaristische Regime keine
Pogrome, obwohl sich die durch Gesetzgebung erfolgte Diskriminierung der
Juden intensivierte.
Diese allgemeine
Linie läßt sich in allen größeren Massakern an den Juden im christlichen
Europa beobachten. Während des ersten Kreuzzuges bedrängten nicht die
von berühmten Herzögen und Grafen befehligten Armeen der Ritter die
Juden, sondern spontane Volksmassen, die nahezu ausschließlich aus
Bauern und Verarmten im Gefolge von Peter von Amiens bestanden. In jeder
Stadt bezog der Bischof oder der Vertreter des Kaisers Stellung gegen
sie und versuchte, wenn auch oft vergeblich, die Juden zu schützen. Die
antijüdischen Aufstände in England, die den dritten Kreuzzug
begleiteten, waren Teil einer Volksbewegung, die sich auch gegen
königliche Beamte richtete. Einige Aufständische wurden von König
Richard I. bestraft. Die Massaker an den Juden während des Ausbruchs der
Schwarzen Pest erfolgten gegen den ausdrücklichen Befehl des Papstes,
des Kaisers, der Bischöfe und der deutschen Fürsten. In den freien
Reichsstädten, wie etwa in Straßburg, gingen ihnen in der Regel lokale
Aufstände voraus, in denen der oligarchische Stadtrat, der die Juden
beschützte, aus dem Amt vertrieben und durch einen volksnäheren Rat
ersetzt wurde. Das große Massaker an den Juden 1391 in Spanien fand
unter einer schwachen Regentschaft und zu einer Zeit statt, in der das
durch das Große Schisma zwischen zwei konkurrierenden Päpsten
geschwächte Papsttum die Bettelmönche nicht mehr unter Kontrolle halten
konnte.
Das vielleicht
herausragendste Beispiel ist der große Massenmord an den Juden während
des Chmjelnizki-Aufstandes in der Ukraine (1648), die als Meuterei von
Kosaken-Offizieren begann, sich aber bald zu einer ausgreifenden
Volksbewegung der unterdrückten Leibeigenen entwickelte. "Die
Unterprivilegierten, die Untertanen, die Ukrainer, die (von der
polnischen Katholischen Kirche verfolgten) Orthodoxen erhoben sich gegen
ihre polnischen katholischen Herren, insbesondere gegen die Verwalter
ihrer Herren, den Klerus und die Juden." Dieser typische Bauernaufstand
gegen eine außerordentliche Unterdrückung, den nicht nur die von den
Rebellen begangenen Massenmorde, sondern auch die abscheulichsten
Grausamkeiten und der "Gegenterror" der Privatarmeen der polnischen
Großgrundbesitzer begleiteten, hat sich bis zum heutigen Tag tief in das
Bewußtsein der osteuropäischen Juden eingegraben, und zwar nicht als ein
Bauernaufstand, eine Revolte der Unterdrückten und Unglücklichen der
Erde und auch nicht als Rache gegen alle Büttel des polnischen Adels,
sondern als ein Akt des willkürlichen Antisemitismus, der sich gegen die
Juden als solche richtete. In der Tat "erklärt" die israelische Presse
das Abstimmungsverhalten der ukrainischen Delegation in der UNO und der
sowjetischen Politik gegenüber dem Nahen Osten im allgemeinen als "Erbe
des Chmjelnizki" oder seiner "Nachfolger".
Der
moderne Antisemitismus
Der Charakter der
antijüdischen Verfolgungen erfuhr eine radikale Änderung in der modernen
Zeit. Mit der Entstehung des modernen Staates, der Abschaffung der
Leibeigenschaft und der Erlangung minimaler Individualrechte schwand
notwendigerweise die sozio-ökonomische Funktion der Juden, gleichzeitig
aber auch die Macht der jüdischen Gemeinde über ihre Mitglieder. Die
einzelnen Juden gewannen in immer größerer Zahl die Freiheit, sich in
die allgemeine Gesellschaft ihrer Länder einzugliedern. Natürlich
bewirkte dieser Übergang heftige Reaktionen sowohl seitens der Juden
(und insbesondere ihrer Rabbiner) und den Elementen in der europäischen
Gesellschaft, die eine offene Gemeinschaft ablehnen und für die der
Prozeß der Befreiung des Individuums ein Fluch bedeutete.
Der moderne
Antisemitismus erscheint zunächst in Frankreich und Deutschland und dann
in Rußland kurz nach 1870. Im Gegensatz zu der unter jüdischen
Sozialisten vorherrschenden Meinung glaube ich nicht, daß man seine
Anfangsgründe und die nachfolgende Entwicklung bis zum heutigen Tag dem
"Kapitalismus" zuschreiben kann. Im Gegensatz dazu meine ich, daß die
erfolgreichen Kapitalisten in allen Ländern bemerkenswerterweise im
ganzen keinen Antisemitismus hegten, und in den Ländern, in denen sich
der Kapitalismus zuerst und in seiner ausgeprägtesten Form wie in
England und in Belgien etablierte, war der Antisemitismus weit weniger
verbreitet als anderswo.
Der frühe moderne
Antisemitismus (1880 bis 1900) war eine Reaktion von irregeführten
Leuten, die die moderne Gesellschaft mit ihren guten als auch schlechten
Seiten tief haßten und glühend an die Verschwörungstheorie der
Geschichte glaubten. Man drängte die Juden in die Rolle eines
Sündenbockes für das Auseinanderfallen der alten Gesellschaft (von der
antisemitische Nostalgiker glaubten, sie sei geschlossener und
geordneter gewesen, als sie es in Wirklichkeit war) und für alle Dinge,
die als Störfaktor in der modernen Zeit empfunden wurden. Doch schon am
Beginn standen die Antisemiten vor einem für sie schwierigen Problem:
Wie beschreibt man diesen Sündenbock allgemein? Welchen gemeinsamen
Nenner sollen der jüdische Musiker, Bankier, Handwerker und Bettler
haben, insbesondere nach zumindest intern weitgehender Auflösung der
religiösen Merkmale? Diese Frage beantwortete der moderne Antisemit mit
seiner "Theorie" der jüdischen Rasse.
Im Gegensatz dazu
waren die alte christliche und noch mehr die moslemische Opposition
gegen den klassischen Judaismus bemerkenswert frei von Rassismus. Bis zu
einem gewissen Ausmaß war dies zweifellos eine Folge des universellen
Charakters des Christentums und des Islams sowie ihrer ursprünglichen
Verbindungen zum Judaismus (der heilige Thomas Morus erteilte einer Frau
wiederholt einen scharfen Verweis, die Einwände erhob, als man ihr
sagte, daß die Jungfrau Maria jüdisch sei). Ein weitaus bedeutenderer
Grund ist in meiner Sicht die soziale Rolle der Juden, die sie als
integraler Bestandteil der oberen Klassen spielten. In vielen Ländern
behandelte man die Juden als potentielle Adlige und ließ nach einem
Glaubensübertritt eine Heirat mit dem höchsten Adel sofort zu. Der Adel
in Kastilien oder in Aragon des 15. Jahrhunderts oder die Aristokratie
in Polen des 18. Jahrhunderts, um nur zwei Fälle herauszunehmen, in
denen die Heirat mit konvertierten Juden weit verbreitet war, würde
wahrscheinlich kaum spanische Bauern oder polnische Leibeigene
geheiratet haben, gleichgültig, wie hoch das Evangelium die Armen
preist.
Gerade der moderne
Mythos der jüdischen "Rasse" - der versteckte, aber angeblich
dominierende Charakterzüge "der Juden" unabhängig von der Geschichte,
der sozialen Rolle oder etwas anderem unterstellt - ist das formelle und
bedeutendste Unterscheidungsmerkmal des modernen Antisemitismus. Dies
erkannten schon einige Kirchenführer, als der moderne Antisemitismus als
eine schon etwas stärkere Bewegung auftrat. Einige französische
katholische Führer traten z.B. der neuen rassistischen Doktrin entgegen,
die Edouard Drumont, der erste populäre moderne französische Antisemit
und Autor des berüchtigten und weitverbreiteten Buches La France juive
(1886), vertrat. Frühe moderne deutsche Antisemiten fanden ähnlichen
Widerstand.
Es bleibt darauf
hinzuweisen, daß einige wichtige Gruppen europäischer Konservativer sich
bereitwillig des modernen Antisemitismus bedienten und ihn für eigene
Zwecke benutzten. Desgleichen benutzten die Antisemiten die
Konservativen bereitwillig bei jeder sich bietenden Gelegenheit, auch
wenn beide Seiten sich im Grunde kaum ähnelten. "Die am härtesten [von
der Feder des o.e. Drumont] betroffenen Opfer waren nicht die
Rothschilds, sondern der Hochadel, der sie hofierte. Drumont sparte die
königliche Familie ... oder die Bischöfe und schließlich den Papst nicht
aus." Trotzdem griffen viele Teile des französischen Hochadels, der
Bischöfe und der Konservativen in der Regel freudig auf Drumont und den
Antisemitismus während der Dreyfus-Affäre zurück, um zu versuchen, das
republikanische Regime zu Fall zu bringen.
Diese Art einer
opportunistischen Allianz erschien häufiger in verschiedenen
europäischen Ländern bis zur Niederlage des Nationalsozialismus. Der Haß
der Konservativen auf den Radikalismus und insbesondere auf alle Formen
des Sozialismus machte sie blind gegen die Natur ihrer politischen
Bettgenossen. In vielen Fällen waren sie buchstäblich bereit, sich mit
dem Teufel zu verbünden, und vergaßen das alte Sprichwort, daß man einen
sehr langen Löffel braucht, um mit ihm zu speisen.
Der Erfolg des
modernen Antisemitismus und der Allianz mit dem Konservatismus hing von
mehreren Faktoren ab. Zunächst einmal ließ sich die ältere Tradition der
christlichen Gegnerschaft gegen die Juden, die in vielen (wenn auch
nicht in allen) europäischen Ländern existierte, vor den antisemitischen
Karren spannen, wenn der Klerus sie unterstützte oder zumindest nichts
gegen sie einzuwenden hatte. Wie der Klerus in den einzelnen Ländern
reagierte, hing weitestgehend von den örtlichen historischen und
sozialen Umständen ab. In der Katholischen Kirche gab es in Frankreich
(aber nicht in Italien), in Polen und in der Slowakei (aber nicht in
Böhmen) eine starke Tendenz zu einer opportunistischen Allianz mit dem
Antisemitismus. Die griechisch-orthodoxe Kirche zeigte einen
berüchtigten Hang zum Antisemitismus in Rumänien, nahm aber in Bulgarien
die entgegengesetzte Haltung ein. Unter den protestantischen Kirchen war
die deutsche in dieser Frage tief gespalten. Andere, wie die lettische
und estnische Kirche, neigten mehr oder weniger zum Antisemitismus,
während viele (z.B. die holländischen, schweizerischen oder
skandinavischen Kirchen) zu den ersten zählten, die den Antisemitismus
verurteilten.
Zum zweiten war
der Antisemitismus ein typischer Ausdruck der Fremdenfeindlichkeit, des
Wunsches nach einer "reinen" homogenen Gesellschaft. In vielen
europäischen Ländern um das Jahr 1900 (und auch bis vor kurzem) war der
Jude nahezu der einzige "Fremde". Dies gilt besonders für Deutschland.
Die deutschen Rassisten am Beginn des 20. Jahrhunderts haßten und
verachteten Schwarze genauso wie Juden, obwohl es damals keine Schwarzen
in Deutschland gab. Haß konzentriert sich natürlich leichter auf den An-
als den Abwesenden, und zwar besonders zu einer Zeit, als Reisen und
Massentourismus noch nicht existierten und die meisten Europäer ihr
eigenes Land in Friedenszeiten nie verließen.
Zum dritten war
der Erfolg der zaghaften Allianz zwischen dem Konservatismus und dem
Antisemitismus umgekehrt proportional zu Macht und Fähigkeiten seiner
Gegner. Und die konsistenten und erfolgreichen Opponenten des
Antisemitismus in Europa sind die politischen Kräfte des Liberalismus
und Sozialismus, historisch gesehen dieselben Kräfte, die auf
verschiedene Art und Weise die durch den holländischen
Unabhängigkeitskrieg (1568 bis 1648), die Englische Revolution und die
Große Französiche Revolution symbolisierte Tradition fortführen. Auf dem
europäischen Kontinent ist das wichtigste Erkennungsmerkmal die Haltung
zur der Großen Französischen Revolution. Grob gesagt: Diejenigen, die
dafür sind, sind auch gegen den Antisemitismus, diejenigen, die sie mit
Bedauern akzeptieren, sind am wenigsten anfällig für eine Allianz mit
den Antisemiten, und solche, die sie hassen und ihre Auswirkungen
rückgängig machen wollen, bilden das Milieu, aus dem der Antisemitismus
stammt.
Trotzdem muß man
zwischen den Konservativen und sogar Reaktionären auf der einen Seite
und den tatsächlichen Rassisten und Antisemiten auf der anderen Seite
scharf unterscheiden. Der moderne Rassismus (von dem der Antisemitismus
nur ein Teil ist) wird von bestimmten sozialen Bedingungen zwar
verursacht, erhält aber bei wachsender Stärke einen Schwung, den man aus
meiner Sicht nur mit dem Wort "dämonisch" umschreiben kann. Einmal an
die Macht gelangt, ist er aber m.E. auch während seiner Herrschaftszeit
einer Analyse durch eine heutige Sozialtheorie oder eine Reihe reiner
sozialer Beobachtungen nicht zugänglich. Dies gilt besonders für
Theorien, die andere als rein "psychologische" (Klassen- oder Staats-)
Interessen einer Gesamtheit berühren, die beim gegenwärtigen Stand
menschlichen Wissens definiert werden können. Damit glaube ich aber
nicht, daß solche Kräfte prinzipiell nicht erkennbar seien. Ganz im
Gegenteil muß man hoffen, daß man auch sie bei zunehmendem menschlichen
Wissen erkennen wird. Derzeit sind sie aber weder zu verstehen noch
rational vorauszusagen. Und dies gilt für jeden Rassismus in allen
Gesellschaften. Es ist eine Tatsache, daß keine politische
Persönlichkeit oder Gruppe in einem Lande auch nur andeutungsweise das
Grauen des Nationalsozialismus vorausgesagt hat. Nur Künstler und
Dichter wie Heine besaßen die Fähigkeit, einen flüchtigen Blick auf das
zu werfen, was die Zukunft auf Lager hat. Wir wissen nicht, wie sie es
fertigbrachten. Außerdem lagen sie mit vielen anderen ihrer Ahnungen
falsch.
Die
zionistische Reaktion
Historisch gesehen
ist der Zionismus sowohl eine Reaktion auf den Antisemitismus als auch
auf die konservative Allianz mit ihm, obgleich die Zionisten wie die
anderen europäischen Konservativen sich nicht vollständig klar wurden,
mit wem sie sich einließen.
Bis zum Aufstieg
des modernen Antisemitismus nahmen die europäischen Juden eine äußerst
optimistische Haltung ein. Dies zeigte sich nicht nur in der großen Zahl
an Juden, die sich, besonders in den westlichen Ländern, in der ersten
oder zweiten Generation einfach und offenbar ohne großes Bedauern gegen
den klassischen Judaismus entschieden, sondern auch an der Bildung der
jüdische Aufklärung (Haskala), einer bedeutenden kulturellen Bewegung,
die in Deutschland und Österreich um 1780 entstand, sich nach Osteuropa
ausbreitete und sich bis um 1860 als beträchtliche soziale Kraft
bemerkbar machte. Ich kann hier nicht die kulturellen Leistungen der
Bewegung wie etwa die Wiederbelebung der hebräischen Literatur und die
Schaffung einer wunderbaren jiddischen Literatur behandeln. Wichtig
bleibt jedoch, daß sich diese Bewegung trotz vieler innerer Differenzen
durch zwei Bekenntnisse auszeicheten: Erstens durch den Überzeugung, daß
die jüdische Gesellschaft und insbesondere die soziale Rolle der
jüdischen Religion in ihrer klassischen Form einer fundamentalen Kritik
bedürfe, und zweitens durch die nahezu schon messianische Hoffnung auf
den Sieg der "Kräfte des Guten" in den europäischen Gesellschaften.
Diese Kräfte waren naturgemäß durch ein einziges Kriterium, die
Unterstützung der jüdischen Emanzipation, definiert.
Der wachsende
Antisemitismus als Volksbewegung und die viele Bündnisse der
konservativen Kräfte mit ihr bedeuteten einen schweren Schlag für die
jüdische Aufklärung. Dieser Schlag wirkte sich besonders verheerend aus,
weil der Antisemitismus gerade in der Zeit zunahm, als sich die Juden in
einigen europäischen Ländern emanzipierten, noch bevor sie in anderen
Ländern befreit wurden. Die Juden des österreichischen Kaiserreiches
erlangten die volle Gleichberechtigung erst im Jahre 1867. In
Deutschland emanzipierten einige unabhängige Staaten die Juden schon
früher, andere aber nicht. Besonders Preußen sträubte sich in dieser
Angelegenheit. Eine vollständige Gleichberechtigung der Juden im ganzen
Deutschen Reich gewährte erst Bismarck im Jahre 1871. Im Osmanischen
Reich unterlagen die Juden einer offiziellen Diskriminierung bis 1909
und in Rußland (sowie Rumänien) bis 1917. Somit entstand der moderne
Antisemitismus innerhalb des Jahrzehnts der jüdischen Emanzipierung in
Mitteleuropa und lange vor der Emanzipation der größten jüdischen
Gemeinde jener Zeit, nämlich der des zaristischen Reiches.
Deshalb fällt es
den Zionisten leicht, die Hälfte der relevanten Tatsachen zu ignorieren,
zur Rassentrennung des klassischen Judaismus zurückzukehren und zu
behaupten, daß wegen des Hasses der Nichtjuden und der Verfolgung aller
Juden die einzige Lösung darin bestehe, alle Juden umzusiedeln und sie
in Palästina oder Uganda oder sonstwo zu konzentrieren. Einige frühe
jüdische Kritiker des Zionismus wiesen schnell darauf hin, wenn man eine
dauernde und ahistorische Unverträglichkeit zwischen Juden und
Nichtjuden unterstelle (eine Annahme, die sowohl Zionisten und
Antisemiten teilen!), dann würde die Konzentration der Juden an einem
Ort einfach den Haß der Nichtjuden in diesem Teil der Welt hervorrufen
(was tatsächlich auch geschah, wenn auch aus anderen Gründen). Soweit
ich weiß, hinterließ dieses logische Argument keinen Eindruck, wie eben
sämtliche logischen und auf Tatsachen beruhenden Einwände gegen den
Mythos der "jüdischen Rasse" für Antisemiten völlig bedeutungslos sind.
In der Tat gab es
schon immer enge Beziehungen zwischen Zionisten und Antisemiten. Wie
einige der europäischen Konservativen, so dachten auch die Zionisten,
sie könnten den "dämonischen" Charakter des Antisemitismus ignorieren
und sich der Antisemiten für eigene Zwecke bedienen. Viele Beispiele
solcher Allianzen sind gut bekannt. Herzl verbündete sich mit dem
berüchtigten Grafen Plewe, dem antisemitischen Minister von Zar Nikolaus
II. Jabotinsky schloß einen Pakt mit Petljura, dem reaktionären
ukrainischen Führer, dessen Truppen etwa 100 000 Juden in den Jahren
1918 bis 1920 massakrierten. Zu Ben Gurions Verbündeten aus der
französischen extremen Rechten während des Algerienkrieges gehörten
einige bekannte Antisemiten, die jedoch vorsichtigerweise erklärten, daß
sie lediglich etwas gegen die Juden in Frankreich und nicht in Israel
hätten.
Das vielleicht
erschreckendste Beispiel hierfür ist die Freude, mit der einige
zionistische Führer Hitlers Machtantritt begrüßten, da sie seinen
Glauben an den Primat der "Rasse" und seine Feindschaft gegen die
Judenintegration teilten. Sie gratulierten Hitler zu seinem Triumph über
den gemeinsamen Feind, nämlich die Kräfte des Liberalismus. Dr. Joachim
Prinz, ein zionistischer Rabbiner, der später in die USA emigrierte, wo
er Vizepräsident des Jüdischen Weltkongresses und eine führende Kraft in
der Zionistischen Weltorganisation (sowie zu einem guten Freund von
Golda Meir) wurde, veröffentlichte 1934 ein Buch mit dem Titel Wir
Juden, in dem er Hitlers sogenannte Deutsche Revolution und die
Niederlage des Liberalismus feiert:
Was die deutsche
Revolution für die deutsche Nation bedeutet, wird letztlich nur
demjenigen offenbar, der sie selbst getragen und gestaltet hat. Was sie
für uns bedeutet, muß hier gesagt werden:
Die Chance des
Liberalismus ist verspielt. Die einzige politische Lebensform, die die
Assimilation des Judentums zu fördern gewillt war, ist untergegangen.
Nach dem Sieg des
Nationalsozialismus waren Assimilierung und Mischehe als Option für die
Juden nicht mehr möglich. "Wir sind darüber nicht unglücklich", so Dr.
Prinz. In dem Umstand, daß Juden gezwungen waren, sich als Juden zu
identifizieren, sieht er "die Erfüllung unserer Wünsche". Und weiter:
Wir wünschen an
die Stelle der Assimilation das Neue gesetzt: das Bekenntnis zur
jüdischen Nation und zur jüdischen Rasse. Ein Staat, der aufgebaut ist
auf dem Prinzip der Reinheit von Nation und Rasse, kann nur vor dem
Juden Achtung und Respekt haben, der sich zur eigenen Art bekennt.
Nirgendwo kann er in diesem Bekenntnis mangelnde Loyalität dem Staate
gegenüber erblicken. Er kann keine anderen Juden wollen, als die Juden
des klaren Bekenntnisses zum eigenen Volk. Er kann keine
liebedienerischen, kriecherischen Juden wollen. Er muß von uns das
Bekenntnis zur eigenen Art fordern. Denn nur jemand, der eigene Art und
eigenes Blut achtet, wird den Respekt vor dem nationalen Wollen anderer
Nationen haben können.
Das ganze Buch
wimmelt von ähnlich groben Anbiederungen an die Ideologie des
Nationalsozialismus, von Schadenfreude über die Niederlage des
Liberalismus und insbesondere die Ideen der französischen Revolution und
der großen Hoffnung, daß in der kongenialen Atmosphäre des Mythos der
arischen Rasse ebenso der Zionismus und der Mythos der jüdischen Rasse
gedeihen werden.
Wie viele andere
frühe Sympathisanten und Verbündeten des Nationalsozialismus ahnte Dr.
Prinz nicht, wohin die Bewegung (und der moderne Antisemitismus im
allgemeinen) führte. Desgleichen machen sich heute viele Menschen nicht
klar, welchen Weg der Zionismus - die Bewegung, in der Dr. Prinz ein
angesehenes Mitglied war - geht: Man kehrt zum alten Haß des klassischen
Judentums gegenüber den Nichtjuden und zu ihrer Diskriminierung zurück
und mißbraucht geschichtsklitternd die historischen Judenverfolgungen
zur Rechtfertigung der zionistischen Verfolgung der Palästinenser.
