Joseph Dana: Das Gewicht des
jüdischen Nationalismus in Nabi
Saleh
In
seinem Bericht über die
Freitagsdemonstration am 6. Mai
in Nabi Saleh berichtet der
israelische Autor, Journalist
und Aktivist über die Massnahmen
der israelischen Besatzungsarmee
zur Niederschlagung der
friedlichen Widerstandsbewegung
im Westbankdorf Nabi Saleh, das
seit Dezember 2009 gegen
Annexionsversuche israelischer
Siedler und gegen die
israelische Besetzung von
palästinensischem Land kämpft.
Es ist nicht
einfach, nach Nabi Saleh zu
kommen. Die Armee schliesst am
Freitag schon frühmorgens alle
Zugänge ins Dorf, weil an diesem
Tag seit zwei Jahren die
wöchentlichen Demonstrationen
stattfinden. So müssen
israelische und internationale
Aktivisten, die sich an den
unbewaffneten und meist
gewaltlosen Demonstrationen
beteiligen wollen, viele
Kilometer entfernt parken und
durch Täler und kleine Hügel zum
Dorf hoch wandern.
Israelische
Soldaten waren an diesem Freitag
schon lange vor Beginn der
Demonstration im Dorf und
verbreiteten eine unangenehme
Atmosphäre der Ungewissheit
unter den Dorfbewohnern. Zu
dieser Unsicherheit trugen auch
die aggressiven Bemerkungen von
einer Gruppe Soldaten bei, die
ein Hausdach in der Dorfmitte
besetzt hatten.
„Bald macht
dein Haus kabum!“ bellte einer
der arroganten Soldaten einen
älteren Dorfbewohner an. Es war
nicht klar, ob der Soldat davon
sprach, dass er das Haus in die
Luft sprengen oder mit Tränengas
und Schockgranaten angreifen
wolle. Auf jeden Fall war der
ältere Mann angesichts dieser
bedrohlichen Sprache des
Soldaten sichtlich geschockt.
Männer und
Jungen versammelten sich nach
den Mittagsgebeten, trotz der
militärischen Präsenz zur
Demonstration entschlossen.
Ungefähr 12% der männlichen
Dorfbewohner, von einer
Gesamtbevölkerung von 500
Menschen, waren wegen der
Teilnahme an den Demonstrationen
bereits in israelischen
Gefängnissen. Bassem und Naji
Tamimi, die Leiter des
Bürgerkomitees Nabi Saleh sind
zur Zeit in Haft. Sie wurden
noch nicht verurteilt, werden
aber angesichts ähnlicher
Vorgänge in Bil’in [in den
vergangenen zwei Jahren]
wahrscheinlich die nächsten ein,
zwei Jahre im Gefängnis
verbringen. Ihr Verbrechen:
Organisation von unbewaffneten
Demonstrationen, die
Israelis,Palästinenser und
Internationale zusammenbringen,
um Widerstand gegen die
Besatzung zu leisten.
Innerhalb von
Minuten eröffneten die Soldaten
das Feuer von drei Seiten auf
die Demonstranten. Tränengas
füllte die Luft und
Schockgranaten explodierten in
alle Richtungen mit Explosionen,
die zu Orientierungslosigkeit
und Panik führen. Kinder, manche
nur vier oder fünf Jahre alt,
rangen in ihren Häusern um Atem,
ein Entkommen war nicht möglich.
Diese offizielle nicht erklärte
Ausgangssperre für Nabi Saleh
wurde von den Soldaten beinahe
fünf Stunden aufrechterhalten.
Als die Sonne
unterging, lockerten die
Soldaten ihre Ausgangssperre ein
wenig. Weil ununterbrochen
Tränengas abgeschossen wurde,
hatte es keine Zusammenstösse
zwischen palästinensischen
Jugendlichen und Soldaten
gegeben. Der Dorfladen öffnete
wieder seine Türen und trotz der
Anwesenheit von einem Dutzend
schwer bewaffneter Soldaten im
Dorfzentrum kam eine gewisse
Ruhe im Dorf auf. Sporadisch
eröffneten die Soldaten das
Feuer und füllten einen Teil des
Dorfes mit Tränengas, was die
Menschen zum Rückzug in ihre
Häuser zwang, in denen die
Fenster zum Schutz gegen das
Tränengas mit grossen Teppichen
verhängt sind. Nach einer halben
Stunde kamen die Dorfbewohner
langsam aus ihren Häusern und
Ruhe kehrte ein.
Als die
Soldaten endlich Vorbereitungen
zum Abzug vor der Nacht
begannen, rollte der berüchtigte
„Skunk“ Wagen ins Dorf, was bei
den jungen Männern von Nabi
Saleh eine Welle der Aufregung
auslöste. Provozierend fuhr der
Wagen durchs Dorf und richtete
die bedrohliche Spritze mit der
penetranten chemischen Mischung
auf jedes Haus. Die Jugend des
Dorfes reagierte und warf mit
Steinen auf den gepanzerten
Wagen, was wiederum eine brutale
Reaktion in Form von Tränengas
und Gummimantelgeschossen von
den patrouillierenden Soldaten
provozierte. Die Zusammenstösse
zwischen Soldaten und
Jugendlichen dauerten bis acht
Uhr, bis der letzte Soldat in
die Siedlung/Militärstation
Halamish zurückgekehrt war.
Ich habe von
Nabi Salehs Saga des waffenlosem
Widerstand gegen die israelische
Besatzung seit Beginn der
Demonstrationen vor über einem
Jahr berichtet. Die
Demonstration an diesem Freitag
war anders. Ich sah ein Dorf
unter einer Ausgangssperre. Ich
sah, wie Menschen dazu
gezwungen wurden, in ihren
Häusern Schutz zu suchen, weil
sie den Weg des waffenlosen
Widerstandes gewählt hatten, im
Geist der amerikanischen
Bürgerrechtsbewegung. Ich sah
Kinder, die Tränengaswolken in
ihren Schlafzimmern hatten und
um Atem rangen. Die einzige
Erklärung für dieses Verhalten
ist die israelische Absicht,
Nabi Saleh zu schikanieren und
die gewaltlose Bewegung zu
zerschlagen.
Auf meinem
Heimweg nach Tel Aviv überlegte
ich, was den Soldaten wohl durch
den Kopf ging, wenn sie das
Feuer auf israelische und
palästinensische Zivilisten
eröffnen? Dachten sie, dass ihr
Verhalten heroisch sei? Wurden
sie von Hass und Angst
angetrieben? Hat unser
Nationalismus einen Punkt
erreicht, an dem er Leute
dazutreibt, blindlings
Zivilisten zu terrorisieren, die
ein grundlegendes Menschenrecht
ausüben wollen? Die traurige
Antwort ist ein Ja, aber Sie
müssen mir nicht einfach Glauben
schenken, kommen Sie am nächsten
Freitag nach Nabi Saleh und
entscheiden Sie selbst.
The
weight of Jewish nationalism in
Nabi Saleh:
http://josephdana.com/
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