Tickende Zeitbomben“
Zionistische Pioniere oder Hindernis für den Frieden? Die
jüdischen Siedler in den Palästinensergebieten sind umstritten
DT vom 02.04.2005
Von Johannes Zang
„Dieses Land wurde auf ewig
von Gott ausschließlich denen versprochen, die hier geboren wurden.
Dass ich in Peru geboren bin und keine jüdischen Wurzeln habe, hat
da gar nichts zu sagen. Denn das Buch Zefanja sagt, dass nur die,
die an den Heiligen glauben und gläubige Juden sein wollen, Rechte
auf das Land Israel haben“, erklärte Batya Mendel der israelischen
Zeitung Haaretz. Zwei Monate zuvor hieß sie noch „Blanca“ und lebte
in Peru. Als eine von neunzig peruanischen Neueinwanderern kam sie
nach Israel. Dieser Einwanderung war eine Reise von Rabbinern in das
Andenland vorausgegangen – und neunzig Peruaner überwiegend
indianischen Ursprungs konvertierten zum Judentum. „Nur die, die
sich bereit erklärten, sofort nach Israel zu emigrieren“, so die
israelische Zeitung weiter. Nach ihrer Ankunft auf dem Flughafen Tel
Aviv wurden sie sofort in zwei Siedlungen südlich von Bethlehem
gebracht.
Siedler, Siedlungen und
„besetzte Gebiete“ – Begriffe, die in den Medien wie
selbstverständlich gebraucht werden. Eine Studie über die
Nahostberichterstattung, durchgeführt von Medienwissenschaftlern der
Universität Glasgow, ergab jedoch, dass ein nicht geringer Teil
britischer Fernsehzuschauer gar nicht wusste, wer was besiedelte
oder besetzte. Und: vorübergehend oder auf Dauer?
Schon im September 1967, drei
Monate nach dem Ende des Sechs-Tage-Krieges, begann Israel mit der
Besiedlung des Westjordanlandes, des Gaza-Streifens und
Ost-Jerusalems – zunächst im Rahmen von „Militärlagern“. Die Politik
der damals regierenden, sozialdemokratisch orientierten
Arbeitspartei zielte darauf ab, „durch die Errichtung der Siedlungen
strategisch wichtige Gebiete zu kontrollieren, das israelische
Kernland zu schützen und die Herrschaft über Jerusalem zu festigen“,
erklärt der palästinensische Politikwissenschaftler Usama Antar in
seiner als Buch veröffentlichten Dissertation „Voraussetzungen eines
existenzfähigen palästinensischen Staates“. Die israelische
Regierung stützte sich dabei auf den Allon-Plan des gleichnamigen
Arbeitsministers, der vierzig Prozent des Westjordanlandes als
israelisches Gebiet vorsah.
Klarer Verstoß gegen die
Genfer Konvention
Doch wie sind die israelischen
Regierungen an das Land für den Siedlungsbau gekommen? „Wir bebauen
hier im Jordantal tausende Dunam (zehn Dunam entsprechen ungefähr
einem Hektar, Anm. d. Red.) reichen, fruchtbaren Ackerlandes. Das
ist, lasst uns die Wahrheit sagen, Land von Arabern, von
‚Abwesenden‘. Bürger aus Nablus und Tubas, die während des
Sechs-Tage-Krieges nach Jordanien geflohen sind“, gibt ein jüdischer
Siedler zu.
Zwischen 1967 und 1977
enteigneten die israelischen Regierungen etwa ein Viertel der
Gesamtfläche des Westjordanlandes. Zudem hat Israel viele
Grundstücke zum Staatsland erklärt. Auch durch die Zerstörung von
ganzen Dörfern gelangte Grund und Boden in israelischen Besitz.
Schätzungen gehen von bis zu 20000 Häusern aus, die allein in den
ersten zehn Jahren der Besatzung gesprengt wurden. Mit der
Regierungsübernahme durch die Likudpartei im Jahre 1977 „wurden alle
besetzten Gebiete zur Besiedlung freigegeben“, erklärt Usama Antar,
der an der Universität in Gaza lehrt.