So unsinnig es
auch klingen mag, bei näherer Untersuchung der wahren Motive der
Zionisten zeigt sich klar eine der tiefsten ideologischen Quellen für
die dauernde Feindschaft des zionistischen Establishments gegenüber den
Palästinensern. Viele osteuropäische Juden setzen sie nämlich mit den
aufständischen osteuropäischen Bauern gleich, die am
Chmjelnizki-Aufstand und an ähnlichem Aufbegehren teilnahmen, wobei
wiederum letztere in eine ahistorische Verbindung mit modernem
Antisemitismus und Nationalsozialismus gebracht werden.
Konfrontation mit der Vergangenheit
Alle Juden, die
sich wirklich aus der Tyrannei der totalitären jüdischen Vergangenheit
lösen wollen, müssen sich die Frage nach ihrer Haltung gegenüber den
gängigen antijüdischen Manifestationen der Vergangenheit und
insbesondere nach denen im Zusammenhang mit den Aufständen der
leibeigenen Bauern gefallen lassen. Auf der anderen Seite nehmen alle
Apologeten der jüdischen Religion sowie der jüdischen Rassentrennung und
des Chauvinismus letztendlich in allen Debatten eine feste Haltung in
dieser Angelegenheit ein. Die unstrittige Tatsache, daß die bäuerlichen
Revolutionäre schreckliche Untaten gegen die Juden (sowie gegen ihre
anderen Unterdrücker) begingen, benutzen diese Apologeten ebenso als
"Argument" wie den palästinensischen Terror, um die Ablehnung einer
gerechten Behandlung der Palästinenser zu begründen.
Unsere Antwort muß
allumfassend sein und prinzipiell für alle vergleichbaren Fälle gelten.
Und einem Juden, der sich wirklich von jüdischem Partikularismus und
Rassismus und von den unveräußerlichen Bestandteilen der jüdischen
Religion trennen will, fällt solch eine Antwort nicht allzu schwer.
Aufstände
unterdrückter Bauern gegen ihre Herren und die Verwalter ihrer Herren
treten in der menschlichen Geschichte häufig auf. Eine Generation nach
der Erhebung der ukrainischen Bauern unter Chmjelnizki rebellierten die
russischen Bauern unter Stjepan Rasin und 100 Jahre später erneut unter
Pugatschow. In Deutschland gab es den Bauernkrieg von 1525, in
Frankreich die Jacquerie 1357/58, dazu viele andere Volkserhebungen,
nicht zu erwähnen die Sklavenaufstände in allen Teilen der Welt. Viele
von ihnen wurden von schrecklichen Massakern begleitet, wie auch die
Große Französische Revolution nicht von entsetzlichem Terror zu trennen
ist. Dabei habe ich absichtlich Beispiele gewählt, in denen die Juden
nicht die Opfer waren.
Welche Stellung
beziehen nun echte progressive und bislang die meisten normalen und
gutausgebildeten Menschen, seien es Russen, Deutsche oder Franzosen,
hinsichtlich dieser Aufstände? Verurteilen seriöse englische Historiker
die (von ihnen nur selten erwähnten) Massaker an Engländern durch
rebellische irische Bauern, die sich ihrer Versklavung widersetzten, als
"antienglischen Rassismus"? Welche Haltung nimmt ein progressiver
französische Historiker gegenüber dem großen Sklavenaufstand in Santo
Domingo ein, bei dem viele französische Frauen und Kinder abgeschlachtet
wurden? Die Frage zu stellen, heißt, sie zu beantworten. Stellt man
jedoch eine ähnliche Frage vielen "progressiven" oder sogar
"sozialistischen" Kreisen, erhält man eine andere Antwort. Hier gerät
ein versklavter Bauer zu einem rassistischen Monster, falls die Juden
von seiner Versklavung und Ausbeutung profitieren.
Die Maxime, daß
sich bei denjenigen, die aus der Geschichte nicht lernen, diese
wiederholt, gilt auch für die Juden, die sich weigern, sich mit der
jüdischen Vergangenheit auseinanderzusetzen. Sie sind zu ihren Sklaven
geworden und wiederholen alle Fehler in der zionistischen und
israelischen Politik. Gegenüber den unterdrückten Bauern vieler Länder,
und zwar nicht nur im Nahen Osten, sondern auch weit darüber hinaus,
spielt der Staat Israel eine ähnliche Rolle wie die Juden in Polen vor
1795, nämlich die eines Verwalters des imperialistischen Unterdrückers.
Es ist bezeichnend und lehrreich, daß die hauptsächlich durch Israel
erfolgte Bewaffnung der Truppen des Somoza-Regimes in Nikaragua und
anderer Regimes in Guatemala, El Salvador, Chile und anderswo keine
breite öffentliche Debatte in Israel oder unter den organisierten
jüdischen Gemeinden in der Diaspora auslöste. Sogar die enger gezogene
Frage der Zweckdienlichkeit, ob nämlich der Verkauf von Waffen an
diktatorische Schlächter von Freiheitskämpfern und Bauern im
langfristigen Interesse Israels liegt, wird selten gestellt. Von noch
größerer Bedeutung sind jedoch die in dieses Geschäft verwickelten
religiösen Juden und das totale Schweigen ihrer Rabbiner (die allerdings
zur Anstachelung von Haß gegen die Araber laut ihre Stimme erheben). Es
scheint, daß Israel und der Zionismus in die Rolle des klassischen
Judaismus zurückgefallen sind, und zwar weltweit und unter
gefährlicheren Umständen.
Die einzig
mögliche Lösung dieser Problemen liegt (vor allen Dingen für die Juden)
in den Antworten, die alle echten Anwälte der Freiheit und Humanität
aller Länder und aller Völker und die großen Philosophen gegeben haben,
auch wenn sie manchmal aufgrund der menschlichen Natur unzulänglich
sind. Wir müssen uns der jüdischen Vergangenheit stellen und den
Entartungen entgegentreten, deren Ursachen in der Verfälschung dieser
Vergangenheit und in ihrer Verehrung zu suchen sind. Die Voraussetzungen
hierzu sind erstens eine absolute Ehrlichkeit hinsichtlich der Fakten
und zweitens der Glaube (der nach Möglichkeit immer im Handeln münden
muß) an universelle humane Prinzipien der Ethik und der Politik.
Der von Voltaire
so bewunderte chinesische Weise Meng-dse (4. Jahrhundert vor Christus)
schrieb einmal:
Darum sage ich,
daß alle Menschen Mitgefühl besitzen. Hier ist ein Mann, der plötzlich
bemerkt, daß ein Kind im Begriff, ist in einen Brunnen zu fallen. Immer
wird er dabei ein Gefühl der Bestürzung und des Mitleids haben, und zwar
nicht zu dem Zwecke, die Gunst der Eltern des Kindes zu gewinnen oder
den Applaus der Nachbarn und Freunde zu erheischen oder aus Angst vor
Beschuldigungen, falls er es nicht rettet. Wir sehen also, daß kein
Mensch ohne Mitleid oder Scham oder Höflichkeit oder ein Gefühl für
richtig und falsch ist. Das Mitgefühl ist der Ursprung der Humanität,
das Schamgefühl der Ursprung der Aufrichtigkeit, die Höflichkeit der
Ursprung des Anstands und das Gefühl für Recht und Unrecht der Ursprung
der Weisheit. Jeder Mensch hat in sich diese vier Ursprünge genauso, wie
er vier Glieder hat. Da jedermann diese vier Ursprünge in sich hat,
zerstört sich der Mensch selbst, der von sich glaubt, er sei nicht in
der Lage, diese zu üben.
Wir haben oben
gesehen und werden es im nächsten Kapitel noch ausführlicher erfahren,
wie weit entfernt davon die Gebote sind, mit denen die jüdische Religion
in ihrer klassischen und talmudischen Form den Geist und das Herz
vergiften.
Der Weg zu einer
echten Revolution des Judaismus besteht daher in einer unerbittlichen
Kritik an der jüdischen Religion. Sie macht ihn menschlicher, hilft den
Juden, ihre eigene Vergangenheit zu verstehen, und ist eine
Selbstbefreiung aus ihrer Tyrannei.
Sprechen wir uns
unparteiisch gegen das aus, was zu unserer Vergangenheit gehört, genau
so, wie Voltaire es gegen die seinige tat:
Écrasez l'infâme!
E/
Gesetze gegen Nichtjuden
Wie schon im
Kapitel III ("III Orthodoxie und Interpretation") erläutert, ist der
babylonische Talmud die wichtigste Grundlage der Halacha, das
Rechtssystem des klassischen Judaismus, wie es von nahezu allen Juden
seit dem 9. Jahrhundert bis zum Ende des 18. Jahrhunderts praktiziert
wurde und bis heute in der Form des orthodoxen Judentums weiterbesteht.
Wegen der schwerfälligen Komplexität der rechtlichen im Talmud
aufgezeichneten Dispute wurden handlichere Kodifizierungen des
talmudischen Gesetzes erforderlich und in der Tat von den nachfolgenden
Generationen rabbinischer Gelehrter ausgearbeitet. Einige von diesen
haben große Autorität erlangt und finden allgemeine Anwendung. Aus
diesen Gründen wollen wir uns hauptsächlich auf diese Sammlungen (und
auf die anerkannten Kommentare) und weniger direkt auf den Talmud
beziehen. Dabei ist die Annahme richtig, daß die angeführte Sammlung
genau die Bedeutung des talmudischen Textes und die Zusätze wiedergibt,
die spätere Gelehrte aufgrund dieser Bedeutung hinzufügten.
Der früheste und
noch heute sehr wichtige Kodex des talmudischen Gesetzes ist die von
Moses Maimonides im späten 12. Jahrhundert geschriebene Mischne Tora.
Der bis in unsere Zeit als Handbuch verwendete Kodex mit der höchsten
Autorität ist der Schulchan Aruch, herausgegeben im späten 16.
Jahrhundert von R. Josef Karo als volkstümliche Kurzfassung seines
voluminöseren Werkes Bet Jossef, das für die Experten unter den
Gelehrten vorgesehen war. Der Schulchan Aruch ist häufig kommentiert
worden. Neben den klassischen Kommentaren aus dem 17. Jahrhundert gibt
es einen wichtigen Kommentar des 20. Jahrhunderts, nämlich die Mischna
Berura. Schließlich ist die Talmudische Enzyklopädie, ein modernes in
Israel in den fünfziger Jahren erschienenes und von den größten
orthodoxen rabbinischen Gelehrten des Landes herausgegebenes Sammelwerk,
ein gutes Kompendium der gesamten talmudischen Literatur.
Mord und
Völkermord
Nach der jüdischen
Religion ist der Mord an einem Juden ein Kapitalverbrechen und eine der
drei schwersten Sünden (die beiden anderen sind Götzenanbetung und
Unkeuschheit). Jüdische religiöse Gerichte und weltliche Autoritäten
müssen jeden, der sich des Mordes an einem Juden schuldig gemacht hat,
bestrafen, auch über die Grenzen der normalen Rechtsprechung hinaus. Ein
Jude, der den Tod eines anderen Juden indirekt verursacht, verstößt
jedoch nur gegen das, was das talmudische Gesetz eine Sünde gegen die
"Gesetze des Himmels" nennt, und ist von Gott und nicht von den Menschen
zu bestrafen.
Die Sache sieht
ganz anders aus, wenn es sich bei dem Opfer um einen Nichtjuden handelt.
Ein Jude, der einen Nichtjuden ermordet, begeht nur eine Sünde gegen die
Gesetze des Himmels und kann deshalb nicht von einem Gericht bestraft
werden. Verursacht er indirekt den Tod eines Nichtjuden, so hat er
überhaupt keine Sünde begangen.
Daher meint einer
der drei bedeutendsten Kommentatoren des Schulchan Aruch, daß man gegen
einen Nichtjuden "nicht den Arm heben darf, um ihm ein Leid zuzufügen.
Man darf ihm jedoch indirekt Schaden zufügen, indem man z.B. eine Leiter
wegnimmt, nachdem er in einen Felsspalt gefallen ist ... hier gibt es
kein Verbot, da es nicht direkt geschah". Er weist jedoch darauf hin,
daß eine Handlung, die direkt zum Tod eines Nichtjuden führt, immer dann
verboten ist, wenn sie Feindschaft gegenüber Juden schürt.
Ein nichtjüdischer
Mörder, der zufällig unter die jüdische Rechtsprechung fällt, ist immer
hinzurichten, gleichgültig, ob das Opfer Jude war oder nicht. Handelte
es sich jedoch beim Opfer um einen Nichtjuden und tritt der Mörder zum
Judaismus über, so erfolgt keine Bestrafung.
All dies hat einen
direkten und praktischen Bezug zu den Realitäten im Staate Israel. Die
Strafgesetze des Staates unterscheiden nicht zwischen Juden und
Nichtjuden, wohl aber bestimmte orthodoxe Rabbiner, die ihre Gläubigen
nach der Halacha führen. Von besonderer Bedeutung ist der Beistand, den
sie ihren religiösen Soldaten gewähren.
Da aber das wenig
strikte Verbot der Ermordung von Nichtjuden nur für "Nichtjuden, mit
denen wir [die Juden] keinen Krieg führen" gilt, zogen verschiedene
rabbinische Kommentatoren früher den logischen Schluß, daß im Krieg alle
Nichtjuden, die zu einer feindlichen Bevölkerung gehören, getötet werden
können oder sogar müssen. Seit 1973 wird diese Lehrmeinung bei der
Unterweisung religiöser israelischer Soldaten öffentlich propagiert.
Eine erste solche offizielle Aufforderung enthielt ein Büchlein, das die
Zentrale Regionale Kommandatur der israelischen Armee veröffentlichen,
zu deren Gebiet das besetzte Westjordanland gehört. In diesem Büchlein
schreibt der Heeres-Oberrabbiner:
Wenn unsere
Streitkräfte während eines Krieges oder bei einer Verfolgung oder bei
einem Angriff Zivilisten antreffen und es nicht sicher ist, ob diese
unsere Streitkräfte schädigen können, so können und müssen sie gemäß der
Halacha getötet werden... Unter keinen Umständen ist einem Araber zu
trauen, auch wenn er den Eindruck eines zivilisierten Menschen
erweckt... wenn unsere Streitkräfte im Krieg gegen den Feind vorgehen,
dürfen sie nicht nur, sondern müssen sogar nach der Halacha auch
harmlose Zivilisten töten, d.h. auch Zivilisten, deren Harmlosigkeit von
vornherein feststeht.
Dieselbe
Lehrmeinung vertritt ein Rabbiner gegenüber einem jungen israelischen
Soldaten in einem Briefwechsel, der im Jahrbuch einer der
renommiertesten religiösen Hochschulen des Landes, Midraschijatt Noam,
veröffentlicht wurde, in der viele Führer und Aktivisten der nationalen
religiösen Partei und des Gusch Emunim ausgebildet wurden.
Brief
des Soldaten Mosche an den Rabbi Schimon Weiser
Mit Gottes Hilfe,
an Euer Gnaden, mein geehrter Rabbi,
zunächst einmal
möchte ich fragen, wie es Ihnen und Ihrer Familie geht. Ich hoffe gut.
Auch mir geht es dank Gottes Hilfe gut. Ich habe schon eine lange Zeit
nicht geschrieben. Vergeben Sie mir deshalb. Manchmal erinnere ich mich
des Verses "Wann soll ich kommen und vor Gott erscheinen?" Ich hoffe,
bin aber nicht sicher, daß ich an einem meiner Urlaubstage kommen kann.
Ich muß.
Bei einer
Diskussion in unserer Gruppe ging es um die "Unbeflecktheit der Waffen".
Wir diskutierten, ob es erlaubt sei, unbewaffnete Menschen oder Frauen
und Kinder zu töten. Oder ob wir Rache an den Arabern nehmen sollten?
Als dann jeder nach seinem Verständnis der Dinge antwortete, konnte ich
keine klare Entscheidung fällen, ob die Araber wie die Amalekiter zu
behandeln seien, d.h. ob es erlaubt sei, sie zu ermorden [sic!], bis es
an sie unter dem Himmel keine Erinnerung mehr gibt,oder ob man
vielleicht so wie in einem gerechten Krieg verfahren soll, in dem nur
die Soldaten getötet werden?
Ein zweites
Problem, das ich habe, besteht darin, ob ich mich selbst in Gefahr
bringen darf, indem ich eine Frau am Leben lasse? Es hat nämlich Fälle
gegeben, in denen Frauen Handgranaten warfen. Oder darf ich Wasser einem
Araber geben, der seine Hände erhebt, wenn es guten Grund für die Furcht
gibt, daß er mich nur täuschen und umbringen will? Solche Dinge sind
geschehen.
Ich schließe mit
einem herzlichen Gruß an den Rabbi und seine gesamte Familie.-
Mosche.
Antwort von R.
Schimon Weiser an Mosche
Mit der Hilfe des
Himmels. Lieber Mosche, viele Grüße.
Ich begann diesen
Brief heute abend, obwohl ich weiß, daß ich ihn heute abend nicht
beenden kann, da ich sehr beschäftigt bin und ich gerne einen längeren
Brief schreiben würde, um Deine Fragen ausführlich zu beantworten. Aus
diesem Grunde muß ich abschreiben und auslegen einige Worte unserer
Weisen seligen Angedenkens.
Die nichtjüdischen
Nationen verfahren nach der Regel, daß Krieg seine eigenen Regeln hat,
ähnlich wie Fußball oder ein Basketballspiel. Nach den Worten unserer
Weisen seligen Angedenkens [...] ist für uns Krieg kein Spiel, sondern
eine Lebensnotwendigkeit. Wir dürfen nur nach diesem Maßstab
entscheiden, wie wir den Krieg zu führen haben.
Einerseits [...]
lernen wir anscheinend, daß, wenn ein Jude einen Nichtjuden ermordet, er
als Mörder zu betrachten ist und - abgesehen davon, daß kein Gericht das
Recht zu einer Bestrafung hat - wiegt die Tat genauso schwer wie jeder
andere Mord. Bei denselben Autoritäten [...] lesen wir aber auch, daß
Rabbi Schimon zu sagen pflegte: "Der Beste der Nichtjuden - töte ihn;
die Beste der Schlangen - zertritt ihr den Kopf."
Man könnte
vielleicht einwenden, daß der Ausdruck "töten" in den Worten von R.
Schimon nur bildlich gemeint ist und nicht wörtlich, sondern in der
Bedeutung "unterdrücken" oder ähnlich verstanden werden kann. Somit
vermeiden wir einen Widerspruch mit den früher zitierten Autoritäten.
Man könnte auch meinen, daß diese Worte, obwohl sie wörtlich gemeint
sind, [nur] seine eigene persönliche Meinung wiedergeben, die von
anderen [früher zitierten] Weisen bestritten wurden. Ihre richtige
Erläuterung finden wir jedoch in den Tossafot . Hier [...] lesen wir
folgenden Kommentar zu der talmudischen Aussage, daß man Nichtjuden, die
in einen Brunnen fallen, nicht heraushelfen soll, aber auch nicht
reinstoßen darf, um sie zu töten. Das bedeutet, daß man sie weder vor
Todesgefahr schützen noch direkt töten darf. In den Tossafot steht
folgendes: "Und wenn man es in Frage stellt, [da] an anderer Stelle
gesagt wurde der beste der Nichtjuden - töte ihn, dann lautet die
Antwort, daß dieses [Wort] auf Kriegszeiten gemünzt ist." [...]
Nach den
Kommentatoren der Tossafot muß man unterscheiden zwischen Krieg und
Frieden. In Zeiten des Friedens darf man zwar keinen Nichtjuden töten,
in Kriegszeiten ist es jedoch eine Mizwa [zwingend vorgeschriebene
religiöse Pflicht], sie umzubringen. [...]
Und dies ist der
Unterschied zwischen einem Juden und einem Nichtjuden: Obgleich die
Regel "Wer auch immer dich töten will, den töte zuerst" für einen Juden
gilt, wie es geschrieben steht im Traktat Sanhedrin [des Talmuds] auf
Seite 72a; es gilt für ihn jedoch nur, wenn er einen [echten] Grund zu
der Furcht hat, daß man ihn töten will. Bei einem Nichtjuden im Krieg
nimmt man dies in der Regel an, außer, wenn es klar auf der Hand liegt,
daß er keine bösen Absichten hegt. Dies ist die Vorschrift der
"Unbeflecktheit der Waffen" nach der Halacha und nicht die allgemeine
Auffassung, die jetzt in der israelischen Armee herrscht und der Grund
für viele [jüdische] Opfer ist. Ich lege bei einen Ausschnitt aus einer
Zeitung mit der letzte Woche in der Knesset vom Rabbi Kalman Kahana
gehaltenen Rede, die sehr lebensnah und auch schmerzlich zeigt, wie
diese "Unbeflecktheit der Waffen" Opfer gefordert hat.
Ich schließe hier
in der Hoffnung, daß Du den Brief wegen seiner Länge nicht langweilig
findest. Dieses Thema wurde erörtert auch ohne Deinen Brief. Dein Brief
hat mich aber veranlaßt, die ganze Angelegenheit aufzuschreiben.
Friede sei mit Dir
und allen Juden, und [hoffentlich] sehe ich Dich bald, so wie Du es
sagst. Grüße -
Schimon.
Antwort von Mosche
an R. Schimon Weiser
An Seine Gnaden,
mein lieber Rabbi,
zunächst einmal
hoffe ich, daß Sie und Ihre Familie bei Gesundheit sind und daß es Ihnen
gut geht.
Ich habe Ihren
langen Brief erhalten und danke Ihnen für Ihre persönliche Fürsorge,
denn ich nehme an, daß Sie an viele Menschen schreiben müssen und Sie
die meiste Zeit für Ihre eigenen Studien brauchen.
Deshalb ist mein
Dank von doppelter Herzlichkeit.
Was den Brief
betrifft, so habe ich ihn wie folgt verstanden:
In Kriegszeiten
habe ich nicht nur die Erlaubnis, sondern sogar die Pflicht, jeden
arabischen Mann und jede arabische Frau, den oder die ich treffe, zu
töten, wenn Grund zu der Annahme besteht, daß sie am Krieg gegen uns
direkt oder indirekt beteiligt sind. Und was mich angeht, so habe ich
sie getötet, auch wenn ich damit möglicherweise gegen das Kriegsrecht
verstoßen habe. Ich meine, daß die Frage der Unbeflecktheit der Waffen
bei den mit der Erziehung befaßten Institutionen, zumindest den
religiösen, vorzubringen ist, damit sie Stellung zu diesem Thema
beziehen und sich nicht auf dem großen Gebiet der "Logik" verlieren, und
zwar besonders bei diesem Thema. Diese Vorschrift muß erläutert werden,
damit man weiß, wie sie in der Praxis zu befolgen ist. Ich bedaure,
sagen zu müssen, daß ich verschiedene Arten der "Logik" sogar hie und da
bei meinen religiösen Kameraden festgestellt habe. Ich hoffe, daß Sie in
dieser Angelegenheit aktiv werden, damit unsere Jungs eine klare und
unzweideutige Vorstellung über die Haltung ihrer Vorfahren erhalten.
Ich schließe hier
in der Hoffnung, daß, wenn der Schulungskurs in etwa einem Monat endet,
ich in der Lage sein werde, die Jeschiwa [Talmudhochschule] zu besuchen.
Grüße - Mosche.
