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Aqaba: Nur zu existieren ist
schon ein Verbrechen
Adam Keller, 12.4.11. Crazy Country
Letzte Woche war die IDF an der Grenze zum
Gazastreifen sehr beschäftigt mit Schießen und Zurückschießen,
mit Granaten und Raketen und mit Bombardieren und mit dem
Abfangen von Raketen. ( Die neue Entwicklung: Der „Eiserne Dom“
wurde vor Ort unter Feldbedingungen getestet – die nach Sderot
abgefeuerten Raketen sollen in der Luft abgefangen und zerstört
werden. Das ist anscheinend auch teilweise gelungen. Doch trotz
all diesem fand das Militär die Zeit und die Ressourcen, um
eine zweite Front bei einem kleinen Dorf in der nordöstlichen
Westbank zu öffnen, in Aqaba.
Zusammen wohnen dort etwa 300 Menschen. Keine
Rakete wurde von dort abgeschossen. Nicht einmal Steine wurden
dort geworfen, weder jetzt noch mitten in der 1. Intifada, auch
nicht während der 2. Intifada. Niemals wurden Leute von dort
wegen irgend einer kleinen Gewalttätigkeit angeklagt . Trotz
alledem konnte die IDF mitten in einer kriegsähnlichen
Eskalation an der Gazagrenze es sich leisten, viele Soldaten zu
einem militärischen Auftrag in dieses Dorf zu senden – fast so
viele Soldaten, wie das Dorf Bewohner hat.
Die Soldaten gingen auf drei Häuser zu, die
zum Abriss markiert waren. Sie befahlen den Familien, die
Häuser sofort zu verlassen, sie warfen ihren Besitz hinaus und
begleiteten Bulldozer, die vor den Augen der erschrockenen
Kinder die Häuser zerstörten. Auch die zwei Straßen, die das
Dorf mit der Außenwelt verbinden, wurden von der ‚moralischsten
Armee der Welt’ aufgerissen, dass sie unpassierbar für die PKWs
der Aqababewohner wurden. Auch die Strompfähle wurden
ausgerissen und zerstört und der Zaun am Straßenrand. Ja sie
gingen sogar auf die Felder nahe der Straße, pflügten sie um
und zerstörten einen großen Teil der Ernte.
Die „Friedensstraße“, wie die Aqaba-Bewohner
die einen Kilometer lange Straße nannten, die sie mit der
Schnellstraße des Jordantals verbunden hat. Die Soldaten, die
vom Staat Israel dorthin gesandt wurden, achteten nicht auf den
Namen der Straße, die sie zerstören sollten.
Ein wenig Geschichte
Dies ist nicht das 1.Mal, dass das Dorf für
eine harte Behandlung vom Staat Israel ausgesucht wurde.
Tatsächlich verbargen unsere Behörden nie den Wunsch, dass
dieses Dorf nicht hier sein sollte. (Es erscheint auf keiner
Karte, die in Israel gedruckt wurde). Man bemühte sich sehr
darum, dass es von dort verschwand. Nicht nur dass immer wieder
Häuser zerstört wurden. Viele Jahre lang war die Mitte des Ortes
Übungsplatz für die IDF, wo Soldaten zwischen den Häusern
übten, scharf zu schießen. Nicht weniger als 9 Dorfbewohner
wurden so erschossen und andere von Irrläufern verletzt. Doch
die Bewohner weigerten sich, den Wink zu verstehen und
wegzugehen. Sie begruben ihre Toten, beweinten sie und setzten
ihr Leben an diesem schwierigen und gefährlichen Ort fort.
