Palästina pur ist „Der Gesandte“,
das Buch des Diplomaten Abdallah Frangi
Hakam Abdel-Hadi - Juni 2012
Wenn
man das kürzlich erschienene Buch „Der Gesandte“ des
langjährigen PLO-Vertreters und Repräsentanten
Palästinas in Deutschland, Abdallah Frangi, liest,
dann kommt man schnell zu dem Ergebnis: Der
Mann hat die letzten 40 Jahre fast ausschließlich
für sein Land gelebt. Die Kleinfamilie kam nach
seinen eigenen Angaben zu kurz. Das teilt er mit
seinem einstigen Chef und Vorbild Yassir Arafat, der
sogar seine späte Ehe mit der jungen Suha – er war
60 und sie 27 – anfänglich geheim halten wollte,
weil er die Vorstellung in seinem Volk nicht
verwischen wollte, dass er, wie oft betont, mit
Palästina verheiratet sei.
Es
geht den beiden Politikern nicht viel anderes als
manchen anderen aktiven Mitgliedern der
palästinensischen Gemeinde in Deutschland. Ein
engagierter palästinensischer Akademiker sagte mir
vor vielen Jahren: „ Ich bin jetzt 20 Jahre in
Deutschland und habe noch kein einziges Buch von
Tomas Mann oder Brecht gelesen, so gerne ich dies
täte, ich kenne nur unsere Dichter Mahmoud Darwisch,
Samih El Kassim etc. und lese nahezu nur
Publikationen über Palästina/Israel“.
Diese
Eindimensionalität mag zwar nicht nur auf Arafat und
Frangi, sondern auch auf andere Politiker zutreffen,
aber gewiss nicht so extrem, denkt man an die
ausgiebigen jährlichen Sommerferien deutscher
Politiker am Wolfgangsee oder wo auch immer. Zum
Glück sind andere Palästinenser wie beispielsweise
der verstorbene Darwisch Kenner der Weltliteratur,
die in ihre Werke einfließt, und so erfährt der eine
oder andere mit Palästina „verheiratete“ Aktivist
indirekt einiges über den Rest der Welt.
Ich
kenne Frangi ziemlich gut. Er ist nicht nur
leidenschaftlicher Politiker, sondern auch Ästhet
und Kunstliebhaber, der selbst gelegentlich zum
Pinsel greift - aber die Bilder und
Künstler, die er stets gefördert hat, befassen sich
allesamt mit Palästina. Das Buch von Frangi ist also
Palästina pur, es kann nicht anders sein.
Woher
kommt diese eigenartige Verschmelzung mit Palästina?
Es gibt zwei Elemente, die zu dieser Zwanghaftigkeit
geführt haben. Das tragische Schicksal ihres Volkes,
das von Vertreibung und fortwährender Besatzung und
Unterdrückung geprägt ist, macht es bewussten
Palästinensern unmöglich, in den Tag hinein zu
leben. Sie würden früher oder später schwer
depressiv werden, wenn sie die Leidensgeschichte
ihrer Mitmenschen ignorierten. Zum anderen zwingt
sie die Negierung der bloßen Existenz des
palästinensischen Volkes laut zu rufen: Wir sind da!
Wir haben Hände und Füße und Stimme!
Denken wir daran, dass die Gründer des Zionismus die
Einwanderung der Diaspora-Juden mit der Parole
motivierten: „Ein Land ohne Volk für ein Volk ohne
Land“, und an den berüchtigten Spruch der legendären
israelischen Ministerpräsidentin Golda Maier: „Es
gibt kein palästinensisches Volk. Zeigt mir dieses
Volk“. Bis heute erkennt Israel die nationalen
Rechte dieses Volkes nicht an. Israel versucht seine
Träume von der Unabhängigkeit zunichte zu machen,
durch Verewigung der Beatzung, die seit mehr als 45
Jahren andauert, und den völkerrechtswidrigen Bau
von immer mehr Siedlungen und Wohnungen in der
Westbank und Ostjerusalem. Die gelegentlichen
Reden Netanjahus von der Zwei-Staatenlösung
entlarven immer mehr Menschen als bloße
Lippenbekenntnisse, die für die Besänftigung der
entsetzten Weltöffentlichkeit aufgetischt werden.
Die mächtigen Israel-Freunde in den USA und
Westeuropa eifern den israelischen Politikern nach.
