Ein israelischer Jude im Gazastreifen
Jeff Halper, Ma’an 5.8.08
In
ein paar Tagen werde ich auf einem der beiden Boote der „Free Gaza
Movement“ von Zypern nach Gaza segeln. Die selbstgestellte Aufgabe
heißt, die israelische absolut illegale Belagerung zu durchbrechen,
die 1,5 Millionen Palästinenser in eine sehr schwierige Situation
gebracht hat: gefangen in ihren eigenen Häusern, extremer
militärischer Gewalt ausgesetzt, aller Grundbedürfnisse des Lebens,
ihrer fundamentalsten menschlichen Rechte und Würde beraubt. Die
Belagerung verletzt die fundamentalsten Prinzipien des Völkerrechts:
die Unzulässigkeit, die zivile Bevölkerung zu verletzen. Unsere
Reise soll auch Israels Versuch,
sich selbst von aller Verantwortlichkeit für den Gazastreifen zu
befreien, deutlich machen. Israel behauptet nämlich, dass es dort (
in Gaza) keine Besatzung mehr gebe oder dass nach dem Abzug der
Siedler aus dem Gazastreifen die Besatzung beendet worden war; das
ist offensichtlich falsch. Nach dem Völkerrecht wird Besatzung mit
der effektiven Kontrolle über ein Gebiet definiert. Wenn Israel
unsere Boote abfängt, dann wird deutlich, dass es noch immer die
Besatzungsmacht ist, die die effektive Kontrolle über den
Gazastreifen ausübt. Außerdem hat die Belagerung nichts mit
‚Sicherheit’ zu tun. Wie die andern Elemente der Besatzung in der
Westbank und in Ostjerusalem, wo Israel auch Städte, Dörfer und
ganze Regionen belagert, so ist auch die Belagerung des
Gazastreifens grundsätzlich politisch. Man beabsichtigt, die
demokratisch gewählte Regierung Palästinas zu isolieren und ihr
Durchhaltevermögen zu brechen, mit dem sie gegenüber Israels
Versuch, ein Apartheidregime über das ganze Land einzusetzen,
Widerstand leistet.
Genau deshalb fühle ich mich als israelischer Jude gezwungen, mich
dieser Reise anzuschließen, um diese Belagerung zu brechen. Als
jemand, der mit den Palästinensern einen gerechten Frieden sucht,
der auch – trotz der gegenteiligen Meinung unserer Politiker -
versteht , dass sie nicht unsere Feinde sind, sondern ein Volk, das
genau wie wir nationale Selbstbestimmung sucht und dafür kämpft,
kann ich nicht beiseite stehen. Ich kann nicht weiter passiv Zeuge
sein, wie meine Regierung ein anderes Volk zerstört, und
gleichzeitig beobachten, wie die Besatzung das moralische Gefüge
meines eigenen Volkes zerstört. Wenn ich es täte, dann würde ich
mein Engagement für die Menschenrechte verraten, das Wesentliche der
prophetischen jüdischen Religion, Kultur und Moral, ohne die Israel
kein jüdischer Staat mehr wäre, sondern ein unbedeutendes, wenn auch
mächtiges Sparta.
Natürlich hat Israel legitime Sicherheitsbedürfnisse, und
palästinensische Angriffe gegen die zivile Bevölkerung in Sderot
und andere israelische Gemeinden, die an den Gazastreifen grenzen,
können nicht geduldet werden. Nach der Vierten Genfer Konvention hat
Israel als Besatzungsmacht das Recht, den Waffenhandel zum
Gazastreifen - als unmittelbare militärische Notwendigkeit - zu
kontrollieren . Als Aktivist, der sich verpflichtet fühlt, der
Belagerung gewaltfrei zu widerstehen, habe ich nichts dagegen, wenn
Mitglieder der israelischen Militärflotte an Bord unserer
Segelschiffe kommt und nach Waffen sucht . Aber nur das. Weil Israel
kein Recht hat, eine zivile Bevölkerung zu belagern, hat es auch
kein Recht, uns private Personen daran zu hindern, in
internationalen und palästinensischen Gewässern zu segeln und Gaza
zu erreichen, besonders nachdem Israel erklärt hat, es würde den
Gazastreifen nicht mehr besetzt halten. Sobald die israelische
Flotte davon überzeugt ist, dass wir keine Sicherheitsbedrohung
darstellen, erwarten wir absolut, dass man uns erlaubt, unsere
friedliche und rechtmäßige Fahrt bis in den Hafen von Gaza
fortzusetzen.
