Human
Rights Watch muss ihre schändliche Presse-Verlautbarung zurücknehmen
Norman Finkelstein
Selbst bei
den entsetzlichen Lebensbedingungen in Gaza, sind die letzten fünf
Monate besonders grausam gewesen.
Mehr als 400
( 457) Palästinenser, meistens unbewaffnete Zivilisten, sind während
der israelischen Angriffe getötet worden . (vier israelische
Soldaten und zwei Zivilisten wurden getötet).
Israel hat
den Gazastreifen von der Außenwelt abgesperrt, während die
internationale Gemeinschaft brutale Sanktionen verhängt hat, die
verheerende Auswirkungen auf die sowieso schon verarmte Wirtschaft
haben.
„Gaza liegt
im Sterben,“ berichtet Patrick Cockburn auf der Internetseite von
Counterpunch.
„Seine
Menschen sind am Rande des Hungertodes. Eine ganze Gesellschaft ist
zerstört worden. Das Geräusch, das Palästinenser am meisten
fürchten, ist eine unbekannte Stimme in ihrem Telefon, dass sie noch
eine halbe Stunde Zeit haben, um ihr Haus zu verlassen, bevor es von
einer Bombe oder Rakete getroffen wird. Man kann keinen Einspruch
erheben“.
„Gaza’s
Situation ist so schlimm wie noch nie,“ schreibt Gideon Levy in
Haaretz. „Die israelische Armee ist willkürlich tötend, zerstörend,
bombardierend, Granaten werfend durch den Gazastreifen gewütet – es
gibt kein anderes Wort, dies zu beschreiben. Das ist eine gnadenlose
und erschreckende Kollektivstrafe.“
Man kann
jetzt schon sagen, dass der Gazastreifen auf der Schwelle zu einem
Bruderkrieg steht. „Das Experiment war ein Erfolg: Die Palästinenser
töten sich nun selbst“, schrieb Amira Hass. „Sie verhalten sich, wie
man es erwartet hat. Das ausgedehnte Experiment nannte sich: „Was
geschieht, wenn man 1,3 Millionen Menschen auf engstem Raum wie
Legehühner in einer Batterie einsperrt?“
Genau in
solchen Zeiten erwarten wir, dass Menschenrechtsorganisationen Lärm
machen.
Wie hat
Human Right Watch auf solch eine Herausforderung reagiert. Sie
kritisierte Israel wegen der Zerstörung von Gazas einzigem
Elektrizitätswerk und rief es dazu auf, „nachzuforschen“, warum
seine Armee palästinensisches medizinisches Personal in Gaza
beschossen habe und es möchte das Massaker in Beit Hanoun
„untersuchen“.
Auf der
andern Seite klagt HRW die Palästinenser an, sie begingen
Kriegsverbrechen, wenn nachdem sie einen israelischen Soldaten
gefangen genommen hatten und einen Austausch vorschlugen gegen
palästinensische Frauen und Kinder in israelischen Gefängnissen.
(Israel hält mehr als 10 000 Palästinenser in Gefängnissen fest.).
HRW verlangt von den Palästinensern ein sofortiges Ende der
Gesetzlosigkeit und der Gewalt in Gaza. (vgl. Amira Hass Worte) .
WHR gab einen 101 Seiten langen Bericht heraus, der die
palästinensische Behörde beschimpft, weil sie nicht in der Lage
sei, Frauen und Mädchen zu schützen. Sie ruft die palästinensische
Behörde auf, „sofortige Schritte zu unternehmen, um die
palästinensischen Raketenangriffe gegen Israel zu unterbinden“.
Dieser
Bericht ist schon reichlich beschämend, so überschreitet HRW Ende
November eine neue Schwelle. Nachdem die Palästinenser spontan auf
die „unbekannte Stimme im Telefon“ reagierten, indem sie sich mit
ihren bloßen Körpern dem Unheil in den Weg stellten, beeilte sich
die HRW, eine Presseverlautbarung zu geben, mit dem sie die
Palästinenser warnten, ein Kriegsverbrechen zu begehen und dass sie
sich des „menschlichen Schutzschildes“ schuldig machten. (Zivilisten
sollten nicht als Schutzschild gegen militärische Angriffe angewandt
werden“).
Es ist
sicher das erschreckendste Statement, das je von einer
Menschenrechtsorganisation veröffentlich wurde. HRW klagte die
palästinensischen Führer an, sie würden diesen gewaltfreien zivilen
Ungehorsam unterstützen: „ Ministerpräsident Haniyeh und andere
palästinensischen Führer sollten darauf verzichten, Zivilisten zu
ermutigen, sich selbst in Gefahr zu bringen.
Die
internationale Gemeinschaft beschwört seit Jahrzehnten die
palästinensischen Führer anstelle des bewaffneten Kampfes einen
gewaltfreien, zivilen Ungehorsam zu setzen. Warum greift nun eine
Menschenrechtsorganisation sie dafür an, nachdem sie diese Taktik
angenommen haben.
Ist es ein
Kriegsverbrechen, wenn man das Haus von jemandem vor kollektiver
Strafe beschützt?
Wenn eine
verzweifelte und im Stich gelassene Bevölkerung sich selbst in
tödliche Gefahr begibt, um die letzten Reste ihrer Existenz zu
retten – ist das (ein zu verurteilendes) menschliches Schutzschild?
Obgleich
israelische Soldaten häufig Palästinenser als menschliche
Schutzschilde in lebensbedrohenden Situationen benützt haben und
obwohl HRW diese israelische Praxis als ungeheuerlich hingestellt
hat, hat HRW dies niemals ein Kriegsverbrechen genannt.
Es hat
Wochen gedauert, bis HRW schließlich einen Bericht veröffentlich
hat, in dem Israel wegen Kriegsverbrechen im Libanon angeklagt
wurde. Obwohl viele verlässliche Journalisten täglich diese
Verbrechen dokumentieren, sagte HRW, es wolle erst selbst eine
unabhängige Untersuchung ausführen.
Aber es
beeilte sich, die gewaltfreien Proteste im Gazastreifen, die sich
auf anonyme Presseberichte mit anscheinend falschen Fakten
gründete.
Warum hier
eine so Hals-über-Kopf –Verurteilung?
Versuchte
HRW die pro-israelischen Kritiker nach ihren Berichten über Israels
Kriegsverbrechen im Libanon zu beschwichtigen?
…
HRW steht
nun an einer Kreuzung: entweder finanzielle Unterstützung oder das
Reich der Wahrheit.
Ein erster
Schritt in die richtige Richtung würde der sein, die
Presseverlautbarung zurückzuziehen und eine Entschuldigung.
HRW-
Exekutivdirektor Kenneth Roth „lobte“ Israel dafür, dass es während
seiner letzten Invasion in den Libanon die Menschen warnte und ihnen
riet zu fliehen, bevor der Südlibanon in eine Mondlandschaft
verwandelt und die zurückgelassenen Alten, Kranken und Armen
umbringen würde. Es wäre doch nur recht und billig, nun auch die
palästinensischen Führer und das Volk, dafür zu loben, dass es
Taktiken von Gandhi und Martin-Luther King in einem letzten
verzweifelten Versuch anwendet, der sie selbst vor der Vernichtung
bewahrt.
Norman
Finkelsteins letztes Buch: „Antisemitismus als Waffe“.
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