2. Rundbrief - am Tag der Besetzung Jerusalems
durch die Kreuzfahrer (1099) - Juli 2005
Liebe
Leserinnen und Leser,
seit einigen
Tagen werden wir schon nach dem 2. Rundbrief gefragt. Gerne
kommen wir diesem Wunsch nach. Doch wo anfangen? Nicht, dass
es keinen Stoff gäbe. Meine Mutter meinte, ob ich in der
TAGESPOST – für die ich regelmäßig schreibe – nicht auch
einmal etwas Positives bringen könnte. Natürlich gibt es
dies, vor allem im zwischenmenschlichen Bereich. Doch tue
ich mich schwer damit. Es ist genau wie der armenische
Töpfer sagte, den ich kürzlich interviewte: „Alles wird von
der politischen Lage durchdrungen, alles!“ Selbst beim
Interview mit ihm oder auch beim Gespräch mit einem
Glasbläser in Hebron kommt man früher oder später auf
Politik, die Besatzung, den Mauerbau zu sprechen. Es lässt
sich nicht vermeiden. Da ist die Kunst, die Kreativität, das
Schaffen von Glaskelchen oder Wandfliesen – doch spätestens
bei den Fragen Materialbeschaffung, Kundschaft oder Versand
landet man mitten in der Politik.
Also
beginnen wir mit ein wenig Kunst.
Glasbläser in Hebron
Vor zwei Wochen haben wir dafür gesorgt, dass unsere
zukünftigen Gäste nicht mehr den Wein aus Biergläsern
trinken müssen. Wir fuhren in die Abrahamsstadt Hebron – ca.
30 km von Jerusalem – und kauften Wein- und Saftgläser und
eine Salatschüssel. Es war faszinierend zu sehen, wie die
Glasbläser arbeiteten – es scheint sich seit Jahrhunderten
nichts geändert zu haben. Außer, dass sie auf ausrangierten
Bürostühlen sitzen, der Ofen elektrisch auf 1500 Grad
geheizt wird und ein Ventilator frische Luft zufächelt. Ich
hatte in demselben Geschäft vor ca. 4 Jahren schon einmal
Gläser gekauft – an jenem Tag war ich abends um 17 Uhr der
erste Kunde! Nicht an diesem Tag, sondern seit etwas zwei
Monaten! Der Besitzer gab den Schaden für sein Geschäft
durch die Intifada mit 300.000 Dollar an. Selten verlieren
sich Touristen nach Hebron. Er kennt den Grund: „Am
Flughafen Tel Aviv wird Touristen eingetrichtert, bloß nicht
die palästinensischen Gebiete zu besuchen.“
„Palästinensische Töpferei“
Letzte
Woche – als ich von Politik genug hatte – beschloss ich,
einen der drei armenischen Töpfer zu interviewen. Um einmal
auf andere Gedanken zu kommen. Doch es gelang nur zum Teil –
wie oben angedeutet. Die Geschichte der „palästinensischen
Töpferei“ ist schnell erzählt und hochinteressant. Die
Briten forderten vor circa neunzig Jahren armenische Töpfer
aus der Türkei an, um die Fliesen am Felsendom auszubessern.
Drei Familien kamen und begannen die Arbeit. Bald jedoch
ging sowohl Material als auch das Geld dafür aus. Die
Familien blieben und gründeten zusammen eine Töpferei. Nah
einigen Jahren trennten sie sich. Zwei gründeten 1922 die
„palästinensische Töpferei“ - da das damalige Mandatsgebiet
der Briten „Palästina“ hieß. In den 60er Jahren gab es noch
einmal eine „Teilung“ und seitdem führt die Familie Balian
(fast alle armenischen Familiennamen enden auf „ian“)
alleine die „palästinensische Töpferei.“ Neshan Balian,
selber Keramikingenieur, erklärt, dass man diese Art von
Keramik in Armenien gar nicht finden könne. Was er und seine
Mitarbeiter herstellen, sei eine Mischung aus „türkischen,
islamischen, persischen, armenischen und palästinensischen“
Elementen. Typische Farben sind türkis und tiefblau –
typische Motive sind Hirsche und Fische.
Dank eines
Verfahrens eines Saarbrücker Ingenieurs kann Neshan Balian
nun jedes digitale Bild auf Fliesen aufbringen.
www.armenianceramics.com
Hochzeiten
Wir wurden
schon zu drei Hochzeiten eingeladen – wobei wir bei zweien
nur die Messe besuchten. Bei der dritten – es war die
Tochter des Bischofs – besuchten wir nur die Feier, in der
Nähe von Nazareth. Dafür fuhren wir um 19.30 Uhr
noch fast zweieinhalb Stunden!, – um eineinhalb Stunden
mitzufeiern. Dem Bischof die Ehre zu geben, musste das sein.
Diese Feier übertraf alle bisherigen Hochzeiten – in punkto
Aufwand! In dem Riesensaal saßen zwischen 600 und 750 Gäste
(jeder Kellner nannte eine andere Zahl). Die Colaplastik-
und Whiskyflaschen standen auf dem Tisch. Und mehr als ein
Dutzend Vorspeisenteller. Kaum hatte man von einem
Tellerchen ein bißchen genommen, kam der Kellner, und
stellte einen neuen vollen hin.
Es gab eine
achtköpfige Musikgruppe – wo sonst nur ein Plattenaufleger
für beschwingte Musik sorgt. Etliche Kameramänner sorgten
für eine Atmosphäre wie bei „Wetten, dass“. Sogar ein
ausfahrbarer Kran mit Kamera schwebte über der Tanzfläche
und filmte die hüftschwingende Gesellschaft.
