Annapolis
– Eine Nahostkonferenz unter vielen
- Gedanken eines Palästinensers
Von Hakam
Abdel-Hadi *)
Wir stehen
wenige Tage vor einer neuen Nahostkonferenz,
dieses Mal in Annapolis, unter
Schirmherrschaft der USA. Kurz vor dem Ende
seiner zweiten Amtsperiode bemüht sich
Präsident Bush, leider sehr verspätet,
darum- keinen Scherbenhaufen im ganzen Nahen
Osten zu hinterlassen. Er brauchte viel
Zeit, um zu begreifen, dass die einzige
Supermacht den palästinensisch-israelischen
Konflikt nicht ungestraft so viele Jahre
weitgehend ausklammern kann. Nun versucht
der amerikanische Präsident zu retten,
was zu retten ist.
Die Völker der
Region misstrauen ihm und seinem
israelischen Bündnispartner. Dafür hat die
40-jährige Besatzungsmacht zu viele
Fakten geschaffen, die von den USA und der
EU toleriert wurden: Mehr als 100 Siedlungen
mit umfassender Infrastruktur, eine
gewaltige Mauer- und zaunartige Sperranlage,
zum großen Teil mitten im palästinensischen
Gebiet, Wohnungen für etwa 250.000
israelische Bürger allein in der Umgebung
des besetzten Ostjerusalem etc. Das
sind Maßnahmen, die mehr oder weniger
von allen israelischen Regierungen
beschlossen wurden und es klingt wie Hohn,
wenn der derzeitige israelische Präsident,
Shimon Peres, vor einiger Zeit „reumütig“
proklamierte, dass es ein Fehler
gewesen sei, die Siedlungen in den besetzten
Gebieten gebaut zu haben, so als ob er
selber nicht daran beteiligt-gewesen- wäre
und so, als ob sie fast
versehentlich in die Landschaft hinein
gerutscht wären.
Recht hat der
israelische Publizist und Friedenskämpfer
Uri Avnery, der kürzlich schrieb:
„ Der genetische
Code der zionistischen Bewegung führt zu
einem Kampf mit dem palästinensischen Volk
um den Besitz des ganzen historischen
Palästina und um die Erweiterung der
jüdischen Besiedlung vom Meer bis zum Fluss.
Solange dies nicht durch einen nationalen
Beschluss abgelöst und ein anderes Ziel
akzeptiert wird - durch eine klare, offene
und langfristige Entscheidung - wird es auf
dieser Linie weitergehen.“
Das sind klare
Worte, und solange sie nicht deutlich von
der Knesset und den verantwortlichen
israelischen Politikern ausgesprochen
werden, müssen die jüdischen und
palästinensischen Bewohner dieser
Region ihren Traum vom Frieden
begraben.
Bis dahin werden
die „Friedenskonferenzen“ zum Scheitern
verurteilt sein, auch wenn sie scheinbar
friedensstiftende Botschaften verkünden, wie
Siedlungsstopp und die Schaffung eines
palästinensischen Staates. Die Palästinenser
und mit ihnen die anderen Araber hören wohl
diese Botschaften, aber glauben will keiner
daran, so naiv ist keiner mehr.
Alle
Palästinenser, denen ich begegne,
halten die Verlautbarungen um Annapolis für
Tricks und stellen mit viel Skepsis dazu
eine Reihe von Fragen: Siedlungsstopp, wenn
überhaupt, dann für wie lange, vielleicht
nur bis zum Ende der Konferenz? Und wenn wir
40 Jahre auf die Ankündigung des
Siedlungsstopps gewartet haben, wie lange
wird es dauern, bis diese Siedlungen
abgeschafft sind? Ja, und in welchen Grenzen
soll der palästinensische Staat errichtet
werden, und wie unabhängig wird er sein?
Die
Palästinenser werden lange auf den Frieden
warten müssen. Das wissen sie ganz genau,
und sie haben auch die Kraft und
Ausdauer dazu. Was bleibt ihnen anderes
übrig? Vor wenigen Tagen berichtete ein
Bürger aus Gaza: „ Die Grenzen zum
Gaza-Streifen sind fast dicht. Nur wenige
Produkte gelangen zu uns. Die
Versorgungslage ist dramatisch. Wir können
keinen Handel mit der Welt treiben, nicht
einmal unsere Blumen können wir nach Holland
exportieren. Wir dürfen nicht einmal in
unseren Gewässern fischen. Wir haben seit
Dekaden Reiseverbot. Unser Flughafen ist -
sowie fast die übrige Infrastruktur -
zerstört. Und dennoch werden wir das alles
100 Jahre aushalten. Wir werden nicht in die
Knie gehen.“
Die tragische
Auseinandersetzung zwischen Hamas und Al
Fatah zehrt zweifellos an den
Kräften der palästinensischen Bevölkerung,
aber der Zusammenhalt der Großfamilien und
die Auslandsüberweisungen ihrer Mitglieder
ermöglichen die Ausdauer ihres
Widerstandspotentials gegen die
Besatzung. Es stellt sich für die meisten
Palästinenser, denen ich während
meiner vielen Reisen in die Region begegne,
nicht die Frage, ob sie die Okkupation
bekämpfen, sondern wie sie es
bewerkstelligen müssen. Die bisherige
Geschichte zeigt ihnen, dass
Selbstmordkommandos und Kassam-Raketen gegen
israelische Zivilisten nicht nur moralisch
zu verurteilen, sondern auch wirkungslos
sind.
Es ist eine
extrem schwierige Aufgabe, die richtige
Strategie gegen eine mächtige Partei zu
entwickeln, die bisher kompromisslos darauf
orientiert ist, ganz Palästina
exklusiv für sich zu behalten und keinen
Bruchteil für die palästinensischen
Ureinwohner übrig zu lassen.
Dennoch steht -
nach meiner Einschätzung - die
dritte Intifada vor der Tür. Für welche
Formen werden die Aufständischen sich dieses
Mal entscheiden? Das bleibt abzuwarten.
Einer meiner Studenten von der Universität
Bir Zeit sagte mir vor einigen Monaten: „Die
tägliche Erniedrigung vor den Absperrungen
kann ich nur aushalten, wenn ich weiß, dass
ich mit erhobenem Haupt Widerstand
leisten kann.“
Ja, viel
können die Menschen von Annpolis nicht
erwarten. Keine guten Perspektiven
für die jungen Palästinenser und Israelis.
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*) Hakam
Abdel-Hadi, gebürtiger Palästinenser (68 J),
ein im Kölner Raum lebender Publizist und
Dozent an der Universität Bir Zeit in der
Westbank
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