Ein Meer in Orange
Pro und Contra Gaza-Abzug - Israelis stimmen auf den Straßen
ab
VON JOHANNES ZANG
DT vom
05.07.2005
Wie
Israelis zur Evakuierung aller israelischen Siedlungen im
Gaza-Streifen sowie vier weiterer im West-Jordanland stehen,
das sieht man ihren Autos an. Seit Wochen flattern an vielen
Autoantennen orangefarbene Bänder - Zeichen der Ablehnung
des Regierungsvorhabens und der Solidarität mit den
Siedlern. Seit kurzem erst kontern die Befürworter des
Abzugs: mit blauen Bändern - der Farbe des Davidsternes und
der Nationalflagge. Ihre Botschaft: Um den Staat Israel zu
retten, muss dieser aus Gaza abziehen. Indes, Blau ist rar
auf Israels Straßen. Mittlerweile hat der Protest der
Siedlerbewegung neue Dimensionen erreicht: mit der
Steinigung eines wehrlosen palästinensischen Jugendlichen
bis zur Bewusstlosigkeit. Nur dank der Hilfe israelischer
Soldaten und Journalisten überlebte der junge Mann den
Lynchversuch, wie Sicherheitsminister Ezra die Attacke
nannte."Wer angeblich im Namen der Vaterlandsliebe in der
Lage ist zu lynchen, der ist ein Mörder, und wer im Namen
der Vaterlandsliebe in der Lage ist, Nägel und Öl auf die
Straßen zu schütten, ist ein Verbrecher", kommentierte der
bekannte Fernseh-Rabbiner Mordechai Elon. In den Augen
vieler Friedensaktivisten sind die Siedler ein gesetzloses
Volk, ihre Rabbiner mit eingeschlossen. Kürzlich haben etwa
hundert Rabbiner versprochen, dass sie die Vertreibung von
Juden aus ihren Häusern mit ihren eigenen Körpern blockieren
würden. Sie stehen "Chabad" nahe - einer jüdischen
Organisation und gleichzeitig einer Philosophie, die sich
auf den weissrussischen Rabbi Menachem M. Schneersohn
beruft. Der Abzugsplan, so warnten die Rabbiner, würde zu
einem "Holocaust" für Millionen von Juden führen. Scharon,
in ihren Augen ein "stalinistischer Diktator", sei von
unlauteren Motiven getrieben. Genau dies behauptet auch,
allerdings anders begründet, die Buchneuerscheinung "Boomerang"
der israelischen Journalisten Raviv Drucker und Ofer Shelah.
Ihren Angaben zufolge seien selbst die
intimsten Vertrauten des Premiers überzeugt, dass der
Abzugsplan nie das Licht das Welt erblickt hätte, hätte
Scharon nicht die Scheinwerfer "wegdrehen müssen von den
Untersuchungen gegen ihn und seine Söhne". Der Gaza- Abzug -
von Scharon entwickelt, um einer Anklage zu entgehen und
seinen Stuhl zu retten?
Den könnte ein anderer verlieren - Scharons
Erzwidersacher Netanyahu. An diesem Mittwoch nun steht eine
weitere Knessetabstimmung an - über einen Aufschub des
Abzugs. Und Netanyahu wird ihr eventuell fernbleiben.
Scharon hat seinem Finanzminister Netanyahu bereits mit
Rausschmiss gedroht. Auch wenn es auf dessen Stimme nicht
ankommen dürfte: Immer mehr Sicherheitsexperten glauben in
der Tat, dass der Abzugsplan zum absoluten Scheitern
verurteilt ist. Sie befürchten nicht nur eine logistische
Katastrophe. Vorbereitet sind allerdings dieses Mal die
Gefängnisse. Bis Ende Juli können sie weitere 2 500
Detainees aufzunehmen, sagte der Beauftragte des
Gefängnisdienstes Ganot. Dies zeigt, dass man aus den
Erfahrungen vom 16. Mai Konsequenzen gezogen hat: auf den
damaligen Massenprotest, bei dem Hunderte von Abzugsgegnern
verhaftet wurden. Der Kampf wird jetzt nicht um den Abzug
aus dem Gazastreifen geführt, verkündete indessen Scharon.
Es gehe jetzt um das Bild und die Zukunft Israels und da
dürfte unter keinen Umständen "einer gesetzlosen Bande
erlaubt werden, Israel zu kontrollieren". Für den
israelischen Journalisten Gideon Levy tragen an der
landesweiten Sympathie mit den Siedlern die Medien die
Hauptschuld. Seit Monaten bringen diese seiner Meinung die
"Geschichte des großen Opfers", das die Siedler zu bringen
hätten. "Seit Jahren haben sie die Ungerechtigkeiten, die
diese ihren Nachbarn zugefügt haben, ignoriert." Somit
hätten sie zu einem verzerrten Bild der Siedler beigetragen.
Kein Wunder, dass das Land orange angestrichen ist, meint
der israelische Journalist mit der vermutlich besten
Kenntnis der palästinensischen Gebiete. |