Dabei ist Siedlungsbau und der
Transfer eigener Bevölkerungsteile in besetzte Gebiete zum Zwecke
der Kolonisierung nach Artikel 49 der Vierten Genfer Konvention
völkerrechtswidrig – was Israel nicht davon abgehalten hat, über
zweihundert Siedlungen zu errichten. Für diese wendet der Staat
jährlich mehr als eine Milliarde Euro auf. Ein Siedler aus Gitit im
nördlichen Westjordanland rechtfertigt die Besiedlung so: „Wir
sitzen hier auf dem Boden unserer Väter und Urväter. Während aller
Epochen waren hier Juden ansässig. Wenn auch manchesmal Kriege
stattfanden und diese Gebiete erobert wurden, so haben wir doch
genügend historische Beweise dafür, dass an diesen Orten Juden
gelebt haben.“
Die Siedler – mitnichten sind
sie eine einheitliche Gruppe. Da lebt ein nationalis-tisch denkendes
Paar aus Tel Aviv in Nachbarschaft mit einer Familie aus New York,
die sich ins Land der Vorväter gerufen fühlt. Diese religiöse
Komponente fehlt in den Siedlungen des Jordantales, besonders in
denen der Kibbuzorganisationen. Andere Siedler sind vom
zionistischen Pioniergeist beseelt, in den Siedlungen um Jerusalem
und nahe der Waffenstillstandslinie von 1949 leben zudem viele
Israelis aus wirtschaftlichen Gründen. „Wohnungen und staatliche
Dienstleistungen sind dort aufgrund der staatlichen Subventionen oft
besser und werden zu einem wesentlich güns-tigeren Preis angeboten
als innerhalb Isra-els. Außerdem locken teils erhebliche
Steuervergünstigungen“, weiß Antar praktische Gründe für den Umzug.
Schwimmbecken hier,
Wasserarmut dort
Auf der Fahrt durch das
Westjordanland mit seinem Terrassenanbau, seinen tief
eingeschnittenen Tälern und sanften Hügeln kann der Reisende die
jüdischen Siedlungen von weitem erkennen. Sie liegen fast immer auf
Hügeln und verraten sich durch ihre roten, leicht geneigten
Ziegeldächer – ein palästinensisches Haus sieht anders aus:
Flachdach, ziegellos. Eine Siedlung zu betreten ist mit Hürden
verbunden. In manchen muss man am Eingangstor einen Zahlencode
eingeben, in anderen wacht ein Pförtner über Schranke und Tor. Wer
passieren darf, wird sich über das Ostküsten-Englisch wundern, das
an sein Ohr dringt. Kein Wunder, sind doch drei Viertel aller
Siedler in den Vereinigten Staaten geboren. Beim Rundgang sticht
einem der grüne Rasen ins Auge. Und das Schwimmbad wirkt unwirklich
in dieser kargen Landschaft. In den benachbarten palästinensischen
Dörfern dagegen herrscht Sommer für Sommer Wasserknappheit.
Regelmäßig erscheinen Schlagzeilen wie „Fünfzehn Tage warten, bis
das Wasser im Tankwagen kommt“ oder „Im Westjordanland fehlt es
Palästinensern am Nass, den Siedlern nicht“.
Die Siedler werden von manchen
wegen ihres zionistischen Pionierideals bewundert. Dass sie
scheinbar mühelos über hunderttausend Demonstranten mobilisieren
können – Zahlen, von denen die israelische Friedensbewegung träumt
–, ruft jedoch Schaudern bei denen hervor, die in ihnen das
Haupthindernis zum Frieden sehen. Der israelische Journalist Yoel
Marcus nennt sie „tickende Zeitbomben“. In seinen Augen gefährden
die Siedler, die wegen des Gaza-Rückzuges das Land lahmlegen wollen,
die demokratischen Strukturen Israels.
Und was ist bei alledem mit
den Palästinensern? Usama Antar meint, dass die fortgesetzte
Siedlungspolitik auch jetzt, während des Friedensprozesses, von
palästinensischer Seite nur dahingehend interpretiert werden kann,
dass Israel die Besatzung der palästinensischen Gebiete
aufrechterhalten will. „Wenn der Messias kommt and alle
Palästinenser zum Judentum bekehrt sind und an Gott mit ganzem
Glauben glauben, dann erst werden wir ihnen erlauben, im Lande
Israel zu leben“, hat Batya Mendel die passenden Worte bereit. Was
aber entgegnet sie, die sich auf die Tora beruft, auf die
Forderungen des Alten Testaments? „Verflucht, wer den Grenzstein
seines Nachbarn verrückt“, heißt es etwa im Buch Deuteronomium (Dtn
27, 17).