Orgelbau gestört vom Lärm der Intifada
Seit Ostern diesen Jahres erklingt in der Geburtskirche eine
neue Orgel – doch ihr Aufbau gestaltete sich als Sisyphusarbeit
Deutsche Tagespost vom 16.12.2004
Von Johannes Zang
Bethlehem (DT) Die
Geburtsstadt Christi im Frühjahr 2002, am Dienstag nach Ostern: Als
der Orgelbaumeister Wendelin Eberle morgens das Haustor öffnet,
blickt er in einen Gewehrlauf. Sofort schlägt der Enddreißiger das
Tor zu, das zur Milchgrottenstraße führt. Die Schreie der Soldaten
gellen durch die Märzluft. Wendelin rennt ins Haus zurück. Seine
Kollegen Dominik, Markus, Manfred und Pater Lawrence blicken ihn an.
Eines ist klar: An diesem Tag muss der Orgelbau in der Geburtskirche
ruhen. Da schrillt das Telefon. Am anderen der Ende der Leitung sind
die Franziskaner aus dem Kloster am Krippenplatz: „Bleibt, wo Ihr
seid", sagen sie. „Die Stadt ist besetzt."
HoffnungsvollerBeginn
Dabei hatte alles so schön
begonnen: Die Freude war groß, als 1998 das Generalkommissariat der
Franziskaner in Wien sich wegen des Orgelneubaus in Bethlehem an die
Orgelmanufaktur Rieger wendete. Welche Ehre, „an diesem Ort eine
Orgel bauen zu dürfen", erzählt Eberle. Nachdem sein Unternehmen
bereits 1982 für die Grabeskirche eine neue Orgel gebaut hatte,
wurde es mit derselben Aufgabe bei der Geburtskirche betraut –
genauer in ihrem katholischen Teil, der Katharinenkirche.
Die Verhandlungen mit den
Franziskanern Giusto, Armando und George sowie den örtlichen
Architekten verliefen reibungslos, sodass Christoph Glatter-Götz
1999 für die Firma Rieger den Vertrag unterschrieb. Bis zur
Lieferung zogen allerdings drei Jahre ins Land – drei Jahre in denen
die Intifada das Heilige Land mit Schrecken und Vorarlberg mit
Ungewiss-heit überzog. So fragte Wendelin Eberle seine Mitarbeiter,
„ob sich jemand freiwillig bereit erklärt, mit mir diese Montage
durchzuführen." Von anfänglich sieben Freiwilligen blieben am Ende
drei übrig: Markus Heim, Manfred Immler und Dominik Mätzler.
Besonders gern erinnert sich
Eberle an den Beginn der Montage im März 2002 nicht. Zunächst ließ
der israelische Zoll ihn und seine Mitarbeiter zwei Tage lang warten
– schließlich war Bethlehem im palästinensischen Gebiet ihr Ziel.
Dann forderten die Beamten sie auf, die drei Container auszuladen
und die Orgel, die sich darin befand, auf dem Asphalt auszubreiten!
„Ein Horror", berichtet der Vorarlberger, galt es doch „zu viert
knapp siebzehn Tonnen Orgel bei heißer Märzsonne per Hand" zu
bewegen. Um halb vier Uhr nachmittags – nachdem sie die offenen, vom
Kiestransport verschmutzten Lastwagen ohne Seitenwände gereinigt
hatten – konnten sie mit dem Aufladen beginnen.
Gegen zwei Uhr morgens war die
Orgel auf acht offenen Lastwagen ohne Seitenwände verstaut. Nun
hätte die Fahrt nach Bethlehem beginnen können – wenn den
Vorarlberger Orgelbauern nicht am israelischen Kontrollpunkt die
Fahrt nach Bethlehem verweigert worden wäre. Blieb nur ein Hotel in
Jerusalem. Auf der Fahrt dorthin - Polizeikontrolle. „Wir waren zu
erschöpft, um uns noch aufzuregen", berichtet Eberle. Und über allem
lag die bange Frage: „Wird es regnen?" Glücklicherweise hielt sich
der Regen zurück.
Einen Tag später erreichte der
Orgeltransport Bethlehem. Die Arbeit begann, rasch wurden die ersten
dreizehn Register eingebaut. Aber irgendetwas lag in der Luft, das
bekamen die Vorarlberger mit, so sehr sie die Arbeit an der Orgel in
Anspruch nahm. Israelische Hubschrauber und Drohnen kreisten am
Himmel, Panzer fuhren in die Stadt, israelische F 16-Kampfbomber
legten das Hauptquartier von Ara-fat in Schutt und Asche. Der sich
formierende Volkswiderstand patrouillierte durch die Straßen und sah
in jedem Ausländer einen israelischen Spion. Als dann auf dem
Krippenplatz ein palästinensischer Spitzel erschossen wurde, wurde
es den Männern aus Vorarlberg doch mulmig.
Selbst zu Ostern ruhte die
Arbeit nur kurz: Das Pfeifenlager musste eingerichtet werden.
„Metallpfeifen sind aus einer sehr weichen Zinn-Blei Legierung,
weswegen sie in eine stehende Position gebracht werden müssen.