Ganz gewöhnliche Leute haben in der Geschichte oft Schlüsselrollen
inne gehabt, besonders in Situationen wie diese, wo Regierungen sich
vor ihrer Verantwortung drücken. Meine Reise nach Gaza ist ein
Statement der Solidarität mit dem palästinensischen Volk in der
Zeit ihres Leidens, aber gleichzeitig auch eine Botschaft an meine
eigenen jüdischen Landsleute.
Als erstes gibt es – im Gegensatz zu dem, was unsere
politischen Führer sagen - eine politische Lösung des Konfliktes, es
gibt Partner für den Frieden. Allein die Tatsache, dass ich als
israelischer Jude von Palästinensern in Gaza willkommen geheißen
werde, macht dies deutlich. Meine Gegenwart im Gazastreifen
bestätigt auch, dass jede Resolution des Konfliktes beide Völker des
Landes einschließen muss, die Palästinenser genau so wie die
Israelis. Ich werde deshalb jede Glaubwürdigkeit anwenden, die mir
meine Aktionen zur Verfügung stellen, um meine Regierung aufzurufen,
echte, ehrliche Friedensverhandlungen wieder aufzunehmen, die sich
auf das „Dokument der Gefangenen“ gründet, das von allen
palästinensischen Fraktionen, einschließlich der Hamas, akzeptiert
wurde . Die Entlassung aller von Israel festgehaltenen politischer
Gefangenen, einschließlich der Hamas-Minister und der
Parlamentsmitglieder und dafür die Rückführung des israelischen
Soldaten Gilad Shalit würde die politische Landschaft dramatisch
verändern, indem es Vertrauen und guten Willen zeigt - die
Voraussetzung für jeden Friedensprozess.
Zweitens
sind die Palästinenser nicht unsere Feinde. Tatsächlich dränge ich
meine Landsleute, die israelischen Juden, sich von der nur in eine
Sackgasse führenden Politik unserer gescheiterten politischen Führer
zu trennen, indem sie mit israelischen und palästinensischen
Friedensmachern gemeinsam sagen: wir weigern uns, Feinde zu sein.
Nur diese Beteuerung des allgemeinen Willens kann unserer Regierung
signalisieren, dass wir nicht weiter von jenen manipuliert werden
wollen, die aus der Besatzung einen Nutzen ziehen.
Und drittens als die unendlich viel stärkere Partei in diesem
Konflikt und der einzigen Besatzungsmacht müssen wir Israelis
Verantwortung für unsere fehlgeschlagene und unterdrückerische
Politik übernehmen. Allein wir können den Konflikt beenden.
Nach der israelischen Vorstellung hatte der Zionismus die Absicht,
die Juden sollten wieder die Kontrolle über ihr eigenes Schicksal
übernehmen. Lassen wir uns nicht zu Geiseln unserer Politiker
nehmen, die die Zukunft unserer Gesellschaft gefährden. Beenden wir
gemeinsam die Belagerung des Gazastreifens und damit die Besatzung
in ihrer Gesamtheit. Lasst uns, das israelische und das
palästinensische Volk, unsern politisch Verantwortlichen erklären:
wir fordern einen gerechten und dauerhaften Frieden in diesem
gequälten Heiligen Land!
Jeff Halper, Vorsitzender des israelischen Komitees gegen
Hauszerstörungen (ICAHD), er war 2006 für den Friedensnobelpreis
vorgeschlagen.
(
Z.Zt sind zwei Segelschiffe mit etwa 50 internationalen Aktivisten
von Kreta über Zypern aus auf dem Weg nach Gaza, um die
israelische Blockade zu brechen – davon nächste Woche mehr)
(dt. Ellen Rohlfs)
|