Kein eigener
Staat, aber ein eigenes Bier
Die
Intifada droht dem feinsten Gerstensaft im Mittleren Osten den
Zapfhahn zuzudrehen
DT
vom 21.09.2004
Von Johannes Zang
Dresden (DT) Eine der letzten Freuden des mühsamen Alltags im
Heiligen Land ist bedroht. Die Rede ist vom „Taybeh“-Bier aus der
einzigen palästinensischen Brauerei im gleichnamigen Dorf. Die
andauernde und nun ins fünfte Jahr gehende Intifada könnte dem laut
Etikett „feinsten Bier im Mittleren Osten“ den (Zapf-) Hahn vollends
zudrehen.
„Taybeh“
– der Name heißt „lecker, köstlich“ – wurde 1995 auf den Markt
gebracht. Aufbruchstimmung herrschte damals nicht nur in Palästina.
Auch in der palästinensischen Diaspora. Die Hoffnung, die das
Oslo-Abkommen auslöste, ließ viele Palästinenser in die Heimat
zurückkehren. Sie wollten einen Beitrag leisten für den Aufbau der
Gesellschaft, investieren und die Wirtschaft anzukurbeln.
Wie
die Brüder Nadim und David Khoury, die nach zwanzig Jahren in Boston
in ihr Heimatdorf Taybeh zurückkamen. Die Khourys – ihr unter
Christen häufiger Nachname bedeutet „Priester“ – wollten ihrem Volk
und ihrer Heimat etwas zurückgeben. Sie gründeten eine Brauerei,
denn „politische Unabhängigkeit hängt von ökonomischer
Unabhängigkeit ab“. So machten sie den Traum ihres Vaters wahr: Nach
Lehr- und Studienjahren im Westen in die Heimat zurückzukommen, um
„ihre Wurzeln zu bewahren und ihre Werte, Traditionen und den
Reichtum der palästinensischen Kultur an die Kinder weiterzugeben“.
Start mit dem Deutschen Reinheitsgebot
Die
Brauerei startete als 1,2 Millionen-Dollar-Familien-Investition –
mit Maschinen und Anlagen aus Kanada und Europa. Mit dem deutschen
Reinheitsgebot von 1516. Und mit Produkten höchster Qualität:
Gerstenmalz aus Belgien, Hopfen aus Bayern und der Tschechischen
Republik sowie Wasser von der örtlichen Quelle Ein Samia. Fertig war
das Bier.
„Sie haben zwar keinen eigenen Staat, aber ihr eigenes Bier“,
kommentierte der Sender CNN trocken. Seis drum: Colin Allport, der
35 Jahre lang für die Heineken-Brauerei gearbeitet hat, nennt das
Taybeh Bier „erstklassig“.
Taybeh Bier wird in drei Sorten gebraut: Das goldfarbene „Original“
mit fünf Prozent Alkohol. Eigens für das Neue Millenium wurde ein
Dunkelbier gebraut – in der klassischen Art der Mönche des
Mittelalter: reichhaltig und mild. Ebenfalls für die Feierlichkeiten
des Jahres 2000 wurde „Taybeh Leicht“ kreiert, mit weniger als vier
Prozent Alkohol. Jede Flasche trägt die Unterschrift von Nadim
Khoury – Beleg dafür, dass jeder Schritt des Brau-Prozesses von ihm
persönlich überwacht wurde.
Als
erstes palästinensisches Produkt erhielt das Bier 1997 eine Lizenz
für den deutschen Markt. „Der Grund dafür“, so die Khoury-Brüder,
ist unser „hoher Qualitätsstandard, unsere feinen Zutaten und der
Geschmack.“ Hinter der deutschen Lizenz steckt aber auch eine
politische Überlegung: auf diese Weise kann man den israelischen
Hafen umgehen, der regelmäßig eine große Hürde darstellt. Im
vergangenen Herbst wurden beispielsweise die Flaschen, die die
Brauer aus Portugal importieren, über drei Wochen im israelischen
Hafen festgesetzt. Immens hohe Hafen- und Strafgebühren waren die
Folge.
