„Im Staat Israel
verschwindet die Mutter“
Nurit Peled-Elhanan, Women in Black, Jerusalem 28.12.07
Ich danke
den Frauen in Schwarz, die mich heute eingeladen haben, hier zu
sprechen. In dieser Stunde will ich meine Worte den Kindern im
Gazastreifen widmen, die vor Hunger und Krankheiten langsam
dahinsiechen – und auch an ihre Mütter, die weiter Kinder auf die
Welt bringen und sie wunderbar ernähren und erziehen. Die
Analphabetenquote im Gazastreifen liegt heute bei 8% - und
gehört damit zu den niedrigsten in der Welt und all dies im
schrecklichsten Konzentrationslager der Erde. Deren Bewohner werden
stranguliert und die zivilisierte Welt schaut schweigend zu.
Ich
wünschte, wir könnten heute das Ende der Aktivitäten der Frauen in
Schwarz feiern. Die Wahrheit jedoch ist, dass ihre Aktivitäten
täglich dringender werden. In einem Staat, in dem die Götter des
Geldes und des Todes regieren, in einem Staat, in dem die Wirtschaft
blüht und die Kinder hungrig bleiben, wo die mythologischen Helden
furchtlose Mörder sind, wo die Führer offen und öffentlich zugeben,
dass das menschliche Leben in ihren Augen keinen Pfifferling wert
ist, in einem Staat, der seine Söhne hinausschickt, damit sie
getötet werden, ohne sich darum zu kümmern, einen Grund dafür zu
finden, in einem Staat, der Millionen Menschen in Ghettos und
Enklaven einsperrt und sie langsam tötet, da ist die anhaltende
stille Stimme der Frauen in Schwarz die stärkste Stimme des
Gewissens und der Verweigerung. Die Frauen in Schwarz sind ein
Beispiel und Muster der Verweigerung, dem Gott des Todes zu dienen
und den rassistischen Gesetze des Staates zu gehorchen . Die Aktion
der Frauen in Schwarz ist in sich selbst Zurückweisung
rassistischer Erziehung und der Routine systematischer Vergiftung
der Gehirne durch Schule, Medien und die Reden gewählter
Volksvertreter.
Im Staat
Israel verschwindet die jüdische Mutter. Die jüdische Mutter von
heute ist nur noch in den Stadtteilen wie Mea Shearim *, wo die
Mütter ihre Kinder vor der Armee schützen. Außerhalb dieser
Stadtteile wird die Stimme der jüdischen Mutter nicht mehr gehört,
außer in Organisationen wie den „Frauen in Schwarz“, die im
allgemeinen von der Gesellschaft verurteilt und verleumdet werden.
Der Staat Israel verurteilt und verleumdet die Stimme der jüdischen
Mutter, die die Stimme des Mitleids, der Toleranz und des Dialogs
ist. Der Staat Israel tut alles, um sicher zu gehen, dass diese
Stimme für immer verstummt und zum Schweigen gebracht wird.
Außerhalb
der Friedensorganisationen, die allgemein als marginale
Schlafwandler und extreme Linke angesehen werden; hörte die Stimme
der jüdischen Mutter seit langem auf, eine mütterliche Stimme zu
sein. Die israelische Mutter, wie es sie heute gibt, verkörpert eine
Mutterschaft, die verdreht, verloren, verwirrt und krank ist. Die
jüdischen Mütter wie Yochebed, die Mutter von Moses, wie Rachel, die
um ihre Kinder weint und sich weigert, getröstet zu werden, wie
Mutter Courage, die Mutter, die keinen Trost und keine Heilung im
Tod der Kinder anderer Mütter finden kann, sind durch Mütter
ersetzt worden, die nichts anderes als Golems sind, die sich gegen
ihren Schöpfer wenden und nun schrecklicher und grausamer sind als
diejenigen, die ihren Schoß dem Apartheidstaat und der
Besatzungsarmee vermachen, die ihre Kinder in kompromisslosem
Rassismus erziehen und bereit sind, die Früchte ihres Leibes auf dem
Altar des Größenwahns, der Gier und der Blutrünstigkeit ihrer
Führer zu opfern. Solche Mütter findet man auch unter den
Lehrerinnen und Erzieherinnen unserer Tage. Und nur die Frauen, die
hier Woche um Woche im Regen oder in der Sonne stehen, sind die
einzigen, die daran erinnern, dass die Stimme der andern
Mutterschaft, der natürlichen, noch nicht vollkommen von der
Oberfläche dieses Ödlandes, das einmal das Heilige Land war,
verschwunden ist.
Es sind nur
wenige Eltern in Israel, die sich selbst eingestehen, dass die
Mörder von Kindern , Zerstörer von Häusern und Olivenbäumen,
Vergifter von Brunnen niemand anders als ihre eigenen prächtigen
Söhne und Töchter, ihre Kinder sind, die an diesem Ort jahrelang in
der Schule des Hasses und des Rassismus’ erzogen wurden. Die
Kinder, die 18 Jahre lang gelernt haben, den Fremden zu fürchten und
zu hassen und die Nachbarn, den Nicht-Juden, zu fürchten, Kinder,
die zur Angst vor dem Islam erzogen wurden – eine Angst, die sie
vorbereitet hat, brutale Soldaten und Schüler von Massenmördern zu
werden . Und diese Jungen und Mädchen töten und schikanieren nicht
nur – sie tun es mit der vollen Unterstützung ihrer Mutter, mit der
vollen Anerkennung ihres Vaters, ja ermutigt von der ganzen Nation,
die beim Tod von Kindern, von Alten und Behinderten kaum mit den
Wimpern zuckt. Eine Nation, die sich um Piloten ** sammelt, die nur
einen kleinen Schlag am Flügel des Flugzeugs spüren, wenn sie Bomben
auf ganze Familien fallen lassen und sie zu Tode zermalmen.
In dieser
Hölle, in der wir leben, im täglichen Inferno, unter dem das
unterirdische Königreich der toten Kinder wächst, ist es die Rolle
der Frauen in Schwarz, der Mütter und Großmütter, die auf diesem
Pariser Platz und ähnlichen Plätzen in aller Welt stehen, dass sie
die Hüterinnen der gesunden, natürlichen Mutterschaft sind und
sicher stellen, dass ihre Stimme nicht zum Schweigen gebracht wird
und nicht von der Erdoberfläche verschwindet; eine Welt, die ihr
menschliches Antlitz verloren hat, daran zu erinnern, dass wir alle
nach Seinem Antlitz geschaffen wurden; dass sie ständig und
unermüdlich sagen, dass trotz der Apartheidmauer, trotz der
grausamen Belagerung von Gaza, trotz der grundlosen Kriege und
angesichts der Raserei der Herrscher dieses Landes – alle bis zum
letzten Mann - Verbrecher gegen die Menschlichkeit sind; dass die
Stimme der Frauen und Mütter, die Stimme des Mitleidens, der
Gerechtigkeit und Hoffnung nie verstummen wird.
Ich wünsche
euch weiterhin noch mehr Kraft.
** Hier wird an den israelischen
Luftwaffenpiloten Dan Haluz erinnert, der, als er von einem
Journalisten gefragt worden war, nachdem er eine Ein-Tonnenbombe auf
ein Wohnhaus im Gazastreifen geworfen hatte und dabei mehrere
Zivilisten tötete, was er dabei empfunden hätte, antwortete : „Ich
fühlte einen kleinen Schlag am Flügel, als die Bombe sich löste.“
http://kibush.co.il/show_file.asp?num=24294
( dt. Ellen Rohlfs und Annelise
Butterweck)
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