Nicht nur
Territorium, sondern auch Lebensfähigkeit
Die Falle in Israels „großzügigem Angebot“
Jeff Halper, 7.
August 2007
Auf den Zeitungsseiten klingen die
Schlagzeilen vielversprechend, ja sogar bewegend. Es wird berichtet,
dass Ministerpräsident Olmert dem palästinensischen Vorsitzenden der
PA Mahmoud Abbas bei ihrem gemeinsamen Treffen in Jericho gesagt
haben soll, er wolle die Errichtung eines palästinensischen Staates
„so schnell wie möglich“ voranbringen und zwar auf einem Äquivalent
von 100% der Gebiete, die 1967 erobert wurden.“ Die Palästinenser
würden nach diesem Bericht bei einen Landtausch nur 5% der Westbank
abtreten. Mit anderen Worten, Israel würde sich von 95,6% der
Westbank und dem Gazastreifen zurückziehen – obwohl dies
Ost-Jerusalem nicht einschließt, das Israel als nicht besetzt
betrachtet.
Dies sieht wie ein neues
„großzügiges Angebot“ aus, eines, das die Palästinenser unmöglich
ablehnen können. Das Problem ist, es wäre viel zu groß, als dass die
Israelis es annehmen können. Wenige Stunden nach Erscheinen des
Berichtes, leugnete das Büro des Ministerpräsidenten sogar das
Vorhandensein eines solchen Vorschlages: „Wir wissen nichts von
solch einem Plan, wie er in Haaretz beschrieben wurde,“ sagte das
Büro des PM. „Wir wollen klarstellen, dass solch ein Plan weder in
Betracht gezogen, noch bei irgend einem Forum diskutiert worden
war.“
So viel zu diesem. Aber der
Vorschlag als solcher ist es wert, geprüft zu werden, wenn auch nur
deshalb, weil er ein Szenario des „besten Falles“ darstellen würde.
Es sieht so aus, als würde man fast alle besetzten Gebiete den
Palästinensern überlassen; es sieht so aus, als ob es das Maximum
wäre, das Israel den Palästinensern möglicherweise anbieten könnte.
Wenn damit gezeigt werden kann, dass er nichts als ein raffinierter
Versuch ist, die israelische Kontrolle bis zum Jordanufer
auszudehnen, ohne eine Chance, den Konflikt mit den Palästinensern
zu beenden, dann gibt er die beste Illustration für die
Sinnlosigkeit ab, einen Friedensprozess allein auf den Transfer von
Gebieten zu gründen, statt auf die Lebensfähigkeit. Der Teufel
steckt – wie wir alle wissen – im Details. Sehen wir uns diesen
100%-Plan näher an, und was er verbirgt, selbst wenn es kein
wirklicher Plan ist.
Es steht kein palästinensischer
Staat auf 100 % der besetzten Gebiete zur Debatte ( die –
wohlgemerkt - nur 22% des historischen Palästinas sind). Zur
Debatte steht, wie die Road Map vorsieht, ob ein palästinensischer
Staat wirklich souverän und lebensfähig ist, gleichgültig auf wie
viel Territorium er errichtet wird. Ich würde behaupten, dass selbst
die 5% der Westbank, die Israel nach dem angedeuteten Plan
zurückhalten will, die Errichtung eines Staates verhindern könne.
Welche Details machen den Unterschied aus zwischen einem gerechten
und dauerhaften Frieden und einer Apartheid?