Diese Doktrin der
Halacha in Bezug auf Mord steht prinzipiell nicht nur im Gegensatz zu
den Strafgesetzen in Israel, sondern auch, wie in den zitierten Briefen
erwähnt, zu den offiziellen militärischen Vorschriften. Es kann jedoch
nur wenig Zweifel darüber geben, daß in der Praxis diese Doktrin einen
Einfluß auf die Justizverwaltung ausübt, besonders durch die
Miltärbehörden. In allen Fällen, in denen Juden bei militärischen oder
paramilitärischen Maßnahmen arabische Nichtkombattanten ermordeten (wie
etwa im Falle des Massenmords in Kafr Kassim im Jahre 1956), erhielten
die Mörder, wenn sie nicht völlig unbehelligt blieben, in der Tat nur
extrem geringe Strafen oder weitreichende Straferlässe, was schon fast
an Freispruch grenzte.
Rettung
von Leben
Die höchste
Bestimmung des menschlichen Lebens und die Pflicht eines jeden Menschen,
sein Äußerstes zu tun, um das Leben eines Mitmenschen zu retten, ist
natürlich ein Thema von größter Bedeutung. Es ist auch von besonderem
Interesse im Zusammenhang mit jüdischen Angelegenheiten angesichts der
Tatsache, daß die jüdische öffentliche Meinung - manchmal zu Recht,
manchmal zu Unrecht - seit dem Zweiten Weltkrieg "die ganze Welt" oder
zumindestens Europa beschuldigt hat, tatenlos zugesehen zu haben, wie
die Juden ermordet wurden. Wir wollen deshalb einmal nachprüfen, was die
Halacha dazu zu sagen hat.
Die Halacha
erklärt es zur höchsten Pflicht, das Leben eines Mitjuden zu retten. Sie
setzt dazu alle anderen religiösen Pflichten und Verbote außer Kraft,
sofern sie nicht die drei schwersten Sünden Ehebruch (einschließlich
Inzest), Mord und Götzenanbetung betreffen.
In Bezug auf die
Nichtjuden gilt das talmudische Grundprinzip, daß deren Leben nicht
gerettet werden darf, obwohl es verboten ist, sie direkt zu töten. Im
Talmud selbst lautet diese Maxime wie folgt: "Nichtjuden darf man weder
[aus einem Brunnen] herausheben noch [in einen Brunnen] hineinstoßen."
Maimonides sagt:
Was die Nichtjuden
betrifft, mit denen wir nicht im Krieg stehen, ... so darf ihr Tod nicht
herbeigeführt werden. Es ist jedoch verboten, sie zu retten, wenn sie
sich in Todesgefahr befinden. Wenn man z.B. sieht, daß einer von ihnen
in einen See fällt, sollte er nicht gerettet werden, denn es steht
geschrieben: "Auch sollst du nicht das Blut deiner Mitmenschen
vergießen", aber [ein Nichtjude] ist nicht dein Mitmensch.
Insbesondere darf
ein jüdischer Arzt keinen nichtjüdischen Patienten behandeln. Maimonides,
selbst ein berühmter Arzt, drückt sich ziemlich klar aus: In einem
weiteren Absatz wiederholt er die Unterscheidung zwischen "deinem
Mitmenschen" und einem Nichtjuden und schließt: "Und daraus sollt ihr
lernen, daß es verboten ist, einen Nichtjuden sogar gegen Bezahlung zu
heilen..."
Die
offensichtliche Weigerung eines Juden, insbesondere eines jüdischen
Arztes, das Leben eines Nichtjuden zu retten, kann die Gegnerschaft
mächtiger Nichtjuden herausfordern und so Juden in Gefahr bringen.
Besteht eine solche Gefahr, so hat die Pflicht zu ihrer Vermeidung
Vorrang vor dem Verbot, den Nichtjuden zu helfen. In diesem Sinne fährt
Maimonides fort: "Aber wenn Du seine oder ihre Feindschaft fürchtest, so
heile ihn oder sie gegen Bezahlung, weil es verboten ist, dies ohne
Bezahlung zu tun." In der Tat war Maimonides selbst Saladins Leibarzt.
Seine strikte Forderung nach Bezahlung, möglicherweise um
sicherzustellen, daß dies nicht aus Mitleid, sondern als unvermeidbare
Pflicht erfolgt, ist jedoch nicht absolut. An einer anderen Stelle
erlaubt er nämlich die Behandlung von Nichtjuden, wenn deren Feindschaft
zu befürchten ist, "auch gratis, wenn dies sich nicht vermeiden läßt".
Die ganze Doktrin, nämlich das Verbot der Lebensrettung eines Nichtjuden
oder seiner Heilung sowie die Aufhebung dieses Verbots in den Fällen, in
denen Feindschaft zu fürchten ist, findet sich (nahezu wörtlich) auch
bei anderen bedeutenden Autoritäten wie dem Arba-ah Turim aus dem 14.
Jahrhundert und in Karos Bet Jossef sowie in seinem Schulchan Aruch.
Unter Berufung auf Maimonides ergänzt der Bet Jossef : "Und es ist
erlaubt, ein Medikament bei einem Heiden auszuprobieren, wenn dies
zweckmäßig ist." Auch diese Aussage findet sich bei dem bekannten R.
Moses Isserles.
Bei den
halachischen Autoritäten besteht Übereinstimmung, daß die Bezeichnung
"gojim" in obiger Lehrmeinung für alle Nichtjuden gilt. Eine einsame
andere Meinung vertritt R. Moses Rivkes, Autor eines kleineren
Kommentars zum Schulchan Aruch. Er schreibt:
Unsere Weisen
sagen dies nur über Heiden, die zu ihrer Zeit Götzen anbeteten und nicht
an den Auszug der Juden aus Ägypten oder an die Erschaffung der Welt ex
nihilo glaubten. Doch die Nichtjuden, in deren [schützendem] Schatten
wir, das Volk Israel, im Exil verstreut leben, glauben an die
Erschaffung der Welt ex nihilo und an den Auszug aus Ägypten und an
viele Prinzipien unserer eigenen Religion und beten zu dem Schöpfer des
Himmels und der Erden... Es gibt nicht nur kein Verbot, ihnen zu helfen,
wir haben sogar die Pflicht, für ihr Wohlergehen zu beten.
Dieser Passus aus
der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ist ein beliebtes Zitat der
apologetischen Gelehrten. In der Tat geht es nicht so weit, wie die
Apologeten vorgeben, denn es befürwortet eine Aufhebung des Verbots, das
Leben eines Nichtjuden zu retten, macht es aber nicht zur Pflicht wie im
Falle eines Juden. Und auch diese Großzügigkeit erstreckt sich nur auf
Christen und Moslems, nicht auf die Mehrheit der Menschen. Vielmehr
zeigt es nur, daß es eine Möglichkeit gab, wie die strenge Doktrin der
Halacha nach und nach gelockert werden könnte. Es bleibt jedoch eine
Tatsache, daß die Mehrheit der späteren halachischen Autoritäten weit
davon entfernt war, Rivkes' Humanität auf andere Teile der Menschheit
auszudehnen; alle haben sie sich von dieser Großherzigkeit distanziert.
Entheiligung des Sabbats zur Lebensrettung
Die Entheiligung
des Sabbats, d.h. die Verrichtung von sonst verbotenen Arbeiten am
Sonnabend, wird zur Pflicht, wenn das Leben eines Juden bedroht ist.
Das Problem, das
Leben eines Nichtjuden am Sabbat zu retten, hat keine besondere
Bedeutung im Talmud, da dies auch sogar an einem Werktag verboten ist.
Es wird jedoch zu einem komplizierenden Faktor in zwei Zusammenhängen.
Zunächst einmal
gibt es das Problem einer gefährdeten Gruppe von Menschen. Möglich (aber
nicht sicher) dabei ist, daß sich ein Jude unter ihnen befindet. Sollte
also der Sabbat entheiligt werden, um sie zu retten? Solche Fälle werden
intensiv diskutiert. Nach früheren Autoritäten, einschließlich
Maimonides und dem Talmud selbst, entscheidet der Schulchan Aruch die
Angelegenheit nach dem Grad der Wahrscheinlichkeit. Angenommen, neun
Nichtjuden und ein Jude leben im selben Gebäude. Das Gebäude stürzt an
einem Sonnabend ein und einer der zehn - wer, ist nicht bekannt - fehlt,
während die anderen neun in den Trümmern verschüttet sind. Sollten die
Trümmer beseitigt und somit der Sabbat entheiligt werden, wenn man
annimmt, daß der Jude vielleicht nicht unter ihnen ist (er könnte
derjenige sein, der sich rettete)? Der Schulchan Aruch sagt, daß die
Trümmer beseitigt werden müßten, da die Wahrscheinlichkeit, daß sich der
Jude darunter befindet, sehr hoch ist (neun zu eins). Nehmen wir aber
einmal an, daß neun davonkamen und nur einer - auch hier weiß man nicht,
wer - eingeschlossen ist. In diesem Falle besteht nicht die Pflicht, die
Trümmer wegzuräumen, weil vermutlich in diesem Falle die
Wahrscheinlichkeit (neun zu eins) dagegen spricht, daß der Jude der
Verschüttete ist. Ein ähnlicher Fall: "Wenn man sieht, daß ein Boot mit
einigen Juden an Bord auf See in Gefahr ist, so haben alle die Pflicht,
den Sabbat zu ihrer Rettung zu entheiligen." Der große R. Akiba Eger
(gestorben 1837) schreibt hierzu, daß dies nur dann gelte, "wenn bekannt
ist, daß Juden an Bord sind. Aber ... wenn nichts über die Menschen an
Bord bekannt ist, darf [der Sabbat] nicht entheiligt werden, denn man
handelt nach [der Abwägung der Wahrscheinlichkeiten, und] die Mehrheit
der Menschen in der Welt sind Nichtjuden". Da sie aber gegenüber den
jüdischen Passagieren in der großen Überzahl sind, muß man sie ertrinken
lassen.
Zum zweiten ist
die Vorschrift, daß ein Nichtjude gerettet oder gepflegt werden darf, um
die Gefahr einer Feindschaft zu vermeiden, am Sabbat eingeschränkt. Ein
Jude, den man an einem Wochentag um Hilfe für einen Nichtjuden ersucht,
wird wohl dem Ruf folgen müssen. Gäbe er nämlich zu, daß er prinzipiell
das Leben eines Nichtjuden nicht retten dürfe, würde er Feindschaft
hervorrufen. An einem Sonnabend kann der Jude aber die Einhaltung des
Sabbats als plausible Ausrede benutzen. Ein ausführlich im Talmud
behandeltes Fallbeispiel ist das einer jüdischen Hebamme, die als
Geburtshelferin zu einer nichtjüdischen Frau gerufen wird. Das Fazit
besteht darin, daß die Hebamme aus "Furcht vor Feindschaft" an einem
Wochentag - aber nicht an einem Sabbat - helfen darf, da sie sich mit
folgenden Worten herausreden kann: "Wir dürfen den Sabbat nur für unsere
eigenen Leute, die den Sabbat einhalten, entheiligen. Wir dürfen ihn
aber nicht für ihre Leute, die nicht den Sabbat einhalten, entweihen."
Ist diese Erklärung ehrlich oder nur als Ausrede gemeint?
Maimonides gibt
deutlich zu verstehen, daß man diese Entschuldigung auch dann benutzen
kann, wenn die der Hebamme gestellte Aufgabe keine Entheiligung des
Sabbats nach sich zöge. Diese Ausrede wird dann vermutlich auch in
diesem Falle funktionieren, weil Nichtjuden in der Regel keine blasse
Ahnung davon haben, welche Arbeiten den Juden am Sabbat verboten sind.
Wie dem auch sei, er verfügt jedenfalls: "Einer nichtjüdischen Frau darf
bei der Entbindung an einem Sabbat nicht geholfen werden, auch nicht
gegen Bezahlung; man braucht keine Feindschaft zu fürchten, auch wenn
[durch solche Hilfe] der Sabbat nicht entheiligt wird." Der Schulchan
Aruch argumentiert ähnlich.
Auf diese Art von
Ausrede konnte man sich nicht immer verlassen, um jemanden zu täuschen
und Feindschaft der Nichtjuden zu vermeiden. Daher mußten einige
bedeutende rabbinische Autoritäten die Regeln in gewisser Weise lockern
und jüdischen Ärzten die Behandlung von Nichtjuden am Sabbat erlauben,
auch wenn hierzu eine bestimmte an jenem Tag normalerweise verbotene
Arbeit auszuführen war. Die teilweise Lockerung galt insbesondere
reichen und mächtigen nichtjüdischen Patienten, die sich nicht so leicht
abweisen ließen und deren Feindschaft eine Gefahr bedeuten könnte.
Somit bestimmte R.
Joel Serkes, Autor des Bajit chadasch und einer der größten Rabbiner
seiner Zeit (Polen 17. Jahrhundert), daß "Bürgermeister, der niedere
Adel und Aristokraten" am Sabbat aus Furcht vor deren Feindschaft, die
"einige Gefahren" berge, behandelt werden sollten. In anderen Fällen,
besonders dann, wenn sich die Nichtjuden mit einer Ausrede abwimmeln
ließen, begehe ein jüdischer Arzt "eine unerträgliche Sünde", wenn er
sie am Sabbat behandele. Später im selben Jahrhundert wurde ein
ähnliches Verdikt in der zu Frankreich gehörenden Stadt Metz erlassen,
deren beide Teile eine Schiffsbrücke verband. Juden hatten normalerweise
nicht die Erlaubnis, solch eine Brücke an einem Sabbat zu überqueren.
Der Rabbiner von Metz entschied jedoch, daß ein jüdischer Arzt hierzu
die Erlaubnis habe, "wenn er zum Generalgouverneur gerufen werde". Da
man von dem Arzt weiß, daß er die Brücke um seiner jüdischen Patienten
willen überquert, würde der Gouverneur eine feindliche Haltung
einnehmen, falls sich der Arzt weigere, es für ihn zu tun. Unter der
autoritären Herrschaft von Ludwig XIV. war es erklärtermaßen wichtig,
die Gunst seines Verwalters zu haben, die Gefühle niedrigerer Nichtjuden
waren dagegen von wenig Bedeutung.
Chochmat Schlomo,
ein Kommentar des Schulchan Aruch aus dem 19. Jahrhundert, wählt eine
ähnliche strikte Auslegung des Begriffs "Feindschaft" im Zusammenhang
mit den Karäern, einer kleinen häretischen Judensekte. Nach seiner Sicht
durfte deren Leben nicht gerettet werden, wenn dies eine Verletzung des
Sabbats zur Folge hatte, "denn 'Feindschaft' gilt nur für die Heiden,
die vielfach eine ablehnende Haltung gegen uns einnehmen und denen wir
ausgeliefert sind .. doch von den Karäern gibt es nur wenige, und wir
sind ihnen nicht ausgeliefert. Deshalb gilt die Furcht vor Feindschaft
bei ihnen überhaupt nicht". Wie wir noch sehen werden, hat das absolute
Verbot, den Sabbat zu entheiligen, um das Leben eines Karäers zu retten,
in der Tat noch heute Geltung. R. Mose Sofer, ein bekannter 1839 in
Preßburg verstorbener Rabbiner, behandelt das ganze Thema ausführlich in
seinen Responsen (besser bekannt als Chatam Sofer). Seine Ausführungen
sind von mehr als nur historischem Interesse, da im Jahre 1966 der
Oberrabbiner von Israel eine seiner Responsen öffentlich als
"Grundsatzung der Halacha" billigte. Die besondere von Sofer gestellte
Frage beschäftigte sich mit der Situation in der Türkei, wo während
einem der Kriege ein Erlaß galt, daß in jeder Stadt oder jedem Dorf
Hebammen verfügbar sein müßten, um einer in den Wehen liegenden Frau
beizustehen. Einige dieser Hebammen waren Jüdinnen. Sollten sie sich
verdingen, Nichtjüdinnen an Werktagen oder am Sabbat zu helfen?
In einem Responsum
zieht Sofer nach sorgfältiger Untersuchung die Schlußfolgerung, daß es
sich bei den betreffenden Nichtjuden, d.h. osmanischen Christen und
Moslems, nicht um Götzenanbeter handelt, "die unzweideutig andere Götter
anbeten und deshalb 'weder aus einem Brunnen herausgeholt noch in einen
hineingestoßen werden dürften'"; sie entsprächen seiner Meinung nach den
Amalekitern, so daß die talmudische Vorschrift "Es ist verboten, den
Samen der Amalekiter zu verbreiten" auf sie zutrifft. Deshalb dürfe man
ihnen prinzipiell an Wochentagen keine Hilfe zukommen lassen. In der
Praxis sei es jedoch "erlaubt", Nichtjuden zu heilen und Nichtjüdinnen
bei der Geburt zu helfen, wenn sie eigene Ärzte und Hebammen haben, die
statt der jüdischen gerufen werden könnten. Denn wenn jüdische Ärzte und
Hebammen sich weigerten, Nichtjuden beizustehen, wäre ein
Einkommensverlust die Folge, was natürlich unerwünscht ist. Dies gilt
gleichermaßen für Wochentage und für den Sabbat, vorausgesetzt, der
Sabbat wird nicht entweiht. Im letzteren Fall kann der Sabbat jedoch als
Ausrede dienen, um "die heidnischen Frauen irrezuführen und zu sagen,
daß der Sabbat dabei entheiligt werde".
Im Zusammenhang
mit Fällen, bei denen tatsächlich der Sabbat entheiligt wird,
unterscheidet Sofer wie andere Autoritäten zwischen zwei am Sabbat
verbotenen Kategorien von Arbeiten. Zunächst gibt es Arbeiten, die die
Tora (der biblische Text, soweit er vom Talmud interpretiert wird)
verbietet. Eine solche Arbeit darf nur in seltenen Ausnahmefällen
verrichtet werden, wenn andernfalls eine extreme Gefahr der Feindschaft
gegen Juden die Folge wäre. Ferner gibt es andere Arten von Arbeiten,
die nur von den das ursprüngliche Gesetz der Tora ausweitenden Weisen
verboten werden. Die Haltung gegenüber einem Verstoß gegen solche
Verbote ist im allgemeinen milde.
Ein weiteres
Responsum von Sofer behandelt die Frage, ob einem jüdischen Arzt erlaubt
sei, mit einem Wagen am Sabbat zu reisen, um einen Nichtjuden zu heilen.
Nachdem er herausgestellt hat, daß unter bestimmten Umständen die Reise
am Sabbat in einem von Pferden gezogenen Wagen nur das "von den Weisen"
und nicht das von der Tora auferlegte Verbot verletzt, greift er auf die
Aussage des Maimonides zurück, daß in den Wehen liegende nichtjüdische
Frauen keine Hilfe erhalten dürfen, wenn der Sabbat dabei verletzt wird.
Er führt aus, daß dasselbe Prinzip für alle ärztlichen Leistungen und
nicht nur für die Geburtshilfe gelte. Doch dann spricht er die Furcht
aus, wenn man dieses praktiziere, es "unerwünschte Feindschaft
hervorrufen würde". Die Nichtjuden würden nämlich die Ausrede, den
Sabbat einhalten zu müssen, nicht akzeptieren und sagen, daß das Blut
eines Götzenanbeters in unseren Augen nur wenig Wert habe. Wichtiger sei
vielleicht noch, daß nichtjüdische Ärzte Rache an ihren jüdischen
Patienten nehmen können. Man müsse bessere Vorwände finden. Ein
jüdischer Arzt, der am Sabbat zur Behandlung eines nichtjüdischen
Patienten aus der Stadt gerufen wird, kann sich damit herausreden, daß
er in der Stadt bleiben müsse, um seine anderen Patienten zu versorgen.
"Denn er kann dies benutzen, um zu sagen 'wegen dieser oder jener Gefahr
für den Patienten, der zuerst einen Doktor braucht, kann ich nicht
verreisen, und ich möchte nicht mein Honorar verlieren' ... bei solch
einer Ausrede braucht man keine Gefahr zu fürchten, denn der Vorwand,
ein anderer dringenderer Fall hätte vorgelegen, wird häufig von Ärzten
gebraucht, die sich verspäten". Nur "wenn es unmöglich ist, eine
Entschuldigung zu geben", hat der Arzt die Erlaubnis, in einem Wagen an
Sabbat zu reisen, um einen Nichtjuden zu behandeln.
Bei der ganzen
Diskussion dreht sich die Hauptfrage um die Ausreden und nicht um die
tatsächliche Heilung oder das Wohlergehen des Patienten. Und überall
gilt es als selbstverständlich, daß man Nichtjuden täuschen darf und
nicht zu behandeln braucht, solange man "Feindschaft" abwehren kann.
In der heutigen
Zeit sind natürlich die wenigsten jüdischen Ärzte religiös, und meist
kennen sie nicht einmal diese Vorschriften. Ferner scheint es, daß auch
viele religiöse Ärzte - was für sie spricht - die Bindung an den
Hippokratischen Eid den Vorschriften ihrer fanatischen Rabbiner
vorziehen. Der Einfluß der Rabbiner wird jedoch nicht ganz ohne Einfluß
auf einige Ärzte bleiben. Außerdem gibt es viele, die dem Einfluß zwar
nicht unterliegen, jedoch in der Öffentlichkeit nicht dagegen zu
protestieren wagen.
All dies ist weit
davon entfernt, eine erledigte Frage zu sein. Die neueste halachische
Position in dieser Angelegenheit beschreibt ein knappgehaltenes und
maßgebendes Buch, das in englischer Sprache unter dem Titel Jewish
Medical Law erschienen ist. Dieses Buch (mit dem Impressum der
renommierten israelischen Stiftung "Mossad Harav Kook") basiert auf den
Responsa von R. Elieser Jehuda Waldenberg, Oberrichter am Rabbinischen
Distriktgericht von Jerusalem. Einige Stellen aus diesem Werk bedürfen
besonderer Erwähnung.
Zunächst einmal,
"ist es verboten, den Sabbat zu entheiligen ... wegen eines Karäers." So
steht es da - offen, absolut und ohne weitere Einschränkung. Die
Feindschaft dieser kleinen Sekte spielt vermutlich keine Rolle, so daß
sie am Sabbat ohne eine Behandlung sterben können. In Bezug auf die
Nichtjuden: "Nach den Vorschriften des Talmud und dem Kodex des
jüdischen Gesetzes ist es verboten, den Sabbat durch Verletzung des
biblischen oder rabbinischen Gesetzes zu entweihen oder das Leben eines
schwerkranken nichtjüdischen Patienten zu retten. Verboten ist auch,
eine nichtjüdische Frau am Sabbat von einem Kind zu entbinden."
Doch das Verbot
wird durch eine Dispensation gelockert: "Heute ist es jedoch erlaubt,
den Sabbat wegen eines Nichtjudens durch vom rabbinischen Gesetz
verbotene Handlungen zu entweihen, denn so verhindert man das Aufkommen
negativer Gefühle zwischen Juden und Nichtjuden."
Dies reicht nicht
sehr weit, da bei einer medizinischen Behandlung von der Tora selbst am
Sabbat verbotene Handlungen oft vorkommen, die von dieser Dispensation
abgedeckt sind. Es gibt, so wird erklärt, "einige" halachische
Autoritäten, die diese Dispensation auch auf solche Handlungen
ausdehnen. Doch sagt dies nur mit anderen Worten, daß die meisten
halachischen Autoritäten und diejenigen, die wirklich zählen, eine
entgegengesetzte Ansicht haben. Noch ist jedoch nicht alles verloren.
Das Buch Jewish Medical Law bietet eine wirklich atemberaubende Lösung
für diese Schwierigkeiten.