Erst 2001 akzeptierte der Oberste Gerichtshof
eine Petition die von der Association for Civil Rights
eingereicht wurde, und befahl, dass die Armee ihre Basis aus dem
Dorf nahm, damit die Soldaten nicht mehr zwischen den Häusern
ihre Schießübungen machten. Die Behörden waren noch immer der
Meinung, dass hier keine Gebäude stehen sollten. Es wurde auch
keine einzige Baugenehmigung erteilt. Deshalb mussten nun die
illegalen Häuser zerstört werden, wie auch die illegale Straße,
die von illegalen Bewohnern des illegalen Dorfes für ihre
illegalen Wagen gebaut wurden. …
Warum beschäftigen sich die Behörden so viel
mit einem winzigen Dorf, von dem die Mehrheit der israelischen
Bürger sehr wahrscheinlich nie gehört hat? Darauf wurde nie eine
Antwort gegeben. Man kann spekulieren, dass es irgend wie mit
Yigal Alon, einem Minister in der Regierung nach dem
1967er-Krieg zu tun hat. Er brachte die Idee auf, dass Israel
das Jordantal behält, es mit so viel jüdischen Siedlern wie
nur möglich besiedelt und auf jede nur erdenkliche Weise die
Araber ermutigt, von dort wegzuziehen. Das Dorf liegt nun
unglücklicherweise genau am Rand des Jordantales. Wenn man es
dort los würde, dann würde das Gebiet für die israelische
Annexion breiter …Alon ist seit langem tot, aber der Plan, den
er festlegte, ist noch immer lebendig und aktuell, zuweilen sehr
aktuell.
2003 besuchten Bulldozer Akaba und begannen
ein Haus nach dem anderen zu zerstören. Aber Friedensaktivisten
riefen das US-Konsulat in Ost-Jerusalem an, und einige
Telefonate wurden von dort mit ranghohen israelischen
Offiziellen gemacht - und die Zerstörung hörte auf. Nach diesem
Vorfall hatte Aqaba sieben gute Jahre, da es mehr oder weniger
in Ruhe gelassen wurde. Das Dorf begann mit beträchtlicher
internationaler Hilfe zu blühen.
USAID half, die Zufahrtstraße wieder
herzustellen, die britische Regierung finanzierte die Errichtung
einer Klinik. Der Kindergarten wurde von einer amerikanischen
Organisation – The Rebuilding Alliance –
finanziert. Die Regierungen von Japan, Belgien und Norwegen
halfen, eine 2. Etage auf den Kindergarten zu bauen, so konnten
die Kinder der benachbarten kleinen Dörfer mit aufgenommen
werden. Die japanische Regierung finanzierte den Bau eines
großen Wassertanks für die Verwendung der Dorfbewohner. (Es gab
natürlich keine Möglichkeit, Aqaba an die reguläre Wasserleitung
anzuschließen, wie es normale menschliche Gemeinschaften haben –
alle Wasservorräte und -Leitungen in dem Gebiet stehen unter der
Kontrolle der israelischen Regierung und seinen bewaffneten
Kräften ..)
Der Bürgermeister des Ortes, Haj Sami Sadek –
der seit seiner Jugend an den Rollstuhl gebunden ist, weil
israelische Soldaten in der Nähe seines Hauses das
Scharfschießen übten – wurde zu Vortragsreisen in die USA und
Europa eingeladen. Er sprach mit mehreren VIPs und gab
Presse-Interviews in mehreren Ländern. Viele Jahre schien es,
dass die Behörden entschieden hatten, das Dorf sich selbst zu
überlassen. Bis letzte Woche.
Was geschah jetzt? Wer entschied, dass es
höchste Zeit ist, mit Bulldozern zum Dorf Aqaba zurück zu
kehren? Wieder kann man nur raten. Vielleicht hat es etwas mit
dem in den Medien weit und breit veröffentlichten Besuch des
Ministerpräsidenten Netanyahu im Jordantal nicht weit von Aqaba
vor einem Monat zu tun. Er betonte dabei stark, dass dieses Tal
unter israelischer Kontrolle bleiben müsse. Netanyahu hat keinen
direkten Befehl gegeben, dass die Armee die Häuser und Straßen
des Dorfes zerstören solle. Aber manchmal benötigen die
Militärverwaltung und die Bürokraten nur einen Wink.
„Es war Asher Tzur von der Zivilverwaltung
der Armee. Derselbe Mann, der viele Jahre kam, um unsere Häuser
zu zerstören. Er war es auch dieses Mal. Was will er von uns?
Was haben wir je getan, um ihn zu beleidigen?“ sagt Haj Sami
Sadeq, der Bürgermeister, zu mir am Telefon. „Ich fragte Asher
‚hast du keine Frau und Kinder? Wie würdest du dich fühlen, wenn
jemand kommt, um dir dein Haus zu zerstören?’ Er gab mir keine
Antwort. Nachdem sie weggegangen waren, kam einer der
Obdachlosen zu mir und fragte mich: ‚Du hast immer über Frieden
mit Israel geredet. Sieht so dein Friede aus?’ Und wie kann ich
ihm antworten?“
(dt. Ellen Rohlfs)
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