Im
Jahre 2000 war die Bierproduktion fast an die Kapazitätsgrenze
gestoßen – 24000 Flaschen pro Woche, fünf Tausend Hektoliter im
Jahr. Ein Dutzend Männer fanden Arbeit bei den Khoury-Brüdern.
Kommt man heute in das hügelige 1300-Seelen-Dorf, zwanzig
Autominuten von Jerusalem entfernt, könnte man auf den ersten Blick
meinen, alles sei immer noch in Butter (oder Bier). Das Leben wirkt
ruhig und entspannt. Hier, im historischen „Ephraim“ wurden Jesus
und seine Jünger in den Tagen vor seinem Leiden bewirtet und
aufgenommen. Gastfreundlich sind die Menschen nach wie vor. Wie
Harald Kuhn erfahren hat. Der junge Arzt kam auf einer Wanderung
durch das Dorf. Spontan wurde er von den Khoury-Brüdern in ihre
Brauerei eingeladen. Natürlich musste er das Bier kosten – das ihm
„lieblich“ mundete. Mit etlichen Flaschen im Rucksack als Wegzehrung
verließ der Unterfranke die Brauerei. Natürlich geschenkt.
Blickt der Besucher jedoch unter die Oberfläche der arabischen
Höflichkeit, dann entdeckt er Arbeitslosigkeit und eine ihrer
Folgen: Auswanderung. Erstere ist bei vierzig Prozent, und damit auf
einem historischen Höchststand angelangt. Und das Dorf zählte einmal
drei Tausend Einwohner.
Von Export kann keine Rede mehr sein
Mit
der Intifada haben die Brüder Khoury die ausländischen Märkte zum
Großteil verloren. Während vorher siebzig Prozent des Bierausstoßes
nach Israel floss, werden derzeit nur noch dreißig Prozent dorthin
verkauft. Auch wegen der israelischen Gesetze und Vorschriften, die
ihre eigenen Produkte begünstigten. Dazu kommt noch der
unkalkulierbare Transport, denn: Für eine Fahrt, die normalerweise
zwanzig Minuten dauert, kann man angesichts von Kontrollpunkten und
willkürlich aufgeschütteten Erdhügeln leicht mehrere Stunden
brauchen. Außerdem müssen Lieferungen, die nach Israel gehen, von
einem palästinensischen Lastwagen auf einen israelischen umgeladen
werden. Manchmal wird jede einzelne Kiste geöffnet und untersucht.
„Alles hängt von der Gnade der israelischen Politik ab“, fasst es
Nadim Khoury zusammen.
Mehr denn je sind die Khoury-Brüder nun auf den einheimischen Markt
angewiesen. Dieser birgt jedoch auch Hindernisse. Der Verkauf in
Nablus, Hebron, Tulkarem und Jenin ist wegen religiöser Gesetze
verboten. All diese Schwierigkeiten zusammen genommen, verbunden mit
der Flaute im Tourismus haben der Brauerei enorme Verluste zugefügt.
Der Verkauf ging um über achtzig Prozent zurück. Von anfänglich
zwölf Beschäftigen mussten zehn entlassen werden.
Trotz allem sind die Khoury-Brüder hoffnungsvoll und fest
entschlossen, weiterhin ihr Premium-Qualitäts-Bier zu brauen. Sie
glauben an eine „neue Zukunft“ in Palästina. Alles sei möglich, wenn
Palästina Freiheit und Unabhängigkeit erreicht, ist sich David
Khoury sicher.
Vielleicht wird das
Urteil der New York Times über das Bier aus Palästina ja doch noch
Wirklichkeit: „Ein Nischenbier, gemacht, um auf den Frieden
anzustoßen.“
www.taybeh.net Die Homepage von Johannes Zang:
Jerusalam.info
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