Die Lösung liefert
eine kleine Stelle des talmudischen Gesetzes. Von dem durch die Tora
auferlegten Verbot "Ausführung einer gegebenen Handlung am Sabbat" wird
vorausgesetzt, daß es nur dann gilt, wenn die Hauptabsicht bei ihrer
Ausführung auch ihr tatsächliches Ergebnis ist. (Beispiel: Das Mahlen
von Weizen ist durch die Tora vermutlich dann nur verboten, wenn der
Zweck des Mahlens die Herstellung von Mehl ist.) Wenn andererseits die
Ausführung derselben Handlung beiläufig ein anderes Ergebnis zeitigt
(melachah se-einah zrichah legufah), dann ändert die Handlung ihren
Status. Sie ist zwar noch immer verboten, das ist sicher, doch nur von
den Weisen und nicht von der Tora selbst. Deshalb:
Um eine
Übertretung des Gesetzes zu vermeiden, gibt es eine rechtlich zulässige
Methode, die Behandlung eines nichtjüdischen Patienten zu ermöglichen,
auch wenn es sich dabei um einen Verstoß gegen das biblische Gesetz
handelt. Es wird vorgeschlagen, daß, wenn ein Arzt den nötigen Dienst
versieht, dies nicht mit der hauptsächlichen Absicht geschieht, den
Patienten zu heilen, sondern sich und die jüdischen Menschen gegen die
Anschuldigung religiöser Diskriminierung und schwerer Vergeltung zu
schützen, die ihn im besonderen und die jüdischen Menschen im
allgemeinen in Gefahr bringen kann. Bei diesem Vorsatz wird jede
Maßnahme seitens des Arztes "zu einer Handlung, deren tatsächliches
Ergebnis nicht der Hauptzweck ist",... was an Sabbat nur durch das
rabbinische Gesetz verboten ist.
Ein kürzlich in
hebräischer Sprache erschienenes maßgebliches Buch schlägt auch diesen
heuchlerischen Ersatz für den Hippokratischen Eid vor. Obwohl die
israelische Presse diese Tatsachen zumindest zweimal erwähnte, hüllte
sich der israelische Ärzteverband in Schweigen.
Nachdem wir etwas
ausführlicher das hochwichtige Thema der Haltung der Halacha gegenüber
den Lebensinteressen von Nichtjuden erörtert haben, wollen wir uns kurz
mit anderen halachischen Vorschriften beschäftigen, die zur
Diskriminierung der Nichtjuden gedacht sind. Da es eine große Anzahl
solcher Vorschriften gibt, sollen nur die wichtigeren erwähnt werden.
Sexuelle
Straftaten
Geschlechtsverkehr
zwischen einer verheirateten jüdischen Frau und einem anderen Mann als
ihrem Ehegatten ist ein Kapitalverbrechen für beide Seiten und eine der
drei schwersten Sünden. Eine nichtjüdische Frau hat dabei einen ganz
anderen Status. Die Halacha behauptet dreist, daß alle Nichtjuden häufig
wechselnden Geschlechtsverkehr hätten, und der Vers "ihr Fleisch ist wie
das Fleisch von Eseln, und deren Ausfluß [des Samens] ist gleich dem
Ausfluß von Pferden" auf sie zuträfe. Ob eine nichtjüdische Frau
verheiratet ist oder nicht, spielt keine Rolle, da der Begriff der Ehe
auf Nichtjuden nicht anzuwenden sei ("für einen Heiden gibt es keine
Ehe"). Deshalb sei auch der Begriff des Ehebruchs auf den
Geschlechtsverkehr zwischen einem jüdischen Mann und einer
nichtjüdischen Frau nicht anwendbar. Der Talmud setzt solch einen
Geschlechtsverkehr der Sünde der Sodomie gleich. (Aus demselben Grunde
behauptet man von Nichtjuden, die Vaterschaft ließe sich bei ihnen nicht
feststellen.)
Die
Talmudische Enzyklopädie sagt:
Wer
geschlechtlichen Umgang mit der Ehefrau eines Nichtjuden pflegt,
unterliegt nicht der Todesstrafe, denn es steht geschrieben: "Deines
Nächsten Ehefrau" und nicht die Ehefrau eines Fremden. Und auch das an
Nichtjuden gerichtete Gebot, ein Mann "solle seiner Ehefrau treu
bleiben" gilt nicht für einen Juden, weil es auch keine Ehe für einen
Heiden gibt. Eine verheiratete nichtjüdische Frau ist ein Tabu für die
Nichtjuden, in keinem Falle aber für einen Juden.
Dies besagt nicht,
daß Geschlechtsverkehr zwischen einem jüdischen Mann und einer
nichtjüdischen Frau erlaubt ist - ganz im Gegenteil. Die schwerste
Strafe wird über die nichtjüdische Frau verhängt. Sie muß hingerichtet
werden, auch wenn ein Jude sie vergewaltigte.
Gleichgültig, ob
es sich um ein Kind von drei Jahren oder einen Erwachsenen, eine
verheiratete oder unverheiratete Frau oder sogar um eine Minderjährige
von nur neun Jahren und einem Tag handelt, muß sie wie im Falle eines
wilden Tieres getötet werden, da er vorsätzlichen Geschlechtsverkehr mit
ihr hatte und sie einen Juden in Schwierigkeiten brachte.
Der Jude jedoch
ist auszupeitschen. Falls er ein Kohen (Mitglied des priesterlichen
Stammes) ist, erhält er die doppelte Anzahl an Hieben, da er ein
doppeltes Verbrechen begangen hat. Ein Kohen darf keinen
Geschlechtsverkehr mit einer Prostituierten haben, und alle
nichtjüdischen Frauen sind mutmaßlich Prostituierte.
Status
Nach der Halacha
dürfen (nach Möglichkeit) die Juden keinem Nichtjuden erlauben, eine
Machtstellung über Juden einzunehmen, und sei sie noch so gering. (Die
beiden Paradebeispiele sind "Befehlshaber über zehn Soldaten in der
jüdischen Armee" und "Aufsichtsführender über einen
Bewässerungsgraben".) Bezeichnenderweise gilt diese spezielle Vorschrift
auch für Konvertiten zum Judentum und ihre Nachkommen in der weiblichen
Linie für die Dauer von zehn Generationen oder "solange, wie die
Abstammung bekannt ist".
Bei Nichtjuden
wird vorausgesetzt, daß sie geborene Lügner sind; sie können vor einem
rabbinischen Gericht kein Zeugnis ablegen. In dieser Hinsicht stehen sie
theoretisch auf einer Stufe mit jüdischen Frauen, Sklaven und
Minderjährigen. In der Praxis sieht es jedoch noch düsterer für sie aus.
Eine jüdische Frau darf heute als Zeugin bei bestimmten Tatsachen
aussagen, wenn sie einem rabbinischen Gericht als "glaubhaft" erscheint,
ein Nichtjude dagegen nie.
Ein Problem
entsteht dabei, wenn ein rabbinisches Gericht einen Sachverhalt klären
muß, für den es nur nichtjüdische Zeugen gibt. Dazu ein wichtiges
Beispiel im Falle von Witwen: Nach dem jüdischen religiösen Gesetz kann
eine Frau nur dann zu einer Witwe erklärt werden und darf dann wieder
heiraten, wenn der Tod ihres Ehemannes mit Sicherheit durch einen
Zeugen, der ihn sterben sah oder seinen Leichnam identifizierte,
bewiesen ist. Das rabbinische Gericht akzeptiert den Beweis vom
Hörensagen eines Juden, der bezeugt, er habe die fragliche Tatsache von
einem nichtjüdischen Augenzeugen gehört. Voraussetzung ist jedoch, das
Gericht ist überzeugt, daß letzterer dies beiläufig erwähnt ("goj mesiah
lefi tummo") und nicht eine auf direkte Frage antwortete, denn die
direkte Antwort eines Nichtjuden auf die direkte Frage eines Juden ist
vermutlich eine Lüge. Falls erforderlich, wird ein Jude (vorzugsweise
ein Rabbiner) ein belangloses Gespräch mit dem nichtjüdischen
Augenzeugen führen, und ohne eine direkte Frage zu stellen, aus ihm eine
beiläufige Aussage zu der in Frage stehenden Tatsache herausholen.
Geld und
Eigentum
(1)
Geschenke
Der Talmud
verbietet offen Geschenke an Nichtjuden. Die klassischen rabbinischen
Autoritäten änderten diese Vorschrift jedoch, weil Geschenke unter
Geschäftsleuten gang und gäbe sind. Man legte deshalb fest, daß ein Jude
einen nichtjüdischen Bekannten beschenken darf, da dies kein echtes
Geschenk, sondern eine Art Investition sei, für die man Profit erwartet.
Geschenke an "nichtbekannte Nichtjuden" bleiben verboten.
Eine ähnlich
umfassende Vorschrift besteht für Almosen. Einem jüdischen Bettler
Almosen zu geben, ist ein wichtige religiöse Pflicht. Almosen an
nichtjüdische Bettler sind dagegen nur des lieben Friedens willen
erlaubt. Zahllose rabbinische Warnungen besagen jedoch, daß sich die
nichtjüdischen Armen an Almosen von Juden "gewöhnen" könnten, so daß es
möglich sein müßte, solch milde Gaben zu verweigern, ohne unnötige
Feindschaft zu wecken.
(2)
Zinsforderungen
Die gegen
Nichtjuden gerichtete Diskriminierung in dieser Sache wurde angesichts
der im Kapitel III ("III Orthodoxie und Interpretation") erläuterten
Dispensation, die in der Realität die Zinsnahme auch von einem jüdischen
Kreditnehmer erlaubt, weitgehend zu einer theoretischen Angelegenheit.
Ein zinsloser Kredit an einen Juden gilt als Akt der Nächstenliebe; von
einem nichtjüdischen Kreditnehmer Zinsen zu verlangen, ist aber eine
Pflicht. In der Tat betrachten es viele - wenn auch nicht alle -
rabbinischen Autoritäten einschließlich Maimonides als Gebot, so viel
Wucherzinsen wie möglich für einen Kredit an einen Nichtjuden zu
fordern.
(3)
Verlorenes Eigentum
Findet ein Jude
fremdes Eigentum, dessen wahrscheinlicher Besitzer ein Jude ist, so muß
der Finder durch öffentliche Bekanntmachung unbedingt alle Anstrengungen
unternehmen, um seinen Fund zurückzugeben. Dagegen ist nach dem Talmud
und allen früheren rabbinischen Autoritäten dem jüdischen Finder nicht
nur erlaubt, den Gegenstand, den ein Nichtjude verloren hat, sich
anzueignen, sondern es ist geradezu verboten, ihn zurückzugeben. Erst
als in neuerer Zeit ín den meisten Ländern Gesetze erlassen wurden, die
die Rückgabe von verlorenen Gegenständen zur Pflicht machen, wiesen die
rabbinischen Autoritäten die Juden an, entsprechend diesen Gesetzen zu
handeln, und zwar als ein Akt des zivilen Gehorsams dem Staate gegenüber
und nicht als eine religiöse Pflicht, d.h., es ist nichts zu
unternehmen, um den Besitzer zu finden, wenn er wahrscheinlich ein
Nichtjude ist.
(4)
Täuschung im Geschäftsleben
Jegliche Täuschung
eines Juden ist eine schwere Sünde, einen Nichtjuden direkt zu
hintergehen, ist dagegen lediglich unerlaubt. Eine indirekte Täuschung
ist zulässig, sofern sie aller Wahrscheinlichkeit nach keine Feindschaft
gegen Juden hervorruft oder die jüdische Religion verletzt. Ein
Paradebeispiel ist die falsche Berechnung des Preises bei einem Kauf.
Unterläuft einem Juden ein für ihn ungünstiger Fehler, so hat er die
religiöse Pflicht, ihr zu korrigieren. Stellt man bei einem Nichtjuden
fest, daß er solch einen Fehler begeht, braucht man ihn es nicht wissen
zu lassen, sondern nur "Ich verlasse mich auf Ihre Berechnung" zu sagen,
um einer Feindschaft den Wind aus den Segeln zu nehmen, falls der
Nichtjude später seinen eigenen Fehler erkennt.
(5)
Betrug
Es ist verboten,
einen Juden beim Kauf oder Verkauf durch einen unangemessenen Preis zu
betrügen. Jedoch gilt das Betrugsverbot nicht für Nichtjuden, denn es
steht geschrieben: "Kein Mann soll seinen Bruder betrügen". Ein
Nichtjude, der einen Juden betrügt, sollte gezwungen werden, den Betrug
wiedergutzumachen, aber nicht strenger als ein Jude (in einem ähnlichen
Falle) bestraft werden."
(6)
Diebstahl und Raub
Diebstahl (ohne
Gewalt) ist streng verboten, "auch von einem Nichtjuden", wie es der
Schulchan Aruch so schön formuliert. Raub (mit Gewalt) ist ebenfalls
verboten, wenn es sich beim Opfer um einen Juden handelt. Die Beraubung
eines Nichtjuden durch einen Juden unterliegt jedoch keinem direkten
Verbot, sondern hängt nur von bestimmten Umständen ab, wie "wenn die
Juden nicht unter unserer Herrschaft stehen", ist aber erlaubt, "wenn
sie unter unserer Herrschaft sind". Hinsichtlich der genaueren
Einzelheiten der Umstände, unter denen ein Jude einen Nichtjuden
berauben darf, unterscheiden sich die Meinungen der rabbinischen
Autoritäten. Die ganze Diskussion befaßt sich jedoch nur mit der
relativen Macht von Juden und Nichtjuden und nicht mit dem Gesichtspunkt
der Gerechtigkeit und Humanität. Dies erklärt, warum so wenige Rabbiner
gegen den Raub palästinensischen Eigentums in Israel protestiert haben.
Dieser Raub wurde von der überwältigenden jüdischen Macht gestützt.
Nichtjuden im Land Israel
Neben den
allgemein gegen Nichtjuden gerichteten Gesetze enthält die Halacha
Sondergesetze gegen Nichtjuden, die im Land Israel (Erez Israel) leben
oder, in einigen Fällen, durch das Land reisen. Diese Gesetze sollen die
jüdische Vorherrschaft in diesem Land sichern.
Der Talmud und die
talmudische Literatur sind unterschiedlicher Ansicht über die genaue
geographische Definition des Begriffs "Land Israel", und diese Debatte
wird auch in der heutigen Zeit zwischen den verschiedenen zionistischen
Meinungsströmungen fortgeführt. Aus Sicht der Maximalisten gehören zum
Land Israel (neben Palästina selbst) nicht nur der ganze Sinai,
Jordanien, Syrien und der Libanon, sondern auch beträchtliche Teile der
Türkei. In der Auslegung der vorherrschenden "Minimalisten" liegt die
nördliche Grenze "nur" etwa in der Mitte von Syrien und dem Libanon auf
dem Breitengrad von Homs. Diese Ansicht unterstützte Ben Gurion. Aber
auch diejenigen, die Teile von Syrien-Libanon ausschließen, stimmen
darin überein, daß bestimmte diskriminierende Gesetze (wenn auch weniger
unterdrückend als in Israel selbst) für die Nichtjuden dieser Teile
gelten, da dieses Territorium zum Königreich Davids gehörte. Nach allen
talmudischen Auslegungen gehört Zypern zum Land Israel.
Ich möchte jetzt
einige der Sondergesetze anführen, die für die Nichtjuden im Land Israel
gelten. Augenfällig ist dabei die Verbindung zur heutigen zionistischen
Praxis.
Die Halacha
verbietet es Juden, Immobilien, d.h. Felder und Häuser, im Land Israel
an Nichtjuden zu verkaufen. In Syrien ist der Verkauf von Häusern (aber
nicht von Feldern) erlaubt.
Die Vermietung
eines Hauses im Land Israel ist an einen Nichtjuden unter zwei
Bedingungen gestattet. Zunächst einmal darf er das Haus nicht bewohnen,
sondern nur für andere Zwecke (wie als Lagerhaus) benutzen. Zum zweiten
dürfen drei oder mehrere nebeneinanderliegende Häuser nicht vermietet
werden. Die Erklärung für diese und mehrere andere Vorschriften lautet
wie folgt: "Du sollst ihnen nicht erlauben, auf dem Land zu lagern, denn
wenn sie kein Land besitzen, werden sie sich nur vorübergehend
aufhalten." Auch eine vorübergehende Anwesenheit von Nichtjuden kann nur
toleriert werden, "wenn die Juden im Exil leben oder die Nichtjuden
mächtiger als die Juden sind".
Sind jedoch die
Juden mächtiger als die Nichtjuden, so dürfen wir keine Götzenanbeter
unter uns leben lassen. Auch ein nur auf Zeit Ansässiger oder Hausierer
darf nur unser Land passieren, sofern er die sieben Noachidischen
Gesetze beachtet, denn es steht geschrieben: "Sie sollen nicht in deinem
Lande wohnen", d.h. auch nicht zeitweilig. Beachtet er die sieben
Noachidischen Gesetze, so wird er zu einem ansässigen Fremdling (ger
toschaw) und erhält nicht den Status eines ansässigen Fremdlings außer
in Zeiten des Jubeljahres [d. h. als der Tempel noch stand und Opfer
gebracht wurden]. Außerhalb des Jubeljahres ist es verboten, irgendeinen
aufzunehmen, der nicht voll zum Judaismus übergetreten ist (ger zedek).
Damit ist klar,
daß die ganze Frage, wie die Palästinenser zu behandeln seien, nach der
Halacha lediglich eine Frage der jüdischen Macht ist, so wie es die
Führer und Sympathisanten des Gusch Emunim sagen. Wenn die Juden genug
Macht haben, ist es ihre religiöse Pflicht, die Palästinenser zu
vertreiben.
Israelische
Rabbiner und ihre fanatischen Anhänger zitieren oft diese Gesetze. So
wurde z.B. das Gesetz, das die Vermietung von drei
nebeneinanderliegenden Häusern an Nichtjuden verbietet, feierlich von
einer rabbinischen Konferenz bestätigt, die 1979 die Verträge von Camp
David erörterte. Die Konferenz stellte ferner fest, daß nach der Halacha
auch die "Autonomie", die Begin bereitwillig den Palästinensern anbot,
zu liberal sei. Gegen solche öffentlichen Auslassungen, die in der Tat
die Haltung der Halacha korrekt wiedergeben, beziehen die zionistischen
"Linken" nur selten Stellung.
Neben den bisher
erwähnten Gesetzen, die sich gegen alle Nichtjuden im Lande Israel
richten, üben die Gebote gegen die Kanaaniter und andere in Palästina
vor der Eroberung durch Josua lebenden Nationen sowie gegen die
Amalekiter erlassenen Gesetze einen noch schlimmeren Einfluß aus. Alle
diese Völker sind vollständig auszurotten. Der Talmud und die
talmudische Literatur wiederholen die biblischen Aufforderungen zum
Völkermord mit noch größerer Vehemenz. Einflußreiche Rabbiner, die eine
beträchtliche Anhängerschaft unter israelischen Armeeoffizieren haben,
setzen die Palästinenser (oder sogar alle Araber) mit diesen antiken
Völkern gleich, so daß Befehle wie "Du sollst nicht retten, was atmet"
eine aktuelle Bedeutung erlangen. In der Tat ist es nicht ungewöhnlich,
daß Reservisten, die zum Patrouillendienst im Gazastreifen einberufen
werden, eine "erzieherische Lektion" erhalten, in der man ihnen sagt,
daß die Palästinenser im Gazagebiet "wie die Amalekiter" seien. Ein
bedeutender israelischer Rabbiner zitierte feierlich biblische Verse mit
einem Aufruf zum Völkermord an den Midianitern als Rechtfertigung des
Massakers von Kibbija. Diese Auslassung hat weite Verbreitung in der
israelischen Armee gefunden. Man könnte viele ähnliche Beispiele
blutrünstiger rabbinischer Erklärungen gegen die Palästinenser anführen,
die alle auf diesen Gesetzen beruhen.
Schmähungen
Unter dieser
Überschrift möchte ich Beispiele der halachischen Gesetze erörtern,
deren wichtigste Absicht nicht so sehr darin besteht, bestimmte gegen
Nichtjuden gerichtete Diskriminierungen vorzuschreiben, als vielmehr
Verachtung und Haß gegenüber Nichtjuden zu vertiefen. Demgemäß
beschränke ich mich in diesem Abschnitt nicht auf das Zitieren aus den
maßgeblichsten halachischen Quellen (wie ich es bisher getan habe),
sondern berücksichtige auch einige weniger grundlegende Werke, die im
religiösen Unterricht weite Verbreitung gefunden haben.
Beginnen wir mit
dem Text einiger liturgischer Gebete. In den ersten Abschnitten des
täglichen Morgengebets preist jeder fromme Jude Gott dafür, ihn nicht zu
einem Nichtjuden gemacht zu haben. Der Schlußteil des täglichen Gebets
(der auch im feierlichsten Teil des Gottesdienstes am Neujahrstag und zu
Jom Kippur verwendet wird), beginnt mit der Aussage: "Wir müssen den
Herrn für alles preisen,... uns nicht wie die anderen Völker [aller]
Länder gemacht zu haben,... denn sie verbeugen sich vor der Eitelkeit
und Nichtswürdigkeit und beten zu einem Gott, der nicht hilft." Während
Zensoren den letzten Satzteil aus den Gebetsbüchern strichen, wurde er
im östlichen Europa mündlich weitergegeben und steht wieder in vielen in
Israel gedruckten Gebetsbüchern. Der wichtigste Abschnitt des
Wochentagsgebetes, das "Achtzehngebet" enthält einen speziellen Fluch,
der sich ursprünglich gegen Christen, zum Christentum konvertierte Juden
und andere jüdische Häretiker richtete: "Und mögen die Abtrünnigen keine
Hoffnung haben und die Christen sofort zugrundegehen". Diese Formel geht
auf das Ende des 1. Jahrhunderts zurück, als die Christen noch eine
kleine, verfolgte Sekte waren. Einige Zeit vor dem 14. Jahrhundert wurde
sie abgeschwächt in "Und mögen die Abtrünnigen keine Hoffnung haben und
alle Häretiker sofort zugrunde gehen" und nach zusätzlichem Druck in
"Und mögen die Denunzianten keine Hoffnung haben und alle Häretiker
sofort zugrunde gehen" geändert. Nach der Gründung Israels kehrte sich
der Prozeß um, und viele neu gedruckte Gebetsbücher enthielten wieder
die zweite Formel, die auch viele Lehrer in religiösen israelischen
Schulen vorschreiben. Nach 1967 übernahmen viele dem Gusch Emunim
nahestehenden Gemeinden wieder die erste Version (bis dahin nur verbal
und nicht in gedruckter Form) und beten heute täglích, daß die Christen
"sofort untergehen mögen". Diese Umkehrung erfolgte in der Zeit, als die
Katholische Kirche (unter Papst Johannes XXIII.) aus der
Karfreitagsliturgie ein Gebet entfernte, in dem Gott darum gebeten
wurde, sich der Juden, Häretiker usw. zu erbarmen. Von diesem Gebet
behaupteten die meisten jüdischen Führer, es sei beleidigend oder sogar
antisemitisch.
Neben den festen
Tagesgebeten muß ein frommer Jude bei verschiedenen (guten oder
schlechten) Anlässen kurze Segenssprüche aufsagen (wenn er z.B. ein
neues Kleidungsstück anzieht, zum ersten Mal im jeweiligen Jahr
erhältliche Früchte ißt, starke Blitze sieht, schlechte Neuigkeiten
erfährt usw.). Einige dieser Situationsgebete sollen Haß und Verachtung
gegenüber allen Nichtjuden verstärken.
