Offener Brief an Paul Spiegel
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Offener Brief
Herrn Paul Spiegel
Vorsitzender des
Zentralrates der Juden ihn Deutschland
Emanuel-Leutze-Str. 11
40547 Düsseldorf
23.1.2005
Sehr geehrter Herr Spiegel,
vor genau zwei Jahren hielten Sie in Darmstadt
am 26.1.2003 eine Rede, in der Sie den bevorstehenden Krieg gegen den
Irak verteidigten. Dieser Krieg war ein Angriffskrieg. Den Bevölkerungen
der angreifenden Länder wurde suggeriert, der Diktator Saddam Hussein
bedrohe diese Länder mit Massenvernichtungswaffen. Für den britischen
Regierungschef Tony Blair war diese fürchterliche Bedrohung sogar
innerhalb von nur 45 Minuten Realität.
Heute wissen, wir: Alles gelogen!
Überall in der Welt gingen damals Millionen
Menschen gegen den Krieg auf die Straße. In Berlin fand die größte
Demonstration seit 1945 statt. Sie aber, Herr Spiegel, denunzierten die
Demonstranten in Ihrer Rede als realitätsferne Dummköpfe: „Die KZ sind
nicht durch Demonstranten befreit worden, sondern durch die Rote
Armee.“Abgesehen davon, daß diese Darstellung bedenklich ist (s. Anlage:
Erklärung an die Medien vom 1.2.03), schrieb ich Ihnen damals: „Was soll
dieser blödsinnige Vergleich? Was hat der Holocaust mit dem Irak-Krieg
zu tun? Was sollen die Nachkommen der Geschwister Scholl dazu sagen? Die
von den Nazis hingerichteten Widerstandskämpfer hatten Flugblätter und
keine Kalaschnikows in ihren Händen!“
Anschließen gingen Sie, Herr Spiegel, in
Schulen und erklärten nicht den Jugendlichen, sondern kleinen Kindern,
daß Kriege notwendig sein können, „damit nachher alles besser
wird“(WDR3). Während der Woche der Brüderlichkeit schrieb ich Ihnen
damals: „Niemals kann und darf man Kinder auf diese Art in das furchbare
Geschehen mit hinein ziehen. Nach dem Verletzen und Töten von Menschen
ist nichts besser.“
Der von Ihnen als weltverbessernder Akt
dargestellte Irak-Krieg begann am 20. März 2003. Die Verteidiger des
Friedens erklärten ihn am 1. Mai 2003 für erfolgreich beendet. Während
dieser „Friedenbemühungen“ starben 138 amerikanische und 33 britische
Soldaten. Außerdem - nach amerikanischer Schätzung - wurden mindestens
2300 irakische Soldaten, 10 Journalisten und eine unbestimmte Zahl von
Zivilisten getötet. Von den Verletzten und Schwerstverletzen wollen wir
gar nicht reden. Bedauerlich? Nun ja, ein deutsches Sprichwort sagt: „Wo
gehobelt wird, da fallen Späne“, und Sie, Herr Spiegel und die
amerikanischen und britischen Militärs werden achselzuckend noch andere
Bonmots auf Lager haben.
Wichtig ist ja nur: „Nachher ist alles
besser.“Seit ENDE des Irak-Krieges verzeichnen die Amerikaner offiziell
1286 getötete, 9766 verwundete und davon etwa 5200 schwerstverletzte
US-Soldaten. Die Zahl der Getöteten anderer Alliierter wird mit etwa 250
angegeben. Bei den getöteten Irakern wird nicht mehr unterschieden nach
Soldaten und Zivilisten. Die Zahlen schwanken zwischen „geringen“ 20.000
und „vielen“180.000 Toten.(s. taz vom 1.11.2004, amerikanisch-irakische
Studie in der renommierten „The Lancet“ veröffentlicht.)
Das von Ihnen, Herr Spiegel, so freudig
erwartete „bessere Leben“ wurde leider NACH Kriegsende von den
amerikanischen und britischen Friedenstiftern konterkariert durch
Geschenkpackungen der Demokratie, die leider Menschenverachtung und
Folter beinhalteten. - 2 - Seite 2, Manfred Spies an Paul Spiegel,
23.1.2005
Wie glauben Sie, Herr Spiegel, hat sich das
Ansehen der Friedens- und Demokratiespender in den Köpfen der irakischen
Empfänger entwickelt? Was glauben Sie, Herr Spiegel, würden Ihnen die
Menschen im Irak zwei Jahre NACH dem Krieg antworten, wenn Sie fragen,
ob „alles besser“ geworden ist? „Okay! Naam!“? Selbst im Zustand
völliger geistiger Abwesen- heit kann das kein vernünftiger Mensch
erwarten.
