Fußball im Schatten der
Vergangenheit
Das Spiel zwischen
Bayern München und Maccabi Tel Aviv ruft in Erinnerung, wie
„relativ“ das Verhältnis zwischen Israel und den Deutschen immer
noch ist
DT vom 14.09.2004
Von Johannes Zang
Morgen absolviert der
weltbekannte Verein von der Isar, der FC Bayern München, zum ersten
Mal ein Pflichtspiel in Israel, das viel kleiner als Bayern ist.
Nach Maccabi Haifa vor zwei Jahren ist Maccabi Tel Aviv der zweite
israelische Teilnehmer in der Champions League. Während es in den
letzten Tagen Diskussionen um eine Vorverlegung des Spieles gab – am
Mittwoch ist der Vorabend des jüdischen Neujahrsfestes „Rosh HaShana“
– stellt sich natürlich die Frage, wie „normal“ ein solches Spiel
angesichts der deutschen Vergangenheit sein kann. Dürfen die
Beziehungen zwischen dem mehrheitlich jüdischen Staat Israel und
Deutschland überhaupt normal sein?
Einen Querschnitt der Sicht
auf Israel geben die von der Zeit-Autorin Gisela Dachs 1999
herausgegebenen Beiträge in dem Sammelband „Deutsche, Israelis und
Palästinenser – Ein schwieriges Verhältnis“. Die dort
zusammengestellten Kommentare von Israel-Korrespondenten deutscher
Medien bestätigen den Untertitel, sprechen von „kompliziertem
Verhältnis“ und „sensiblem Beziehungsgeflecht“. Begriffe wie
„Schlussstrichdebatte“ und „political correctness“ fehlen ebenso
wenig wie „Betroffenheit“. Einzig die „Neue Zürcher Zeitung“
bedauert, dass in den „heimischen Redaktionsstuben“ noch immer
Berichte aus Israel „mit der Schere im Kopf auf politisch-korrekten
Standard getrimmt“ werden. Das alles klingt nicht gerade nach
Normalität. Ein Blick zurück mag die behutsame Beziehungsanbahnung
zwischen Deutschland und Israel nach Kriegsende vergegenwärtigen.
Schon 1949, im Gründungsjahr
des Staates Israel, bekannte Bundeskanzler Konrad Adenauer, dass die
moralische Wiedergutmachung Teil unseres rechtsstaatlichen
Wiederaufbaus sei. In seiner Regierungserklärung 1951 bekräftigte er
die Bereitschaft der Bundesregierung, „gemeinsam mit Vertretern des
Judentums und des Staates Israel, der so viele jüdische Flüchtlinge
aufgenommen hat, eine Lösung des materiellen
Wiedergutmachungsproblems herbeizuführen, um damit den Weg zur
seelischen Bereinigung unendlichen Leids zu erleichtern.“ 1952
schloss er einen Wiedergutmachungsvertrag mit Ben Gurion, dem ersten
Ministerpräsidenten Israels. In Anerkennung der deutschen Schuld
verpflichtete sich die deutsche Regierung, Israel 3,5 Milliarden
Mark in Form von Waren und Dienstleistungen zu liefern. Diese Summe
entsprach damals einem Viertel des Bundesetats. 1960 trafen sich
beide Staatsmänner in New York und 1966, ein Jahr vor Adenauers Tod,
besuchte der Neunzigjährige Ben Gurion in dessen Wüstenkibbuz Sede
Boker in Südisrael.
Wenige Jahre zuvor hatte die
„Aktion Sühnezeichen“ mit Fahrten nach Israel begonnen. Diese
Organisation wurde 1958 durch den Ostberliner Präses Lothar Kreyssig
ins Leben gerufen. Auf der noch gesamtdeutschen EKD-Synode im
Frühjahr, die von den Diskussionen um Atombewaffnung und Bundeswehr
geprägt war, legte er den Aufruf „Wir bitten um Frieden“ vor. Darin
heißt es: „Wir Deutschen haben den Zweiten Weltkrieg begonnen und
schon damit mehr als andere unmessbares Leid der Menschheit
verschuldet.“ Deshalb „bitten wir die Völker, die Gewalt von uns
erlitten haben, dass sie uns erlauben, mit unseren Händen und mit
unseren Mitteln in ihrem Land etwas Gutes zu tun.“ In erster Linie
junge Männer „aller Stände und Konfessionen“ wurden ermutigt, für
ein Jahr nach Polen, Russland oder Israel zu gehen, „um dort
gemeinsam ein Friedenszeichen zu errichten“. Nach Bauprojekten in
Frankreich und Großbritannien fand 1961 die erste Fahrt in einen
israelischen Kibbuz statt.