Im Kapitel II ("II
Vorurteile und Verfälschungen") erwähnte ich schon die Vorschrift, nach
der ein Jude angesichts eines nichtjüdischen Friedhofs einen Fluch
aussprechen muß, aber Gott zu preisen hat, wenn er einen jüdischen
Friedhof sieht.
Eine ähnliche
Vorschrift gilt für die Lebenden. Sieht ein frommer Jude eine große
jüdische Menschenansammlung, muß er Gott loben, aber einen Fluch
aussprechen, wenn er eine große Ansammlung nichtjüdischer Menschen
bemerkt.
Auch Gebäude
bilden keine Ausnahme. Der Talmud schreibt vor, daß ein Jude, der an
einer bewohnten nichtjüdischen Wohnung vorbeigeht, dort um deren
Zerstörung bitten muß. Liegt das Gebäude dagegen in Trümmern, hat er dem
Rachegott zu danken; natürlich gelten umgekehrte Vorschriften für
jüdische Häuser. Diese Vorschrift konnten jüdische Bauern, die in
eigenen Dörfern oder in kleinen städtischen Gemeinden in reinjüdischen
Stadtbezirken und Stadtvierteln lebten, leicht einhalten. Unter den
Bedingungen des klassischen Judaismus ließ sie sich jedoch immer
schwerer handhaben und beschränkte sich daher auf die Kirchen und
Gotteshäuser anderer Religionen (mit Ausnahme des Islam). Und in diesem
Zusammenhang erfuhr sie eine Verstärkung durch die Bräuche. Es wurde
nämlich üblich, angesichts einer Kirche oder eines Kreuzes (in der Regel
dreimal) auszuspucken, und zwar als Verfeinerung der zwingend
vorgeschriebenen Formel des Bedauerns. Mitunter wurden auch
beschimpfende biblische Verse hinzugefügt.
Es gibt ferner
eine Reihe von Vorschriften, die jeden Ausdruck des Lobes für Nichtjuden
oder ihrer Taten verbieten, es sei denn, solch ein Lob schließt
stillschweigend eine noch höhere Preisung der Juden und jüdischer Dinge
ein. Diese Vorschrift beachten noch heute die orthodoxen Juden. So
rühmte z. B. der Schriftsteller Agnon nach seiner Rückkehr aus
Stockholm, wo er den Nobelpreis für Literatur erhalten hatte, im
israelischen Rundfunk die Schwedische Akademie, fügte aber noch schnell
hinzu: "Ich habe nicht vergessen, daß es verboten ist, Nichtjuden zu
loben. Für mein Lob gibt es jedoch einen besonderen Grund" - d.h., daß
ein Jude den Preis erhielt.
Desgleichen ist es
verboten, an irgendwelchen Volksfesten von Nichtjuden teilzunehmen, es
sei denn, die Verweigerung einer solchen Teilnahme könnte "Feindschaft"
gegen die Juden hervorrufen. In diesem Falle ist eine "minimale"
Anteilnahme erlaubt.
Neben den bisher
erwähnten Regeln gibt es noch andere, die menschliche Freundschaft
zwischen Juden und Nichtjuden verhindern sollen. Ich möchte hier nur
zwei Beispiele anführen: Die Vorschriften bezüglich des
"Trankopferweins" und die Vorschrift über die Zubereitung von Nahrung
für einen Nichtjuden an jüdischen religiösen Feiertagen.
Ein religiöser
Jude darf keinen Wein trinken, an dessen Erzeugung ein Nichtjude
irgendwie beteiligt war. Wein in einer offenen Flasche, auch wenn er
vollständig von Juden hergestellt wurde, wird mit einem Verbot belegt,
wenn ein Nichtjude auch nur die Flasche berührte oder die Hand darüber
schwenkte. Als Grund führen die Rabbiner an, daß alle Nichtjuden nicht
nur Götzenanbeter sind; man müsse von ihnen auch annehmen muß, daß sie
boshaft ihren Vorteil daraus ziehen möchten, indem sie wahrscheinlich
(durch Flüstern, eine Geste oder Gedanken) jeden Wein, den ein Jude im
Begriffe zu trinken ist, ihren Götzen als "Trankopfer" widmen. Dieses
Gesetz betrifft zwingend alle Christen, in leicht abgeschwächter Form
auch Moslems. (Eine geöffnete Flasche Wein, die ein Christ berührt hat,
muß ausgeschüttet werden. Hat sie ein Moslem berührt, kann man sie
verkaufen oder verschenken. Ein Jude darf sie aber nicht trinken.) Das
Gesetz gilt gleichermaßen für nichtjüdische Atheisten (wie kann man denn
sicher sein, daß sie nicht bloß vorgeben, Atheisten zu sein?), aber
nicht für jüdische Atheisten.
Die Gesetze, die
eine Arbeit an Sabbat verbieten, werden - wenn auch weniger rigoros -
bei den anderen religiösen Feiertagen angewendet. So ist es an einem
nicht auf einen Sonnabend fallenden Feiertag erlaubt, jede Arbeit zu
verrichten, die zur Vorbereitung der während des oder der religiösen
Tage zu verzehrenden Nahrung erforderlich ist. Vom Gesetz her ist dies
als Vorbereitung einer "Seelennahrung" (ochel nefesch) definiert, wobei
"Seele" in der Bedeutung "Jude" ausgelegt wird. "Nichtjuden und Hunde"
sind ausdrücklich ausgeschlossen. Es gibt jedoch eine Dispensation
zugunsten mächtiger Nichtjuden, deren Feindschaft gefährlich werden
kann. Es ist daher erlaubt, Nahrung an einem religiösen Feiertag für
einen Besucher zu kochen, der in diese Kategorie fällt, vorausgesetzt,
man hat ihn nicht bewußt zum Essen eingeladen.
Sehen wir einmal
von der praktischen Anwendung ab, so hat die dauernde Beschäftigung mit
diesen Gesetzen, die zum Studium der Halacha gehört und im klassischen
Judentum als höchste religiöse Pflicht gilt, eine wichtige geistige
Einstellung zur Folge.
Somit lernt ein
orthodoxer Jude bei den heiligen Studien von Kindesbeinen an, daß
Nichtjuden mit Hunden zu vergleichen sind, daß es eine Sünde ist, sie zu
loben usw. usf. Tatsächlich üben die Anfängerlehrbücher in diesem
Zusammenhang einen noch schlechteren Einfluß als der Talmud und die
großen talmudischen Gesetzbücher aus. Ein Grund hierfür liegt darin, daß
solche grundlegenden Texte ausführliche Erläuterungen liefern und so
abgefaßt sind, daß sie junge Menschen und Ungebildete tiefe
beeindrucken. Aus einer großen Anzahl solcher Texte habe ich einen
ausgewählt, der sich derzeit in Israel großer Beliebtheit erfreut; er
erschien in billigen, von der israelischen Regierung stark
subventionierten Neuauflagen. Es handelt sich hierbei um das von einem
anonymen Rabbiner im Spanien des frühen 14. Jahrhunderts geschriebene
Buch der Erziehung, das die 613 religiösen Gebote (''Mizwoth'') des
Judaismus in der Reihenfolge erläutert, in der sie nach der talmudischen
und im Kapitel III ("III Orthodoxie und Interpretation") erörterten
Auslegung in den fünf Büchern Moses angeblich zu finden sind. Seinen
langanhaltenden Einfluß und seine Popularität verdankt es dem klaren und
leicht verständlichen hebräischen Stil, in dem es abgefaßt ist.
Ein zentrales
didaktisches Ziel dieses Buchs besteht darin, die "korrekte" Bedeutung
der Bibel in Bezug auf solche Begriffe wie "Nächster", "Freund" oder
"Mensch" hervorzuheben, die wir im Kapitel III ("III Orthodoxie und
Interpretation") behandelt haben. So hat der § 219, der den sich aus dem
Vers "Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst" ergebenden
religiösen Pflichten gewidmet ist, den Titel "Eine religiöse Pflicht,
Juden zu lieben". Er lautet wie folgt:
Jeden Juden mit
ganzem Herzen zu lieben, bedeutet, daß wir uns um jeden Juden und sein
Geld so kümmern müssen wie um uns selbst und um unser eigenes Geld, denn
es steht geschrieben: "Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich
selbst", und unsere Weisen seligen Angedenkens sagten: "Was schädlich
für Dich ist, tu auch nicht deinem Freund an"... und viele andere
religiöse Pflichten folgen daraus, weil jemand, der einen Freund wie
sich selbst liebt, nicht sein Geld stiehlt oder Ehebruch mit seiner
Ehefrau treibt oder ihn um sein Geld betrügt oder ihn mit Worten täuscht
oder sein Land stiehlt oder ihm irgendwie Schaden zufügt. Ferner hängen
viele andere religiöse Pflichten davon ab, wie jeder vernünftige Mensch
weiß.
In § 322, der sich
mit der Pflicht beschäftigt, einen nichtjüdischen Sklaven in alle
Ewigkeit in Sklaverei zu halten (wogegen ein jüdischer Sklave nach
sieben Jahren freigelassen werden muß), steht folgende Erklärung:
Und diesen
religiösen Pflichten [liegt die Tatsache zu grunde, daß] das jüdische
Volk das beste der menschlichen Art ist, geschaffen, seinen Schöpfer zu
erkennen und IHN anzubeten und wert zu sein, Sklaven zu seinen Diensten
zu haben. Und wenn es keine Sklaven aus anderen Völkern hat, so könnte
es die eigenen Brüder versklaven, die so nicht in der Lage sein würden,
dem Ewigen, gelobt sei ER, zu dienen. Und deshalb ist uns befohlen,
solche für unsere Dienste zu besitzen, nachdem sie darauf vorbereitet
wurden und der Götzendienst ihnen ausgetrieben ist, so daß sie keine
Gefahr in unseren Häusern sind. Und dies liegt in der Absicht des Verses
"Aber von euren Brüdern, den Kindern Israel, soll keiner über den
anderen herrschen mit Strenge, damit du nicht deine Brüder versklaven
mußt, die alle bereit sind, Gott anzubeten".
In § 545, der sich
mit der religiösen Pflicht befaßt, Zinsen von Nichtjuden zu verlangen,
sagt das Gesetz folgendes:
Uns ist befohlen,
Zinsen von Nichtjuden zu verlangen, wenn wir ihnen Geld leihen, und wir
dürfen ihnen kein Geld ohne Zinsen leihen.
Erläuterung: Diese
religiöse Pflicht hat den Grund, daß wir keine Gnade erweisen dürfen,
außer den Leuten, die Gott erleben und IHN anbeten; und wenn wir uns von
barmherzigen Taten gegenüber dem Rest der Menschheit zurückhalten und
sie nur für die ersteren tun, werden wir geprüft, ob der Hauptteil der
Liebe und Barmherzigkeit für sie gegeben wird, weil sie der Religion des
Heiligen, gelobt sei ER, folgen. Denn siehe, mit diesem Zweck ist unser
Lohn [von Gott], wenn wir uns der Barmherzigkeit gegenüber den anderen
enthalten, gleich dem Lohn, den wir für das Tun [barmherziger Werke] an
Gliedern unseres eigenen Volkes erhalten.
Ähnliche
Unterscheidungen findet man zahlreichen anderen Stellen. Bei der
Erklärung des Verbots einer verspäteten Auszahlung von Arbeitslohn (§
238) weist der Autor nachdrücklich darauf hin, daß die Sünde bei einem
Nichtjuden nicht so schwer ins Gewicht fällt. Das Verbot des Fluchens (§
239) hat die Überschrift "Verfluche keinen Juden, sei er Mann oder
Frau". Desgleichen gelten die Verbote, einen irreführenden Rat zu
erteilen, andere Menschen zu hassen, sie mit Scham zu erfüllen oder
Rache an ihnen zu nehmen (§§ 240, 245, 246, 247) nur für Mitjuden.
Das Verbot,
Bräuche der Nichtjuden (§ 262) auszuüben, bedeutet, daß Juden sich nicht
nur von Nichtjuden "fernhalten", sondern auch "schlecht von ihrem
Verhalten, sogar von ihrer Kleidung" sprechen müssen.
Ich möchte darauf
hinweisen, daß die oben zitierten Erläuterungen nicht ganz korrekt die
Lehren der Halacha wiedergeben. Die Rabbiner und, was noch schlimmer
ist, die apologetischen "Gelehrten des Judaismus" wissen dies sehr
genau. Aus diesem Grunde versuchen sie auch nicht, gegen solche
Ansichten innerhalb der jüdischen Gemeinde zu argumentieren und erwähnen
sie natürlich auch nie außerhalb der Gemeinde. Stattdessen beschimpfen
sie jeden Juden, der in Hörweite eines Nichtjuden diese Angelegenheiten
zur Sprache bringt, und leugnen sie in täuschender Absicht, wobei die
Kunst doppeldeutiger Aussagen Triumphe feiert. So weisen sie in
allgemeinen Redewendungen auf die Bedeutung hin, die das Judentum der
Barmherzigkeit beimißt, vergessen aber, darauf hinzuweisen, daß nach der
Halacha "Barmherzigkeit" nur gegenüber Juden Barmherzigkeit bedeutet.
Jeder, der in
Israel lebt, weiß, wie tief und weitverbreitet die haßerfüllten und
grausamen Einstellungen sind, die der größte Teil der israelischen Juden
gegen allen Nichtjuden hegt. In der Regel verbirgt man diese
Einstellungen gegenüber der Außenwelt. Seit der Gründung des Staates
Israel, dem Krieg von 1967 und dem Aufstieg von Menachem Begin hat sich
jedoch eine bedeutende Minderheit von Juden sowohl in Israel als auch im
Ausland nach und nach solchen Fragen stärker geöffnet. In den letzten
Jahren wurden die unmenschlichen Vorschriften, nach denen die Sklaverei
das "natürliche" Los von Nichtjuden sei, öffentlich in Israel (sogar im
Fernsehen) von jüdischen Landwirten, die arabische Arbeitskräfte und
insbesondere Kinder ausbeuten, zitiert. Führer des Gusch Emunim wiesen
auf religiöse Vorschriften hin, nach denen Juden Nichtjuden unterdrücken
müssen, und benutzten sie als Rechtfertigung für Mordversuche an
palästinensischen Bürgermeistern und als göttliche Autorität für ihre
eigenen Pläne, alle Araber aus Palästina zu vertreiben.
Viele Zionisten
lehnen diese Positionen aus politischen Gründen ab, begründen ihre
Standard-Gegenargumente aber mit Erwägungen der Zweckdienlichkeit und
des jüdischen Selbstinteresses und nicht mit den universell gültigen
Prinzipien der Humanität und der Ethik. So führen sie zum Beispiel das
Argument an, die Ausbeutung und Unterdrückung der Palästinenser durch
die Israelis führe mehr oder weniger zu einer Korrumpierung der
israelischen Gesellschaft, oder die Austreibung der Palästinenser sei
unter den derzeitigen politischen Bedingungen praktisch nicht machbar,
oder israelischer Terror gegen die Palästinenser bringe Israel in
internationale Isolierung. Prinzipiell teilen aber alle Zionisten und
hier insbesondere die "linken" Zionisten" die tiefe Verachtung gegen
Nichtjuden, die der orthodoxe Judaismus so lebhaft fördert.
Die
Einstellungen zu Christentum und Islam
Auf den vorherigen
Seiten streifte ich nur die rabbinischen Haltung gegenüber diesen beiden
Religionen in einigen Beispielen. Es ist aber nützlich, diese
Einstellungen hier kurz darzustellen.
Den Judaismus
erfüllt ein sehr tiefer Haß gegen das Christentum, ohne letzteres
überhaupt zu kennen. Dieser Haß verstärkte sich eindeutig durch die
christlichen Verfolgungen der Juden, ist aber weitestgehend davon
unabhängig. Er stammt aus der Zeit, als die machtlosen Christen selbst
verfolgt (nicht zuletzt durch die Juden) wurden, und wurde auch von
Juden geteilt, als Christen die Juden nicht verfolgten oder ihnen sogar
halfen. So war Maimonides moslemischen Verfolgungen durch das Regime der
Almohaden ausgesetzt und flüchtete vor ihnen zunächst in das Königreich
Jerusalem der Kreuzfahrer, was seine Ansichten nicht im geringsten
änderte. Diese tiefe negative Haltung gründet sich auf zwei
Hauptelemente.
Zunächst einmal
auf die haßerfüllten und bösartigen Verleumdungen gegen Jesus. Man muß
natürlich die traditionelle Haltung des Judaismus gegenüber Jesus scharf
von den unsinnigen Kontroversen zwischen Antisemiten und jüdischen
Apologeten hinsichtlich der "Verantwortlichkeit" für seine Hinrichtung
unterscheiden. Die meisten modernen Gelehrten geben zu, daß man wegen
des Fehlens von Quellen und zeitgenössischen Berichten sowie der späten
Abfassung der Evangelien und der Widersprüche zwischen ihnen die genauen
historischen Umstände der Hinrichtung Jesu nicht kennt. In jedem Falle
ist aber der Begriff der Kollektiv- und Erbschuld sowohl niederträchtig
als auch absurd. Was hier aber zur Debatte steht, sind nicht Tatsachen
über Jesus, sondern die ungenauen und sogar verleumderischen Berichte im
Talmud und in der nachtalmudischen Literatur, denen die Juden bis zum
19. Jahrhundert glaubten und viele Juden, besonders in Israel, auch
heute noch für wahr halten. Deswegen spielten diese Berichte sicherlich
eine wichtige Rolle beim Entstehen der jüdischen Einstellung gegenüber
dem Christentum.
Nach dem Talmud
verurteilte ein ordentliches rabbinisches Gericht Jesus wegen
Götzenanbetung, weil er andere Juden dazu aufrief und die rabbinische
Autorität verächtlich machte. Alle jüdischen Quellen, die seine
Hinrichtung erwähnen, übernehmen freudig die Verantwortung dafür. Der
talmudische Bericht erwähnt noch nicht einmal die Römer. Die populäreren
Darstellungen, die man nichtsdestoweniger sehr ernst nahm, wie die
berüchtigten Toledot Jeschu, sind ein noch schlechteres Beispiel, da sie
ihm nicht nur die oben genannten Verbrechen, sondern auch Zauberei
anlasten. Schon der Name "Jesus" war und ist noch heute für die Juden
ein Symbol für alles Verdammenswerte. Eine ähnlich tiefe Verachtung hegt
man gegenüber den Evangelien. Sie dürfen auch in modernen jüdischen
Schulen Israels nicht zitiert (geschweige denn gelehrt) werden.
Zum zweiten stufen
die rabbinischen Lehren das Christentum als eine Religion aus
theologischen und damit auf Unkenntnis beruhenden Gründen als
Götzendienst ein, und zwar aufgrund einer allzu groben Auslegung der
christlichen Lehrmeinungen über die Menschwerdung Christi und die
Dreieinigkeit. Alle christlichen Embleme und bildlichen Darstellungen
werden als "Götzenbilder" betrachtet - sogar von jenen Juden, die
buchstäblich Schriftrollen, Steine oder persönliche Dinge von "heiligen
Menschen" anbeten.
Im Gegensatz dazu
nimmt der Judaismus eine relativ milde Haltung gegenüber dem Islam ein.
Der Mohammed verliehene Beiname "Verrückter" (meschugga) war nicht so
beleidigend, wie er vielleicht heute klingen mag, und verblaßt in jedem
Falle vor den schimpflichen Begriffen, die man Jesus zudachte. Ebenso
ist der Koran, anders als das Neue Testament, nicht zur Verbrennung
freigegeben. Er wird zwar nicht so geehrt, wie die islamischen Gesetze
die heiligen jüdischen Schriften ehren, sondern als normales Buch
behandelt. Die meisten rabbinischen Autoritäten sind der einhelligen
Meinung, daß der Islam keine Götzenanbetung ist (obwohl einige Führer
des Gusch Emunim dies heute ignorieren). Deshalb legt die Halacha fest,
daß Juden Moslems nicht schlechter als "gewöhnliche" Nichtjuden
behandeln sollen - aber auch nicht besser. Auch hier können wir wieder
Maimonides zur Veranschaulichung heranziehen. Er stellt nämlich
ausdrücklich fest, daß es sich beim Islam nicht um Götzendienst handelt.
Auch zitiert er in seinen philosophischen Werken mit großem Respekt
viele philosophische Autoritäten des Islam. Er war, wie schon zuvor
erwähnt, Leibarzt von Saladin und seiner Familie, und Saladin ernannte
ihn zum Oberhaupt über alle ägyptischen Juden. Dennoch gelten alle von
ihm festgelegten Vorschriften gegen die Rettung nichtjüdischen Lebens
(außer zur Abwehr von Gefahren gegen Juden) gleichermaßen für Moslems.
F/
Politische Konsequenzen
Die unveränderten
Einstellungen des klassischen Judentums gegenüber Nichtjuden prägen noch
immer stark seine Anhänger, die orthodoxen Juden und jene, die seine
Tradition offensichtlich fortsetzen, nämlich die Zionisten mit ihrem
großen Einfluß auf die Politik des Staates Israel. Seit dem Jahre 1967
wird Israel immer "jüdischer", so daß mehr jüdisch-ideologische
Erwägungen als kalt berechnete imperialistische Interessen die Politik
bestimmen. Ausländische Experten bemerken in der Regel diesen Einfluß
nicht. Sie neigen dazu, den Einfluß der jüdischen Religion auf die
israelische Politik nicht zur Kenntnis zu nehmen oder herunterzuspielen.
Dies erklärt auch, warum ihre Voraussagen nicht eintreffen.
In der Tat
verursachen religiöse und oft triviale Gründe mehr als alles andere
israelische Regierungskrisen. Außer in Kriegszeiten und bei
sicherheitsbedingten Spannungen widmet sich die hebräische Presse
hauptsächlich der Diskussion der dauernd auftretenden Streitigkeiten
innerhalb der verschiedenen religiösen Gruppen oder zwischen den
religiösen und weltlichen Gruppen. Zur Zeit der Niederschrift dieses
Buches (Anfang August 1993) lauteten einige den Lesern der hebräischen
Presse wichtige Themen: Ob im Kampf gefallene Soldaten mit
mütterlicherseits nichtjüdischen Vorfahren in einem abgegrenzten Teil
der israelischen Militärfriedhöfe begraben werden sollen, ob es
jüdischen religiösen Bestattungsunternehmen, die ein Monopol für das
Begräbnis aller Juden mit Ausnahme von Kibbuz-Mitgliedern haben, erlaubt
sein soll, den Brauch der Beschneidung von Leichnamen nichtbeschnittener
Juden vor dem Begraben fortzusetzen (und dies, ohne die Erlaubnis der
Familie einzuholen) und ob der Import nichtkoscheren Fleisches nach
Israel, der seit der Errichtung des Staates inoffiziell verboten ist,
gesetzlich zuzulassen oder zu verbieten ist. Es gibt viele weitere
Fragen dieser Art, die in der israelisch-jüdischen Öffentlichkeit mehr
Interesse finden als etwa Verhandlungen mit den Palästinensern und mit
Syrien.
