1. Rundbrief aus Jerusalem –
1. Juni 2005 -
Janina und Johannes Zang
Salaam und schalom an
Euch, liebe Eltern, liebe Brüder und Neffen, Freunde, liebe
Schwägerinnen und Bekannte, die Zitterpartien erwarteten uns nicht am Tel
Aviver, sondern am Frankfurter Flughafen: zuerst Ticket
nicht da, dann Umbuchung auf Lufthansa, dann Übergewicht, da
Lufthansa keine dreißig Kilo wie Turkish Airlines erlaubt,
mit der wir eigentich hätten fliegen sollen. Kurzum: Wir
kamen am 30. April frühmorgens in Jerusalem an. Es war
wunderbar, die vertraute Luft zu atmen und zu riechen, die
bunte Menschenschar aus verschiedenen Kulturen und
Religionen wieder zu sehen, und zu wissen, dass dies nicht
nur ein bedeutender Tag für uns, sondern für die
christlich-orthodoxe Welt war.
Lichtsamstag
Schließlich war Karsamstag, der
so genannte „Sabt In-Nur“ – Lichtsamstag. Die Tradition
besagt, dass das Heilige Feuer vom Auferstandenen durch den
Erzengel Gabriel gebracht wird. Was für ein besonderer Tag,
um das Land des Heiligen zu betreten (der anglikanische
Bischof hier – unser Chef – spricht nie vom Heiligen Land,
sondern vom Land des Heiligen).
Doch sogleich wurden wir daran erinnert, dass
jeder Lebensbereich hier von Politik durchdrungen ist –
sogar die Karwoche und Ostern. Man sagte uns, dass am
Vortag, also an Karfreitag orthodoxe palästinensische
Christen ihrem Ärger gegen den griechisch-orthodoxen
Patriarchen Luft gemacht hatten. Der oder vielmehr dessen
Bevollmächtiger – ein steckbrieflich gesuchter Mann mit
krimineller Vergangenheit – hatte Land und Besitz im
christlichen Viertel der Jerusalemer Altstadt an
extremistische jüdische Gruppierungen verpachtet – für 99
Jahre. Andere sprachen gar von 198 Jahren. Egal – die
einheimischen Christen betrachteten dies als Verkauf. Noch
dazu von einem Griechen an Juden. Über die Köpfe der
Christen hinweg.
Verständlich, dass es am
Karfreitag auf dem Vorplatz der Grabeskirche Sprechchöre
gegeben hatte: „Judas Iskariot“ und „Verräter“ hatten die
palästinensischen christlichen Jugendlichen dem
griechisch-orthodoxen Patriarchen zugerufen und dann eine
palästinensische Flagge ausgebreitet. Israelische
Sicherheitsleute drängten die Jugendlichen ab, manche gingen
in den Sitzstreik über und wurden weggetragen. Über zwei
Stunden verspäteten sich die Feierlichkeiten, der Patriarch
soll über einen Hintereingang in die Kirche geschmuggelt
worden sein!
Wir merken, dass dieser Rundbrief auch
politisch wird. Deshalb: zurück zu unserer Ankunft.
St. Georgskathedrale, der Bischof und unsere
Aufgabe
Bischof Riah, seine Frau und
Mitarbeiter begrüßten uns herzlich. Am nächsten Tag, dem
Sonntag wurden wir der arabischsprechenden Gemeinde der St.
Georgskathedrale vorgestellt. Frau Majaj, die Direktor des
Amira Basma Zentrums für behinderte Kinder auf dem Ölberg
freute sich besonders über die Rückkehr von Janina – hatte
sie doch dort fast ein Jahr mitgearbeitet.
Wir leben nicht, wie geplant, im
Glockenturm, sondern im Torturm am Eingang zum Gelände.