Andernfalls verformen sie sich", erläutert der Orgelbauer. Gut
erinnert sich Eberle an die Worte der Patres Johannes und Ibrahim.
„Die israelische Armee wartet Ostern ab. Dann rücken die Panzer
ein", sollen sie gesagt haben.
Am nächsten Tag blickt Eberle
dann in einen Gewehrlauf, ein fünftägiger Nervenkrieg beginnt. Wie
sollen Manfred und Dominik ihr Schlafquartier im Turm sicher
erreichen? Dazu müssten die beiden das Flachdach der Kirche
überqueren. Doch auf dem Nachbarhaus gegenüber hat sich israelische
Soldaten hinter Sandsäcken verbarrikadiert, das Staccato der
Maschinengewehre prasselt durch die Altstadt von Bethlehem. Die
Männer entscheiden sich, im Erdgeschoss schlafen. Am dritten Tag
geht das von den Nonnen gegenüber ergatterte Fladenbrot aus – „trotz
Rationierung." Wasser läuft noch. Ebenso der Fernseher. „Da sahen
wir den Grund für die Belagerung der Basilika – wegen der
Palästinenser, die sich dort verschanzt hatten", erzählt Eberle. Am
Telefon wechselt sich ein Radiosender mit dem nächsten ab – auf der
Jagd nach O-Tönen. Da hat es die österreichische Botschaft, die zur
Evakuierung drängt, schwer, durchzudringen.
Die Orgelbauer beugen sich
schließlich dem Druck der österreichischen Botschaft und der
Firmenzentrale in Vorarlberg. Als am fünften Tag die Ausgangssperre
für zwei Stunden aufgehoben wird, lassen sie sich von ihrer
Botschaft aus der Stadt bringen. In kugelsicheren Westen und
gepanzerten Jeeps geht es in Richtung Jerusalem. Da versperrt ein
Panzer den Weg. Ist die Absprache der Botschaft mit der Armee nicht
zu dieser Panzerbesatzung vorgedrungen? Schon schwenkt der Panzer
sein graues Rohr auf die Österreicher. „Einige Sekunden größter
Anspannung, bis der Panzer sein Rohr wieder zur Seite schwenkt",
berichtet Eberle. Im Schritttempo geht es schließlich dem Flughafen
entgegen.
Daheim in Österreich hält
Wendelin Eberle Kontakt mit dem Franziskaner-Kloster in Bethlehem,
um es „in der Not nicht ganz alleine zu lassen." Dann folgt eine
weitere Hiobsbotschaft: Feuer! Die israelische Armee hat zwei
Brandbomben in den Lagerraum der Orgelpfeifen bei der Geburtskirche
geworfen. Ein 22 Jahre alter Palästinenser versuchte zu löschen – er
wird von israelischem Gewehrfeuer getötet. Eberle ist entsetzt.
Zweitausend Pfeifen sind zerstört worden, der Verlust liegt bei
einer Viertel Million Euro. Schließlich reißt der Kontakt zu den
Franziskanern in Betlehem ab: die Telefonleitung ist tot, der
Funkverkehr gestört.
Nach Ende der Belagerung kehrt
Wendelin Eberle mit einem Kollegen nach Bethlehem zurück. Sie sind
überrascht über den emsigen Wiederaufbau. Die Menschen dort scheinen
„sofort umzuschalten, von Ausgangssperre zu normalem Alltag",
folgert Eberle. Palästinensische Klosterangestellten fragen ihn,
warum sie erst jetzt kämen – der Abzug der israelischen Armee sei
doch schon vor Tagen erfolgt! Im Pfeifenlager wird getüncht, von der
Verwüstung und den Pfeifenresten gibt es keine Spur.
Der Kugelhagel hat die Orgel
verfehlt
In der Kirche weisen nur noch
Einschüsse auf die vierzigtägige Belagerung hin. Dann Aufatmen: Die
bereits eingebaute Chor- und Hauptorgel ist vom Beschuss verfehlt
worden. Eberle und sein Kollege müssen aber alle Pfeifenstöcke
ausbauen, und nach Hause schicken – damit die neuen Pfeifen genau
eingepasst werden können.
Im November 2003 sind 53
Register und dreitausend Pfeifen spielbereit. In der Christmette des
Jahres 2003 erklingen zum ersten Mal Haupt- und Chororgel zusammen,
elektrisch gesteuert von einem fahrbaren Spieltisch. Nach Ostern
2004 folgt die Einweihung – Pater George und Professor Raimeier aus
Graz konzertieren.
Für Wendelin Eberle war es
faszinierend, auf geschichtsträchtigem Boden arbeiten zu dürfen.
Jetzt beobachtet er mit Bedauern, wie die „geplagte Stadt Bethlehem
abbröckelt". Beeindruckt hat ihn „dass israelische
Friedensaktivisten palästinensische Häuser aufsuchen, um
israelischen Beschuss zu verhindern. Dass palästinensische Kinder
eine positive Einstellung zum Lernen haben. Und: wie die Menschen
gelernt haben, auf Sparflamme zu leben."
Die Homepage von Johannes Zang:
Jerusalam.info
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