Die Versuche
einiger weniger israelischer Politiker, die Faktoren der "jüdischen
Ideologie" zugunsten rein imperialistischer Interessen zu ignorieren,
hat katastrophale Ergebnisse gezeitigt. Nach der teilweisen Niederlage
im Jom-Kippur-Krieg hatte Israel Anfang 1974 ein lebenswichtiges
Interesse, den steigenden Einfluß der PLO einzudämmen, die bis dahin von
den arabischen Staaten noch nicht als einzig legitime Vertretung der
Palästinenser anerkannt war. Die israelische Regierung plante nämlich
damals, den jordanischen Einfluß im besetzten Westjordanland zu fördern.
Als man König Hussein um seine Mitwirkung bat, verlangte er ein
sichtbares quid pro quo. Mit der Einwilligung von Verteidigungsminister
Mosche Dajan wurde damals vereinbart, daß der wichtigste Unterstützer im
Westjordanland, Scheich Jabri in Hebron, der den südlichen Teil mit
eiserner Faust regierte, eine Festivität für die Honoratioren der Region
im Hofraum seiner Luxusresidenz in Hebron geben sollte. Diese Feier zu
Ehren des Geburtstages des Königs, auf der die jordanischen Fahnen
öffentlich gezeigt werden sollten, war als Beginn einer projordanischen
Kampagne gedacht. Aber die religiösen Siedler im nahegelegenen Kirijat
Arbat, damals nur eine Handvoll, hörten von dem Plan und setzten die
Premierministerin Golda Meir und Dajan mit energischen Protesten unter
Druck, da, wie sie es sagten, das Aufziehen der Fahne eines
"nichtjüdischen Staates" im Lande Israel dem heiligen Prinzip
widerspräche, nach dem das Land nur den Juden "gehört". Da alle
Zionisten diesem Prinzip huldigen, mußte die Regierung sich ihren
Wünschen beugen und Scheich Jabri anweisen, keine jordanische Fahne zu
zeigen. Daraufhin sagte Jabri, der sich tief gedemütigt fühlte, die
Feier ab. Kurz danach fand die Konferenz der Arabischen Liga in Fez
statt, auf der König Hussein dafür stimmte, die PLO als alleinige
Vertretung der Palästinenser anzuerkennen. Für die Masse der
israelisch-jüdischen Öffentlichkeit beeinflussen solche jüdischen
ideologischen Erwägungen mehr als alles andere ebenfalls die derzeit
laufenden Verhandlungen über die "Autonomie".
Aus dieser
Darstellung der israelischen Politik und der dazugehörigen Analyse des
Judaismus ergibt sich zwangsläufig, daß Untersuchungen der in Israel
praktizierten Politik immer in die Irre führen, wenn sie nicht die
einzigartige Bedeutung des Begriffes "jüdischer Staat" hervorheben.
Insbesondere ist
der leichtfertige Vergleich Israels mit westlichem Imperialismus oder
Kolonistenstaaten nicht korrekt. Während der Apartheid "gehörte"
Südafrika offiziell zu 87% den Weißen und zu 13% den Schwarzen. Außerdem
errichtete man offiziell souveräne Staaten, die sogenannten Homelands
oder Bantustans, die alle mit den Symbolen der Souveränität ausgestattet
waren. Doch die "jüdische Ideologie" verlangt, daß kein Teil des Landes
Israel als den Nichtjuden "gehörig" zuerkannt werden kann und keine
Zeichen der Souveränität (wie die jordanische Fahne) öffentlich gezeigt
werden dürfen. Das Prinzip der Erlösung des Landes fordert, daß im
Idealfall das gesamte Land (und nicht nur beispielsweise 87%) im Laufe
der Zeit "erlöst", d.h. von Juden in Besitz genommen werden. Die
jüdische Ideologie verbietet das sehr bequeme Prinzip des Imperialismus,
das schon die Römer kannten, dem viele Weltreiche anhingen und das Lord
Cromer am besten formulierte: "Wir regieren nicht Ägypten - wir regieren
die Regierenden von Ägypten".
Die jüdische
Ideologie verbietet solches; sie verbietet sogar den Anschein einer
respektvollen Haltung gegenüber allen "nichtjüdischen Regierenden" im
Lande Israel. Den ganzen Apparat von Königen, Sultanen, Maharadschas und
Häuptlingen als Vasallen oder - wie in unseren Zeiten - abhängigen
Diktatoren, so bequem er auch in Fällen imperialistischer Hegemonie ist,
kann Israel nicht in dem Gebiet einsetzen, das man das Teil des Landes
Israel betrachtet. Somit entbehren die häufig von Palästinenser
ausgesprochenen Befürchtungen, ein "Bantustan" angeboten zu bekommen,
jeder Grundlage. Nur wenn zahlreiche jüdische Leben in einem Krieg
verlorengehen, wie es 1973 und in dem kriegerischen Nachspiel im Libanon
1983 bis 1985 geschah, ist ein israelischer Rückzug denkbar, da er sich
durch das Prinzip rechtfertigen läßt, daß die Heiligkeit jüdischen
Lebens Vorrang vor allen anderen Erwägungen hat. Nicht aber möglich ist,
solange Israel ein "jüdischer Staat" bleibt, die israelische Gewährung
einer vorgetäuschten, aber nichtsdestoweniger von den Symbolen her
realen Souveränität oder sogar eine echte Autonomie für Nichtjuden im
Lande Israels nur aus politischen Gründen. Israel ist wie einige andere
Länder ein exklusivistischer Staat, und der Exklusivismus ist ein
Privileg Israels selbst.
Vermutlich
beeinflußt die "jüdische Ideologie" nicht nur die israelische Politik,
sondern auch einen bedeutenden Teil, wenn nicht den größten, der in der
Diaspora lebenden Juden. Die Umsetzung der jüdischen Ideologie in reale
Maßnahmen erfordert ein starkes Israel, was wiederum zu einem
beträchtlichen Ausmaß von der Unterstützung abhängt, welche die Juden,
besonders in den USA, Israel zukommen lassen. Das Bild der Juden in der
Diaspora und ihre Haltung gegenüber Nichtjuden unterscheidet sich stark
von den oben beschriebenen Einstellungen des klassischen Judaismus.
Diese Diskrepanz fällt besonders in den englischsprachigen Ländern auf,
in denen die gröbsten Verfälschungen des Judaismus regelmäßig vorkommen.
Am schlechtesten ist die Lage in den USA und Kanada, den zwei Staaten,
in denen die israelische Politik und die politischen Linien, die am
deutlichsten den menschlichen Grundrechten der Nichtjuden widersprechen,
die stärkste Unterstützung findet.
Die US-Hilfe für
Israel läßt sich nicht einfach als Ergebnis der amerikanischen
imperialistischen Interessen deuten, wenn man sie nicht im Abstrakten,
sondern in konkreten Einzelheiten untersucht. Auch muß man den starken
Einfluß, den die organisierte jüdische Gemeinde in den USA zur
Unterstützung der gesamten israelischen Politik ausübt, berücksichtigen,
will man die Nahostpolitik der amerikanischen Regierungen verstehen.
Noch auffälliger ist dieses Phänomen im Falle Kanadas. Dieses Land hat
wohl kaum starke Interessen im Nahen Osten, zeigt aber gegenüber Israel
noch größere Loyalität als die USA. In beiden Ländern (und auch in
Frankreich, Großbritannien und vielen anderen Staaten) unterstützen die
jüdischen Organisationen Israel mit derselben Loyalität, wie es die
kommunistischen Parteien im Falle der UdSSR solange getan haben.
Ebenso legen viele
Juden, die die Menschenrechte so aktiv zu verteidigen und nonkonforme
Ansichten über andere Fragen zu hegen scheinen, in Sachen Israel ein
hohes Maß an Totalititarismus an den Tag und stehen in vorderster Front
bei der Verteidigung der gesamten israelischen Politik. Man weiß in
Israel nur allzugut, daß der Chauvinismus und Fanatismus der
organisierten Juden in der Diaspora (besonders seit 1967) viel
ausgeprägter ist als der Chauvinismus beim durchschnittlichen
israelischen Juden. Dieser Fanatismus zeigt sich besonders in Kanada und
den USA. Weil er aber eine unvergleichlich höhere politische Bedeutung
in den USA hat, konzentriere ich mich auf letzteren. Dabei ist jedoch
anzumerken, daß es auch Juden gibt, deren Ansichten über die israelische
Politik sich nicht von denen unterscheiden, die der Rest der
Gesellschaft (unter entsprechender Berücksichtigung der Geographie, des
Einkommens, der sozialen Stellung usw.) hegt.
Warum sind also,
manchmal bis zum Exzeß, amerikanische Juden chauvinistisch und andere
nicht? Wir sollten dabei mit einer Untersuchung der sozialen und deshalb
auch politischen Bedeutung der jüdischen, ihrer Natur nach ausgesprochen
exklusiven Organisationen beginnen, da sie nämlich prinzipiell keine
Nichtjuden zulassen. (Dieser Exklusivismus steht im Gegensatz zu dem
Eifer, mit dem sie auch den obskursten nichtjüdischen Club verdammen,
der die Aufnahme von Juden verweigert.) Diejenigen, die man
"organisierte Juden" nennen kann und den größten Teil ihrer Freizeit in
Gesellschaft anderer Juden verbringen, halten augenscheinlich den
jüdischen Exklusivismus hoch und konservieren die Haltung des
klassischen Judaismus gegenüber Nichtjuden. Unter den derzeitigen
Umständen können sie ihre Einstellung gegenüber Nichtjuden in den USA,
in denen die Nichtjuden mit 97% die Bevölkerungsmehrheit bilden, nicht
offen vertreten. Als Ersatz drücken sie ihre echte Einstellung mit der
Unterstützung des "jüdischen Staates" und der Behandlung aus, die er den
Nichtjuden im Nahen Osten zukommen läßt. Wie anders sonst können wir den
Enthusiasmus erklären, den so viele amerikanische Rabbiner bei der
Unterstützung für etwa Martin Luther King zeigten, vergleicht man ihn
mit der fehlenden Unterstützung für die Rechte der Palästinenser und
sogar für ihre individuellen Menschenrechte? Wie sonst können wir den
schreienden Widerspruch zwischen der Haltung des klassischen Judaismus
gegenüber Nichtjuden mit der Vorschrift, daß das Leben letzterer nur um
jüdischer Interessen willen zu retten sei, und der Unterstützung der
amerikanischen Rabbiner und organisierten Juden für die Rechte der
Schwarzen erklären? Schließlich sind Martin Luther King und der größte
Teil der amerikanischen Schwarzen Nichtjuden. Auch wenn man
berücksichtigt, daß nur die konservativen und orthodoxen Juden, die
zusammen die Mehrheit der organisierten amerikanischen Juden bilden,
solche Ansichten über die Nichtjuden pflegen, so hat der andere Teil des
amerikanischen Judentums, nämlich die reformierten, nie Stellung gegen
sie bezogen und scheint meiner Ansicht nach stark unter ihrem Einfluß zu
stehen. Dieser offene Widerspruch läßt sich allerdings leicht auflösen.
Man muß sich nämlich immer daran erinnern, daß der Judaismus, besonders
in seiner klassischen Form, der Natur nach totalitär ist. Das Verhalten
der Vertreter anderer totalitärer Ideologien in unserer Zeit unterschied
sich in Nichts von dem Verhalten der organisierten amerikanischen Juden.
Stalin und seine Helfershelfer verdammten unermüdlich die
Diskriminierung der amerikanischen oder südafrikanischen Schwarzen, und
zwar besonders auf dem Höhepunkt der schwersten von der UdSSR verübten
Verbrechen. Das südafrikanische Apartheid-Regime wurde wie seine
Unterstützer in anderen Ländern nicht müde, die Verletzungen der
Menschenrechte durch entweder die Kommunisten oder andere afrikanische
Regimes anzuprangern. Viele ähnliche Beispiele lassen sich hier
anführen. Eine Unterstützung der Demokratie oder der Menschenrechte ist
deshalb bedeutungslos oder sogar schädlich und betrügerisch, beginnt sie
nicht mit einer Selbstkritik und der Verteidigung der Menschenrechte,
wenn die eigene Gruppe sie verletzt. Jede allgemeine Unterstützung der
Menschenrechte durch einen Juden, der dabei nicht die durch den
"jüdischen Staat" verletzten Menschenrechte berücksichtigt, ist genauso
ein Täuschungsmanöver wie die Verteidigung der Menschenrechte durch
einen Stalinisten. Der auffällige Eifer, mit dem sich amerikanische
Juden oder die jüdischen Organisationen bei der Unterstützung der
Schwarzen im Süden der USA in den 50er und 60er Jahren zeigten, war, wie
die kommunistische Unterstützung für dieselben Schwarzen, lediglich
durch Erwägungen des jüdischen Selbstinteresses motiviert. In beiden
Fällen handelte es sich dabei allein um den Versuch, die schwarze
Gemeinschaft politisch zu vereinnahmen und, im Falle der Juden, eine
blinde Unterstützung der israelischen Politik im Nahen Osten zu
erheischen.
Deshalb ist die
echte Probe, auf die sich sowohl Israelis als auch die Juden in der
Diaspora gestellt sehen, eine Selbstkritik, zu der auch eine Kritik der
jüdischen Vergangenheit gehört. Der wichtigste Teil solch einer
kritischen Überprüfung besteht jedoch in einer ausführlichen und
ehrlichen Konfrontation mit der jüdischen Haltung gegenüber Nichtjuden.
Dies ist genau das, was viele Juden gerechterweise von den Nichtjuden
verlangen, sich nämlich der eigenen Vergangenheit zu stellen und sich so
der Diskriminierung und Verfolgungen bewußt zu werden, die die Juden
erleiden mußten. In den letzten 40 Jahren überstieg die Anzahl der von
Juden getöteten Nichtjuden bei weitem die Anzahl an Juden, die
Nichtjuden umbrachten.
Das Ausmaß der
Verfolgungen und Diskriminierungen gegen Nichtjuden durch den "jüdischen
Staat" mit der Unterstützung der organisierten Juden in der Diaspora ist
weitaus größer als das Leiden, das feindliche Regimes den Juden
zufügten. Obwohl der Kampf gegen den Antisemitismus (und gegen alle
anderen Formen des Rassismus) nie aufhören darf, hat der Kampf gegen den
jüdischen Chauvinismus und Exklusivismus, zu dem auch eine Kritik des
klassischen Judentums gehört, mittlerweile die gleiche oder noch größere
Bedeutung.
Jerusalem und die Juden
Die Diskussion von
Themen im Zusammenhang mit Juden bereitet einige Schwierigkeiten. Die
erste besteht darin, daß der Begriff "jüdisch", so wie er während der
letzten 150 Jahre gebraucht wurde, zwei unterschiedliche Bedeutungen
hat. Das war jedoch nicht immer so. Nehmen wir das Jahr 1760 als
Vergleichszeitpunkt. Damals war die allgemein anerkannte Bedeutung des
Begriffs "Jude" identisch mit dem Selbstverständnis der Juden. Obwohl
die jüdische Identität damals hauptsächlich religiöser Natur war,
betrachteten die Juden und die Völker, mit denen sie Kontakt hatten,
dies als eine nationale Identität, auch wenn sie aufgrund ihrer Religion
anders ausfiel. Für die Juden kristallisierte sich diese Ansicht in dem
oft zitierten Ausspruch des im 10. Jahrhundert lebenden Weisen Rabbi
Saadia ben Josef: "Unser Volk verdankt seinen Volkscharakter dem
Religionsgesetz." Dieses Gesetz regelte nicht nur alle öffentlichen und
private Lebensbereiche, sondern befahl auch eine strenge Trennung
zwischen Juden und den Nichtjuden. Die Erfahrung bis zum Jahre 1780
könnte den Ausspruch des Weisen aus dem 10. Jahrhundert bestätigen.
Damals traf es buchstäblich zu, daß ein Jude noch nicht einmal ein Glas
Wasser im Haus eines Nichtjuden trinken durfte.
Seit damals hat
sich jedoch diese Lage durch zwei parallel verlaufende Entwicklungen
geändert. Eine davon war das, was die jüdische Geschichtsschreibung
"Emanzipation der Juden" nennt. Von den ersten Anfängen im Holland und
England des 17. Jahrhunderts kam sie im revolutionären Frankreich und in
den Ländern einschließlich der modernen Monarchien des 19. Jahrhunderts,
die ihren Fußstapfen folgten, zur vollen Entfaltung. Im Laufe der
Entwicklung erhielten die Juden einen beträchtlichen Teil der
Individualrechte und in einigen Fällen sogar die volle rechtliche
Gleichstellung. Das Ergebnis war, daß die gesetzliche Autorität der
jüdischen Gemeinde über ihre Mitglieder aufgehoben wurde. Wenn z.B. im
Jahre 1780 ein Jude einen anderen Wasser im Hause eines Nichtjuden
trinken sah, konnte er in der Regel durch seine eigene jüdische Gemeinde
nach Recht und Gesetz bestraft werden. Im Jahre 1880 war dies in den
meisten Ländern aber nicht mehr möglich. Die zweite Entwicklung ist eine
Folge der ersten. Einige Juden konnten, wenn sie schon "emanzipiert"
waren, ihr jüdisches Erbe mehr oder weniger verleugnen und moderne
Ansichten übernehmen. Dies zog natürlich tiefgreifende Änderungen nicht
nur in ihrem Verhalten, sondern auch in ihrer Einstellung nach sich. Ein
extremer Fall hierbei waren diejenigen, die Juden nur noch in dem Sinne
blieben, daß sie nicht zu einer anderen Religion übertraten, sonst aber
vielleicht jedes Interesse an jüdischen Themen verloren. Auch wenn wir
die letzte Kategorie ignorieren, was ich auch tun werde, so gilt der
Begriff "Jude" heute für Bevölkerungsteile, die nur wenig gemeinsam
haben. Insbesondere fallen ihre Ansichten über alles "Jüdisches"
einschließlich Jerusalem in der Regel weit auseinander und sind auch
sehr oft diametral entgegengesetzt. Es gibt nicht mehr "allen Juden
gemeinsame" Eigenschaften, und es gibt auch keine allgemeine "jüdische"
Meinung über irgend ein Thema, am wenigsten in der Frage Jerusalem.
Da ich die Lage in
Israel bestens kenne und die Einstellung der israelischen Juden
gegenüber Jerusalem auf jeden Fall von besonderer politischer Bedeutung
ist, beschränke ich meine Ausführungen auf die verschiedenen Meinungen,
die verschiedene Teile der israelisch-jüdischen Gesellschaft
hinsichtlich Jerusalem vertreten, und auf einen Hinweis darauf, worin
diese Einstellungen in der jüdischen Vergangenheit wurzeln. Moderne
israelische Soziologen und Meinungsforscher sind überwiegend der
Meinung, daß die jüdische Gesellschaft in Israel in zwei Teile nahezu
gleicher Größe aufgespalten ist. Der wichtigste Einzelfaktor, der die
Zugehörigkeit zum einen oder anderen dieser Teile bestimmt, ist die
Haltung gegenüber der jüdischen Religion, ihrer Befolgung und ihres
Einflusses auf politische Fragen. Nach politischen
Unterscheidungsmerkmalen gehört jemand zum Likud, einer anderen der
rechten Parteien und aller religiöser Parteien und ein anderer dagegen
zur Arbeiterpartei und allen Linksparteien. Ein Block steht für die
vollständige oder teilweise Fortsetzung der jüdischen religiösen
Tradition und der andere für eine beträchtliche Änderung der Dogmen
durch Einbeziehung einiger moderner Züge.
Lassen Sie mich in
diesem Zusammenhang einige Angaben aus einem Artikel zitieren, den einer
der angesehensten israelischen Soziologen, Baruch Kimmerling (Zmanim,
Nr. 50-51, Herbst 1994) mit dem bedeutsamen Titel "Religion,
Nationalismus und Demokratie in Israel" beschrieben hat. Unter Verweis
auf eine Vielzahl von Untersuchungen zeigt Kimmerling überzeugend, daß
die jüdische Gesellschaft in Israel in religiösen Fragen weitaus
gespaltener ist, als man es im Ausland annimmt, wo der Glaube an die
"allen Juden gemeinsamen" Eigenschaften und an daraus folgende
Verallgemeinerungen viel weniger angezweifelt wird. So zitiert
Kimmerling Daten aus einer vom renommierten Gutman-Institut der
Hebräischen Universität in Jerusalem vorgenommenen Untersuchung, nach
der 19 % der israelischen Juden angeben, daß sie täglich beten, und 19 %
sagen, sie würden unter keinen Umständen eine Synagoge betreten. Aus
diesen und ähnlichen Befunden zieht er den Schluß, daß jeder der oben
erwähnten Blöcke einen harten Kern von Gläubigen mit entgegengesetzten
Meinungen enthält.
Viel bedeutender
für unseren Zweck ist jedoch die Feststellung von Kimmerling (sowie
anderen renommierten Forschern), daß der Respekt vor der Demokratie im
umgekehrten Verhältnis zur Religiosität eines israelischen Juden steht.
Der größte Unterschied zeigt sich in der Einstellung der jüdischen
Jugendlichen gegenüber den Arabern mit israelischer Staatsangehörigkeit.
Während z. B. 47 % der jungen jüdischen Befragten meinen, daß die Rechte
der israelischen Araber "drastisch beschnitten" werden sollten, beträgt
der entsprechende Prozentsatz bei den religiösen und weltlich
eingestellten Jugendlichen 89 bzw. 13 %, wobei diejenigen, die sich
selbst als "Traditionalisten" sehen, d.h. die religiösen Gebote nur
teilweise beachten, zwischen beide Extreme fallen. Natürlich gibt es
auch weitere Faktoren, wie die Armut. Die meisten antidemokratischen
Juden sind jedoch diejenigen, die sowohl religiös als auch arm sind. Von
diesen beiden Eigenschaften liefert die Religion die besten Erklärungen.
Ich möchte nun zu
der Einstellung gegenüber Jerusalem gehen. Dabei beginne ich mit der
Haltung der religiösen Juden in Israel, die sich auf das zurückführen
läßt, was ich "klassischen Judaismus" nennen würde, d. h. den Judaismus,
dem die gesamte jüdische Gemeinschaft von etwa dem ersten Jahrhundert
bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts folgte und der seinen Einfluß auf
etwa die Hälfte der jüdischen Gesellschaft in Israel beibehielt. Ich
werde hier nicht auf die Bibel oder auf den Judaismus in biblischen
Zeiten verweisen, da der "klassische Judaismus" in der Tat später durch
den Talmud geformt wurde. Der biblische Einfluß, der von gegen den
Judaismus rebellierenden Juden wiederbelebt wurde, spielt nur eine Rolle
bei den Juden, die moderne Ansichten vertreten, insbesondere bei jenem
harten Kern, der sich unter allen Umständen weigert, eine Synagoge zu
betreten. Ebenfalls erwähnen werde ich nicht das, was unter dem Namen "judäo-christliche
Tradition", ein in meiner Sicht ähnliches Gebräu wie Stalins
"Marxismus-Leninismus", daherkommt. Desgleichen gehe ich auch nicht auf
die "abrahamische Tradition" ein, einen blanken Unsinn in meiner Sicht.