Dieses beherbergt: das St. Georgs-Gästehaus mit
wunderschönem Garten, die St. Georgs-Kathedrale, das
Bischofshaus mit Büros, einen biblischen Garten sowie das
St. Georgs-College, in dem Theologen, Pfarrer und Pilger
Kurse belegen. Derzeit läuft: „Das Palästina Jesu.“
Durch das Gästehaus und das
College kommt man tagtäglich mit Menschen aus vielen, vor
allem englischsprachigen Ländern, zusammen. Man feiert
zusammen die Messe oder singt um 18 Uhr gemeinsam den „Evensong“
– eine Art Vesper. Im Gästehaus haben wir auch einen
prominenten Dauergast: Mordechai Vanunu – ein Israeli, der
im Atomreaktor im Süden des Landes lange gearbeitet hat. Als
er 1987 einer englischen Zeitung ein Interview über Israels
atomare Aktivitäten gab, wurde er unter spektakulären, fast
könnte man sagen 007-Bedingungen in Rom gekidnappt, betäubt
und auf einem Schiff nach Israel gebracht. Ein attraktive
Frau durfte als Lockvogel natürlich nicht fehlen. Mordechai,
der kurz vor dieser Aktion Christ wurde, verbrachte 18 Jahre
hinter Gittern, davon 11 Jahre in Einzelhaft. Bis auf einen
Bruder (er hat 11 Geschwister) hält keiner aus seiner streng
jüdisch-religiösen Familie Kontakt zu ihm. Für sie und viele
Israelis ist er ein Hochverräter. Bei seiner Freilassung
hatte es Gegendemonstrationen gegeben, die seine Hinrichtung
forderten. Mordechai, mit dem wir gelegentlich frühstücken,
darf weder Israel verlassen, noch die palästinensischen
Gebiete betreten. Mit Journalisten darf er gar nicht
sprechen. Weil er sich daran nicht gehalten hat, wurden
diese Auflagen kürzlich um ein weiteres Jahr verlängert.
Seine Aussagen über Israel würde vermutlich keine deutsche
Zeitung abdrucken.
Bischof Riah möchte, dass wir
als Fürsprecher der Diözese die 37 verschiedenen
Institutionen durch englische Rundbriefe bekannt machen.
Gestern besuchten wir zwei davon: einen Kindergarten und ein
Krankenhaus in Nablus, der „Hauptstadt des Terrorismus“ wie
die Israelis sagen. Ich dagegen sage: der Hauptstadt der
Süßigkeiten (Kanafe), der Seifenproduktion (Olivenseife) und
der Sesampastenherstellung. Zusammen mit Pfarrer Hussam, der
aus Galiläa stammt (also einen israelischen Pass hat) fuhren
wir auf der „Siedlerstraße“ nach Norden. Nur zwei
Kontrollpunkte waren zu überwinden.
Hussam
als arabischer Israeli darf eigentlich die palästinensischen
Gebiete nicht betreten – doch hat er einen Kirchenpass, vom
Vatikan ausgestellt. Seine Frau, eine Christin aus Nablus
musste er in Jordanien heiraten. Weder in seiner Heimat noch
in Nablus hätten alle Verwandten teilnehmen können. Am
Hochzeitstag war zu allem Überfluss Ausgangssperre. Um die
Feier nicht platzen zu lassen, sahen sie sich gezwungen,
seine Frau im Krankenwagen aus den palästinensischen
Gebieten zu bringen. Von dort ging es bis zur Grenze und
dann hinüber nach Jordanien!
Pfarrer Hussam ist mein erster
Orgelschüler. Er ist sehr fleißig und hat ein sehr gutes
Ohr. Natürlich werden wir in nächster Zeit verstärkt im
Bereich Kunst und Musik tätig sein. Sonntags teile ich mir
die drei Gottesdienste mit einer russisch-jüdischen und
einem holländischen Organisten.
