Selbstmordattentäter aus Verzweiflung
Scharon plant eine neue
Militäroffensive, bekämpft damit aber nicht die Wurzel des Übels
DT vom 02.09.2004
Von Johannes Zang
Ministerpräsident
Scharon und Verteidigungsminister Mofaz haben in einem Treffen mit
Sicherheitsexperten entschieden, in Hebron eine Militäroffensive zu
starten. Denn die beiden Attentäter, die am Dienstag in der
südisraelischen Stadt Beer Sheva mindestens achtzehn Menschen in den
Tod gerissen und über hundert verletzt haben, stammten aus der
fünfzig Kilometer entfernten Abrahamsstadt Hebron.
Immer wieder wurde
und wird der palästinensische Präsident Arafat für die Anschläge
verantwortlich gemacht. Aber wer Interviews mit Angehörigen von
Selbstmordattentätern gelesen hat, wird ernsthaft bezweifeln, ob
Arafat und seine Autonomiebehörde Selbstmordattentate tatsächlich
verhindern könnten – einmal ungeachtet ihrer Bereitschaft dazu.
Wiederholt haben Angehörige glaubhaft versichert, nicht den Hauch
einer Ahnung vom Vorhaben ihres Sohnes oder Bruders gehabt zu haben.
Die Mutter eines Attentäters beteuerte sogar einmal, sie hätte ihren
Sohn persönlich der israelischen Polizei übergeben, hätte sie von
seiner Absicht gewusst. Wie also soll da Arafats Sicherheitsdienst
einschreiten können, wenn ein Attentäter des Nachts vom hügeligen
und unwegsamen Westjordanland nach Israel eindringen will?
Sabine
Damir-Geilsdorf vom Institut für Orientalistik der Universität
Gießen sieht viele Ursachen für islamisch legitimierte Gewalt,
„sicherlich liegen sie aber nicht in einer (...) Gewalt fördernden
Beschaffenheit des Islam“. Auch der bekannte Islamwissenschaftler
Bernard Lewis Bernard sieht in den Hauptströmungen des Islam ein
ausdrückliches Terrorverbot – was auch für den Selbstmord gelte, für
den Islam die „schlimmste Todsünde“. Das Selbstmordattentat komme im
Koran nicht vor.
Die
Instrumentalisierung des Islam und dessen Märtyrerkonzepts für
politische Zwecke, so Damir-Geilsdorf, „beruht vor allem auf der
Verweigerung grundlegender Rechte, gravierenden sozialen
Ungleichheiten, der Unterdrückung gewaltfreier
Oppositionsmöglichkeiten und dem Gefühl politischer
Handlungsunfähigkeit.“
Enorme
Enttäuschung der Palästinenser
Politische
Handlungsunfähigkeit: Wer durch palästinensisches Land reist, trifft
häufig die Meinung an: „Verhandlungen führen zu nichts, Israel
versteht leider nur die Sprache der Gewalt.“ Die Enttäuschung der
Menschen über das Jahrzehnte lange Verhandeln, über Gipfelgespräche
und Sondergesandte, über Friedensfahrpläne und Initiativen ist
enorm.
Auch der
palästinensische Pfarrer Naim Ateek hält in seinem Buch „Was ist
theologisch und moralisch an Selbstmordattentaten verwerflich? Die
Sicht eines palästinensischen Christen“ den Nährboden für
Selbstmordattentate vor Augen. Dazu rechnet er das Scheitern der
Osloer Abkommen, das Unvermögen der Palästinensischen
Autonomiebehörde und die demütigende israelische Besatzung in all
ihren Facetten. „Es ist Israel, das Extremismus auf
palästinensischer Seite schafft und züchtet“, schlussfolgert der
Direktor des „Ökumenischen Zentrums für Befreiungstheologie Sabeel“
in Jerusalem.
Gleichwohl ist er
überzeugt, dass Israelis und Palästinenser in Frieden zusammenleben
können, wenn Israel bereit ist, das Land mit ihnen zu teilen und die
Gründung eines palästinensischen Staates akzeptiert. Doch die
gegenwärtige Politik Israels schaffe eine Form von Apartheid, „die
viel schlimmer ist als die von Südafrika war“. Die Besatzung sei die
Wurzel für Gewalt und Terror. „Die Besatzung beenden, bedeutet auch
ein Ende der Selbstmordattentate“, versichert der anglikanische
Pfarrer.
Ariel Scharon hat sich für eine Militäroffensive in
Hebron entschieden. Und damit für eine Behandlung des Symptoms.
Dabei hatte er schon 1971 eine Wurzel des Übels im Blick, als er der
Regierung Golda Meir vorschlug, die Flüchtlingslager aufzulösen und
den Kreislauf von
Verarmung und Verzweiflung in den Flüchtlingslagern zu durchbrechen.
http://www.die-tagespost.de/Archiv/titel_anzeige.asp?ID=10646
Die Homepage von
Johannes Zang:
Jerusalam.info
- Die Wort- und Bildwerkstatt)
|