„Verweigerer des
Nahen Ostens“
Eine Zwischenbilanz zum jüdischen Neujahrsfest
DT vom 11.09.2004
Von Johannes Zang
Der Absturz des israelischen Spionagesatelliten Ofek 6 am
vergangenen Montag versenkte 100 Millionen Dollar an Wert im
Mittelmeer. Etan Ben-Eliyahu, ehemaliger Luftwaffenkommandant,
forderte, den am Projekt beteiligten Ingenieuren und
Wissenschaftlern den Rücken zu stärken, um Israels Präsenz im
Weltraum „kontinuierlich und stabil“ zu gestalten.
Stabil im Weltraum? Sollte Israel nicht erst einmal dafür sorgen,
dass es auf dem Boden stabil zugeht? Die chronisch instabile Lage im
eigenen Land und den palästinensischen Gebieten hat die israelische
Führung weiter destabilisiert. Beim Angriff der israelischen
Luftwaffe im Gazastreifen auf einen Sportplatz verloren am Dienstag
14 junge Palästinenser ihr Leben.
Der hinlänglich bekannte Kreislauf von Schlag und Gegenschlag, von
Aktion und Vergeltung, von Reiz und Rache lässt nichts Gutes für die
nächsten Tage und Wochen erwarten. Und das vor zwei hohen jüdischen
Festtagen. Gleich nächste Woche feiern Juden in aller Welt „Rosh ha
Shana“ – „Kopf des Jahres“ – das jüdische Neujahrsfest. Unweigerlich
wird man an das grausige Attentat am Vorabend des Pessach-Festes vor
zwei Jahren erinnert.
Die Bilder des Geiseldramas in Beslan lässt die Israelis fragen, ob
sich solche, bisher nicht für möglich gehaltene Abgründe des
Schreckens auch zwischen Mittelmeer und Jordan auftun könnten. Der
israelische Journalist Danny Rubinstein fragt: „Warum würden diese
Freiwilligen und ihresgleichen nicht auch zu uns kommen, um den
Palästinensern in ihrem Kampf zu helfen?“ Von einem technischen
Standpunkt aus hält er es für möglich, dass El Kaida-Terroristen „in
die Gebiete (gemeint sind die palästinensischen) einsickern“
könnten. Doch Rubinstein beruhigt seine Landsleute, indem er auf die
Rivalität von El Kaida und Hamas hinweist. Letztere verhindere, dass
erstere sich am palästinensischen Kampf beteilige. Dafür sei die
Hamas-Ideologie verantwortlich. Diese hat ihre Wurzel in der
ägyptischen Muslimbruderschaft, ein erbitterter Gegner der
saudischen „Wahhabi“-Schule des Islam, aus der El Kaida
hervorgegangen sein soll. Führer der Hamas haben sich mehr als
einmal vehement gegen Operationen außerhalb der Grenzen Palästinas
ausgesprochen. Sie sehen den Kampf gegen Israel als nationalen Kampf
gegen die Besatzung, und nicht als Teil des globalen Kampfes gegen
die Übel einer dekadenten westlichen Welt.
Alte Feindschaften erneuert
Während also Hamas Scharon sozusagen die Terrorgruppe El Kaida vom
Hals hält, erneuert dessen Regierung alte Feindschaften. Ein
Ablenkungsmanöver des angeschlagenen Likud und seines Premiers „auf
Abruf“, wie er von vielen Kommentatoren genannt wird?
Am
1. September sagte der stellvertretende Verteidigungsminister Boim,
Israel solle über militärische Schläge gegen islamistische Ziele in
Syrien nachdenken. Am Dienstag nun hat der Nahost-Sondergesandte der
Vereinten Nationen Terje Roed-Larsen mitgeteilt, dass Syrien
„aufrichtig“ an der Wiederaufnahme von Friedensgesprächen mit Israel
interessiert sei. Dagegen äußerte der israelische Außenminister
Silvan Schalom seine Zweifel an der Ernsthaftigkeit der syrischen
Andeutungen. Die feindliche und destabilisierende Politik Syriens im
Nahen Osten dauere immer noch an. Syrien biete Hamas-Terroristen im
Gaza-Streifen ideologische und technische Hilfe.
Diese fast schon reflexartige Skepsis israelischer Führungen auf
arabische Initiativen ist nicht neu. Sowohl der saudische
Friedensplan lief auf diese Weise ins Leere als auch die
Bereitschaft des syrischen Präsidenten Assad zu Verhandlungen vor
Jahresfrist. Damals hatte der Knessetabgeordnete und frühere Leiter
des Mossad, Dani Yatom, beklagt, dass die Bereitschaft Assads zu
Gesprächen ohne jede Vorbedingung „eine historische Gelegenheit“
darstelle. Doch Ministerpräsident Scharon stellte Vorbedingungen und
torpedierte damit die Verhandlungen, noch bevor sie begonnen hatten.
„Das zeigt, dass die israelische Regierung die Größe der Gelegenheit
nicht begreift und nicht zu Frieden bereit ist“, wurde Yatom noch
deutlicher. Und selbst Schimon Peres äußerte sich ungewohnt
undiplomatisch: „Wir werden zu den Verweigerern des Nahen Ostens.“
Der frühere Geheimdienstchef Yatom beschreibt die Vorzüge des
Friedens mit Syrien: „Es werden sich Möglichkeiten für
Friedensverträge mit weiteren arabischen Staaten bieten, die
Verhandlungen um ein Abkommen mit den Palästinensern werden
erleichtert und der Nahe Osten wird weitaus stabiler.“ Doch Israel
will vorerst nur im Weltraum „stabil“ werden – um von dort aus die
Syrer, die Iraner und die Libyer besser beobachten zu können.
Die Homepage von Johannes Zang:
Jerusalam.info
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