Die Menschen dort wollen keine
deutsche Sprache hören
25 Jahre später landet
Matthias Olszewski durch dieselbe Organisation, die mittlerweile
„Aktion Sühnezeichen-Friedensdienste“ heißt, auch in einem solchen,
um die Sprache des Landes zu lernen. Er wollte als anerkannter
Kriegsdienstverweigerer statt des Zivildienstes in Deutschland einen
verlängerten Dienst in einem Altenheim in Tel Aviv leisten. Nach der
morgendlichen Orangenernte in der Kibbuzplantage paukte er am
Nachmittag „Iwrith“, das moderne Hebräisch. Angesprochen auf seine
Erfahrungen als Deutscher in Israel berichtet er, dass er „selten
Argwohn und Skepsis“ begegnet sei. Durchaus aber Menschen, „die die
deutsche Sprache nicht hören wollten“. Auf der einen Seite die
jungen Deutschen, die in Israel Kranke pflegen, bei der Ernte helfen
und ein Zeichen der Versöhnung setzen wollen – auf der anderen
Seite, in der Heimat, anti-israelische Stimmen bis hin zu
Neonazismus. Schon gegen Ende der sechziger Jahre. Als der
israelische Botschafter Asher Ben-Nathan im Juni 1969 in der
Universität Frankfurt über das Thema „Frieden in Nahost“ sprechen
wollte, empfingen ihn die Studentenführer des SDS mit der Parole
„Axel Springer und Ben-Nathan – eine Clique wie Dajan“. Als der
Botschafter die Existenz Israels und einer zionistischen Politik als
Selbstverständlichkeit bezeichnete, brach ein Sturm der Entrüstung
los, so dass Ben-Nathan seinen Vortrag abbrechen musste. Der
Politiker Stoltenberg nannte es für alle Deutschen beschämend, dass
der Botschafter „mit antisemitischen Parolen niedergeschrieen worden
ist“.
1985 gab es in der gleichen
Stadt bei der Uraufführung des Fassbinder-Stücks „Der Müll, die
Stadt und der Tod“ gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen
jüdischen Demonstranten und Darstellern des Stückes. In diesem soll
die Schurkenfigur des „jüdischen Spekulanten“ angeblich den
damaligen Vorsitzenden des Zentralrates der Juden darstellen. Und
erst jüngst schlugen die Wellen der Empörung und des Entsetzens
wieder einmal hoch – wegen Friedmann und Möllemann und zeigten
einmal mehr, wie schwierig das deutsch-jüdische und das
deutsch-israelische Verhältnis ist. „Schwierig und sensibel“ findet
auch der israelische Journalist Eldad Beck die Aufgabe, über
Deutschland in Israel zu berichten. Der Korrespondent der größten
israelischen Tageszeitung „Yediot Aharonot“ in Berlin nennt dafür
als ersten Grund die „Vergangenheit“. Deutschland, das für ihn immer
noch ein „Rätsel“ ist, sei viel komplexer als Rassismus,
Antisemitismus und Neo-Nazis. Das gebe es zwar und viele Israelis
wären bereit, nur darüber zu lesen. Aber Beck will den normalen
Alltag vermitteln und die Vorurteile mit der Wahrheit konfrontieren.
Ihm geht es um „Ent-Klischeeisierung“, von der Pünktlichkeit der
Deutschen bis hin zu deren angeblicher Humorlosigkeit.
Ein Wort, das die Beziehungen
immer begleiten wird
Morgen tritt der FC Bayern
München in Tel Aviv an. Die Geschichte spielt bestimmt mit und
hinein. Der israelische Botschafter in Berlin, Shimon Stein, findet
solche Begegnungen „manchmal wichtiger als politische und
wirtschaftliche Kontakte“.
Matthias Olszewski erinnert
sich. Vor 17 Jahren war er als Zuschauer beim Länderspiel der
deutschen Fußball-Nationalmannschaft in Israel im Stadion. „Es war
ein gu-tes Gefühl, zu sehen, dass auch hier auf dem Fußballfeld
wieder eine normale Beziehung möglich war, dass Deutsche und
Israelis relativ unbeschwert miteinander umgehen konnten.“ Relativ –
dieses Wort wird die deutsch-israelischen Beziehungen wohl immer
begleiten.
Die Homepage von Johannes Zang:
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