Jedem, der die von
dem "klassischen Judaismus" durch alle Zeitalter hindurch produzierte
Literatur gut kennt, ist es klar, daß Jerusalem in diesen Schriften
hauptsächlich als die Stadt erscheint, in der der Tempel stand. Gerade
dieser Tempel und die darin dargebrachten Tieropfer sind der Grund für
die tiefe jüdische Bindung an die Stadt. Dazu gesellen sich Trauer und
ein Gefühl des Verlustes, das seit der Zerstörung durch die Römer im
Jahre 70 n. Chr. andauert. Im Gegensatz zu den vielen dickleibigen
Bänden der Gelehrsamkeit des "klassischen Judaismus", die in allen
Einzelheiten den Tempel und alles um ihn herum - besonders die
Tieropferbehandlung - beschreiben, gibt es nur wenig Literatur über die
Stadt Jerusalem selbst. In den jüdischen Gebeten werden stets nur der
Tempel und die darin dargebrachten Opfer erwähnt. Die zionistische
Verwendung der jüdischen Gebete hat mit ihrem Inhalt genausoviel zu tun
wie Stalins Zitate aus den Werken von Karl Marx. Dies ist nur möglich,
weil Christen und Moslems mehr oder weniger fast gar nichts über den
Judaismus wissen, weder über den klassischen noch den modernen.
So ist z.B. der
oft zitierte Ausruf "Nächstes Jahr in Jerusalem" in der Tat ein Teil der
Feier am Vorabend des Passah-Festes, den auch viele weltliche Juden
weiterhin auf alte Art und Weise begehen. In welchem Zusammenhang
erscheint nun dieser Ausruf bei der Zeremonie? Ihm geht ein feierliches
Gebet voran, in dem man Gott bittet, die Tieropfer im Tempel wieder
zuzulassen. In jener glücklichen Zeit, so das Gebet, wird große Freude
unter den Juden herrschen "angesichts des Blutes der Schafe, die auf die
Seite des [Tempel-]Altars geworfen werden, um Dir, o Herr, Freude zu
bereiten". Nur bei dieser Gelegenheit erfolgt der Ausruf, an den sich
wiederum ein Gebet anschließt, das dem tatsächlichen Opfer eines Schafes
schon während der Feier am Vorabend des Passah-Festes des nächsten
Jahres erwartungsvoll entgegenblickt. Es liegt auf der Hand, daß die
ursprüngliche heute noch von vielen Juden vertretene Bedeutung von
"nächstes Jahr in Jerusalem" nichts anderes als "nächstes Jahr das Blut
eines Schafes auf die Seite eines Altars in einem neu gebauten Tempel
geworfen" besagt. Gleichzeitig hat von Weizmann bis Ben Gurion und von
Begin bis zu Rabin und Peres kein einziger wichtiger zionistischer
Politiker darauf gewartet, "das Blut eines auf die Seite eines Altars
geworfenen Schafes" in einem jüdischen Tempel zu sehen. Es gab nichts,
worum sie sich weniger kümmerten. Sie wollten nur die echten Gefühle der
Religiösen für ihre eigenen Zwecke manipulieren und den Nichtjuden mit
aus dem historischen jüdischen Zusammenhang herausgerissenen Zitaten
imponieren. Doch ihre Politik hinsichtlich Jerusalem gründete sich nicht
auf Erwägungen, die in der jüdischen Vergangenheit oder der jüdischen
Religion wurzeln.
Die Wallfahrten
religiöser Juden nach Jerusalem, geschweige denn ihre Niederlassung in
der Stadt, die seit der Zerstörung des Tempels nie unterblieb, war auch
durch die tiefe Bindung an den Ort des zerstörten Tempels und an den
Wunsch nach seiner Wiederherstellung motiviert. Sieht ein frommer Jude
zum ersten Mal den Tempelberg (Haram Al-Scharif), so macht er zum
Zeichen der Trauer einen kleinen Riß in sein Hemd oder seinen Umhang,
was sich von dem aus biblischen Zeiten stammenden Brauch ableitet, seine
Kleider zu zerreißen. Dasselbe Ritual führt er bei der Beerdigung einer
seiner nächsten Angehörigen aus. Sein Ziel war immer der Platz direkt am
Ort des Tempels oder der Ort, an dem er die beste Aussicht auf ihn
hatte. In der Tat spielt die Klagemauer, historisch gesehen, nur seit
relativ kurzem eine Rolle. Seit Jahrhunderten betrachtet der fromme Jude
den Ölberg als heiligsten Ort in Jerusalem, da er den besten Blick auf
den Tempel bietet. Die Heiligkeit der Klagemauer datiert aus dem 10.
Jahrhundert, als die persönliche Sicherheit außerhalb der Mauern von
Jerusalem prekär und Besuche des Ölbergs auch am Tage gefährlich waren.
Die Heiligkeit der Klagemauer wurde im 16. und 17. Jahrhundert durch den
jüdischen Mystizismus (die Kabbala), die damals die jüdische Religion
und Kultur beherrschte, unter den Juden popularisiert und hervorgehoben.
(Nebenbei bemerkt, wurden zu jener Zeit nahezu alle anderen der ziemlich
zahlreichen jüdischen "heiligen Orte" in Palästina erfunden.) Die zuvor
im Judaismus bekannte kabbalistische Doktrin, daß Gott die an einem
heiligen Ort gesprochenen Gebete schneller als anderswo abgehaltene
Gebete erhört und erwidert,
half der
Vorstellung über die Heiligkeit der Klagemauer stark nach. Dieses Dogma
wurde schon bald auf geschriebene Gebete ausgedehnt, die zwischen die
Steine der Klagemauer eingefügt wurden.
Seltsamerweise
existierte mit dieser tiefen Bindung an den Ort des Tempels gleichzeitig
das strikte Verbot für die Juden, ihn zu besuchen. Um dieses Paradox zu
erläutern, muß ich etwas über die Zeit vor 70 n. Chr., als der Tempel
noch stand, einfügen. Zu jener Zeit gab es im Judaismus ausführliche
Vorschriften, die Reinheit und Unreinheit regelten. Nur ein Jude im
Zustand ritueller Reinheit durfte den Innenplatz des Tempels betreten,
an dem die Tiere geopfert und ihre Kadaver auf dem großen Altar
verbrannt wurden. Der Tempel selbst war ein kleines von großen
Innenhöfen umgebenes Gebäude, das die jüdischen Priester nur im Zustand
der Reinheit betreten durften. Der Eintritt eines unreinen Juden in die
inneren Tempelhöfe oder eine Handlung im Tempel durch einen unreinen
Priester wurde als schwere Sünde und Sakrileg betrachtet. Ein Jude
konnte auf vielerlei Arten unrein werden. Die wichtigste und
"ansteckendste", um einen modernen Ausdruck zu verwenden, war eine auch
nur indirekte Berührung eines jüdischen Leichnams oder auch eines noch
so kleinen Teils eines jüdischen Knochens, der aus auch noch so
entfernter Vergangenheit stammte. (Nebenbei bemerkt, der Talmud legt
fest, daß nur der tote Körper eines Juden Unreinheit verursacht.
Leichname von Nichtjuden oder von Tieren haben diese Wirkung nicht.)
Befand sich z.B. ein Jude auf einem jüdischen Friedhof, wurden alle
Juden, die er später mit der Spitze seines kleinen Fingers berührte,
ebenfalls unrein. Das galt auch für die Kleider.
Unreine Juden
können sich jedoch mittels eines komplizierten, mehrerer Tage dauernden
Rituals wieder reinigen. Für unsere Zwecke reicht es zu erwähnen, was am
3. und 7. Tag geschah. Der noch unreine Jude mußte sich von einem reinen
Priester mit Wasser besprengen lassen, das ein wenig von der Asche einer
rötlichen Kuh enthielt (siehe 4. Mose 19). Rötliche Kühe wurden von Zeit
zu Zeit auf dem Ölberg von einem reinen Priester geopfert. Dabei mußten
sie vollkommen rot sein. Schon zwei Haare, die nicht rot waren, reichten
aus, sie als Opfer auszuschließen. Da der rituelle Zustand der Reinheit
nicht nur für den Eintritt in die Tempel-Innenhöfe, sondern auch für
zahlreiche andere Handlungen jüdischer Anbetung erforderlich war, zogen
es viele Juden damals vor, sich zu jeder Zeit rein zu halten, um Gott zu
gefallen. Damit sie sich aber wieder reinigen konnten, wurden kleine
Mengen der Asche der rötlichen Kuh von Zeit zu Zeit über das von Juden
bewohnte Palästina verstreut. Wir besitzen solide Beweise, daß Reste der
Asche der rötlichen Kuh noch bis zum 6. Jahrhundert in Galiläa
aufbewahrt wurden und sich einige Priester bis damals in der Erwartung
eines Wiederaufbau des Tempel selbst rein hielten.
Seit jener Zeit
befinden sich die Juden selbst jedoch im Zustand der rituellen
Unreinheit. Somit verbieten ihnen die religiösen Verbote nicht nur, die
Tempel-Innenhöfe zu befinden, sondern auch den Tempel wieder aufzubauen,
der ja Reinheit verlangt. Ich möchte hier noch erwähnen, daß alle
Nichtjuden, die entsprechend dem Judaismus nicht nur unrein sind,
sondern auch nicht gereinigt werden können, nach einer Proklamation des
Oberrabbinats (zumindest in der hebräischen Version) ebenfalls den
Tempelberg nicht betreten dürfen. Die Juden, die den Tempelberg
besuchten, sind genau diejenigen, die, wie schon zum Beginn meiner
Ausführungen dargelegt, gegen den "klassischen Judaismus" rebellierten.
Die Rabbiner und die jüdischen religiösen Parteien würden am liebsten
den Tempelberg für jeden und auch für die moslemischen Beter in der
Aksa-Moschee schließen, da in ihrer Sicht ihr Betreten die Heiligkeit
des Ortes nicht weniger als der Eintritt ungläubiger Juden entweiht.
Solche Besuche werden fortgesetzt und auch nur deswegen gefördert, weil
alle israelischen Regierungen bis jetzt weltlich waren. Interessant ist
dabei, daß der jüdische Untergrund die Moschee auf dem Tempelberg in die
Luft jagen wollten, nachdem ein Rabbiner die Meinung vertrat, daß ein
kurzzeitiges und einmaliges Betreten des heiligen Ortes durch unreine
Juden zu solch einem Zwecke der langfristigen Entweihung vorzuziehen
sei.
Daher lassen sich
die winzigen Gruppen von Juden, die den Tempel oder wenigstens den
großen Altar wieder aufbauen oder den Tempelberg zum Gebet betreten
möchten, nur als jüdische Häretiker beschreiben. Sie sind Sonderlinge
und Dummköpfe und werden von allen echt religiösen und vielen weltlichen
Juden vehement abgelehnt. Ihre stark übertriebene Bedeutung erlangten
sie durch die Medien, die ihre Hanswurstereien gerne bringen, und durch
das Unwissen der moslemischen Geistlichkeit und Gelehrten über den
Judaismus.
Doch die
Unreinheit der religiösen Juden läßt sich nicht nur auf die fehlende
Asche der rötlichen Kuh zurückführen. Voll rot gefärbte Kühe fand man in
allen Ecken der Erde und brachte sie nach Israel, wo sie in Erwartung
der für sie vorgesehenen Verwendung liebevoll umsorgt wurden. Aber hier
existiert ein "Fallstrick". Wie schon zuvor erwähnt, muß der Priester,
der die rötliche Kuh opfert, selbst rein sein. Andernfalls ist das Opfer
ungültig und hat keine reinigende Wirkung. Da aber alle Juden
einschließlich ihrer Priester seit mindestens 1400 Jahren unrein sind
und ihr tägliches Leben zu ihrer Unreinheit beträgt, kann man keinen
reinen Priester zum Opfern der rötlichen Kuh finden. Man glaubt nun, es
sei eine der Aufgaben des Messias, einen Teil der Asche der rötlichen
Kuh zu suchen oder aus dem Himmel mitzubringen und so den Prozeß der
Reinigung einzuleiten. In Abwesenheit des Messias kann nichts geschehen.
Möglicherweise "finden" einige treue Anhänger des Gusch Emunim einen
alten Pott mit Unrat und erklären, er enthielte die Asche der rötlichen
Kuh. Man kann aber sicher sein, daß nahezu alle Rabbiner solch eine
"Entdeckung" mit Horror zurückweisen und ihr keine Gültigkeit zusprechen
würden.
Nichtsdestoweniger
können, wenn auch nicht immer, die Gefühle der religiösen Juden für den
Tempel und seinen Ort politische Wirkung zeigen. Die religiösen Juden in
Israel lassen sich in zwei Kategorien einteilen: in jene, die die
nationale religiöse Partei unterstützen oder zumindest mit ihr
sympathisieren und oft "Messianisten" genannt werden, und solche, die
man "Haredim" (Gottesfürchtige) nennt, und die Gebote des "klassischen
Judaismus" sehr viel strenger einhalten. Der Graben geht ziemlich tief:
jede Kategorie unterhält ein separates Schulsystem und separate Systeme
der Kaschrut-Regeln. Außerdem gibt es einen wichtigen theologischen
Unterschied zwischen ihnen. Die "Messianisten" glauben an die
bevorstehende Ankunft des Messias und "die Änderung der Qualität der
Zeit", wobei die Welt in eine neue Ära des "Beginns der Erlösung"
eintritt. Die Juden in dieser Ära haben die Aufgabe, die besten
Bedingungen für den Messias herzustellen. Die Beschlagnahme arabischen
Landes in Jerusalem und die tausend Schikanen gegenüber den
Palästinensern haben nach Meinung der "Messianisten" einen theologischen
Zweck. Nach dem jüdischen Religionsgesetz [Halacha] dürfen Nichtjuden im
Idealfall nicht in Jerusalem leben, die Stadt aber besuchen. Ferner
sollten keine Gebetsorte von nichtjüdischen Religionen in Jerusalem
toleriert werden. (Leser des Flavius Josephus werden sich erinnern, daß
die Juden an diese Lehrmeinungen in den letzten Jahrhunderten glaubten,
als der Tempel noch bestand.) Das heißt mit anderen Worten, die
"Messianisten" glauben, daß Gott um so mehr erfreut und dann der "Anfang
der Erlösung" sich um so schneller zu einer vollen "Erlösung"
entwickelt, je weniger Juden sich in Jerusalem befinden.
Die Haredim weisen
jedoch solche theologischen Annahmen und deshalb auch die Politik der
"Messianisten" zurück. Nach ihnen hat sich die Zeit nicht geändert. Die
israelische Politik sollte als einziges Ziel das Wohlergehen der Juden
und hier insbesondere der Haredim haben. Die Beschlagnahme von Land in
Jerusalem ist in ihrer Sicht nur dann erlaubt, wenn sie diesem Ziel
dient. Falls sie zu großen Protest hervorruft, sollte man von ihr
ablassen. Das heißt mit anderen Worten, die "Messianisten" sind auch
unter den religiösen Juden isoliert. Ob in der Frage Jerusalem oder auf
anderen Gebieten, sie konnten nie etwas ohne ihre weltlichen jüdischen
Alliierten in Israel zustande bringen. Dies ist der Grund, warum ich
jetzt den Teil der israelisch-jüdischen Gesellschaft hinsichtlich ihrer
Haltung gegenüber Jerusalem behandeln muß.
Lassen Sie mich
mit der Frage beginnen, was der israelische Jude mit einer weltlichen
Erziehung, der sein Erwachsenendasein in einem vollständig weltlichen
sozialen Milieu verbringt, über Israel weiß oder auch nicht weiß. Die
jüdische Erziehung in Israel (geschweige in der Diaspora) ist
chauvinistisch. Der Chauvinismus drückt sich in erster Linie in der
Unkenntnis oder der größtmöglichen Verniedlichung der Rolle von
Nichtjuden aus, die jemals in Palästina lebten oder in diesem Lande von
Bedeutung waren. Die populäreren Medien verstärken diese Vorstellung der
öffentlichen Erziehung nach Kräften. So wird zum Beispiel in jüdischen
Schulen gelehrt und auch von der Mehrheit der israelischen Juden gegen
alle historischen und archäologischen Beweisen geglaubt, daß Palästina
immer nur aufblühte, wenn das Land von Juden beherrscht oder bewohnt
wurde, und niemand außer den Juden zur Mehrung seines Nutzens
beigetragen habe. Dieser böse Mythos wird auch auf Jerusalem angewandt.
Die lange Geschichte der Stadt vor ihrer Eroberung durch König David
(etwa 1000 v. Chr., das genaue Datum ist unsicher) wird entweder
ignoriert oder kaum erwähnt. Behandelt wird dagegen die Geschichte der
folgenden ca. 1000 Jahre, d.h. die Zeit vor der Eroberung bis zur
Zerstörung der Stadt und des Tempels im Jahre 70 n. Chr., in der
Jerusalem eine israelitische und dann eine jüdische Stadt war.
Die Geschichte der
Stadt danach wird in den jüdischen Schulen Israels oder in der
Öffentlichkeit nur sehr selektiv erörtert. Dabei berücksichtigt man nur,
was geschichtlichen Bezug zu den Juden hat. Die Existenz von Nichtjuden
und insbesondere ihrer Herrscher in Jerusalem während dieser langen Zeit
kann man zwar nicht vollständig ignorieren, wird aber einzig und allein
unter dem Gesichtspunkt ihrer Haltung zu den Juden und nicht als eigenes
Thema behandelt. So seltsam es auch klingen mag, man nimmt allgemein an,
daß, als keine Juden in Jerusalem lebten, auch keine anderen Menschen
dort vorhanden waren. Dies ist beileibe keine Übertreibung. Direkt nach
der Eroberung von Ost-Jerusalem im Jahre 1967 schrieb der bekannte
Liedermacher Naomi Schemer "Jerusalem, die Goldene", ein Lied, das
enorme Popularität erzielte. In den entscheidenden Teilen beschreibt er
Jerusalem vor der Eroberung: "Alle Marktplätze sind leer, niemand
wandert von Jericho zum Toten Meer".
Somit nimmt die
Mehrheit der israelischen Juden an, daß der östliche Teil der Stadt vor
der Eroberung durch den jüdischen Staat entvölkert war. Mit Ausnahme
weniger mutiger Radikaler protestierte niemand gegen diese Annahme im
Jahre 1967 und nur eine kleine Minderheit (wenn auch zugegebenermaßen
sehr lautstark) protestiert dagegen jetzt. Diese Vorstellung ist eine
säkularisierte Version der im Laufe der Zeit geschriebenen hebräischen
religiösen Poesie, die die Stadt Jerusalem als "in Ruinen" oder
"erniedrigt" beschreibt, als sie in der Tat noch von Nichtjuden
bevölkert und verehrt wurde. Als ich die "historische Geographie von
Palästina" an meinem Gymnasium etwa um 1950 studierte, wurde mir über
die Geschichte Jerusalems von 70 n. Chr. bis zur Eroberung durch den
Kalifen Omar im Jahre 638 als einzige Tatsache gelehrt, daß die Juden
nur an einem Tag im Jahr in die Stadt gelassen wurden, damit sie die
Zerstörung des Tempels in der Nähe betrauern konnten. Als ich einmal
unschuldig fragte, was sonst noch in Jerusalem während der langen Zeit
geschah, erhielt ich vom Lehrer die schroffe Antwort, daß einige Fragen
nicht gestellt werden sollten. Diese Neigung der meisten israelischen
Juden, die Anwesenheit von Nichtjuden zu leugnen oder herunterzuspielen,
manifestierte sich in jedem Teil des Landes Israel unter israelischer
Herrschaft, so z.B. im Falle der Golan-Höhen.
Meron Benvenisti
beschrieb diese Einstellung, die auch derzeit gegenüber den besetzten
Gebieten vorherrscht (Haarez, 27. April). Er betrachtet sie als ein
Symptom einer "konzeptionellen ethischen Säuberung, d.h. eine Löschung
der Anderen aus dem Bewußtsein eines Menschen. Man kann nicht umhin
festzustellen, daß der sogenannte 'Friedensprozeß mit den
Palästinensern' in der jüdischen Gesellschaft von einem ungewöhnlich
hohen und der Nähe des Rassismus liegenden Anteils an Ethnozentrismus,
tribalen Formen der Moralität und der Unfähigkeit begleitet wird,
zwischen dem moralischen Recht auf Existenz und der moralischen Pflicht
zu anständigem Verhalten zu unterscheiden". Benvenisti zieht den meiner
Ansicht nach richtigen Schluß, daß "der Oslo-Prozeß, die daraus
resultierende Ideologie der Abgrenzung und die sich daraus ergebenden
Sicherheitserwägungen nur die [israelische] ethnische Säuberung mit
einer Aura der Ehrsamkeit übertüncht werden soll. Sicher kann man meine
Verwendung des Begriffs als einen Ausdruck von Extremismus ansehen,
vergleicht man ihn mit seiner normalen Verwendung als elegante
Umschreibung für Vertreibungen und Massenmord. Meiner Ansicht nach
können ethnische Säuberungen auch zeitlich beschränkt sein. Eine
Sperrung der besetzten Gebiete oder ein Ausgehverbot, das öffentliche
Plätze von 'anderen' reinigen soll, sind perfekte Beispiele solch einer
konzeptionellen und zeitlich begrenzten ethnischen Säuberung". Die
Vorgänge in Jerusalem sind möglicherweise besser bekannt als die
Vorfälle im Westjordanland. Die Politik ist aber immer die gleiche.
In diesen
Ausführungen kann ich nicht alle Aspekte behandeln, die ich, sei es in
Jerusalem oder einem anderen Teil Palästinas einschließlich Israel, als
israelische Apartheid-Politik betrachte. Doch die Apartheid-Politik
gründet sich meiner Meinung nach letztlich auf der Vorstellung, daß im
Idealfall nur Juden auf jüdischem Land in einem jüdischen Staat leben
sollten. Wie schon alle Gründerväter des Zionismus sagten und was bisher
noch kein einziger zionistischer Führer bis zum heutigen Tag
zurückgewiesen hat, können die Juden nur in einer vollständig jüdischen
Gesellschaft, d.h. in einer Gesellschaft, zu der nur die Juden gehören,
"normal" werden und alle Arten von "schlechten Eigenschaften" loswerden,
die mit der Phrase der "Diaspora-Mentalität" beschrieben wird. Nicht nur
die palästinensischen Arbeiter werden in den israelischen Medien
regelmäßig als "Krebs in unserem Körper" beschrieben, sondern auch
thailändische und rumänische Arbeiter, die man zu ihrem Ersatz
importiert hat. Das Ideal einer ethnischen Säuberung gilt für alle
Nichtjuden.
Lassen Sie mich
nebenbei deutlich sagen, daß diese schändliche Haltung gegenüber
Nichtjuden nicht von israelischen Archäologen propagiert wurde, wie
einige arabische Intellektuelle anscheinend meinen, weil sie so große
Diskrepanz zu den archäologischen Funden aufweist. Kein Archäologe kann
leugnen, daß vor dem 19. Jahrhundert Palästina (und nebenbei bemerkt
auch Jerusalem) eine Hochblüte im späten Römischen Reich und während der
frühen byzantinischen Periode (etwa vom frühen 4. bis zur Mitte des 6.
Jahrhundert) erlebte, als die große Mehrheit der Einwohner Christen
waren und viele von ihnen griechisch sprachen. Die israelische
Archäologie hat sicherlich ihre Fehler, übt aber, falls überhaupt, einen
mäßigen Einfluß auf die israelisch-jüdischen Chauvinisten aus.