Am 26.1.2003 haben Sie auch dem Budeskanzler
und seiner Regierung vorgeworfen, „a priori“ gegen Krieg zu sein (als
wenn das eine Schande wäre). Man könnte den Eindruck bekommen, Sie
befürworten „a priori“ Kriege, Sie sind ein Kriegstreiber. Das wird
Ihnen, Herr Spiegel, selbstverständlich in diesem Land niemand
unterstellen. Man wird Sie auch nicht mit den Imamen in Moscheen
vergleichen, die zum Heiligen Krieg aufrufen gegen die Feinde des Islam.
Das Besondere ist nur, daß sich diese ernst zu nehmenden Koran- Zitate
alle auf die VERTEIDUGUNG der Religion beziehen.(*) Die Verteidigung mit
Waffen ist sogar im Deutchen Grundgesetz an 16 Stellen erwähnt. Insofern
ist es natürlich völliger Unsinn, Herr Spiegel, davon zu sprechen, eine
Bundesregierung sei „a priori“ gegen Krieg und oute sich damit selbst
als Verfassungsfeind. Wir können also festhalten: „Kämpft gegen eure
Feinde“meint im Koran die Verteidigung der Religion gegen Angreifer. Im
Deutschen Gundgesetz wird das Wort „Krieg“ ausschließlich im
Zusammenhang mit einem „Verteidigungsfall“erwähnt . Sie aber , Herr
Spiegel, haben vor Menschenmengen in Darmstadt und vor Schulkindern in
NRW einen Angriffskrieg propagiert.
Sind Sie auf etwas hereingefallen, was man als
„Kriegspropaganda“ bezeichnet? Bush hat sich am 19.3.2003 in seiner Rede
an die US-Nation zur Vorbereitung des Irak-Krieges als Scharf- macher
betätigt. Er und Blair haben monatelang Schreckensbilder gezeichnet und
damit Erfolg gehabt. „...war die Kriegspropaganda der Engländer und
Amerikaner psychologisch richtig. Indem sie dem eigenen Volke Hussein
als Barbaren...vorstellte, bereitete sie den einzelnen Soldaten schon
auf die Schrecken des Krieges vor...und stärkte ebenso (in ihm) den
Glauben an die Richtigkeit der Behauptungen seiner Regierung, wie sie
andererseits Wut und Haß gegen den verruchten Feind steigerte.“ Hat das
ein amerikanischer oder ein englischer Journalist gesagt? Oder ein
Informations- oder ein Verteidigungsminister? Oder ein gar ein
Regierungschef? Nein. Ich fand das Zitat auf Seite 199 in „Mein Kampf“
von Adolf Hitler. Es wurden nur „Hussein“ und „die Deutschen“
ausgetauscht. Die Techniken der Kriegspropaganda ändern sich nicht.
Selbst wenn Sie auf etwas reingefallen sind,
etwas falsch eingeschätzt haben, Herr Spiegel, sollten Sie sich
entschuldigen. Es wäre eine Geste gegenüber allen, die sich durch Ihre
Aussagen beleidigt gefühlt haben. Es wäre eine angemessene Geste,
angesichts der Tatsache, daß Teile der SPD-Bundestagsfraktion Sie zum
Bundespräsidenten machen wollten. Vielleicht fragen Sie sich, warum ich
Ihnen immer wieder schreibe, obwohl Sie mir nie antworten. Nun, ich
mische mich vor allem in Diskussionen um Gerechtigkeit, Freiheit und
Menschenrechte ein. Ich habe schon Veranstaltungen zum Holocaust und
gegen das Vergessen gemacht, als es in Düsseldorf eine Mahn- und
Gedenkstätte noch gar nicht gab. Ich habe mit 14 „Mein Kampf“ gelesen
und aus der Vergangenheit gelernt. Mein „Nie wieder“ ist allerdings
differenziert.
Mit freundlichem Gruß (Manfred Spies)
(*) Koran-Suren / „Kämpfen“: 2/191-94; 2/217;
4/92; 8/61ff; 47/5; 60/9; 61/12 Beispiele 2/191-94: „Und kämpfet für
Allahs Sache gegen jene, die euch bekämpfen, doch überschreitet daß maß
nicht, denn Allah ist nicht mit den Maßlosen. Und tötet sie, wo immer
ihr auf sie stoßt und vertreibt sie, von wo sie euch vertrieben... Wenn
sie jedoch ablassen, dann ist Allah allvergebend, barmherzig. Und
bekämpft sie, bis die Verfolgung aufgehört hat, und der Glaubven an
Allah frei ist. Wenn sie jedoch ablassen, dann ist keine Feindschaft
(mehr) erlaubt....“