Wir sprachen
mit Nael, einem Diakon aus Galiläa über die (Un-) Sitte des
Geldschenkens. Geld wird nämlich erwartet – und zwar, so
Nael, mindestens 150 Shekel (knapp 30 Euro) pro Person. In
den Dörfern Galiläas, wo jeder jeden einlädt, ist mancher im
Sommer fast jeden Sonntag auf einer Hochzeit. Ein
beträchtlicher Teil des Gehaltes fließt in
Hochzeitsgeschenke. Und keiner traut sich, diese Tradition
in Frage zu stellen.
Loblied
auf die Palästinenser
Schlechte
Nachrichten kann man überall lesen – deshalb hier ein
kleines Loblied auf die Palästinenser, die für mich
Weltmeister im Improvisieren und im sich-Anpassen sind. Wer
an die Kontrollpunkte der israelischen Armee und die
unbemannten aufgeschütteten Erdhügel kommt, wird dort eine
staubige Fußgängerzone vorfinden, eine Mischung zwischen
ALDI, EDEKA und KAUFHOF. Von Sonnenbrillen, über
Wasserpfeifen, Obst, Unterwäsche, Porzellan bis hin zu
Sandwiches und sogar Büchern wird dort alles angeboten. Auch
was den Mauerbau betrifft, wird kaum gejammert, sondern –
das erzählte mir ein Kunstprofessor von der Universität –
darüber gesprungen.
Und noch ein
Loblied: auf die Gelassenheit der Menschen hier. Janina muss
wieder einmal eine Wurzelbehandlung ueber sich ergehen
lassen. Neulich traf sie ihren Zahnarzt (einen Griechen)
zufaellig beim Benedikt-Fest, zu dem auch wir eingeladen
waren, und sah ihn fleissig ein Glas Wein nach dem anderen
schluerfen – zwei Stunden vor ihrem Termin bei ihm! Also
fragte sie ihn schliesslich, ob er denn nach so viel Wein
noch in der Lage sei, ihren Zahn zu behandeln. Seine
Antwort: „Gute Frage! Aber weisst du, es gab eine Zeit, da
konnte ich nicht ohne Alkohol operieren!“ ... Keine Angst:
Die Behandlung verlief bestens!
Wasserparadies „Sachne“ oder „Suchne“ oder „Gan Haschlosha“
Kürzlich wollten wir an unserem
freien Tag mal schwimmen gehen. Da die
wenigen Jerusalemer Schwimmbäder sehr teuer und überfüllt
sind und im Mittelmeer das Schwimmen nicht so gut geht,
entschlossen wir uns zweieinhalb Stunden nach Norden zu
fahren, in die Nähe von Beit Shean. Dort verbrachten wir
einen halben Tag und holten uns trotz Creme einen saftigen
Sonnenbrand.
So, jetzt
schließen wir. Über die politische Lage möchte ich nichts
sagen – ich schreibe zwei- bis dreimal die Woche darüber.
Und das ist meist sehr deprimierend. Hoffnung haben hier
wenige. Es ist auch schwer, angesichts des fortgesetzten
Siedlungsbaus und einer neuen Welle von „Hauszerstörungen“
in Ost-Jerusalem an Frieden zu glauben.
Janina
eifert ihrer Mutter nach, die Woche für Woche sechzig
Stunden „schafft“. Momentan ist ihr Hauptaufgabengebiet
Rundbriefe des anglikanischen Bischofs auf Englisch zu
verfassen. Das Hauptproblem dabei ist: Den Bischof zu
erwischen, damit er Korrektur liest. Kaum hat sie ihn
getroffen, und seine Anregungen umgesetzt, ist er wieder
für eine Woche in England, Deutschland oder Syrien und der
„Neuigkeiten“-Brief wird zum „Altertumsblatt.“
Derzeit
erfreuen wir uns an einer Gruppe von japanischen
anglikanischen Geistlichen, Theologiestudenten und ihrem
lustigen Bischof UEDA (Ueda oder Uedaminit – „Warte eine
Minute“, stellte er sich vor). Gestern begleitete ich die
Gruppe nach Ramallah. Auffallend war, dass fast alle
Teilnehmer bei jeder kleinen Ansprache oder Begruessung
ihren Notizblock zückten und fleissig mitschrieben. Alle
sind enorm gut auf die Reise vorbereitet – haben sie sich
doch vier mal in Tokio getroffen, um sich über das Heilige
Land informieren zu lassen.
Vorgestern
war ich bei einem ökumenischen Friedensgebet direkt an der
Mauer bei Abu Dis (wenige Meter vom Ort des obigen Bildes
auf Seite 2 entfernt). Die Mauer macht dort kurz vor der
Klostermauer der italienischen Passionistenpatres Halt – das
Kloster beherbergt die St. Marta-Kirche, am Ort des Hauses
von Maria und Marta. – Beim Gebet waren wir gut 50 Menschen,
Laien und Ordensleute, Palästinenser und Amerikaner,
Schotten, Kanadier, Holländer, Schweizer, Franzosen und
Deutsche.
Vor einiger
Zeit ist ein Buch herausgekommen, an dem ich mitgewirkt
habe. Ich habe es selbst noch nicht in der Hand gehabt. So
weiss ich nicht, ob man meine Bedenken bezüglich des
Vorwortes ernstgenommen und dieses dementsprechend
abgeändert hat.
Auf
http://www.melzerverlag.de/index.php?manufacturers_id=31
seht Ihr das Buch.
Ein
israelischer Friedensaktivist von „New Profile“ sucht im
September und Oktober noch „Sprechmoeglichkeiten“ im west-
und norddeutschen Raum. Bitte melden.
Es grüßen
Euch, Janina und Johannes
Telefon in
Jerusalem: 00972 – 2 – 628 6815