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Gazarückzug und die Newtonschen Bewegungsgesetze
06.06.2005, The Palestine Chronicle

 

„Ohne Sharons Initiierung des Rückzugplanes würden die übrigen Dominosteine nicht umfallen …“

 

Von Am Johal

 

Ariel Sharon sollte – wenn auch in einem Panzer oder Bulldozer – eine Siegerrunde fahren.

 

Seit jener Woche im Jahre 1967, in welcher sich der israelische Präventivschlag gegen Ägypten, Syrien und Jordanien sowie die Besetzung der Westbank (einschließlich Ostjerusalems), des Gaza, der Golanhöhen und der Sinaihalbinsel abspielte, dauert der Siedlungsausbau unter Sharons Leitung an.

 

Wie anders ließe sich sein Talent erklären, einen israelischen Konsens über den Abzugsplan herbei­zuführen, der zur Evakuierung von Gush Katif, drei weiteren Gaza-Siedlungen und von vier Außen­posten in der Westbank auffordert?

 

Als Vater der Siedlerbewegung ist niemand außer Sharon besser dazu in der Lage, die in den Siedlungen bestehenden ultrarechten Kräfte, die religiösen Parteien und seine eigene Likudpartei zurückzuschlagen, um das unilaterale Rückzugsprojekt durchzusetzen. Welche Ironie! Siedler halten sich entlang der Schnellstraße von Gaza nach Jerusalem an den Händen, um gegen den Rückzug zu protestieren und ihre Kritik gegen Sharon zu richten. Mobilisiert die Linke einige Wochen später 100.000 Menschen in Tel Aviv, dann unterstützen diese ihn indirekt!

 

Sharon ist schließlich kein Mann der Mitte – alles in seinem Werdegang weist darauf hin, dass er ein Mann an der Spitze der Rechtsgerichteten ist. Viel ist geschehen seit dem Ausbruch der Zweiten Intifada im September 2000 nach seinem provokativen Besuch auf dem Tempelberg, den der israelische Konsens auf die Rechte abgewälzt hat, während die Linke in einem unverzeihlichen und feigen Vorgang mit gezinkten Karten spielte. Sharon hat ihnen reichlich Munition gegeben – er baut schließlich die Trennmauer, welche besetzte palästinensische Gebiete annektiert und damit die schlimmsten Maßlosigkeiten der Besatzung noch einmal überbietet.

 

Das hebräische Wort ‚hasbara’ bedeutet Information, aber im heutigen Wortsinn beinhaltet es die Belange der Staatspropaganda. Und im ‚Kampf um die Position’, der in der Öffentlichkeit ausgefochten wird, räumen sogar Sharons Feinde ein, dass er ein Überlebenskünstler sei.

 

Die wahre Geschichte, die hinter dem Gaza-Rückzug steckt, erzählt von der Ausdehnung der Sied­lungen in der Westbank und dem Neuentwurf des Entwicklungsplanes für Jerusalem und den Negev – alles unter der Regie der Regierung Sharons.

 

In den kommenden Monaten wird seine Führungskraft an vielen Frontlinien auf die Probe gestellt werden, wenn 30.000 Soldaten sich auf den Weg nach Gaza machen, um sich mit dem dort stationierten Bataillon zu verbinden.

 

Aber wie tickt Sharons Uhr in dieser neuen Friedensära?

 

Einige werden sagen, die Siedler erhalten durchschnittlich 250.000 $ pro Familie, während die Palästi­nenser einen Tritt in den Hintern bekommen.

 

Die Jerusalemer Stadtverwaltung beabsichtigt den Abriss von 88 Häusern – bewohnt von 1.000 Men­schen – in einem Vorort, den die Araber „Silwan“ nennen, und der außerhalb der Tore der Ostjerusalemer Altstadt liegt. Die Israelis nennen ihn „Die Stadt Davids“ und die Abrissaktion „Die Kirsche in der Krone“ – es könnte die größte Häuserzerstörung in Jerusalem seit 1967 sein.

 

Es wäre die Fortsetzung einer Politik, die Stadtplanungsmaßnahmen als Werkzeug für ethnischen Transfer nutzt und ihre Tradition diskriminierender Praktiken seit den Tagen des Oberbürgermeisters Teddy Kollek fortführt. Im Kontext mit dem Mauerbau im Jerusalemer Vorort Abu Dis und der Erweiterung außerhalb gelegener Siedlungen kann man den größeren Konflikt nur beurteilen, wenn man versteht, was heutzutage in Jerusalem geschieht.

 

In den letzten Jahren hat die gemeinnützige Elad-Organisation Räumungsbescheide mit Hilfe einer privaten Sicherheitsgesellschaft mitten in der Nacht realisiert und dabei Dutzende Araber vertrieben. Im letzten Jahrzehnt sind 50 Häuser von Elad in der Wohngegend „abgearbeitet“ worden.

