Herrn
Botschafter Shimon Stein
Israelische Botschaft
Auguste Viktoria Str. 74 - 76
14193 Berlin
Betr.:
Katholikentag in Ulm 18. Juni 2004
Verehrter Herr Botschafter Stein!
Ich habe Sie auf dem Katholikentag
in Ulm am Freitag, 18. Juni bei der Podiumsdiskussion mit dem
Patriarchen Sabbah aus Jerusalem gehört. Erlauben Sie mir bitte,
wenn ich Ihnen heute nach dieser Podiumsdiskussion noch schreibe,
zumal ein Mitwirken der Zuhörer damals in Ulm nicht vorgesehen war.
Ich möchte Ihnen zunächst als
evangelischer Gemeindepfarrer versichern, daß ich große Sympathie
mit Israel habe, zumal die Juden unsere Glaubensgeschwister sind und
wir ein Zweig derselben Wurzel sind, die uns gemeinsam trägt. Von
daher ist Israel und das Heilige Land natürlich für uns Christen
auch ein ganz besonderes Land, das ich schätze und in seiner langen,
oft sehr leidvollen Geschichte achte.
Und doch bin ich gegenwärtig tief
besorgt, was seit Wochen in Palästina und Israel vor sich geht. Eine
acht Meter hohe Mauer, die manchmal sogar 12 m hoch ist, wird
gebaut, um Palästina und Israel zu "trennen". Eine Mauer zieht sich
durch das Land und auch um manche Städte wie z.B. um Bethlehem.
Israel will sich, so ist zu hören, mit diesem Bau vor Angriffen aus
Palästina schützen. Es ist klar: Ich befürworte keine
Selbstmordattentate, ganz gleich von welcher Seite sie verübt
werden, weil Sie menschliches Leben nicht achten und immer viele
Unschuldige trifft. Sie sind Ausdruck von Gewalt. Sie geben aber
sicher auch Anlaß dazu, darüber nachzudenken, warum Menschen zu
solchen Mitteln greifen, die natürlich immer verabscheuungswürdig
bleiben. Genauso wenig befürworte ich Angriffe mit Raketen auf
Häuser von Unschuldigen, wie es leider immer wieder von israelischer
Seite aus geschieht. Auch dies sind in meinen Augen Maßnahmen der
Gewalt, die den Selbstmordattentaten in nichts nachstehen. Gewalt
ist Gewalt; nur die Mittel sind verschieden. Beides muß geächtet
werden.
Sie haben auf dem Katholikentag bei
der erwähnten Podiumsdiskussion die "Mauer" damit begründet, daß
Israel für eine bestimmte Zeit eine "Trennung" zwischen Israel und
Palästina vollziehen müsse. Ich möchte Sie gerne fragen: Glauben
Sie, daß nach einer solchen Trennung ein neues Miteinander überhaupt
noch möglich sein kann, zumal ein möglicher Zeitpunkt für eine
Veränderung gegenwärtig natürlich nicht im Blick ist? Eine Mauer
trennt doch und reißt auseinander, was eigentlich zusammengehört.
Ich denke, es wäre in heutiger Zeit besser und wichtiger, Brücken
statt Mauern, Friedenszeichen statt Gewaltzeichen zu bauen und zu
errichten. Unser Gott des Lebens, auf den wir beide unseren Glauben
gründen, Juden und Christen, hat uns zu Brückenbauern statt zu
Mauerbauern bestimmt.
Ich habe mir aus authentischen
Quellen erzählen lassen und Patriarch Sabbah hat mit seinen Worten
auf dem Katholikentag in verschiedenen Veranstaltungen ähnliches
gesagt, daß das Leben vieler palästinensischer Familien durch den
Bau der Mauer empfindlich getroffen und zerstört wird. Sie können
z.B. ihre Oliven- und Obstfelder nicht erreichen. Viele Familien
hungern und das Obst verfault auf den Feldern, weil es nicht
geerntet werden kann. Bäume sind ein "kostbarer Schatz" in diesen
Gebieten und den Besitzern wird der Zugang verwehrt. Viele Familien
sind arbeitslos geworden.
Die Menschen in Israel und in
Palästina benötigen Sicherheit, um leben zu können, vor allem auch,
um miteinander leben zu können. Nur, ich bin besorgt darüber, daß
hier sicher nicht in erster Linie Sicherheitsgründe eine Rolle
spielen, sondern der eine will mit dem anderen Partner nicht
zusammen leben. Denn nach meiner Meinung und nach meiner
Lebenserfahrung kann Sicherheit nicht durch eine Mauer erreicht
werden, sondern nur durch einen "gerechten Frieden". Und in diesen
Frieden müssen beide: Israeli und Palästinenser gleichberechtigt
einbezogen werden.
Wir in unserem Land sind froh
darüber, daß "unsere Mauer" nach vielen Jahrzehnten endlich
beseitigt werden konnte und in Israel wird eine neue Mauer gebaut,
die in meinen Augen - wie übrigens jede Mauer in der Welt! - eine
eklatante Verletzung der Menschenrechte darstellt. Wäre es deshalb
nicht ein deutliches und sichtbares Zeichen des Friedens, wenn die
Gelder, die jetzt für den Bau der Mauer aufgewendet werden - und die
werden sicher in die Millionen Euro gehen - für Projekte verwendet
würden, die das Miteinander von Israeli und Palästinensern
verbessern oder die zur Verbesserung der Lebenssituation aller
beitragen könnten? In Aktionen, die dem gerechten Frieden dienen, zu
investieren ist allemal besser und auf Zukunft gerichtet, als in
Beton und Steine zu investieren, die Menschen voneinander trennen
und immer weiter auseinanderreißen, obwohl sie zusammengehören. Was
zusammen wachsen soll, kann so nicht zusammen kommen.
Deshalb bitte ich Sie sehr
freundlich, verehrter Herr Botschafter Stein daß Sie und die
israelische Regierung mit Unterstützung Ihrer Freunde und
Verbündeten - und zu diesen gehört auch unser Land - darauf hin
wirken, daß die Mauer gestoppt wird und die Steine, die jetzt
trennen, umgewidmet werden zu Steinen, die Brücken ermöglichen, so
wie es uns in den Friedensvisionen des Propheten Micha (Kap. 4, 1-5)
und des Propheten Jesaja (Kap. 2, 1-4) deutlich vor Augen gestellt
wird.
Ich danke Ihnen,
daß Sie mein Anliegen gelesen haben!
Herzliche Grüße
aus Bad Schussenried - zwischen Ulm und Bodensee genau in der
Mitte gelegen -
Ihr
(Pfarrer Horst
Oberkampf)