Souveränität:
Die Grundlage für die Verhandlungen, so sagt Olmert, „wird
weiterhin die Road Map sein, die für beide Seiten annehmbar ist.“
Dies trifft generell zu, doch mit einigen größeren Vorbehalten. Die
Phase zwei der Road Map ist für die Palästinenser ein Alptraum. Sie
haben ständig Druck ausgeübt, dass diese beseitigt werde. Diese
Phase ruft zur Errichtung eines „vorläufigen“ palästinensischen
Staates mit „provisorischen Grenzen“ auf. Sie befürchten, dass
wenn alles ruhig bleibt und Israel behaupten kann, ein
palästinensischer Staat bestehe schon und die Besatzung beendet
sei, dann wird ihnen niemand garantieren, dass der Road-Map-Prozess
mit Phase 3 weitergeht, in der die dornigen Endstatus-Details
verhandelt und ein wirklicher palästinensischer Staat entstehen
soll. Die palästinensischen Befürchtungen sind begründet, und dies
mag wohl die Falle dabei sein. Israel sieht seine „14 Vorbehalte“
als integralen Teil der Road Map an. Vorbehalt 5 lautet: der
provisorische Staat wird provisorische Grenzen und bestimmte
Aspekte der Souveränität haben, völlig demilitarisiert … ohne
Autorität Verteidigungsbündnisse einzugehen oder jemandem
militärische Zusammenarbeit anzubieten; Israel wird die Kontrolle
über Ein- und Ausreise jeder Person und Fracht behalten, ebenso
auch über den Luftraum und das elektromagnetische Spektrum.“
Man lese dies noch einmal und
versuche diese Vorbehalte mit der Vorstellung einer
palästinensischen Souveränität in Einklang zu bringen. Tzipi Livni
hat monatelang an dem gearbeitet, was sie jetzt „die israelische
Initiative für eine Zwei-Staaten-Lösung“ nennt, die sich genau auf
den Austausch von Phase 1 der Road Map mit der problematischen Phase
2 gründet ( Phase 1 ruft zum Einfrieren des israelischen
Siedlungsbaus auf) Rice hatte gesagt, dass die Bush-Regierung auf
einen provisorischen palästinensischen Staat hinarbeite und die
Details der nächsten Regierung überlasse.
Ein Staat hat keine Souveränität,
wenn er keine Grenzen hat. Beabsichtigt Olmert abgesehen von dem
Problem der Vorläufigkeit, den Palästinensern eine unüberwachte
Grenze mit Jordanien zu gewähren? Wenn Israel darauf besteht, die
Grenzen zu kontrollieren oder wenn der Jordan ein Teil der 5% sind,
die die Palästinenser abtreten müssen, dann gibt es keinen
palästinensischen Staat, selbst wenn sie alle Gebiete erhalten.
Lebensfähigkeit
Israel mag tatsächlich 95% der
Westbank abtreten, aber weiterhin die vollkommene Kontrolle über ein
palästinensisches Bantustan mit nicht lebensfähiger Wirtschaft
behalten. Wenn Israel darauf besteht, weiterhin die Grenzen zu
kontrollieren und den Palästinensern die freie Bewegung von Personen
und Waren verweigert, ist der palästinensische Staat nicht
lebensfähig. Wenn die 5%, die die Palästinenser abtreten müssen,
einen Korridor quer durch die Westbank einschließen oder wenn Israel
darauf besteht, die Maaleh Adumin-Siedlung mit seinem E1-Korridor
nach Jerusalem zu behalten, was die territoriale Kontinuität eines
palästinensischen Staates zerstört, so ist dieser nicht lebensfähig.
Wenn er Israels Kontrolle über alle Wasserreserven einschließt, ist
er nicht lebensfähig. Wenn Ost-Jerusalem nicht vollkommen in den
palästinensischen Staat integriert wird – politisch, geographisch
und wirtschaftlich – und ich wette, dass der Kern von Ostjerusalem
nicht in den 95% enthalten ist – dann gibt es keinen lebensfähigen
Staat. Nach der Weltbank kommen 40% der palästinensischen Wirtschaft
auf Grund des Tourismus, der größten potentiellen Industrie, aus
Ost-Jerusalem.