Die Lage
Alle Welt spricht von Ruhe und neuer
Hoffnung. Aber wer hier genauer hinschaut, bemerkt, dass das
Leiden zunimmt. Die Mauer droht Leben und Familien
auseinanderzureißen, genau wie die Berliner Mauer. Wenn
nicht schlimmer. Die Auswanderung vieler einheimischer
Christen ist nur eine Folge davon. Kürzlich sagte uns sogar
ein Pfarrer: „Als Priester und Christ muss ich Hoffnung
haben. Aber ich frage Gott ehrlich, warum er es zulässt,
dass das Böse hier die Oberhand behält.“
Tag für Tag hören wir überall neue
Leidensgeschichten. Gestern, am Kontrollpunkt bei Nablus
sahen wir sie auch: eine israelische Palästinenserin, die
bei Tel Aviv lebt, hatte erstmals die Familie ihres Mannes
in Nablus besucht. Bei der Rückkehr in Richtung Tel Aviv
musste sie durch den Checkpoint: Die Soldaten machten ihr
klar, dass sie eigentlich gar nicht nach Nablus
hineingedurft hätte. Nun müsse man die Militärpolizei
herbeitelefonieren. Die junge Frau, seit einem Jahr
verheiratet, brach in Tränen aus. „Dies ist mein erstes und
letzes Mal hier!“, schluchzte sie. Ihre Schwägerin samt
Kindern bat uns, zu warten. Zwei israelische Frauen von
„Checkpoint Watch“ sprachen in Ruhe mit den Soldaten, baten
um Hilfe. Sie kriegten zur Antwort: „Ihr solltet Yad Vashem
besuchen!“ (die jüdische Gedenkstätte für den Holocaust)
Nach vierzig Minuten durfte die Frau die Reise fortsetzen.
Als wir in der Schlange standen: kein Murren,
kein Meckern, keine Klagen. Ein Mann deutet auf einen
Steinbruch schräg vor dem Checkpoint am Hang. „Seit fünf
Jahren tot! Ich bin der Chef, hatte 17 Angestellte. Wegen
des Checkpoints kann ich das Geschäft nicht mehr betreiben!“
Er lächelt.
Wiederholt traf ich Christen, die ihre
Kirchenführer schwer angriffen: „Guck´ Dir die christlichen
Schulen, Klöster und Institutionen an – da arbeiten mehr
Muslime als Christen.“ Ich habe mit meinen neuen Kollegen
hier in der anglikanischen Kathedrale darüber gesprochen:
Pfarrer Paul aus der Nähe der Niagara-Fälle, Husam, Pfarrer
aus Galiläa und Nael aus der Nähe von Nazareth, der am
Samstag zum Diakon geweiht wurde. Hier eine Zusammenfassung
der Antworten: „Muslime übernehmen in der Regel die
einfachen Tätigkeiten: Putzen, Tor bewachen, Garten in
Schuss halten, Botengänge machen,.... Sie wurden zu einer
Zeit eingestellt, wo Christen diese Arbeiten vielleicht
nicht machen wollten. Heute, wo viele Christen arbeitslos
sind, wären sie froh über solch einen Job.“ Pfarrer Husam
gab jedoch auch zu bedenken, dass das Einstellen von
Muslimen die christlichen Institutionen auch schütze. So
könne kein Muslim sagen: „Schau die Christen, sie sorgen nur
für sich selbst.“
Erst gestern hatte ich wieder ein Gespräch
mit einem katholischen Familienvater, dessen Enttäuschung
über die Kirchen in dem Satz gipfelte: „Die Kirchen kennen
kein Erbarmen.“ Er bat die Caritas um einen
5000-Dollar-Kredit. Ihm sei er verweigert worden.
Stattdessen habe man ihm einem Muslim gewährt.
Stimmt das alles?
Als Bischof Riah uns am Anfang bat, einige
Tage auszuruhen, besuchten wir Bethlehem. Internet und
Telefon im Büro gingen ohnehin nicht.