 

„Wir zerschlagen die arabische Kontinuität und ihren Anspruch auf Ostjerusalem, indem wir ver­einzelte Inseln jüdischer Präsenz in arabisch bevölkerte Gebiete setzen“, sagte Uri Bank, Anführer der die Siedlungen unterstützenden Moledet-Partei. „Dann versuchen wir, diese endgültig zusam­menzufügen, um unsere eigene Kontinuität herzustellen. Es ist wie bei den Legosteinen – man nimmt Steine heraus und verbindet die Noppen … Unser letztendliches Ziel ist die jüdische Kontinuität in ganz Jerusalem.“

 

Es gibt noch weitere beunruhigende, offenkundige Hinweise wie den Vorstoß extremistischer, ultraorthodoxer Juden, den Dritten Tempel auf dem Tempelberg auf dem Al-Aqsa-Komplex zu erbauen.

 

Indem der Konsens nach rechts abgedriftet ist, hat er die öffentliche Meinung mit einer Denkweise infiziert und damit den Parteien am rechten Flügel eine Plattform geschaffen, offen zum ethnischen Transfer der arabischen Bürger Israels, die 20 % der israelischen Bevölkerung ausmachen, aufzu­rufen. Sogar Binyamin Netanyahu hat die arabisch-israelische Bevölkerung als demografische Zeitbombe bezeichnet.

 

Was die Regierungspolitik angeht, waren diskriminierende Praktiken die Folge wie Häuserzerstö­rungen, Ungleichbehandlungen durch Regierungsbehörden und Gesetzgebung. Etwa das Gesetz zur Staatsbürgerschaft, das den in den besetzten palästinensischen Gebieten wohnenden Partnern von israelischen Arabern das Recht abspricht, israelische Staatsbürger werden zu können.

 

Der Rückzugsplan hat auch den Negev-Entwicklungsplan beschleunigt, der die Errichtung von Sied­lungen und damit die Verdrängung eines Teils der Beduinenminderheit aus ihrem traditionellen Terrain in der Negev-Wüste zur Folge hat.

 

Ariel Sharon muss politische Physik studiert haben, um seinen ‚Kampf um die Position’ zu führen.

 

Das Erste Newtonsche Gesetz (Trägheitsgesetz) besagt, dass ein freies Teilchen sich immer mit konstanter Geschwindigkeit oder ohne Beschleunigung bewegt, solange keine äußere Kraft auf das Teilchen wirkt.

 

Ohne Sharons Rückzugsplan fallen die restlichen Dominosteine also nicht um.

 

Zweites Newtonsches Gesetz: Die zeitliche Impulsänderung eines Teilchens ist gleich der Kraft, welches auf das Teilchen wirkt.

 

Amerika mit seinen außenpolitischen Vorstellungen in dieser Region gepaart mit Sharons Willen, einseitig zu handeln, haben die Voraussetzungen für tiefere, langfristige Spaltungen in der israe­li­schen und palästinensischen Gesellschaft geschaffen.

 

Drittes Newtonsches Gesetz (Actio = Reactio bzw. Kraft = Gegenkraft): Bei der Wechselwirkung zweier Teilchen ist die Kraft, die auf das Teilchen wirkt, gleich und entgegengesetzt der Kraft, die auf das andere Teilchen wirkt.

 

Der Rückzugsplan und seine unbedachten Folgen könnten sehr leicht die Feuerpause entgleisen las­sen, die in Sharm El Sheikh zwischen Mahmoud Abbas, Hosni Mubarek und König Abdullah von Jorda­nien im Februar vereinbart wurde.

 

Damals sagte Sharon in einer Rede:

 

„Wir haben die Gelegenheit, die Blutspur zu beenden, welche uns die letzten vier Jahre lang aufge­zwungen worden war. Wir haben die Chance, einen neuen Weg zu beschreiten. Zum ersten Mal nach langer Zeit besteht in unserer Region Hoffnung auf eine bessere Zukunft für unsere Kinder und Enkelkinder.

 

Wir müssen vorsichtig nach vorne gehen. Dies ist eine äußerst zerbrechliche Gelegenheit, welche die Extremisten werden ausnutzen wollen. Sie wollen dieses Fenster der günstigen Gelegenheit vor uns verschließen und damit zulassen, dass unsere beiden Völker in ihrem Blut ertrinken.

 

Wenn wir nicht jetzt handeln, werden sie mit ihrem Vorhaben Erfolg haben.“

 

Vielleicht sollte Ariel Sharon mit Blick auf die Lage in der Westbank und in Jerusalem seinen eigenen Rat beherzigen.

 

09.06.2005, Übers. v. Gabriele Al Dahouk

 

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