Verrücktes Land
Adam Keller, 19. Dezember 2009
Die Polizei im Dienste von Räubern
Es geschah am Freitagnachmittag.
Die tapferen und fleißigen Männer der Jerusalemer Polizei
stürmten direkt auf Demonstranten zu, die durch die Straßen
liefen, einige von ihnen trommelten, einige waren wie Clowns
gekleidet. 27 Demonstranten wurden in die Polizeiwagen gezerrt
und fürs Wochenende im Russischen Compound-Haftzentrum hinter
Gittern gesteckt.
Nein, diese Demonstranten machten
keinen Aufstand, sie blockierten auch keine Straßen, sie
verletzten auch die Straßenordnung nicht. Sie gingen nur gerade
und ordentlich auf dem Fußgängerweg mit dem Ziel zu einer
Protestdemo in Sheikh Jarrah in Ost-Jerusalem. Ein Protest an
der Stelle, wo Siedler offen und am hellerlichten Tage in
palästinensische Häuser einbrechen, die Bewohner auf die Straße
schmeißen, sich selbst in diesen Wohnungen einrichten und die
blau-weiße Fahne aufs Dach stecken.
Die Jerusalemer Polizei ist sehr um
die Sicherheit der Siedlerräuber besorgt. Sie dürfen nicht
gestört werden, weder während des Raubs noch danach.
Demonstranten sollte es nicht erlaubt werden, in die Nähe dieser
Häuser zu kommen, erklärt der Polizeisprecher – das sei streng
verboten. Gott bewahre, die Demonstranten könnten einige der
Siedler daran hindern, bei Zeiten nach Hause – also in eines der
geraubten Häuser - kommen, um den Schabbat nach den jüdischen
Traditionen zu halten und die Chanukkakerzen anzuzünden und das
Lied vom Heldentum der Makkabäer zu singen.
Zwei Stunden nach der Verhaftung
der Demonstranten kommen die Siedler und ihre Freunde nach
draußen und halten ein öffentliches Gebet auf den Straßen von
Sheikh Jarrah. Wohl vom Gebet in Stimmung versetzt, werfen sie
mit Steinen, schlagen auf vorbeigehende Palästinenser, brechen
in Häuser ein und schlagen dort zwei Kinder krankenhausreif,
dass sie von einer Ambulanz abgeholt werden müssen. Die
Jerusalemer Polizei scheint noch erschöpft zu sein vom Jagen der
Peaceniks. Denn für die Possen der Siedler hat die Polizei keine
Kraft mehr.
PS. Am Samstagabend werden die 27
Verhafteten vor den Richter Liran des Jerusalemer Stadtgerichts
gebracht. Ihre Kameraden protestieren trommelnd außerhalb des
Gebäudes. Die Polizei fordert, dass sie wegen „Aufstand“
angeklagt werden sollten und dass sie die Order erhalten, die
nächsten 90 Tage die Stadt nicht mehr zu betreten. Der Richter
weist dies sofort zurück und befiehlt, dass alle Verhafteten
auf eigene Gefahr sofort entlassen werden.
Der Polizeivertreter beklagt sich,
dass „linke Demonstranten in Sheik Jarrah der Polizei große Mühe
machen“. Das Gericht wiederholte, dass es die Verpflichtung in
einer demokratischen Gesellschaft sei, für genügend Kräfte zu
sorgen, um politischen Protest in Grenzen zu halten.
Fortsetzung folgt nächsten Freitag
in Sheikh Jarrah.
Netanyahu
kauft billig
In ihrer Debutrede verurteilte die
neue EU-Außenministerin heftig die Vertreibung von
palästinensischen Bewohnern aus ihren Häusern in Ost-Jerusalem
und sagte, dass, das was Benjamin Netanyahu „Siedlungs freeze“
nennt, nur ein Teil und ungenügend sei.“
Ben Kaspit, politischer
Korrespondent von Maariv, bekannt für seine extensiven Kontakte
in den Korridoren der Macht, schrieb gestern in seiner Kolumne:
Israels diplomatischer Status ist dabei, zu kollabieren, wie
wir es noch nie erlebt haben. Wir haben schon Krisen
durchgemacht während des 1. Libanonkrieges, während der 1.
Intifada und bei anderen Gelegenheiten – aber niemals fielen wir
aus so größer Höhe in solch eine Tiefe und können noch viel
tiefer fallen.“ Maariv, 18. Dezember.
Und Kaspit fügte hinzu, dass
Netanyahu seine Wunden vom Siedlungsbaustopp leckt. Im
Nachhinein bedauert er es sehr. Der Preis ist hoch und keine
Waren wurden geliefert.“ Täglich streitet sich der
Ministerpräsident öffentlich mit den Siedlern, den Rabbinern
der extremen Rechten Hotobeli Fraktion innerhalb seiner Partei –
und immer noch versäumt es die Welt, seine Verdienste als großer
Friedensucher anzuerkennen, die internationale Kritik geht
weiter und wird intensiver. Netanyahus Büro neigt dazu, ihr
Feuer auf den Anwalt Yitzhak Molcho zu lenken, auf den Mann der
die langen Gespräche mit dem Vertreter von Präsident Obama
geführt hat und den „Freeze deal“ ausgekocht hat.
Es ist aber nicht nett, alle Schuld
Molcho zu geben, einen treuen Botschafter und raffinierten
Anwalt, der persönliche Instruktionen vom Ministerpräsidenten
bekommen hat und sie voll ausgeführt hat. Er führte zähe und
anstrengende Verhandlungen mit den Amerikanern durch, und es
gelang ihm, den Preis niedriger zu setzen: erhielt ein leichtes,
ein sehr leichtes Siedlungseinfrieren. Nicht ein volles
Einfrieren, ohne Ausnahme, aber ein Einfrieren, das ein
Weiterbauen von 3000 Wohneinheiten in den Siedlungen möglich
macht, ein Einfrieren, das Ost-Jerusalem nicht einschließt, ein
Einfrieren, das der weiteren Vertreibung der Palästinenser aus
ihren Häusern in Sheikh Jarrah keinen Einhalt bietet.
Anwalt Molcho bekam Waren für den
Preis, den der Ministerpräsident zu zahlen bereit ist, ein
wirklicher Handelspreis. Aber die Waren sind nicht gut. Drum ist
es kein guter Deal, auch wenn der Preis spottwillig war.
(dt. Ellen Rohlfs)
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