Bethlehem
Der Anblick der Mauer vor der Stadt
schockierte uns sehr. Die Mauer legt sich um die Stadt und
scheint sie zuzuschnüren. Die Taxifahrer dürfen erst hinter
der Mauer warten – der Besucher muss also zwei bis
Dreihundert Meter vom Checkpoint aus laufen, bis er die
Mauer erreicht, durch die straßenbreite Öffnung hindurchschreitet und dann auf der anderen Seite auf die
gierige, hungrige Taxifahrerschar stößt. „Johannes. Wo warst
Du?“ begrüßten uns beim ersten Besuch drei Taxifahrer, die
alle wollten, dass wir mit ihnen führen. Die Gegend zwischen
Mauer und Checkpoint – früher ein Eldorado für
Straßenhändler - ist tot. Ebenso die angrenzende Gegend
zwischen Mauer und Rahelsgrab: kein einziges Geschäft wird
dort mehr betrieben.
Der Bau der so genannten Sicherheitsbarriere
hat gravierende Folgen für Stadt und Einwohner. Wieder
einmal wird den palästinensischen Menschen Land gestohlen.
Jede Familie befürchtet den finanziellen Ruin, wenn die
Mauer fertig ist. Außerdem wird die Mauer die Menschen vom
Rest der Welt trennen – und pfercht sie in ein Gefängnis. Da
Worte unsere und die Gefühle der Menschen schlecht
ausdrücken, lassen wir diese Fotos sprechen.
Freiberuflicher Journalist
Ich könnte täglich drei Artikel
schreiben – der Stoff liegt auf der Straße. Zu meinen
schönsten Erlebnissen bisher gehört, dass ich als einziger
deutscher Journalist bei der Pressekonferenz des
Chefsekretärs des griechisch-orthodoxen Patriarchen war –
unter etwa 30 Italienern, Griechen, Franzosen, Russen,
Israelis und Palästinensern.
In den letzten Tagen nahm ich an
der viertägigen israelisch-deutschen Juristenkonferenz hier
in Jerusalem teil. Während die israelischen Redner den
Deutschen wiederholt klarmachten, dass Israel täglich einen
„11. September“ erlebt, stellten die deutschen Juristen nach
den Vorträgen Fragen zum deutschen Steuerrecht oder zum
deutschen Urteil zum „Reiten im Walde.“ Die Deutschen und
ihre Miniprobleme. Ich habe es fast nicht ausgehalten. Tenor
der Tagung: Israel kämpft um sein Überleben. Tag für Tag.
Aber alles mit rechtlichen Mitteln. Dafür gebührt ihm
Anerkennung!
Ohne Kommentar.
Schulabschlussfeiern
In den letzten drei Tagen waren wir auf einer
Diakonenweihe und drei Abiturfeiern: eine in Ramallah, eine
in Nazareth und eine in Jerusalem. Viele Reden, Lieder und
Grußworte, die Schüler in Roben, in Nazareth sogar mit
diesen viereckigen Hüten wie in amerikanischen Colleges! Die
Frauen alle in Stöckelschuhen, viele blondiert, die Männer
haben Extra-Packungen an Gel verbraucht. Auffallend an den
Reden: blumig, farbig, schmeichelnd. In allen Reden, auch
der Priester war eine politische Botschaft versteckt:
„Palästina – unser Land. Jerusalem – die ewige Hauptstadt
Palästinas“. Wo doch Sharon immer wieder betont: „Jerusalem
– die ewige und unteilbare Hauptstadt Israels.“
Bitte, betet für die
einheimischen Christen, und natürlich auch für Muslime und
Juden! Und folgt dem Aufruf unseres Bischofs Riah: „Selig
sind die Friedensstifter, nicht die Friedensredner!“
Schließt auch uns mit in Euer Gebet ein. Damit wir den
Menschen hier selbstlos dienen können.
Wir werden Euch immer zu
Monatsanfang vier Seiten Neuigkeiten schicken – für jede
Woche eine Seite.
Janina and Johannes
Schulchor an der St. Georgs Schule in Jerusalem |
Ein Lied über Palästina |
Kindergarten in Nablus, angeblich die Hochburg des
Terrorismus |
Traditioneller
palästinensischer Tanz Nazareth |
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