Der Hebroner ist der
Rheinländer von Palästina
Michael Zabaneh aus Bethlehem
unterrichtet seit über sechzig Jahren Deutsch und Arabisch
DT vom 05.03.2005
Von Johannes Zang
Goldbach (DT) „Wann möchten
Sie zum Unterricht kommen?“ fragt Michael Zabaneh am Telefon den
Zivildienstleistenden Stefan. Der Deutsche, der in Jerusalem in
einem Kinderheim arbeitet, will beim zukünftigen Lehrer Eindruck
machen: „Arba´ u tult“, antwortet er: Vier und ein Drittel. Also
um 16.20 Uhr. „So eine Zeitangabe kann nur von einem Deutschen
kommen“, sagt der Lehrer aus Bethlehem und lacht.
Michael Zabaneh wird auch
Abu Bandi genannt, der Vater von Bandileos, seinem Erstgeborenen.
Rund um Bethlehem kennt man ihn als Arabisch- und Deutschlehrer.
Sechzig Jahre Lehrererfahrung kommen den Palästinensern, die
Deutsch lernen und den Ausländern, die mehr als nur „Danke“ über
die Lippen bringen wollen, zugute.
Abu Bandi ist 84 Jahre alt
und längst in Pension. Doch die Rente als Lehrer ist eine
einmalige Zahlung und ist längst aufgebraucht. Zum Glück kann Abu
Bandi Entwicklungshelfer sowie Mitarbeiter kirchlicher und
karitativer Organisationen in die Schönheit der
palästinensisch-arabischen Umgangssprache einführen.
Sie danken es ihm. Er
spricht Englisch und deutsch, denkt in beiden Sprachen und kennt
die Fallstricke der arabischen Sprache. „Es sind vor allem die
Gutturalbuchstaben, die im Okzident bis auf das englische TH nicht
vorhanden sind“, erklärt der Liebhaber von Johann Sebastian Bach.
Diese Gutturalbuchstaben bereiten den Studenten Kopf- und manchmal
auch Rachenweh. Und von diesen Lauten hat das Arabische ein halbes
Dutzend, darunter das erwähnte H, das dem rheinländischen R nicht
unähnliche GH und das „dicke“ D.
Michael Zabaneh wurde in
Ramle – auf halbem Wege zwischen Tel Aviv und Jerusalem – geboren.
Noch ein Kind, erblindeten sein über siebzig Jahre alter Vater und
die Mutter. Die Eltern sahen sich gezwungen, Michael und seinen
Zwillingsbruder in die Obhut evangelisch-lutherischer Missionare
zu geben. Dem „Syrischen Waisenhaus“ in Jerusalem, auch bekannt
unter dem Namen „Schneller-Schule“ vertrauten die
griechisch-orthodoxen Christen gern ihre Kinder an. Dort lernten
die beiden die deutsche Sprache, wurden mit Luther, Goethe und
Schiller vertraut und erhielten Orgelunterricht. Noch heute spielt
der im Waisenhaus konfirmierte Lutheraner sonntags in der
evangelischen Kirche in Bethlehems Nachbarort Beit Jala die Orgel.
„Auch der Reichtum der
arabischen Sprache stellt für Sprachstudenten eine Hürde dar“,
bekennt der Palästinenser Zabaneh. Löwe und Kamel brächten es
beispielsweise auf bis zu dreihundert Synonyme. „Und ein
dreibuchstäbiges grundständiges Verb besteht aus zehn
verschiedenen Formen“, erklärt Abu Bandi. Beim dreibuchstäbigen,
also dreisilbigen Verb verschiebt sich – vergleichbar mit
deutschen Vorsilben – der Bedeutungsinhalt so wie bei über-, an-,
nach- oder absehen.
Die Buchstaben sind in
fünfzehn Mond- und dreizehn Sonnenbuchstaben eingeteilt – wichtig
für das Lesen von Texten, denn bei letzteren wird der Artikel „il“
ignoriert. Stattdessen hängt man das folgende Wort gleich an. So
wird aus dem geschriebenen „Il shammes“ – die Sonne – beim Lesen
„I shammes“. „Araber wissen das ohne Nachzudenken“, erläutert Herr
Zabaneh. Gerade für das Lesen sei gute Kenntnis der Grammatik
erforderlich. Diese hält der Lehrer für schwieriger als die
deutsche, da sie mit ihren 33 Regeln „inhaltsreicher“ sei.
Doch geschriebenes
klassisches Hocharabisch kommt außer in offiziellen Reden und
Predigten kaum zur Anwendung. Allerdings neigen „Dörfler dazu,
sich klassisch auszudrücken. Sie, die überwiegend Muslime sind,
lesen öfters die klassische Sprache des Koran oder hören sie
gesungen.“
Gesprochen wird in Palästina
und anderen arabischen Ländern jedoch eine einfachere
Umgangssprache. Mit regionalen Unterschieden. Michael Zabaneh hält
diese für ähnlich groß wie zwischen Schwäbisch und Plattdeutsch.
Ein deutscher Entwicklungshelfer in Bethlehem widerspricht. „Hier
übertreibt Abu Bandi.“ Zum Schmunzeln brachte den
Entwicklungshelfer indes der Singsang der Bewohner von Hebron –
was ihn an den Dialekt der Eifel und des Rheinlands erinnerte.
Ist Arabisch in jeder
Hinsicht schwerer als Deutsch? Gottlob nicht. Es gibt keinen
unbestimmten Artikel und vor allem nicht die komplizierte deutsche
Groß- und Kleinschreibung. Und Lehrer Zabaneh entdeckt sogar
Parallelen zum Deutschen: bei Zahlen, zum Beispiel bei 43 wird
zuerst die Drei und dann die Vierzig gesprochen. Kein Wunder, dass
er im Arabischen eine Tochtersprache des Deutschen sieht – „was
das Schreiben und Lesen betrifft“.
Seine über ein halbes
Jahrhundert reiche Lehrerfahrung mit Deutschen, Österreichern,
Amerikanern, Japanern, Filipinos und Engländern hat Abu Bandi nun
in einem hundert Seiten starken Werk zusammengefasst. „We want to
speak Arabic“ – Palestinian Town/City Dialect ist für alle
Ausländer gedacht, die die palästinensische Umgangssprache
erlernen wollen. Dafür hat Herr Zabaneh eine eigene Lautschrift
entwickelt. Um den Ausländern entgegenzukommen.
Vielleicht werden sie ja
eines Tages die Erfahrung machen, die das arabische Sprichwort so
ausdrückt: „Eine Zunge – ein Mensch“, was so viel heißt wie:
Sprichst Du zwei Sprachen, dann bist Du ein zweifacher Mensch.