Der Unterschied zwischen wirklicher
Souveränität und einem lebensfähigen Staat und einem Bantustan sind
ein paar Prozente des strategischen Territoriums. Es ist klar, dass
Israel 95% der Westbank, des Gazastreifens und Teile von Jerusalem
abtreten und trotzdem die vollkommene Kontrolle behalten kann. Das
Konzept einer nur auf Territorium gegründeten „Lösung“ enthält
Fehler. Es deckt sich nicht mit dem palästinensischen Recht auf
Souveränität und einem lebensfähigen Staat - es verewigt nur
Israels Kontrolle. Eine durchführbare Lösung erfordert eine Methode,
die sich auf eine Verpflichtung gegenüber einem lebensfähigen
palästinensischen Staat gründet.
*Israel hat seine Herrschaft über die Gebiete in „neuen Tatsachen
vor Ort geschaffen“, einer vollkommenen Kontrollmatrix. Nur wer
sehr sorgfältig den Details Aufmerksamkeit schenkt, wird in der Lage
sein, Olmert und Rice, von Bush und Blair unterstützt, daran zu
hindern, unter dem Deckmantel einer Zwei-Staatenlösung geschickt
eine dauernde Apartheidherrschaft zu errichten.
Es wäre äußerst hilfreich, wenn die
palästinensische Behörde ihre Sorge über die Fragen von Souveränität
und Lebensfähigkeit öffentlich zum Ausdruck brächte, statt Olmert
ein unangefochtenes Feld zu überlassen, in dem er Initiativen
ergreifen und PR produzieren kann, die die Palästinenser nur in die
Defensive treiben. Das Fehlen einer starken, offiziellen
palästinensischen Stimme ist nicht nur verblüffend, es schwächt die
Fähigkeit von uns Nicht- Palästinensern, uns wirksam für einen
gerechten Frieden einzusetzen. Israel verlässt sich auf eine
palästinensische Ablehnung dessen, was als sehr großzügiges Angebot
dargestellt wird. Die Palästinenser lehnen dieses Projekt aus guten
und stichhaltigen Gründen ab, sprechen dies aber nie aus und
hinterlassen so in der Öffentlichkeit den Eindruck, als habe Israel
wirklich „keinen Partner für den Frieden“ . Das muss sich ändern –
und zwar schnell..
Würde es zu viel sein, im selben
Atemzug noch zu fragen, ob die palästinensische Behörde einen
eigenen aktiven Plan vorbringt, der Israel in die Defensive drängt.
Unterdessen treten wir Israelis zusammen mit unsern klaren Partnern
palästinensischer und internationaler ziviler Gesellschaften für
einen gerechten Frieden ein und werden weiter sorgfältig den Teufel
im Detail beobachten.
*(Schräg Gedrucktes aus einer
anderen Fassung dieses Artikels -- die Übers.)
Unterdessen haben Israels
wiederholte Förderung territorial begründeter Pläne – die einen
„großzügiger“ als andere – nur ein und dasselbe Ziel: die
Siedlungen zu verewigen, ein israelisches Groß-Jerusalem und die
Kontrolle über das ganze Land. Bis diese Kontrollmatrize gebrochen
und einem wirklichen palästinensischen Staat erlaubt wird, zu
entstehen – falls dies überhaupt noch bei den von Israel vor Ort
neu geschaffenen Tatsachen möglich ist – werden wir jeden Vorschlag
sorgfältig prüfen müssen, um sicher zu gehen, ob er wirklich den
Konflikt beenden oder nur ein raffiniertes Apartheid-Regime an
Stelle der Besatzung einsetzen wird.
Israels weiter gehender Siedlungsbau
und seine Bemühung, strategische Teile der Westbank und
Groß-Jerusalems zu behalten, rechtfertigt unsern Verdacht von
Israels Absichten.
(Jeff Halper ist der Koordinator von
Israels Komitee gegen Hauszerstörungen, ICAHD)
.jeff@icahd.org
)
(dt. Ellen Rohlfs) |