S E M I T
Unabhängige jüdische Zeitschrift
Abraham Melzer
Bundeskanzleramt
Bundeskanzlerin Angela Merkel
Willy Brandt Straße 1
10557
Berlin
24. April 2009
Verehrte
Frau Bundeskanzlerin,
ich
schreibe Ihnen als jüdischer deutscher Staatsbürger und als
ehemaliger Israeli, der in Israel aufgewachsen ist und dort
Armeedienst geleistet hatte. Ich betone das, damit Sie meinen
Brief nicht gleich in die Schublade „Antisemitismus“ legen. Auch
mit jüdischem Selbsthass, ein in den letzten Jahren dank
gewisser zionistischer Agitatoren sehr populär gewordenes
Schlagwort, habe ich nichts zu tun. Ich bin nur ein Bürger, der
sich Sorgen macht, Sorgen um Palästina und Israel und Sorgen um
meine Regierung in Berlin, die selbstherrlich und
unverantwortlich die Teilnahme Deutschlands an der
Rassismuskonferenz in Durban abgesagt hat mit der Begründung, es
drohe eine Verurteilung Israels als rassistischer Staat. Wäre
denn eine solche Verurteilung tatsächlich ein Unrecht?
Irans
Präsident, der seine politische Karriere unter anderem auf Hetze
aufgebaut hatte, wurde kritisiert von Israels Außenminister, der
„Skandal! Unverschämtheit! Antisemitismus!“ geschrien hat, wobei
er selber seine politische Karriere auch auf Hetze aufgebaut
hat.
Ich
hätte mir gewünscht, dass Sie als Bürgerin der ehemaligen DDR
mehr Verständnis für das Streben eines Volkes nach Freiheit und
Unabhängigkeit, nach Gerechtigkeit und Frieden haben. Das
palästinensische Volk vermisst alle diese Errungenschaften der
modernen Welt, die die Bürger der DDR durch ihr mutiges Vorgehen
gewonnen haben, schon seit mehr als drei Generationen. Jeder
sieht, was er sehen will, aber als Tochter eines evangelischen
Geistlichen hätte ich gedacht, dass gerade Sie gerade solches
Unrecht sehen können, weil sie es auch sehen wollen.
Deutschland hat zu Recht immer das Recht auf Selbstbestimmung
betont und letztendlich auch bekommen. Wäre es deshalb nicht
Ihre Pflicht, sich auf für das Recht des palästinensischen
Volkes auf Selbstbestimmung einzusetzen?
Vielleicht hat Ihnen ihr Vater bei Gelegenheit die Geschichte
von König Ahab und Nabots Weinberg erzählt. Danach trug sich
Folgendes zu. Nabot aus Jesreel hatte einen Weinberg in Jesreel
neben dem Palast Ahabs, des Königs von Samarien. Ahab begehrte
den Weinberg. Nabob aber wollte das Erbe seiner Väter nicht
verkaufen. Darüber beklagt sich Ahab bei seiner Frau, der
Königin Isebel, die dafür sorgt, dass Nabot ermordet wurde.
Sobald sie hörte, dass Nabot gesteinigt wurde und tot war, sagte
sie zu Ahab: Nimm den Weinberg Nabots in Besitz, den er dir
nicht verkaufen wollte, denn Nabot ist tot. König Ahab stand auf
und ging zum Weinberg hinab, um von ihm Besitz zu ergreifen.
Brief an
Bundeskanzlerin Angela Merkel vom 24.April 2009
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Alle
Ältesten und Vornehmen des Staates sahen zu und schwiegen. Nur
Elija, der Prophet aus Tischbe, ist zum Weinberg Nabots
hinausgegangen und sagte Ahab ins Gesicht: Durch einen
Mord
bist du Erbe geworden. So spricht aber der Herr: An der Stelle,
an der die Hunde das Blut Nabots geleckt haben, werden Hunde
auch dein Blut lecken.
Nicht
weit von dieser Stelle, in der Nähe des Dorfes Bjilin, wurde am
Wochenende Bassram Abu Rahme , ein einunddreißigjähriger
Palästinenser, der sein Land den Israelis nicht überlassen
wollte, von israelischen Soldaten ermordet. Der Hintergrund für
beide Morde ist erstaunlich ähnlich. Das Opfer hatte ein Stück
Land. In der Bibel war es ein Weinberg. In der aktuellen
Mordsache ist der formale Besitz angeblich unklar.
In
beiden Fällen begehrte die Herrschaft das Land In beiden Fällen
weigerten sich die Besitzer mit der Macht zu kooperieren. In
beiden Fällen hatten die Opfer von Anfang an keine Chance. Der
allmächtige Herrscher hat ihren Widerstand mit Stiefeln
erdrückt.
Damals,
in der Zeit der Bibel, hatte Israel noch mutige Propheten, die
die Tat verurteilten. Heute gibt es keine Propheten mehr in
Israel und die Mächtigen der Welt, zu denen auch Sie zählen,
wollen nicht sehen, was sie zwingen müsste, Stellung zu
beziehen.