Selbst nach den anfangs weltweit euphorisch
begrüßten israelisch-palästinensischen
Oslo-Vereinbarungen (1993), schreibt Frangi, wussten
die deutschen Politiker nicht, wie sie Arafat
während seiner sechs offiziellen Deutschland-Besuche
nennen sollten. Einmal hieß er „Vorsitzender des
Exekutivkomitees der PLO“, ein anders Mal
„Vorsitzender der Autonomiebehörde“. Man wollte
„Verwicklungen mit Israel aus dem Wege gehen“,
berichtet der Gesandte. Es hat lange gedauert, bis
die Politiker in Bonn und Berlin vom
palästinensischen Präsidenten sprachen und sich
dafür entschieden, nicht nur in Tel Aviv Hände zu
schütteln, sondern auch einen Abstecher nach
Ramallah zu wagen, um sich dort vorsichtig und
zurückhaltend zu äußern. Während des jüngsten
Besuches des freundlichen Präsidenten Gauck in
Ramallah versäumte er nicht, die leidgeprüften
Palästinenser um Verständnis für seine
Reserviertheit zu bitten, wo er sich anderswo doch
gern zum Redner eines unbändigen Freiheitsdrangs
macht.
Abdallah Frangi zeigt ein tiefes Verständnis für
Deutschland, zum Beispiel bei der ausführlichen
Darstellung des Anschlags bei den Olympischen
Spielen 1972. Inzwischen lebt er in Palästina, in
seinem Buch aber
kehrt er immer wieder nach Deutschland zurück, wo er
Zweidrittel seines Lebens verbrachte. Es waren die
tragischen Ereignisse in Palästina, die sein Leben
in Frankfurt, Bonn und Berlin steuerten. Die
schmerzliche Vertreibung seiner alten beduinischen
Familie aus Beerscheva (jetzt Israel), die Gründung
der Fatah, deren Zentralkomitee-Mitglied er werden
sollte, und der lange Weg der Diplomatie im Dienste
Palästinas prägten ihn und begleiten den Leser, der
nach der Lektüre viel mehr über diesen
weltbewegenden Konflikt weiß als vorher. Das Buch
enthält auch für Kenner wichtige Informationen und
Einschätzungen. Die subjektiven Erlebnisse von
Frangi und die kunstvolle Art, wie er über Familie,
lebende und ermordete Freunde wie über führende
palästinensische Politiker spricht, geben dem Buch
Salz und Pfeffer und verleihen ihm bei aller Tragik
streckenweise eine versteckte Heiterkeit.
Seine
Insiderkenntnisse über Arafat sind ernsthafter Natur
und amüsant zugleich. Keiner in Deutschland kennt
Yassir Arafat so gut wie Frangi. Er erzählt gerne
über diesen Mann, dem es „zu verdanken ist, dass den
Palästinensern das Schicksal der amerikanischen
Ureinwohner erspart geblieben ist“.
Ebenso unbestritten wie Arafats historische Leistung
ist aber auch, dass er eine schillernde
Persönlichkeit war. Einem Kollegen, den ich vor etwa
20 Jahren in Gaza kennenlernte, stellte ich die
Frage, worin seine Arbeit als Korrespondent
hauptsächlich bestünde. Seine Antwort: „Es gibt zwei
Politiker in der Welt, die man hauptberuflich
vermarkten kann: Castro und Arafat. Ich vermarkte
Arafat“.
Frangi spart nicht mit Lob für die geistige
Beweglichkeit und Tapferkeit Arafats, den er
wahrscheinlich auch als eine Art Vaterfigur verehrt
(wie einen Vater verehrt?). Väter werden bei Arabern
im Allgemeinen und insbesondere in diesem Buch
überhöht. Doch versäumt der Autor ebenso wenig,
kritische Anmerkungen über Arafat zu machen. Als
Freiheitskämpfer sei er bis zur Selbstverleugnung
geschickt gewesen, aber als Staatsmann „dachte und
handelte er patriarchalisch. Er honorierte
Wohlverhalten mit Wohltaten, ließ seiner
Großzügigkeit aber ohne jedes Kalkül freien Lauf“.
Dieser Führungsstil förderte den Nepotismus und die
auch in den Führungsriegen von Fatah verbreitete
Korruption. Es mangelt nicht an kritischen Stimmen
dagegen, auch nicht bei angesehenen
Fatah-Politikern. Nur leider tut keiner etwas
dagegen. Privilegierte wissen sich bekanntlich zu
wehren.
Beim
Lesen der 423 Seiten des „Gesandten“ ist man oft
ergriffen - es gibt wenig Erfreuliches über
die nahe Zukunft in Palästina – und dennoch gibt es
auch Lichtmomente, wie man der folgenden
Passage entnehmen kann: „Damals als wir die
palästinensische Flagge vor unserem Büro in Bonn
hissten, schien der palästinensische Staat in
erreichbarer Nähe zu sein, und ich war berauscht vom
Glück eines Menschen, der sein Ziel erreicht hat.
Seither treten wir auf der Stelle. Mein Optimismus
hat darunter gelitten, zum Pessimisten bin ich
dennoch nicht geworden“.