Die beschriebene
Haltung des weltlichen jüdischen Chauvinisten in Israel läßt sich in
keiner Weise mit dem "klassischen Judentum" in Einklang bringen, in
dessen Namen ironischerweise Israel als "jüdischer Staat" exklusive
"historische Rechte" für das "vereinigte Jerusalem" beansprucht. Der
Grund hierfür liegt darin, daß die meisten heiligen Erscheinungen der
jüdischen Vergangenheit einschließlich des Tempels und der Stadt
Jerusalem während ihrer Existenz als jüdische Stadt dem weltlichen
Chauvinisten ganz und gar zuwider sind, und ihre Wiederherstellung
unwillkommen wäre. Es ist vielleicht ein neues Phänomen, das einen
Zusammenhang mit dem wiedererwachten Interesse an der jüdischen
Geschichte und der wachsenden Popularität ihrer revisionistischen
Strömungen aufweist, die ganz anders als manchmal gedacht, sich
keineswegs nur auf die Untersuchung von Ereignissen dieses Jahrhunderts
beschränken.
So veröffentlichte
z.B. die führende israelische Zeitung Haarez in ihrer letzten Beilage
zum Passah-Fest (14. April) einen Artikel, in dem zum ersten Mal gezeigt
wurde, wie der Tempel tatsächlich aussah, als er damals für religiöse
Handlungen und Tieropfer benutzt wurde. Der Titel lautete "Die heilige
Fleischerei". (Ich habe den nicht unbegründeten Verdacht, daß die
Veröffentlichung eines Artikels über jüdische Angelegenheiten unter
diesem Titel in der britischen Presse einen großen Skandal auslösen
würde. In Israel gab es keinen.) Unter Bezug auf die zuverlässigsten
jüdischen Quellen beschrieb der Artikel, wie die Tempel-Innenhöfe
während der vorgeblichen Ruhmeszeit tatsächlich aussahen und wie die
ganze oder teilweise Verbrennung der Opfertiere sich auf das Leben in
Jerusalem auswirkte. Der Gestank muß für moderne Nasen unerträglich
gewesen sein. Desweiteren wird in dem Artikel herausgestellt, daß die
geopferten Tiere gehäutet und dann in sechs Teile zerlegt werden mußten,
und zwar in vier Füße sowie den oberen und unteren Teil des Körpers. All
diese heilige Arbeit wurde von reinen Priestern im inneren Tempelhof vor
den Augen der Menschen ausgeführt. Nach alledem war dieses Abhäuten und
Tranchieren ein Lotteriespiel, bei dem festgelegt wurde, welcher
Priester das begehrte Privileg erhalten würde, etwa ein blutiges Bein
eines Rinds auf seine Schultern legen und es in das auf dem großen Altar
lodernde Feuer werfen zu dürfen. Andere Priester buken Kuchen aus dem
geheiligten Mehl und Öl in offenen um den Innenhof herum verstreuten
Öfen, damit sie dann auf dem großen Altar verbrannt und in einigen
Fällen auch von den Priestern gegessen werden konnten.
Nebenbei bemerkt
gab es eine umfangreiche durch die Jahrhunderte von den rabbinischen
Weisen geschriebene Literatur, in der z.B. erörtert wurde, wie das zu
opfernde Schaf genau zu häuten sei. Einige treue Anhänger des Gusch
Emunim verbringen ihre ganze Zeit mit dem Studieren dieser Literatur in
speziellen Jeschiwot. Die bekannteste von ihnen, Ateret Cohanim ["Diadem
der Priester"] verbindet ihre Arbeit, Priester in der Darbringung von
Tieropfern zu schulen, mit dem (nicht notwendigerweise immer auf
gesetzliche Art gehaltenen) Erwerb von palästinensischem Eigentum in der
Altstadt von Jerusalem, um fromme Juden dort anzusiedeln. Das meiste für
die heiligen Ziele gesammelte Geld kommt von den frommen Juden in
englischsprachigen Ländern einschließlich Großbritannien, wo es von der
Steuer absetzbar ist. Würde in Großbritannien jemand vielleicht etwas
mehr über die Absichten von Ateret Cohanim wissen, entzöge ihm die
britische Regierung seine Privilegien. Doch die Unwissenheit über
jüdische Angelegenheiten in der Vergangenheit und in der Gegenwart
schließt von vornherein jede ernsthafte Debatte der Ziele solcher
Institutionen aus. Diese Unwissenheit kann mitunter grenzenlos sein. In
der umfangreichen Literatur über die Zeit von Jesus habe ich bisher
vergeblich nach einer Beschreibung darüber gesucht, wie der Tempel
aussah, als Jesus dort betete. Die Bildung solch widersinniger Begriffe
wie "judäo-christliche Tradition" läßt sich solch einer Unwissenheit
zuschreiben.
Meine Darstellung
über die Abläufe im Tempel mag etwas kurz geraten sein, vermittelt aber
genügend Verständnis dafür, warum jedem weltlichen Juden, so
chauvinistisch er auch sein mag, die Wiederaufnahme dieser Praktiken nur
übel aufstoßen kann. Dies gilt umso mehr, sollten alle diese blutigen
Einzelheiten weltweit im Fernsehen gezeigt werden. Fromme Juden würden
sicherlich diese Aussichten begrüßen; für den säkularen Juden sind sie
jedoch nur abstoßend.
Es ist nun Zeit
für einige politische Schlußfolgerungen. Zunächst einmal wird Jerusalem
nie Gerechtigkeit und Gleichheit bieten und auch nie offen für alle
Menschen ohne Unterschied sein, sofern wir nicht in allen Einzelheiten
wissen, wer gegen diese Ziele ist und warum. Francis Bacon, einer der
Gründer der modernen Wissenschaft, sagte: "Wissen ist Macht". Wer sich
auch immer selbst eines genauen und ausführlichen Wissens begibt,
verzichtet auch auf die Möglichkeit, die ihm und anderen zugefügten
Ungerechtigkeiten zu beseitigen. Keine noch so ausschweifenden
Diskussionen über UN-Resolutionen können ein Ersatz für die Macht sein,
die Wissen besitzt.
Zweitens müssen
diejenigen, die für die Nichtjuden in Jerusalem auch nur minimale
Gerechtigkeit einfordern, sich vergegenwärtigen, daß sie sich mit der
israelischen Macht und der starken Unterstützung einlassen, die Israel
aus den USA erhält. Daher muß es unsere vornehmliche Aufgabe sein,
zunächst einmal solche Forderungen zu erheben, die breite Unterstützung
finden und mit voller Absicht den israelischen Ansprüchen auf
Alleinherrschaft über Jerusalem entgegenstehen. Lassen Sie mich solch
eine Forderung vorschlagen. Auch die israelische Regierung kann nicht
leugnen, daß Jerusalem für Christen und Moslems heilige Stätten enthält.
Aber sie verweigert frommen Christen und Moslems das Recht, wegen
religiöser Bindungen der Juden an diese Stätten in Jerusalem zu leben.
Nebenbei bemerkt, das Osmanische Reich hatte dieses Recht im Falle der
Christen nicht anerkannt. Laßt uns also die Forderung erheben, daß
solche Christen und Moslems, die aus religiösen Gründen in Israel leben
möchten, dazu das Recht haben.
Zum dritten gibt
es unter den derzeitigen politischen Bedingungen nur zwei Möglichkeiten,
den israelischen Versuch zu vereiteln, Jerusalem ethnisch zu säubern:
mittels des Konzepts der allgemeinen Menschenrechte und insbesondere der
menschlichen Individualrechte und durch die Forderung, diese für alle in
Jerusalem lebenden Menschen gelten zu lassen und die Wahrheit über
Jerusalem so weit wie möglich zu verbreiten. Hierzu gehört auch die
Wahrheit über die Vergangenheit Jerusalems. Verfälschungen der
Vergangenheit der Stadt kommen nur den derzeitigen
Unterdrückungsmaßnahmen zu gute. Dies kann aber nicht geschehen, indem
man die von Israel propagierten groben Mythen durch noch gröbere Mythen
ersetzt, die von einigen ihrer Opponenten weiterverbreitet werden.
Alle
fremdenfeindlichen und reaktionären Bewegungen verfälschen die
Vergangenheit, um die Gegenwart zu korrumpieren. Der Zionismus bildet
dabei keine Ausnahme. Unsere Aufgabe besteht nicht nur darin, solche
Fälschungen aufzudecken, sondern auch Möglichkeiten für eine gerechtere
Zukunft aufzuzeigen, indem wir die schwierige Vergangenheit enthüllen.
***
Rezension von Benjamin Beit-Hallahmi
Haarez, Literaturbeilage,
21. September 1994 von Benjamin
Beit-Hallahmi Eine Anklageschrift gegen die jüdische Religion - Jewish
History, Jewish Religion: The Weight of Three Thousand Years, Von Israel
Shahak, Pluto Press, 127 Seiten.
Bei der unlängst
stattgefundenen, emotionsgeladenen Diskussion in Israel über die
Gültigkeit der zionistischen Geschichtsdarstellung der letzten 100 Jahre
verloren die Diskussionsteilnehmer etwas noch wichtigeres aus den Augen.
Die zionistische Geschichte beginnt in der Tat nicht im Jahre 1882. Sie
selbst bekundet, daß ihre Anfänge viel weiter zurückreichen. Man
erwartet von ihr, daß sie uns die deutlich herausgearbeitete
geschichtliche Ideologie des jüdischen Volkes aufzeigt. Gerade diese
Geschichte ist es jedoch, die bisher noch nicht in Frage gestellt wurde.
Was weiß der Leser
von Haarez über die jüdische Religion? Was weiß er wirklich über die
jüdische Geschichte? Aller Wahrscheinlichkeit nach erwarb er sein ganzes
Wissen darüber im israelisch-jüdischen Bildungssystem. Wenn dies
zutrifft, so gründet der größte Teil seines Wissens auf den Grundlagen
der jüdischen religiösen Mythologie über "die Ära der Patriarchen" und
"den Auszug aus Ägypten", gefolgt von der Zeit des zweiten Tempels, als
das Herzstück der jüdischen Religion Form annahm. Und von dieser Zeit an
bildet die jüdische Existenz in der Diaspora in seinem Kopf ein
schwarzes Loch.
Schon im
Kindergarten müssen wir den [einführenden] Satz (der israelischen
Unabhängigkeitserklärung) auswendig lernen: "Das jüdische Volk bildete
sich im Lande Israel". Den meisten von uns bleibt es aber sehr unklar,
wie dieses Volk in der Diaspora lebte. Und die meisten von uns können
sich nur der aus zionistischer Sicht dargestellten gräßlichen
Geschichten über antijüdische Verfolgungen, Unterdrückungen und
unsägliche Verleumdungen erinnern, kontrastiert durch Geschichten
wundervoller Erfolge verschiedener jüdischer Personen und Gruppen. Die
zionistische Darstellung der jüdischen Diaspora sucht natürlich
Konsistenz und Kontinuität mit dem Höhepunkt der Rückkehr der Juden nach
Zion. Das Ziel jeder nationalistischen Darstellung besteht darin,
Bestrebungen eines gegebenen Nationalismus auszubauen und mit einer Aura
von Rationalität zu umgeben, indem man die nationale Geschichte als ein
gerades, unumkehrbares und vorhersehbares Kontinuum darstellt und alle
Brüche und Diskontinuitäten, die man nicht ganz ignorieren kann,
herunterspielt.
Die
nationalistische Geschichte eines jeden Volkes ist unabdingbar abhängig
von grob verdrehten Erklärungen und Vertuschungen. In der relativ
neueren Geschichte des jüdischen Volkes machte die Säkularisierung eine
größere Revision der Vorstellungen über religiöser Vergangenheit
unausweichlich. Zu unserer Freude oder unserem Schmerz gibt es bei
diesem Phänomen nichts, was besonders jüdisch ist. In allen westlichen
Ländern, in denen sich die Säkularisierung unter Schmerzen und Leiden
vollzog, gibt es eine Öffentlichkeit, die alle paar Jahre die Bedeutung
von Religionen neu entdeckt, die in diesen Ländern noch Lebenskraft
haben. Viele Vorfälle in der letzten Zeit (etwa der Aufruf zum Mord an
islamischen Schriftstellern und ähnliches) zeigen, daß die wahrhaft
Religiösen das meinen, was sie sagen, und daß sie in der Tat an die
Unfehlbarkeit ihrer von Gott gegebenen Heiligen Schriften glauben.
Im Falle Israels
glauben die Juden tatsächlich, daß der Kosmos nur für die Juden
geschaffen wurde und die gesamte Menschheitsgeschichte in ihrem Sinne
verlief. Ohne einen Anflug von Zweifel erwarten sie den Wiederaufbau des
dritten Tempels mit seinen Tieropfern. Sie unternehmen alle
Anstrengungen, um den Staat Israel in eine Theokratie zu verwandeln, die
nach der Halacha [dem jüdischen Religionsgesetz] regiert wird. Sie
wollen, daß die Israelis die Gebote der jüdischen Religion befolgen, zu
denen auch die Gesetze der Reinheit und Unreinheit gehören, die von
Generationen gelehrter Rabbiner schon lange vor ihrer möglichen
Anwendung ausgearbeitet wurden. Für den wahrhaft religiösen Juden sind
solche Vorstellungen keine Rhetorik, sondern Lebensinhalt. Die
Schwierigkeit besteht nur darin, daß der durchschnittlich gebildete Jude
kaum etwas darüber weiß.
Israel Shahaks
Buch bietet drei zentrale Theorien. Die erste besagt, daß die jüdische
Religion, so wie sie sich in den Jahrhunderte alten talmudischen
Vorschriften zeigt, der Inbegriff von Obskurantismus, Primitivität,
Fanatismus und Rassismus ist. Die zweite Theorie meint, daß das Erbe des
jüdischen Fanatismus, und hier insbesondere die Einstellung der Juden
gegenüber Nichtjuden, einen schweren Stolperstein bildet, der die
Entwicklung einer säkularen und aufgeklärten jüdischen Zivilisation
verhindert. Shahaks dritte Theorie legt dar, daß die bis heute
existierende jüdische Geschichtsschreibung und der größte Teil der
akademischen Untersuchungen der "Judaica" nichts anderes sind als
Versuche, die in seiner ersten und zweiten Theorie dargestellten
Realitäten zu unterdrücken oder zu verzerren. Shahak klagt die gesamte
jüdische Geschichtsschreibung an, sich bewußt in eine apologetische
Schieflage gebracht zu haben. Er möchte die jüdische Geschichte auf eine
wahrhaft weltliche Grundlage stellen. Das Buch enthält ein Programm für
eine solche noch zu schreibende Geschichte und ist kontroverser und
subversiver als alle Schriften der besten heutigen [revisionistischen]
Historiker. Der jüdischen Existenz in der Diaspora sollte größere
Bedeutung als dem Aufstand von Bar Kochba [132-135 n. Chr.] zukommen, da
die Zivilisation, in der wir leben, tatsächlich durch jahrhundertelange
Erfahrung in der Diaspora geprägt wurde. Dies sollte unbestreitbar sein.
Doch dies verleugnen wir, wenn wir uns als Nachfahren der makkabäischen
Helden [167-165 v. Chr.] und nicht als die Antihelden aus entweder
Warschau oder Casablanca verstehen.
Israel Shahak
wurde in Israel durch sein prinzipientreues Beharren auf der Wahrheit,
die die meisten Israelis nicht gerne hören, berühmt. Dies ist der Grund,
warum Amnon Rubinstein (derzeit Minister für Erziehung, Kultur und
Sport) schon vor Jahren verlangte, Shahak die Chemie-Professur der
Hebräischen Universität zu entziehen, nachdem er öffentlich und
wiederholt die Politik der israelischen Regierung in den besetzten
Gebieten scharf angegriffen hatte. Shahak hat immer versucht, sich von
jedem israelisch-jüdischen Konsens fernzuhalten, und hatte schließlich
Erfolg damit. Doch bemerkt man sehr schnell, daß sein Buch voll von
Zuneigung für das jüdische Volk ist. Es ist wie die Liebe eines Sohnes
zu einer Familie, die ihn aufzog.
Dieses ziemlich
kurze Buch, geschrieben in Englisch und veröffentlicht in England,
wendet sich an den nichtjüdischen Leser. Unverschleiert zeichnet das
Buch ein Bild der herkömmlichen jüdischen Gesellschaft als fanatische
und ultrakonservative Gemeinschaft. Shahak zeigt, daß ein jüdischer
Staat, so wie ihn sich die religiösen Juden erträumen, d.h. ein nach den
Vorschriften der jüdischen Religion regierter Staat, nie existiert hat.
In den verschiedenen Perioden der jüdischen Geschichte gab es jüdische
Gemeinschaften, die nur deswegen nach den Vorschriften der jüdischen
Religion lebten, weil die genug Macht hatten, ihren Mitgliedern die
vorgeschriebene Lebensart aufzuzwingen. Die Geschichte aber zeigt, daß
es in solchen Gemeinden nichts gab, was einem Pluralismus auch nur
ähnelte.
Auch heutzutage
wäre es nicht schwer, Beispiele für religiöse Juden zu finden, die die
Rechte der Nichtjuden vollständig ignorieren. Man muß einsehen, daß sie
nicht lediglich die Rechte der Palästinenser mißachten. Das beste
Beispiel läßt sich aus der Geschichte von Südafrika in den letzten 50
Jahren anführen. Es ist erwiesen, daß sich viele Juden entschieden am
Kampf gegen die Apartheid beteiligten. Doch dies waren nur weltliche
Juden. Die orthodoxe jüdische Gemeinde zeigte kein Interesse an irgend
etwas, was die Apartheid betraf. Hätte man vor noch nicht einmal 10
Jahren irgend einen der zu zahlreichen Chabad-[Ljubawitscher-]Anhänger
in Südafrika über die Apartheid befragt, hätte er definitiv geantwortet,
daß die Apartheid nur Nichtjuden auferlegt und deshalb kein Gegenstand
jüdischen Interesses wäre. Dies läßt sich verallgemeinern.
Menschlichkeit war im traditionellen jüdischen Sinne nur eine Sache, die
Juden etwas anging: Es gab keinen vernünftigen Grund für den Juden, sich
um den Rest der Menschheit zu kümmern. Jedes Problem war danach zu
beurteilen, ob es gut oder schlecht für die Juden war. Shahak führte den
Ursprung dieser Haltung auf die Halacha und den rabbinischen Responsa,
die sich mit der Rettung nichtjüdischen Lebens befassen, und
insbesondere auf die zurück, welche die Frage behandelt, ob ein Jude den
Sabbat verletzen darf, um das Leben eines Nichtjuden zu retten.
Der gnadenlose
Widerstand aller israelisch-jüdischen religiösen Parteien gegen alle
Versuche, die Menschenrechte durch Gesetz festzuschreiben, läßt sich
nicht auf den Wunsch zurückführen, den berüchtigten religiösen "Status
Quo" zu erhalten oder mehr Geldmittel vom Staat für die Jeschiwot zu
bekommen. In der Frage der Menschenrechte ist die Position dieser
Parteien festgeschrieben und wird von der Vorstellung genährt, daß nicht
alle Menschen dieselben Rechte haben können. Wenn religiöse Juden für
das, was sie bei Begräbnisriten "Menschenwürde" nennen, Propaganda
machen, denken sie am wenigsten an den Schutz dieser Würde gegenüber
Nichtjuden. Beziehen sie gegen Abtreibungen Stellung, so machen sie
deutlich, daß ihre Sorge nur jüdischen Föten gilt. Diesen heutigen
Kampagnen liegen klare historische Präzedenzfälle in der
jahrhundertealten jüdischen religiösen Tradition zugrunde.
Gegen den
Widerstand von jüdischen Apologeten, gegen alle Geschichten über den
angeblich "humanistischen" und "pluralistischen" Judaismus und gegen die
Appelle all derjenigen, welche die Juden aufrufen, Reue über die
Säkularisierung zu empfinden, führt Shahak unerbittlich die düsteren
Aspekte der jüdischen Tradition ins Feld und fragt dabei seinen Leser,
ob diese Tradition fortgesetzt werden soll. Das Leben der Juden in der
Diaspora war schwer, darin ist sich Shahak mit dem Zionismus einig. Doch
seine Erläuterung dieser Schwierigkeiten fällt ganz anders aus. So
betrachtet er z.B. das, was die jüdische Geschichtsschreibung als
"Verfolgung der Juden in Ostpolen in den Jahren 1648-49" beschreibt,
nicht als wilden vom Judenhasser Chmjelnizki geschürten Antisemitismus,
sondern als Bauernaufstand und Vergeltung gegen die Juden - wegen ihrer
authentischen sozialen und wirtschaftlichen Lage. In keiner Weise
verharmlost Shahak aber das Unheil, das die Juden damals befiel. Er
historisiert jedoch den Antisemitismus, und zwar insbesondere durch
Zurückweisung der Vorstellung, daß jeder Nichtjude von Natur aus
Antisemit sei. Stattdessen betrachtet er den Antisemitismus als das
Ergebnis historischer Situationen, in denen sich die Juden in
Feindschaften zwischen den Völkern verstrickten oder sich an der
Unterdrückung einer sozialen Klasse oder nationalen Gruppe durch eine
andere beteiligten.
Infolge des
polemischen Stils liest sich Shahaks Buch wie eine Anklageschrift gegen
die jüdische Religion. Daraus ergibt sich jedoch ein Problem, zumindest
in der breiteren Perspektive des Humanisten. Gibt es etwas spezifisch
Jüdisches beim jüdischen Chauvinismus oder der jüdischen Egozentrik?
Sind die Juden in dieser Hinsicht schlechter als andere? Sind jüdische
Chauvinisten schlechter als irische, russische oder japanische? Shahak
glaubt, daß ein qualitativer Unterschied zwischen der jüdischen Halacha
und anderen religiösen Gesetzesvorschriften besteht. Er meint, die
erdrückende Last einer Tradition, die die gesamte Menschheit nur unter
dem beschränkten jüdisch-egoistischen Gesichtspunkt betrachtet,
korrumpiere uns alle in Israel. Gibt es aber keine anderen Beispiele
derselben Art der Ethnozentrik in der Welt? Ist die jüdische Tradition
schlechter als diejenige der Hutu und der Tutsi? Ist die jüdische
Haltung gegenüber Nichtjuden schlechter als das, was der Hinduismus
seinen "Unberührbaren" zufügt? Sind die Vorstellungen der Juden über
ihre Überlegenheit und göttliche Auserwähltheit wirklich so viel
schlechter als ähnliche Vorstellungen der Sikhs oder hunderter
ethnischer Gruppen in der Welt?
Der Kampf für
Menschenrechte, Demokratie und Gleichheit ging immer einher mit der
Säkularisierung, da schon immer eine Kluft zwischen den religiösen
Traditionen und den humanistischen Ideen bestand. Genauso ist es in
Israel und in jedem anderen Land. Wenn wir Israelis die Demokratie und
die soziale Gerechtigkeit weiterentwickeln wollen, so werden wir
wahrscheinlich kaum eine Anregung für unser Anliegen in irgendeiner
religiösen Tradition, sei sie jüdisch oder tibetanisch, finden. Es
scheint, als teile Shahak das Bestreben einer israelisch-jüdischen
Mehrheit bei seiner Suche nach Normalität und Modernität der jüdischen
Existenz, ganz im Gegensatz zu den Anomalien des Lebens in der Diaspora.
Darüber hinaus wünscht er sich ein neues, nationales und
nachzionistisches Leben mit einem möglichst kritischen Blick auf die
gesamte jüdische Vergangenheit, die uns so nah und doch schon so fern
ist. |