Sie
haben die Teilnahme Deutschlands an der Rassismuskonferenz in
Durban annulliert. Dabei haben Sie gegen deutsche Gesetze
verstoßen, die Sie eigentlich verpflichten Deutschland in der
UNO zu vertreten und für die Interessen Deutschlands
einzustehen. Das haben Sie durch die Nichtteilnahme ignoriert
und verletzt, offensichtlich, weil Sie unter amerikanischen und
israelischen Druck standen oder weil Sie Netanjahu und Obama
einen Gefallen erweisen wollten. Sie sind aber nicht gewählt
worden, um anderen Staatsmännern Gefallen zu erweisen, sondern
für das einzutreten, was Deutschlands Interessen sind.
Sie
behaupten Israel sei gar nicht rassistisch und deshalb sei die
Vorverurteilung durch zahlreiche Mitglieder der UNO falsch.
Berichten Ihnen ihre Beamten an der deutschen Botschaft in
Israel nicht, was dort vor sich geht? Wer Augen hat, der kann
doch sehen, dass Israel schon längst ein Apartheidstaat geworden
ist, mit Straßen nur für Juden und eine Polizei und Armee nur
für Juden. Die arabische Minderheit, die fast 20 Prozent der
Gesamtbevölkerung ausmacht, ist in keiner der vielen staatlichen
Institutionen, Ämter, Behörden und Organisationen auch nur
annähernd entsprechend ihrer Zahl vertreten. Es gibt in Israel
nicht einmal 1 Prozent arabische Richter oder 1Prozent arabische
Regierungsbeamte und diejenigen, die es tatsächlich gibt,
erfüllt eine reine Alibifunktion. Jeder weiß es und in Israel
wird darüber sogar offen und öffentlich debattiert. Nur Sie
scheinen es nicht zu wissen und behaupten in Ihrer unsäglichen
Naivität, dass der Zionismus nicht rassistisch ist.
Vladimir
Jabotinsky, der geistige Vater der zionistischen Rechten seit
den 1930er Jahren des vorigen Jahrhunderts, und tatsächlich bis
heute, zögerte nicht mit seinen Worten festzustellen:
(…)
es ist klar, dass man nicht in der Erziehung des Menschen die
Quelle des nationalen Empfindens suchen muss, sondern in etwas,
was der Erziehung vor ist. In was? – Ich habe mich vertieft in
diese Frage und habe mir geantwortet: - Im Blut. Und zu diesem
Standpunkt stehe ich auch jetzt noch. Das Gefühl der nationalen
Unabhängigkeit ist im „Blut“ des Menschen geprägt, in seinem
rassischen und körperlichen Typus und nur an ihm selbst (…) das
seelische Befinden des Volkes spiegelt seinen körperlichen Typus
in einer noch vollkommeneren Art und Weise, als das seelische
Befinden eines Einzelnen (…) Deshalb glauben wir nicht an einer
geistigen Assimilation. Es ist aus physischer Sicht unmöglich,
dass ein Jude, der einigen Generation von rein jüdischem Blut,
frei von jeder Vermischung, geboren wurde, sich die Lebensart
eines Deutschen oder Franzosen aneignen könnte, genauso wie es
unmöglich ist für einen Schwarzen – aufzuhören schwarz zu sein.
(479)
Netanjahu und Liebermann, die Sie sicherlich bald treffen und
deren Hände sie bald drücken werden, sind glühende Verfechter
dieser Ideologie. Wie wollen Sie jetzt noch behaupten, Israel
sei nicht rassistisch oder Sie hätten es nicht gewusst?
Brief an
Bundeskanzlerin Angela Merkel vom 24. April
2009
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Sie
werden bald erleben wie ähnlich die Ideologie und Taktik des
real existierenden Zionismus zur Ideologie und Taktik der Nazis
ist. Netanjahu und Lieberman werden ähnlich
wie
Hitler Schritt für Schritt ausprobieren, wie weit sie mit ihrem
Nationalismus und Rassismus gehen können. Ähnlich tat es auch
Hitler. Der Holocaust, der Zweite Weltkrieg, die Teilung Europas
und Deutschland und 60 Millionen Tote wären uns erspart
geblieben, wenn die damaligen Politiker etwas mehr Mut gehabt
hätten. Dabei bedurfte es am Anfang gar nicht so viel Mut, um
Hitler daran zu hindern in das Rheinland einzumarschieren. Aber
die Politiker, wer auch immer, hatten wohl die Hosen voll.
Wie
steht es denn mit Ihnen, Frau Merkel? Sind sie auch ängstlich?
Oder wissen Sie nur nicht, was Sie zu tun haben? Sie reden immer
wieder von der Verantwortung gegenüber dem jüdischen Volk.
Israel ist nicht das jüdische Volk, Israel ist ein Staat, in dem
ein Teil des jüdischen Volkes lebt. Israel sollte aber der Staat
all seiner Bürger sein, wie es jede wirkliche Demokratie ist
oder sein sollte. Israel sollte nicht der Staat der Juden in
Brooklyn sein, die gar nicht daran denken dorthin auszuwandern,
sondern auch der Staat der Araber in Galiläa, die schon seit
vielen Generationen dort leben und dort verwurzelt sind. Israel
weigert sich aber beharrlich der Staat seiner Bürger zu sein und
allein das ist schon ein markantes Zeichen für Apartheid und das
ist nichts anderes als purer Rassismus.
Warum
haben Sie nicht den Mut das zu sagen, was gesagt werden muss,
jenseits aller diplomatischen Geflogenheiten und Hindernissen.
Klopfen Sie doch endlich auf den Tisch und sagen Sie den
Israelis: Es reicht.
Abraham
Melzer
Herausgeber und Chefredakteur