Ein
erfolgloses Treffen
Von Vertrauen keine Spur: Ariel Scharon und Mahmoud Abbas
drehen sich weiter im Kreis
VON JOHANNES ZANG
DT vom 23.06.2005
Die
Karikatur in der palästinensischen Zeitung zeigte
Condoleezza Rice mit jeweils einem Bündel an Akten unter dem
Arm: Auf dem einen war zu lesen: "Was wir Israel zu sagen
haben", auf dem anderen, viel dickeren: "Was wir den
Palästinensern zu sagen haben." So fühlen sich viele
Palästinenser: immer wird ihnen gepredigt, werden sie
gemahnt und gerügt, werden Forderungen und Bedingungen an
sie gestellt - kurzum: sie sind der "böse Bube". Das Treffen
zwischen dem israelischen Premierminister Ariel Scharon und
dem palästinensischen Ministerpräsidenten Mahmoud Abbas am
Dienstag in Jerusalem dürfte dieses Gefühl nur verstärkt
haben. Scharon sprach dabei deutlich "von unserer großen
Sorge, was die Sicherheitssituation betrifft". Man würde
zwar gute Absichten auf palästinensischer Seite sehen, doch
gebe es keine "konkreten vorbeugenden Aktionen".
Die Zerstückelung des Landes geht weiter
Aber kann man diese von den Palästinensern erwarten, wenn man sich
die Zerstückelung des Landes vor Augen hält? Die
palästinensischen Gebiete sind durch Kontrollpunkte,
Betonblöcke, Gräben, Erdhügel und Wachttürme zu einem
endlosen Hindernislauf geworden. Das Büro der Vereinten
Nationen zur Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA)
hat allein im Westjordanland, das nicht einmal halb so groß
wie Thüringen ist, insgesamt 605 Sperren gezählt. Angeblich
hat Israel in den vergangenen Tagen etwa ein Dutzend davon
abgebaut. Nun kündigte Scharon am Dienstag weitere Gesten
des guten Willens an, unter anderem "Verbesserungen der
Kontrollpunkte" - was immer das im Einzelnen heißen mag.
Bethlehem und Kalkilia sollen außerdem in den nächsten zwei
Wochen an die Autonomiebehörde übergeben werden. Mehr
Palästinensern - die "Jerusalem Post" spricht von 26 000 aus
Gaza - soll zudem die Arbeit in Israel gestattet und einige
gebrechliche Häftlinge mit "Blut an den Händen" sollen
entlassen werden. Wird das ausreichen, um Vertrauen
wiederherzustellen? Gerade die Tage vor dem
Scharon-Abbas-Gipfel haben weiteres Vertrauen zu Bruch gehen
sehen: Noch in der Nacht vor dem Gipfel hat Israel erstmals
seit dem letzten Treffen im Februar in einer nächtlichen
Razzia 52 militante Dschihad-Aktivisten verhaftet.
Zusätzlich habe die israelische Armee auch Raketen auf Ziele
im Gaza-Streifen geschossen, so palästinensische Quellen.
Wenige Tage zuvor wurden zwei Israelis in den
palästinensischen Gebieten erschossen. Außerdem sind 88
Häuser im palästinensischen Al-Bustan-Viertel von Silwan in
Ost- Jerusalem akut vom Abriss bedroht. Sie sollen ohne
Baugenehmigung gebaut worden sein, heißt es. Israelische
Siedler haben schon fünfzig Hauser in diesem Dorf nahe der
Jerusalemer Altstadt in ihre Gewalt gebracht, wie das
palästinensische Ministerium für Jerusalem-Angelegenheiten
mitteilt. Das Ministerium nennt das "ethnischen Transfer" im
besetzten Ost-Jerusalem und sieht dahinter "Israels Plan,
die Altstadt von Jerusalem mit israelischen Siedlungen
einzukreisen." Vertrauen oder das, was davon noch übrig ist:
Tag für Tag wird es im Heiligen Land zerschossen,
annektiert, konfisziert, abgerissen und inhaftiert. Und
bevorzugt vor Gipfeltreffen oder
Waffenstillstandsunterzeichnungen. Mahmoud Abbas kam
vorgestern mit Wünschen, Forderungen und Bitten zum Gipfel -
aber damit bei Scharon nicht an. Alles prallte an dessen
Bedingung, den Terror zu stoppen, ab: Die Bitte, dass die
palästinensischen Sicherheitsdienste Waffen tragen dürfen
ebenso wie die um die Entlassung älterer, gesuchter Männer
aus dem Jericho-Gefängnis. Das gleiche Schicksal ereilte die
Forderung, ein Gebiet im nördlichen Westjordanland, wo vier
israelische Siedlungen evakuiert werden sollen, komplett an
die palästinensische Autonomiebehörde zu übergeben. Und in
gleicher Weise lief die Bitte, dass die Hauszerstörung im
oben erwähnten Silwan gestoppt werden solle, ins Leere.
Scharon hingegen wiederholte seine Forderung, den Terror zu
stoppen, und drohte mit israelischem Eingreifen, falls die
palästinensische Autonomiebehörde nicht handele. Abbas
seinerseits verurteilte den Terror, gab aber zu, dass er
"nicht stark genug" sei, ihn zu beenden. "Jede Kugel und
jeder Mörser, der auf Euch abgefeuert wird, wird auch auf
mich gefeuert", soll er der israelischen Zeitung HaAretz
zufolge zu Scharon gesagt haben.
Zwischen zwei Stühlen: Der Präsident der Palästinenser
Mahmoud Abbas ist nicht zu beneiden. Er sitzt mindestens zwischen
zwei Stühlen. Scharon hätte Abbas deutlicher entgegenkommen
können. Doch scheint das ohne Druck von außen nicht zu
gehen. Wer ist dazu jedoch in der Lage, wenn Scharon auf
leichte Kritik aus Washington dermaßen verärgert reagiert,
dass die palästinensische Zeitung "Al-Hayat al-Jadida"
titelte: "Scharon lehnt gemeinsame Pressekonferenz ab wegen
der Kritik aus Washington gegen Tel Aviv." Hintergrund: der
verspätete Umzug der amerikanischen Botschaft von Tel Aviv
nach Jerusalem. Braucht es also doch einen neuen,
unverbrauchten Vermittler? Wer kann auch einmal klare Worte
in Richtung Scharon loslassen? Denn Israels struktureller
Terror durch Besatzung, Landraub, Einschränkung der
Bewegungs- und Religionsfreiheit mittels Kollektivstrafen
müssen ebenso angemahnt werden wie palästinensischer Terror.
Und sie dürfen nicht länger folgenlos bleiben, soll der
Friede eine echte Chance haben. Den sieht der lateinische
Patriarch Michel Sabbah nur dann kommen, wenn "Führer mit
gutem Willen" heranreifen. In seinen Augen ist Scharon noch
nicht reif dafür. "Er wartet darauf, sich noch mehr Land zu
nehmen - mit weniger Palästinensern darauf", nimmt der
katholische Patriarch kein Blatt vor den Mund. Hätte die
palästinensische Autonomiebehörde die klare Linie des
Patriarchen, so der christliche Palästinenser und Journalist
Khader Khader im Gespräch mit der "Tagespost", dann wäre die
Besatzung schon beendet - und alle wären dem Frieden ein
gutes Stück näher.
http://www.die-tagespost.de/Archoiv/titel_anzeige.asp?ID=15155 |