Arafats Zustand
ist kritisch – Die jüdischen Zeitungen denken bereits an den „Tag
danach“
DT vom 30.10.2004
von Johannes Zang
„Wer
hätte geglaubt, dass ausgerechnet Ariel Sharon – der die Gebiete mit
Siedlern und Außenposten überzog (...) beweisen würde, dass ein
Leopard seine Flecken ändern kann?“, fragt der israelische
Kommentator Yoel Marcus, der auf den Zeilen zuvor seinen Premier in
den höchsten Tönen gepriesen hat. „Über 37 Jahre hinweg gab es in
Israel keine politische Führung mit dem Mut oder der Willenskraft,
das Gebietsproblem zu lösen.“
Hat er einen
Schlaganfall? Blutvergiftung? Krebs?
Sharon war es
nicht lange vergönnt, nach seinem Abstimmungssieg in der Knesset im
Rampenlicht zu stehen. Arafat habe Sharon die „show“ gestohlen,
schreibt ein Kollege von Marcus in derselben Zeitung. Dessen Abgang
würde einen bedeutsamen Wandel in der israelischen und
palästinensischen politischen Szene mit sich bringen, behauptet der
ebenfalls für „Haaretz“ schreibende Aluf Benn. Das Mantra „Es gibt
keinen Partner“ sei die „Basis israelischer Außenpolitik der letzten
vier Jahre gewesen und habe die Weigerung, mit der palästinensischen
Autonomiebehörde zu verhandeln, gerechtfertigt“, so der
Haaretz-Korrespondent. Diese vier Worte würden mit Arafats Abgang
ebenfalls verschwinden, gleichsam null und nichtig werden. Sharons
einseitiger Rückzugsplan würde seine zentrale Rechtfertigung
verlieren – das Nichtvorhandensein eines palästinensischen Partners. Aluf Benn hört Außenminister Shalom schon sagen: Lasst uns den
Rückzugsplan verschieben, bis eine neue und stabile palästinensische
Führung den Gazastreifen übernimmt.
Kaum hat
Condoleezza Rice, die Sicherheitsberaterin von Präsident Bush,
Yassir Arafat empfohlen, er möge angesichts der historischen
israelischen Weichenstellung jetzt zurücktreten, da scheint Arafat
Ernst zu machen. Hat er einen Schlaganfall, wie israelische Quellen
zu wissen vorgeben? Blutvergiftung? Krebs? Eines ist klar: der „Rais“
soll sich in ernster, aber stabiler Verfassung befinden. Und er ist
über Amman unterwegs nach Paris, wo er sich von ärztlicher Hilfe
Heilung verspricht.
„Haaretz“
präsentierte schon am Donnerstag, wenige Stunden nach Bekanntgabe
der Erkrankung von Arafat, sage und schreibe sieben Beiträge zum
Zustand des palästinensischen Führers. Begrüßt der Likud diesen
neuen Schauplatz des allgemeinen Interesses? Lenkt Arafat von der
innerparteilichen Zerreißprobe nicht wohltuend ab? Israelische
Redakteure fahren jetzt eine Armada an Berichten, Analysen und
Kommentaren auf, als hätten diese schon in den Schubladen bereit
gelegen. Da wundert sich eine Journalistin, dass es im
palästinensischen Volk „keine massiven Demonstrationen der
Unterstützung“ gebe, während der Rais doch um sein Leben kämpfe.
Weitere Artikel befassen sich mit einem möglichen Begräbnisplatz für
Abu Ammar, so sein Ehrenname, oder sorgen sich, Israel könne für das
Ableben des „Rais“ aufgrund seines Hausarrests verantwortlich
gemacht werden.
Sharon mag der
neue Brennpunkt des Interesses vielleicht ganz recht sein. Denn sein
Likud steckt in der Krise, seit ihm sein Minister und Parteigenosse
Benjamin Netanyahu ein Ultimatum gestellt hat. „Der Likud hat einen
weiteren Schritt in Richtung Spaltung gemacht“, beschrieb Minister
Zachi Hanegbi die komplizierte Lage, in der sich der Likud nach der
Entscheidung in der Knesset befindet. Mitte der Woche hatte das
Parlament den Abkopplungsplan mit einer Mehrheit von 67 Ja-
gegenüber 45 Gegenstimmen bei sieben Enthaltungen angenommen. Dieser
Abstimmungssieg sei für Sharon – so der israelische Professor für
politische Wissenschaften Shlomo Avineri – eine Art „gaullistischer
Stunde“ und für Israel ein „Meilenstein in der Geschichte“.
Doch kurz darauf
legte Netanyahu dem Meilenstein einen Stein in den Weg und sorgte
für das „Drama“, wie es die israelische Botschaft in Berlin
formuliert. Er hat sich dem Ultimatum von Mafdal angeschlossen und
dem Ministerpräsidenten zwei Wochen gegeben, über ein Referendum zum
Abkopplungsplan zu entscheiden: „Wir geben ihm eine Chance von zwei
Wochen, die der Ministerpräsident, so Gott will, nutzen wird. Wenn
nicht, können wir nicht mehr in der Regierung bleiben“, meinte
Netanyahu nach der Abstimmung. Doch einen Beitrag zum „Schisma im
Likud“ – wie Aluf Benn es nennt – muss man in den israelischen
Zeitungen derzeit wie die Nadel im Heuhafen suchen.
Keine Einladung in
die„Hadassah-Universitätsklinik“
Arafat bestimmt
die Diskussion. Auch Ministerpräsident Ariel Sharon hat sich bereits
mit Sicherheitsstellen über „die jüngsten Entwicklungen in der
Palästinensischen Autonomiebehörde“ beraten, wie die israelische
Botschaft in Berlin die Erkrankung des palästinensischen Führers
umschreibt. Der Ministerpräsident ordnete an, dass bei der nächsten
Kabinettssitzung eine besondere Diskussion über die Ereignisse in
der Palästinensischen Autonomiebehörde stattfinden solle.
Aus dem
israelischen Verteidigungsministerium hieß es: „Wir beobachten die
Entwicklungen bezüglich des Gesundheitszustands Yassir Arafats
sorgfältig. Israel hat den Palästinensern mitgeteilt, dass es alle
nötigen Schritte tun wird, um zur medizinischen Versorgung Arafats
beizutragen. Humanitäre Werte und Moral stehen bei uns an erster
Stelle, und der Staat Israel wird jede notwendige Hilfe in dieser
Hinsicht leisten.“
Warum hat Sharon
dann Arafat nicht angeboten, sich in der „Hadassah-Universitätsklinik“
in Jerusalem behandeln zu lassen? Diese ist keine vierzig Kilometer
von Ramallah entfernt und gilt als „beste Klinik zwischen Nahem
Osten und Tokio“, wie einem jungen deutschen Arzt bei der
Einarbeitung mitgeteilt wurde. Hat der „Leopard“ Sharon wirklich
seine Flecken geändert?
Die Homepage von Johannes Zang:
Jerusalam.info
- Die Wort- und Bildwerkstatt)